Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch des Geschädigten auf Freistellung von außergerichtlichen Anwaltskosten. Verfahrensgebühr im einstweiligen Verfügungsverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Berechnung eines Schadensersatzanspruchs des Geschädigten auf Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren, wenn der Schädiger die in einem anschließenden, denselben Gegenstand betreffenden einstweiligen Verfügungsverfahren angefallene Verfahrensgebühr bereits ausgeglichen hat.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 1; RVG VV Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 24.02.2010; Aktenzeichen 9 S 16724/09)

AG München (Entscheidung vom 03.08.2009; Aktenzeichen 142 C 29864/08)

 

Tenor

Die Revisionen der Parteien gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des LG München I vom 24.2.2010 werden zurückgewiesen.

Von den Kosten des Revisionsverfahrens tragen der Kläger 37 %, die Beklagte 63 %.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Der Kläger macht gegen die Beklagte die Erstattung restlichen Anwaltshonorars geltend.

Rz. 2

Am 26.3.2008 erschien in der Printausgabe und in dem Online-Angebot der von der Beklagten verlegten taz ein Artikel, der aus Sicht des Klägers drei unwahre Tatsachenbehauptungen über seine Organisation enthielt. Der Kläger beauftragte daher am 27.3.2008 seinen Rechtsanwalt und späteren instanzgerichtlichen Prozessbevollmächtigten mit der Geltendmachung von Unterlassungs-, Gegendarstellungs- und Richtigstellungsansprüchen bezüglich dieser drei Behauptungen. Mit Schreiben vom 1.4.2008 übermittelte der Anwalt des Klägers der Beklagten eine entsprechende, auf den 31.3.2008 datierte Gegendarstellung zu den drei beanstandeten Behauptungen und forderte die Beklagte auf, diese bis 4.4.2008 zu veröffentlichen und eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Die Beklagte veröffentlichte bereits am 1.4.2008 in der Online-Ausgabe und am 3.4.2008 in der Printausgabe ihrer Zeitung eine "Berichtigung", in der ihre ursprüngliche Berichterstattung vom 26.3.2008 in zwei der drei strittigen Punkte richtiggestellt wurde. Daraufhin leitete der Anwalt des Klägers mit Schreiben vom 10.4.2008 der Beklagten ein erneutes Gegendarstellungsverlangen hinsichtlich der einen verbliebenen Behauptung zu mit der Aufforderung zur Veröffentlichung. Nach Weigerung der Beklagten erwirkte der Kläger beim LG Berlin eine einstweilige Verfügung, durch die die Beklagte zum Abdruck der Gegendarstellung verpflichtet wurde. Diese einstweilige Verfügung wurde durch rechtskräftig gewordenes Urteil des LG Berlin bestätigt. Im Kostenfestsetzungsverfahren wurde diesbezüglich eine 1,3-fache Verfahrensgebühr aus einem Streitwert von 12.000 EUR festgesetzt.

Rz. 3

Daneben erwirkte der Kläger beim LG München I eine einstweilige Verfügung, durch die der Beklagten eine Wiederholung der verbliebenen Behauptung untersagt wurde. Im dortigen Kostenfestsetzungsverfahren wurde eine 1,3-fache Verfahrensgebühr aus einem Streitwert von 8.000 EUR festgesetzt. Mit Schreiben vom 30.5.2008 und 9.7.2008 forderte der Anwalt des Klägers die Beklagte auf, die einstweilige Verfügung des LG München I als endgültige Regelung anzuerkennen. Die Beklagte kam dieser Forderung mit (Abschluss-)Schreiben vom 17.7.2008 nach.

