Leitsatz (amtlich)

Zum arglistigen Verschweigen einer Setzungsgefahr nach sachverständiger Beratung über deren Unerheblichkeit.

 

Normenkette

BGB a.F. § 638

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 23.05.2003; Aktenzeichen 2 U 114/01)

LG Frankfurt am Main

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten und die Anschlussrevision der Kläger wird das Urteil des 2. Zivilsenats des OLG Frankfurt v. 23.5.2003 i.d.F. des Berichtigungsbeschlusses v. 19.12.2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Kläger erwarben 1992 von der Rechtsvorgängerin der Beklagten (künftig: Beklagte) einen noch nicht vollständig fertig gestellten Supermarkt. Sie verlangen wegen erheblicher Rissbildung im Gebäude Zahlung von 400.000 DM.

Der Vertrag enthielt eine Regelung, nach der u.a. eine Haftung der Beklagten für Sachmängel ausgeschlossen ist, diese sich jedoch verpflichtete, im Übernahmeprotokoll festgestellte Mängel zu beseitigen. Außerdem trat die Beklagte alle ihr gegen die mit der Errichtung des Bauwerks befassten Personen und Unternehmen zustehenden Ansprüche auf Nachbesserung und Mängelbeseitigung an die Kläger ab.

Vor der Durchführung des Bauvorhabens wurde im Jahre 1991 von der Beklagten ein Bodengutachter eingeschaltet. Seine Stellungnahme v. 18.3.1991 enthielt vier Gründungsvarianten. Die vierte Gründungsvariante sah einen Bodenaustausch vor. Der Gutachter wies für diese Variante auf die Gefahr von Setzungen hin. Das Risiko müsse dem Bauherrn mitgeteilt und die Bereitschaft zu dessen Übernahme von ihm anerkannt werden. In einem Aktenvermerk des Gutachters zu einer Besprechung v. 26.6.1991, an der u.a. der Gutachter, Vertreter des Generalunternehmers und ein mit der Oberbauleitung beauftragter Architekt teilgenommen haben, ist festgehalten, dass vom Planer die vierte Gründungsvariante als technisch machbar und wirtschaftlich günstig angesehen werde. Es seien technische Einzelheiten dazu festgelegt worden. Der Vermerk endet mit der Bemerkung:

"Bezüglich des Setzungsverhaltens des Baukörpers kann bei einer Bodenpressung von 70 bis 80 kN/qm davon ausgegangen werden, dass dieses als unerheblich anzusehen ist. Grundsätzlich kann bei jeder der aufgeführten Gründungsarten eine Setzung des Gebäudes eintreten. Die bei der gewählten Gründungsart möglichen Setzungen wurden aber auf Grund der geringen Bodenpressungen im Fundamentbereich auf ein Minimum reduziert."

Nach Übergabe des Grundstücks traten erhebliche Risse auf, die auf Setzungserscheinungen zurückzuführen sind. Der im selbständigen Beweisverfahren beauftragte Gutachter schätzt die Kosten zur Beseitigung der Schäden vorläufig auf 398.071 DM. Unter Berücksichtigung eines weiteren Betrages als Teil der Kosten für eine Baugrundverbesserung machen die Kläger insgesamt 400.000 DM in erster Linie als Schadensersatz, hilfsweise als Vorschuss geltend.

Das LG hat die Beklagte zur Zahlung von 400.000 DM Schadensersatz verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Es hat nicht über den Schadensersatzanspruch entschieden, weil es der Auffassung war, dieser Anspruch werde nicht mehr geltend gemacht. Vielmehr hat das Berufungsgericht auf den vermeintlich anstelle des Schadensersatzanspruches geltend gemachten Vorschussanspruch i.H.v. 400.000 DM erkannt. Dagegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiter verfolgt. Mit ihrer Anschlussrevision wollen die Kläger ihren Hauptantrag auf Schadensersatzleistung durchsetzen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsmittel beider Parteien sind begründet. Sie führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Auf das Schuldverhältnis finden die bis zum 31.12.2001 geltenden Gesetze Anwendung (Art. 229 § 5 S. 1 EGBGB).

I.

Das Berufungsgericht stellt im Tatbestand seines Urteils v. 23.5.2003 fest, die Kläger hätten den Anspruch auf Schadensersatz fallen gelassen und verfolgten nunmehr den Anspruch auf Kostenvorschuss. Dieser Teil des Tatbestandes ist durch Beschluss v. 19.12.2003 dahin berichtigt worden, dass die Kläger den Betrag von 400.000 DM als Schadensersatz, hilfsweise als Vorschuss begehren.

Der Anspruch, so führt das Berufungsgericht weiter aus, ergebe sich aus § 633 BGB analog. Die Schäden, deren Ersatz die Kläger verlangten, beruhten auf unzureichender Gründung des Gebäudes und den hierdurch verursachten Setzungs- und Bewegungserscheinungen im Bereich des Baugrundes.

Es bestehe noch ein weiterer Mangel, der darin liege, dass nach der gewählten Art der Gründung wegen des problematischen Baugrundes das Risiko von Setzungen und hierdurch entstehende Schäden an der Bausubstanz nicht auszuschließen seien. Darauf habe das Gutachten des Bodengutachters hingewiesen. Diesen Mangel habe die Beklagte arglistig verschwiegen. Der Mangel sei offenbarungspflichtig, weil die Setzungsgefahr für die Erwerber von wesentlicher, den Erwerbsentschluss beeinflussender Bedeutung sei.

Nach der Beweisaufnahme stehe fest, dass die Beklagte Kenntnis von der Gründungsproblematik gehabt habe. Aus den Aussagen der Zeugen ergebe sich, dass der mit der Planung der Bauausführung beauftragte B. Kenntnis von dem geologischen Gutachten gehabt habe. Dessen Wissen müsse sich die Beklagte zurechnen lassen (§ 166 BGB).

Der Gewährleistungsanspruch wegen arglistigen Verschweigens sei nicht wirksam durch die vertraglichen Vereinbarungen ausgeschlossen worden.

II.

Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

A. Anschlussrevision der Kläger

Die Anschlussrevision ist begründet.

Die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines Vorschusses kann nicht bestehen bleiben, weil das Berufungsgericht insoweit verfahrensfehlerhaft über einen Hilfsantrag entschieden hat, ohne den Hauptantrag zu bescheiden. Eine Klage auf Schadensersatz in Höhe der Mängelbeseitigungskosten begründet einen anderen Streitgegenstand als eine Klage auf Vorschuss in Höhe der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten (BGH, Urt. v. 13.11.1997 - VII ZR 100/97, MDR 1998, 557 = BauR 1998, 369; Beschl. v. 11.11.2004 - VII ZR 95/04, BGHReport 2005, 389 = MDR 2005, 470 = BauR 2005, 386). Die Ansprüche können prozessual als Haupt- und Hilfsantrag geltend gemacht werden. In diesem Fall ist zunächst über den Hauptantrag zu entscheiden.

Die Kläger haben mit ihrem Hauptantrag einen Schadensersatzanspruch verfolgt. Diesen Anspruch hat das Berufungsgericht nicht beschieden.

B. Revision der Beklagten

Die Revision der Beklagten ist ebenfalls begründet.

Sie rügt zu Recht, das Berufungsgericht stelle bei der Beurteilung der Arglist allein darauf ab, dass der Beklagten die Gefahr von Setzungen aus der Stellungnahme des Bodengutachters v. 18.3.1991 bekannt gewesen sei.

Das Berufungsgericht bezieht verfahrensfehlerhaft den Aktenvermerk nicht in seine Überlegungen ein, der vom Gutachter zu einer Besprechung am 26.6.1991 von Baufachleuten unter Einbeziehung des Gutachters angefertigt wurde. Danach hatte die Besprechung das Ergebnis, dass sich die vierte Gründungsvariante technisch realisieren lässt, das Setzungsverhalten bei einer niedrigen Bodenpressung als unerheblich anzusehen ist und die bei der gewählten Gründungsart und entsprechenden konstruktiven Ausbildung möglichen Setzungen auf ein Minimum reduziert werden.

Das Berufungsgericht durfte diesen Umstand nicht unberücksichtigt lassen. Er ist geeignet, das arglistige Verschweigen einer Setzungsgefahr bei Abschluss des Vertrages über den Erwerb des Supermarktes in Frage zu stellen. Konnte die Beklagte, was nahe liegt, auf der Grundlage des ihr bekannten Ergebnisses der Besprechung der am Bau beteiligten Fachleute davon ausgehen, dass die Gründungsproblematik für die gewählte Gründungsvariante technisch ohne Gefahr von erheblichen Setzungen gelöst war, so bestand für sie bei Vertragsschluss keine Pflicht zur Aufklärung mehr.

III.

Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin.

1. Ausweislich der Begründung des Beschlusses, in dem der Tatbestand berichtigt worden ist, hat das Berufungsgericht Bedenken, ob die Höhe des Schadensersatzanspruchs schlüssig dargetan ist. Es ist zu vermuten, dass sich die Bedenken daraus ableiten, dass nach dem Gutachten eine Schätzung stattfindet. Das allein wäre kein Grund, die Schadensersatzforderung als unschlüssig anzusehen. Denn der Tatrichter ist gehalten, einen durch Gutachten noch nicht abschließend geklärten Mindestschaden nach § 287 ZPO zu schätzen und auszuurteilen, wenn das Gutachten eine ausreichende Schätzungsgrundlage bietet (BGH, Urt. v. 10.4.2003 - VII ZR 251/02, BGHReport 2003, 789 = MDR 2003, 926 = BauR 2003, 1211 [1213] = NZBau 2003, 375 = ZfBR 2003, 462). Insoweit dürfte das Gutachten genügende Anhaltspunkte bieten.

2. Das Berufungsgericht wird erneut unter Berücksichtigung des gesamten Sachverhalts würdigen müssen, inwieweit die Beklagte auf Grund des ihr zuzurechnenden Wissens die Kläger über Setzungsrisiken aufklären musste. In diesem Zusammenhang wird es sich auch damit beschäftigen müssen, aus welchem Grund sich die Beklagte das Wissen von B. zurechnen lassen muss. Allein der Umstand, dass B. mit der Planung der Bauausführung beauftragt war, belegt nicht ausreichend, dass die Beklagte sich nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen sein Wissen zurechnen lassen muss (BGH, Urt. v. 2.2.1996 - V ZR 239/94, BGHZ, 132, 30 [35 ff.] = GmbHR 1996, 373 = AG 1996, 220 = MDR 1996, 1003; Urt. v. 7.3.2003 - V ZR 437/01, MDR 2003, 681 = BGHReport 2003, 651 = NJW-RR 2003, 989 [990]).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1412924

BGHR 2005, 1498

BauR 2005, 1624

NJW-RR 2005, 1473

IBR 2005, 526

ZfIR 2005, 758

MDR 2005, 1402

BTR 2005, 258

NJW-Spezial 2005, 551

NZBau 2005, 684

BauRB 2005, 349

DS 2005, 341

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