Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtung einer Maßnahme der Dienstaufsicht

 

Leitsatz (amtlich)

Die richterliche Entscheidung, ob das Protokoll vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle aufzunehmen (§ 159 Abs. 1 ZPO) oder sein Inhalt mit einem Tonaufnahmegerät vorläufig aufzuzeichnen ist (§ 160 a Abs. 1 ZPO), kann grundsätzlich nicht Gegenstand einer Maßnahme der Dienstaufsicht sein.

 

Normenkette

DRiG § 26

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches Dienstgerichtshof (Urteil vom 09.06.1977; Aktenzeichen DGH 1/77)

 

Tenor

Auf die Revision des Antragstellers wird das Urteil des Niedersächsischen Dienstgerichtshofes für Richter in Celle vom 9. Juni 1977, Akt.Z.: DGH 1/77, aufgehoben.

Es wird festgestellt, daß die folgenden Sätze in Ziffer 19 des von dem Antragsgegner über den Antragsteller gefertigten Personal- und Befähigungsnachweises vom 30. Juli 1976 unzulässig sind:

„Seine Einzelrichtersitzungen erstrecken sich häufig über die Dienstzeit hinaus. Da er als einziger Zivilrichter des Landgerichts von der Möglichkeit einer Protokollaufnahme durch Tonaufnahmegerät keinen Gebrauch macht, haben seine Verhandlungen gelegentlich zu einer unzumutbaren Belastung der Protokollführer geführt.”

Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Antragsteller ist Richter am Landgericht Verden, der Antragsgegner Präsident dieses Gerichts. In einem von dem letzteren am 30. Juli 1976 erstellten Personal- und Befähigungsnachweis heißt es unter Ziffer 19 (Spalte: „Verhalten zu anderen”) über den Antragsteller u.a.:

„Seine Einzelrichtersitzungen erstrecken sich häufig über die Dienstzeit hinaus. Da er als einziger Zivilrichter des Landgerichts von der Möglichkeit einer Protokollaufnahme durch Tonaufnahmegerät keinen Gebrauch macht, haben seine Verhandlungen gelegentlich zu einer unzumutbaren Belastung der Protokollführer geführt.”

Nach Ansicht des Antragstellers beeinträchtigt dieser Passus seine richterliche Unabhängigkeit. Damit werde auf ihn Druck ausgeübt, zukünftig von der Zuziehung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zur Aufnahme des Protokolls abzusehen und dieses mit einem Tonaufnahmegerät vorläufig aufzuzeichnen. Die Entscheidung darüber stehe aber allein in seinem richterlichen Ermessen. Außerdem hat der Antragsteller behauptet, daß der Passus inhaltlich in mehrfacher Hinsicht unrichtig sei.

Der Präsident des Oberlandesgerichts Celle hat durch Verfügungen vom 8. November 1976 und 3. Januar 1977 den Widerspruch des Antragstellers gegen Ziffer 19 des Personal- und Befähigungsnachweises zurückgewiesen; deren Inhalt berühre nicht seine richterliche Unabhängigkeit. Hierauf hat der Antragsteller den Niedersächsischen Dienstgerichtshof für Richter in Celle angerufen und beantragt, „den Personal- und Befähigungsnachweis vom 30. Juli 1976 zu Ziffer 19 unter Aufhebung der Verfügungen des Präsidenten des Oberlandesgerichts vom 3. Januar 1977 und vom 8. November 1976 für unzulässig zu erklären”. Der Dienstgerichtshof hat den Antrag zurückgewiesen. Mit der – zugelassenen – Revision, deren Zurückweisung der Antragsgegner beantragt, verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

1. Nach Ansicht des Dienstgerichtshofes könnte sich der Antragsteller durch die beanstandete Bemerkung in Ziffer 19 des – eine Maßnahme der Dienstaufsicht im Sinne des § 26 Abs. 3 DRiG darstellenden – Personal- und Befähigungsnachweises genötigt sehen, künftig ein Tonaufnahmegerät in seinen Einzelrichtersitzungen zu benutzen, um der negativen Bewertung seines Verhaltens zu anderen zu begegnen. Die Bemerkung zwinge ihn aber nicht zu einer anderen Verfahrens- oder Sachentscheidung im engeren Sinne, so daß ein Eingriff in den Kernbereich richterlichen Handelns durch den Antragsgegner zu verneinen sei. Hingegen berühre der streitige Passus den äußeren Ordnungsbereich richterlicher Tätigkeit, zu dem auch die Frage gehöre, wie ein Richter seine Dienstgeschäfte (hier: seine Einzelrichtersitzungen) zeitlich gestalte und welcher technischer Hilfsmittel er sich dabei bediene oder bedienen sollte. Die angegriffenen Sätze hätten jedoch keine Mißbilligung des dienstlichen Verhaltens des Antragstellers zum Inhalt, was allerdings gegen § 26 Abs. 2 DRiG verstoßen würde, sondern stellten lediglich seine mangelnde Rücksichtnahme auf nichtrichterliche Mitarbeiter und deren Grund fest. Zu einer solchen Feststellung müsse der Dienstvorgesetzte in einem der Gesamtbeurteilung des Richters dienenden Personal- und Befähigungsnachweis aber berechtigt sein.