Rz. 4

Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger im Wege des Schadensersatzes die Erstattung von Rechtsanwaltsgebühren i.H.v. insgesamt 3.668,76 EUR geltend. Eine entsprechende Rechnungsstellung an den Kläger ist bisher noch nicht erfolgt. Das AG hat der ursprünglichen Zahlungsklage zunächst im Wege eines Teilversäumnisurteils i.H.v. 2.831,24 EUR stattgegeben und sie im Übrigen im Wege eines Endurteils abgewiesen. Auf den Einspruch der Beklagten hat es das Teilversäumnisurteil aufrechterhalten. Auf die Berufung beider Parteien hat das LG die Endurteile des AG abgeändert und die Beklagte verurteilt, den Kläger von Honoraransprüchen seines Rechtsanwalts i.H.v. 1.812,54 EUR freizustellen. Im Übrigen hat es die Berufungen zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Freistellungsbegehren i.H.v. weiteren 1.060,30 EUR und die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren in vollem Umfang weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Rz. 5

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Kläger könne - solange sein Anwalt den Vergütungsanspruch noch nicht in Rechnung gestellt habe - diesen Anspruch nicht im Wege einer Zahlungsklage, sondern im Hinblick auf § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG lediglich im Wege einer Freistellungsklage geltend machen. Was die Berechnung der Anwaltsgebühren anbelangt, hat das Berufungsgericht das Tätigwerden des Klägervertreters im Zusammenhang mit der (dreigliedrigen) Gegendarstellung vom 31.3.2008, der (eingliedrigen) Gegendarstellung vom 10.4.2008 und dem Unterlassungsbegehren als dieselbe Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG behandelt, deren Wert sich aus den einzelnen Gegenstandswerten für die dreigliedrige Gegendarstellung i.H.v. 25.000 EUR, die eingliedrige Gegendarstellung i.H.v. 12.000 EUR und die Abmahnung in Bezug auf die (dreigliedrige) Unterlassungsverpflichtung i.H.v. 25.000 EUR zusammensetze. Aus dem sich hieraus errechnenden Gegenstandswert i.H.v. insgesamt 62.000 EUR ergebe sich eine 1,3-fache Geschäftsgebühr i.H.v. 1.459,90 EUR. Zusammen mit einer Auslagenpauschale i.H.v. 20 EUR und der Umsatzsteuer i.H.v. 281,18 EUR errechne sich ein Betrag von insgesamt 1.761,08 EUR. Auf diese Gebühr seien die in den einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem LG Berlin und dem LG München I festgesetzten Verfahrensgebühren entsprechend der Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 RVG-VV anzurechnen. Dabei sei die Geschäftsgebühr im vorliegenden Verfahren in der Höhe zu kürzen, in der sie in den einstweiligen Verfügungsverfahren auf die dort festgesetzten Verfahrensgebühren hätte angerechnet werden können. Im einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem LG Berlin betreffend die verbliebene Gegendarstellung sei eine 1,3-fache Verfahrensgebühr aus einem Gegenstandswert i.H.v. 12.000 EUR, mithin 683,80 EUR festgesetzt worden. In Höhe von 341,90 EUR hätte deshalb die Geschäftsgebühr in diesem Verfahren auf die Verfahrensgebühr angerechnet werden können. Im einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem LG München I betreffend den (verbliebenen) Unterlassungsanspruch sei eine 1,3-fache Verfahrensgebühr aus einem Gegenstandswert i.H.v. 8.000 EUR festgesetzt worden, mithin 535,60 EUR. In Höhe von 267,80 EUR hätte deshalb die Geschäftsgebühr in diesem Verfahren auf die Verfahrensgebühr angerechnet werden können. Der Kläger müsse sich somit insgesamt 609,70 EUR der bereits gezahlten Verfahrensgebühren auf die offene Geschäftsgebühr anrechnen lassen, so dass er von der Beklagten noch 1.151,38 EUR erstattet verlangen könne. Eine selbständige Angelegenheit bilde allerdings das Tätigwerden des Klägervertreters zur Erlangung der Abschlusserklärung nach dem gerichtlichen Unterlassungsverfahren im einstweiligen Rechtsschutz. Der Kläger könne daher von der Beklagten zusätzlich eine 1,3-fache Geschäftsgebühr, die für die Tätigkeit angemessen sei, aus einem Streitwert von 8.000 EUR i.H.v. 535,60 EUR verlangen nebst 20 EUR Auslagenpauschale und einer 19 %igen Umsatzsteuer i.H.v. 105,56 EUR, in der Summe also 661,16 EUR. Insgesamt habe der Kläger mithin einen Freistellungsanspruch hinsichtlich der Rechtsanwaltsgebühren i.H.v. 1.812,54 EUR.

II.

Rz. 6

Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Parteien haben keinen Erfolg.

A. Zur Revision des Klägers

Rz. 7

Die Revision des Klägers greift das Berufungsurteil lediglich insoweit an, als das Berufungsgericht die mit der Aufforderung zur drei- und eingliedrigen Gegendarstellung und mit der dreigliedrigen Abmahnung angefallene Geschäftsgebühr um den Betrag gekürzt hat (341,90 EUR), in dem sie in dem Verfahren vor dem LG Berlin auf die Verfahrensgebühr hätte angerechnet werden müssen und soweit es die zweite (eingliedrige) Gegendarstellung vom 10.4.2008 nicht als eine gegenüber der ersten (mehrgliedrigen) Gegendarstellung vom 31.3.2008 neue selbständige Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 1 RVG behandelt hat. Beide Angriffe der Revision haben keinen Erfolg.

Rz. 8

1. Die Bemessung der Höhe des vorliegenden Schadensersatzanspruchs aus § 823 Abs. 1 BGB ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (vgl. BGH, Urt. v. 23.11.2004 - VI ZR 357/03, BGHZ 161, 151 [154]; v. 26.5.2009 - VI ZR 174/08, VersR 2009, 1269 Rz. 18; v. 27.7.2010 - VI ZR 261/09, NJW 2010, 3035 Rz. 13; v. 11.1.2011 - VI ZR 64/10, WRP 2011, 353 Rz. 10, jeweils m.w.N.). Derartige Rechtsfehler sind vorliegend - entgegen der Auffassung der Revision des Klägers - nicht gegeben. Das Berufungsgericht hat insb. nicht gegen Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verstoßen.

Rz. 9

a) Bei der Beurteilung der Frage, ob und in welchem Umfang der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch die Erstattung von Rechtsanwaltskosten umfasst, ist zwischen dem Innenverhältnis des Geschädigten zu dem für ihn tätigen Rechtsanwalt und dem Außenverhältnis des Geschädigten zum Schädiger zu unterscheiden. Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch im geltend gemachten Umfang ist grundsätzlich, dass der Geschädigte im Innenverhältnis zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist und die konkrete anwaltliche Tätigkeit im Außenverhältnis aus der maßgebenden Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (BGH, Urt. v. 26.5.2009 - VI ZR 174/08, a.a.O., Rz. 20; v. 27.7.2010 - VI ZR 261/09, a.a.O., Rz. 14; v. 11.1.2011 - VI ZR 64/10, a.a.O., Rz. 11 jeweils m.w.N.). Diese Rechtsgrundsätze hat das Berufungsgericht beachtet.

Rz. 10

b) Es begegnet keinen Bedenken, dass das Berufungsgericht die Gegendarstellung, zu der der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beklagte erfolglos mit Schreiben vom 10.4.2008 aufforderte und deretwegen er später die einstweilige Verfügung des LG Berlin erwirkte, als "de(n)selben Gegenstand" (Vorbem. 3 Abs. 4 Satz 1 RVG-VV) innerhalb "derselben Angelegenheit" (§ 15 Abs. 2 Satz 1 RVG) angesehen hat.

Rz. 11

aa) Entgegen der Auffassung der Revision des Klägers handelt es sich dabei nicht um verschiedene Angelegenheiten i.S.d. § 15 RVG. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts beauftragte der Kläger am 27.3.2008 seinen Rechtsanwalt mit der Geltendmachung von Unterlassungs-, Gegendarstellungs- und Richtigstellungsansprüchen hinsichtlich der drei beanstandeten Behauptungen. Soweit die Revision des Klägers nunmehr geltend macht, der Auftrag sei zunächst "vor allem" auf die Anfertigung einer Gegendarstellung gerichtet gewesen, nicht aber deren Zuleitung an die Beklagte bzw. deren prozessuale Durchsetzung, steht dies nicht im Einklang mit den Feststellungen des Berufungsgerichts, wonach der Kläger seinen Anwalt mit der "Geltendmachung" von Unterlassungs-, Gegendarstellungs- und Richtigstellungsansprüchen beauftragt hat. Übergangenes Vorbringen des Klägers zeigt seine Revision hierzu nicht auf. Dann aber durfte das Berufungsgericht unter einer "Geltendmachung" des Gegendarstellungsanspruchs im weiteren Sinne ohne Rechtsfehler auch dessen spätere prozessuale Durchsetzung verstehen.

Rz. 12

bb) Entgegen der Auffassung der Revision des Klägers begegnet es auch keinen rechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht in dem (eingliedrigen) Gegendarstellungsverlangen vom 10.4.2008 gegenüber dem ursprünglich (dreigliedrigen) Gegendarstellungsverlangen vom 26.3.2008 keine neue Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 5 RVG gesehen hat. Denn der Rechtsanwalt des Klägers hat damit lediglich das Gegendarstellungsverlangen hinsichtlich einer der drei Behauptungen weiterverfolgt, welche die Beklagte in ihrer Folgeberichterstattung vom 1. bzw. 3.4.2008 noch nicht "berichtigt" hatte. Das Gegendarstellungsverlangen vom 10.4.2008 bezog sich auch nicht auf die "Berichtigung" in der Folgeberichterstattung, sondern wiederholte lediglich das bisher noch nicht erfüllte Gegendarstellungsverlangen vom 31.3.2008 hinsichtlich der verbliebenen Behauptung aus der Ausgangsberichterstattung vom 26.3.2009. Unter diesen Umständen ist es aber aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht in dem Gegendarstellungsverlangen vom 10.4.2008 keine neue Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne gesehen hat. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Rechtsanwalt des Klägers bei der Abfassung des ursprünglichen Gegendarstellungsverlangens nicht voraussehen konnte, ob und inwieweit dieses von der Beklagten erfüllt werden würde. Eine einheitliche Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne kann auch dann vorliegen, wenn der Anwalt erst nach teilweiser Erfüllung des vorprozessualen Begehrens mit der prozessualen Weiterverfolgung der verbliebenen Restforderung beauftragt wird (vgl. BGH, Urt. v. 27.7.2010 - VI ZR 261/09, AfP 2010, 469 [472]).

Rz. 13

2. Die Höhe der Kostenfreistellung, die die Beklagte dem Kläger als Schadensersatz schuldet, bestimmt sich nach der (Rest-)Vergütungsforderung, die dem für den Kläger außergerichtlich tätigen Rechtsanwalt nach § 15a RVG i.V.m. Vorbem. 3 Abs. 4 Satz 1 RVG-VV zusteht. Sie beträgt in Bezug auf die (eingliedrige) Gegendarstellung, wie das Berufungsgericht im Ergebnis richtig gesehen hat, 341,90 EUR.

Rz. 14

a) Der Rechtsanwalt kann, weil er den Gegendarstellungsanspruch des Klägers außergerichtlich mit Schreiben vom 10.4.2008 verfolgte, die 1,3-fache Geschäftsgebühr verlangen, ferner steht ihm für die Vertretung des Klägers in dem denselben Gegenstand betreffenden Verfahren der einstweiligen Verfügung vor dem LG Berlin eine 1,3-fache Verfahrensgebühr zu. Insoweit ist jedoch die Anrechnungsregel des § 15a Abs. 1 RVG zu beachten. Danach kann der Rechtsanwalt beide (denselben Gegenstand betreffenden) Gebühren fordern, jedoch nicht mehr als den um den - gemäß Vorbem. 3 Abs. 4 Satz 1 RVG-VV zu ermittelnden Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren. Im Streitfall konnte der Rechtsanwalt mithin - jeweils von einem Geschäftswert i.H.v. 12.000 EUR - eine 1,95-fache Gebühr beanspruchen (1,3-fache Geschäftsgebühr + 1,3-fache Verfahrensgebühr - 0,65 ≪= 1,3:2 ≫ Anrechnung = 1,95; vgl. Gerold/Schmidt, a.a.O., § 15a Rz. 9). Diesen Gebührenanspruch hat der Beklagte bezüglich der 1,3-fache Verfahrensgebühr bereits ausgeglichen, so dass der Kläger seinem Rechtsanwalt noch eine 0,65-fache Gebühr (= 1,95-fache Gebühr - 1,3-fache Gebühr ≪BEREITS GEZAHLT≫) i.H.v. 341,90 EUR von einem Gegenstandswert von 12.000 EUR schuldet und hiervon durch den Beklagten freizustellen ist.

Rz. 15

b) Der Beklagte kann sich als Dritter auf die vorbeschriebene Anrechnung berufen, weil er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren - hier auf die Verfahrensgebühr - erfüllt hat (§ 15a Abs. 2 Fall 1 RVG).

B. Zur Revision der Beklagten

Rz. 16

Die Revision der Beklagten ist zulässig. Das Berufungsgericht hat die Revision unbeschränkt zugelassen und nicht nur zugunsten des Klägers. Dies ergibt sich aus dem Tenor des angefochtenen Urteils. Aus den Entscheidungsgründen lässt sich eine Beschränkung der Revision nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit entnehmen (dazu: BGH, Urt. v. 12.11.2004 - V ZR 42/04, NJW 2005, 894, 895, insoweit in BGHZ 161, 115 nicht abgedruckt; Beschl. v. 14.5.2008 - XII ZB 78/07, NJW 2008, 2351 Rz. 16 und BGH, Urt. v. 17.11.2009 - VI ZR 58/08, VersR 2010, 270 Rz. 7).

Rz. 17

Die Angriffe der Beklagten gegen das Berufungsurteil haben jedoch in der Sache ebenfalls keinen Erfolg.

Rz. 18

1. Entgegen der Auffassung der Revision der Beklagten hat das Berufungsgericht mit Recht einen Freistellungsanspruch des Klägers bejaht. Zwar weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass nach § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG der Rechtsanwalt die Vergütung grundsätzlich nur aufgrund einer von ihm unterzeichneten und dem Auftraggeber mitgeteilten Berechnung einfordern kann. Diese Bestimmung betrifft jedoch lediglich die Frage, wann eine entstandene und nach § 8 Abs. 1 Satz 1 RVG mit Erledigung des Auftrags oder Beendigung der Angelegenheit fällige Gebühr von dem Mandanten einforderbar ist (vgl. BGH, Beschl. v. 13.7.1984 - III ZR 136/83, AnwBl. 1985, 257 f. Fraunholz in Riedel/Sußbauer, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 9. Aufl., § 10 Rz. 3; Hartung/Schons/Enders, RVG § 10 Rz. 1). Hiervon zu unterscheiden ist der im Streitfall geltend gemachte materiell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch. Der Gegner kann hier nicht einwenden, dass er nicht zur Zahlung verpflichtet sei, weil ihm keine Berechnung vorgelegt worden sei, die den Anforderungen der §§ 10 RVG, 14 UStG entspreche (vgl. etwa Hartung/Schons/Enders, a.a.O., § 10 Rz. 49). Dies betrifft lediglich das Innenverhältnis zum Mandanten. Dem Gebührenanspruch fehlt insoweit auch nicht - wie die Revision der Beklagten weiter meint - die Bestimmbarkeit der Höhe des Gebührenanspruchs. Denn jedenfalls unter den Umständen des Streitfalls, in welchem der mit der zugrunde liegenden Angelegenheit beauftragte Rechtsanwalt den materiell-rechtlichen Gebührenanspruch für seinen Mandanten einklagt, hat er in der von ihm selbst verfassten Klageschrift von seinem Bestimmungsrecht i.S.d. § 14 RVG hinreichend Gebrauch gemacht.

Rz. 19

2. Auch soweit das Berufungsgericht für die Aufforderung zur Abgabe einer Abschlusserklärung betreffend das einstweilige Verfügungsverfahren vor dem LG München I eine Regelgebühr von 1,3 als gerechtfertigt erachtet hat, sind - entgegen der Auffassung der Revision der Beklagten - keine Rechtsfehler erkennbar.

Rz. 20

a) Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Anforderung der Abschlusserklärung hinsichtlich der Rechtsanwaltsgebühren nicht mehr zum vorangegangenen Eilverfahren, sondern zur Hauptsacheklage gehört und das Abschlussschreiben daher als eine neue, selbständig zu honorierende Angelegenheit i.S.d. § 17 Nr. 4 Buchst. b RVG anzusehen ist. Fordert der Rechtsanwalt im Auftrag seines Mandanten nach Erwirkung einer auf Unterlassung gerichteten einstweiligen Verfügung den Anspruchsgegner dazu auf, die einstweilige Verfügung als endgültige Regelung anzuerkennen und auf die Rechte aus §§ 924, 926 und 927 ZPO zu verzichten, so will er auf diese Weise die Klaglosstellung seines Mandanten und damit ein Ergebnis erzielen, wie es nur mit dem Hauptsacheprozess erreicht werden kann. Aus diesem Grund gehört die von ihm entfaltete weitere Tätigkeit sachlich zum Hauptsacheprozess und damit zu einer nach § 17 Nr. 4 Buchst. b RVG vom Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung verschiedenen Angelegenheit (vgl. BGH, Urt. v. 4.3.2008 - VI ZR 176/07, VersR 2008, 985 Rz. 9; BGH, Urt. v. 12.3.2009 - IX ZR 10/08, NJW 2009, 2068 Rz. 8; v. 4.2.2010 - I ZR 30/08, WRP 2010, 1169 [1171]). Die Zuordnung eines Abschlussschreibens zum Hauptsacheverfahren setzt nicht voraus, dass bereits ein Auftrag zur Hauptsacheklage erteilt worden ist. Vielmehr genügt es, dass der Mandant dem Rechtsanwalt einen über die Vertretung im Eilverfahren hinausgehenden Auftrag erteilt hat (BGH, Urt. v. 12.3.2009 - IX ZR 10/08, a.a.O., Rz. 11).

Rz. 21

b) Auch gegen die Höhe der vom Berufungsgericht als gerechtfertigt erachteten Geschäftsgebühr ist von Rechts wegen nichts zu erinnern.

Rz. 22

aa) Nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung der Gebühr, die von einem Dritten zu ersetzen ist, nur dann nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Eine entsprechende Überprüfung ist in erster Linie Sache des Tatrichters und deshalb revisionsrechtlicher Überprüfung nur eingeschränkt zugänglich. Rechts- bzw. Verfahrensfehler sind dabei im Streitfall nicht ersichtlich.

Rz. 23

bb) In der Rechtsprechung der Instanzgerichte wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass es sich bei einem Abschlussschreiben in der Regel nicht um ein Schreiben einfacher Art i.S.v. Nr. 2302 RVG VV handele, so dass die dafür anfallende Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG VV zu bemessen sei (1,3 Geschäftsgebühr: OLG Hamm, Urt. v. 2.7.2009 - 4 U 39/09, juris Rz. 7; KG, Urt. v. 3.4.2008 - 10 U 245/07, OLGReport 2008, 920, 922; OLG Hamm, Urt. v. 3.5.2007 - 4 U 1/07, WRP 2008, 135; 0,8 Geschäftsgebühr: OLG Hamburg, Magazindienst 2009, 762, 765; OLG Hamburg, Urt. v. 21.5.2008 - 5 U 75/07, ZUM-RD 2009, 382, 386, OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.10.2007 - 20 U 52/07, InstGE 9, 35, 38; LG Hamburg, Urt. v. 2.10.2009 - 324 O 174/09, AfP 2010, 185 [187]).

Rz. 24

cc) Auch nach der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 4.2.2010 - I ZR 30/08, a.a.O., S. 1172) ist die für ein Abschlussschreiben entstehende Geschäftsgebühr im Allgemeinen auf der Grundlage von Nr. 2300 RVG VV zu berechnen, die einen Gebührenrahmen von 0,5 bis 2,5 vorsieht. Ein Abschlussschreiben erschöpft sich in der Regel nicht in einer bloßen Bezugnahme auf die bereits ergangene einstweilige Verfügung, sondern verfolgt insb. das Ziel, einen Verzicht des Antragsgegners auf sämtliche Gegenrechte herbeizuführen. Der Schwierigkeitsgrad eines solchen Schreibens ist daher in der Regel höher anzusetzen als bei bloßen Zahlungsaufforderungen, Mahnungen oder Einwohnermeldeamtsanfragen, die anerkanntermaßen der Nr. 2302 RVG VV unterfallen (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 40. Aufl., Nr. 2302 RVG VV Rz. 3). Zudem bedarf es nach Zugang der Abschlusserklärung im Regelfall einer Prüfung, ob die abgegebene Erklärung zur Erreichung des Sicherungsziels inhaltlich ausreicht (vgl. Ahrens/Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 6. Aufl., S. 1162).

Rz. 25

dd) Im Streitfall hat das Berufungsgericht unter Würdigung aller Umstände des konkreten Falles insb. auch darauf abgestellt, dass es hier mit einem isolierten Aufforderungsschreiben zur Abgabe einer Abschlusserklärung (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 4.2.2010 - I ZR 30/08, a.a.O.) nicht getan war. Die Revisionserwiderung weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass der Anwalt des Klägers seine Aufforderung vom 30.5.2008, das Ergebnis des einstweiligen Verfügungsverfahrens vor dem LG München I als endgültige Regelung anzuerkennen, am 9.7.2008 wiederholen musste, nachdem die Beklagte eine solche Erklärung zunächst nicht abgegeben und stattdessen vor dem LG Berlin bzw. dem KG einen Fehler in ihrer entsprechenden Berichterstattung bestritten hatte. Unter diesen Umständen begegnet es revisionsrechtlich keinen Bedenken, dass das Berufungsgericht die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Zusammenhang mit der wiederholten Aufforderung zur Abgabe einer Abschlusserklärung nicht als einfache Routineangelegenheit angesehen, sondern eine Regelgebühr für gerechtfertigt erachtet hat. In diesem Zusammenhang hilft der Revision der Beklagten auch der Hinweis auf das Senat, Urt. v. 12.12.2006 - VI ZR 188/05, VersR 2007, 506 nicht weiter. Denn dort ging es um die Frage, ob ein rechtserfahrener Kläger - dort ein Rechtsanwalt - Gebühren für eine Aufforderung zur Abgabe einer Abschlusserklärung im außerwettbewerbsrechtlichen Bereich geltend machen kann. Dies wurde ihm nur deshalb versagt, weil er selbst hinreichend sachkundig war und mit der Aufforderung keinen Rechtsanwalt hätte beauftragen müssen. Ein vergleichbarer Sachverhalt liegt im Streitfall ersichtlich nicht vor.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2692299

NJW 2011, 2509

EBE/BGH 2011

JurBüro 2011, 470

AfP 2011, 262

VRS 2011, 65

WRP 2011, 894

ZUM-RD 2011, 399

AGS 2011, 423

HRA 2011, 6

RVGreport 2011, 303

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