2. Die Revision greift diese Ausführungen mit Erfolg an.

a) Die Entscheidung, ob ein Richter gem. § 159 Abs. 1 Satz 2 ZPO davon absieht, für die Protokollführung einen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zuzuziehen und stattdessen den Inhalt des Protokolls mit einem Tonaufnahmegerät vorläufig aufzuzeichnen (§ 160 a Abs. 1 ZPO), ist entgegen der Ansicht des Dienstgerichtshofes dem Kernbereich richterlicher Tätigkeit nicht so weit entrückt, daß sie dem äußeren Ordnungsbereich richterlichen Handelns zuzuweisen wäre. Nach § 159 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist über die mündliche Verhandlung und Jede Beweisaufnahme ein Protokoll aufzunehmen. Sein Inhalt hat, wie § 160 Abs. 3 ZPO besonders deutlich zeigt, für den Rechtsspruch wesentliche Bedeutung. Es kann daher nicht zweifelhaft sein, daß Entscheidungen oder Anordnungen, die den Protokollinhalt betreffen, zum Kernbereich rechtsprechender Tätigkeit gehören. Ebenso sind hierher diejenigen Entscheidungen oder Anordnungen eines Richters zu zählen, welche die – vorläufige oder endgültige – Aufzeichnung des Protokolls ermöglichen sollen (BGHZ 67, 184, 188/189). Wie diese dient aber auch eine Entscheidung im Rahmen des § 159 Abs. 1 Satz 1, § 160 a Abs. 1 ZPO mittelbar dem Rechtsspruch und steht mit ihm in einem so engen funktionalen Zusammenhang, daß sie nicht dem Bereich der äußeren Ordnung zugerechnet werden kann (vgl. BGH a.a.O.). Dem läßt sich nicht entgegenhalten, daß es insoweit nur um eine Äußerlichkeit, nämlich die Frage gehe, durch wen oder auf welche Weise das Protokoll aufgezeichnet werden soll. Denn die Entscheidung dieser Frage hängt untrennbar mit der Überlegung zusammen, welche Art der (vorläufigen oder endgültigen) Protokollaufnahme mit Rücksicht auf die Umstände des Falles die beste Gewähr dafür bietet, daß der Inhalt des Protokolls die wesentlichen Ergebnisse der mündlichen Verhandlung oder einer Beweisaufnahme vollständig und zutreffend wiedergibt. Dafür mag in einem Falle die Benutzung eines Tonaufnahmegeräts genügen, in einem anderen hingegen die Zuziehung eines Protokollführers geboten erscheinen. Die Entscheidung darüber kann deshalb nur Sache eines unabhängigen Richters sein. Sie gehört somit zum Kernbereich richterlicher Tätigkeit, so daß, sofern keine offensichtlich fehlerhafte Amtsausübung in Betracht kommt, jede sie betreffende Maßnahme der Dienstaufsicht unzulässig ist (vgl. BGHZ 67, 184, 187).

b) Sicher wird der Dienstvorgesetzte durch § 26 DRiG nicht gehindert, in der Gesamtbeurteilung eines Richters festzuhalten, daß sich seine Einzelrichtersitzungen häufig über die Dienstzeit hinaus erstrecken und das gelegentlich zu einer unzumutbaren Belastung der Protokollführer geführt habe. Gewiß wird ihm durch die genannte Vorschrift auch nicht verwehrt, in einer solchen Beurteilung deutlich zu machen, daß es der Richter schlicht ablehnt, ein neues technisches Hilfsmittel zu gebrauchen, das den Arbeitsaufwand zu beschränken hilft und den flüssigeren Ablauf des Verfahrens ermöglichen kann. Das alles berührt nicht die in Art. 97 Abs. 1 GG garantierte richterliche Unabhängigkeit. Anders ist es jedoch, wenn der Dienstvorgesetzte derartige Feststellungen in einer Weise miteinander verknüpft, daß auf den Beurteilten ein psychologischer Druck ausgeübt wird, in Zukunft in einem Bereich, der durch die genannte Grundgesetzbestimmung geschützt ist, in bestimmter Weise zu verfahren oder zu entscheiden (vgl. BGH DRiZ 1974, 163; 1977, 341, 342). Dann liegt ein unzulässiger Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit vor. So ist es hier. Der Hinweis auf eine mangelnde Rücksichtnahme des Antragstellers auf nichtrichterliche Mitarbeiter infolge Nichtbenutzung eines Tonaufnahmegeräts in seinen Einzelrichtersitzungen kann dazu führen, daß er sich in Zukunft im Rahmen des § 159 Abs. 1 Satz 2, § 160 a Abs. 1 ZPO nicht mehr unabhängig entscheidet, sondern, um einer erneuten negativen Beurteilung seines Verhaltens zu anderen zu entgehen, grundsätzlich von der Zuziehung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zur Protokollführung absieht und stattdessen den Inhalt des Protokolls mit einem Tonaufnahmegerät vorläufig aufzeichnet. Der beanstandete Passus in Ziffer 19 des Personal- und Befähigungsnachweises vom 30. Juli 1976 ist demnach unzulässig.

Der Streitwert wird auf 4.000 DM festgesetzt.

 

Unterschriften

Braxmaier, Loesdau, Dr. Bauer, Dr. Thumm, Schauenburg

 

Fundstellen

Haufe-Index 1502510

Nachschlagewerk BGH

VerwRspr 1979, 371

DVBl. 1979, 237

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge