Leitsatz (amtlich)

›Zu Umfang und Drittbezogenheit von Amtspflichten bei Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr.‹

1. Die bloße Tatsache, daß ein zu schnell fahrender Kraftfahrer wegen des darin liegenden Verkehrsverstoßes früher an die Unfallstelle gelangt ist, als dies bei Beachtung der Verkehrsregeln geschehen wäre, genügt nicht für die Annahme eines rechtlichen Ursachenzusammenhangs mit dem nachfolgenden Unfall. Ein zurechenbarer Zusammenhang kann vielmehr nur dann bejaht werden, wenn bei dem Unfall eine der Gefahren mitgewirkt hat, um derentwillen die Fahrgeschwindigkeit begrenzt war.

2. Von Bedeutung ist somit nur, wie von der Erkennbarkeit der Gefahr an, der konkreten kritischen Verkehrslage, bei richtiger Fahrweise die Vorgänge, die zum Unfall geführt haben, abgelaufen wären.

 

Verfahrensgang

LG Wuppertal

OLG Düsseldorf

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Schadensersatz auf Grund eines Verkehrsunfalles, an dem ein Beamter des beklagten Landes beteiligt war. Der Unfall ereignete sich in W auf der Telegraphenstraße. Diese Straße, eine Einbahnstraße mit - im Bereich des Unfallorts - zwei Fahrstreifen, erweiterte sich zunächst von 7 auf 11 m und verengte sich vor dem Unfallort in einer Länge von 6 bis 10 m von 11 auf 7 m; im Bereich der Erweiterung befanden sich beiderseits der Fahrbahn markierte Parkstreifen.

Die - damals - etwa 6jährige Klägerin ging am 28. Mai 1979 um 5 Uhr nachmittags in Begleitung ihres 11jährigen Bruders Marc über den nördlichen Bürgersteig der Telegraphenstraße. Die markierten Parkstreifen waren besetzt. Auf dem rechten Fahrstreifen (Geradeaus- und Rechtsabbiegerverkehr) stand eine Fahrzeugschlange, die wegen Rotlichts an der Einmündung der Telegraphenstraße in die Kölner Straße halten mußte. Die Klägerin überquerte in Höhe des Hauses Telegraphenstraße 3 zunächst den rechten Fahrstreifen zwischen haltenden Fahrzeugen. Sodann betrat sie den linken Fahrstreifen. Auf dieser Linksabbiegerspur fuhr gerade der Polizeibeamte Z., der sich mit dem landeseigenen Kraftrad GL - 3072 auf einer Dienstfahrt befand, an der haltenden Fahrzeugschlange vorbei. Er erfaßte die Klägerin; sie kam zu Fall und erlitt schwere Verletzungen, u.a. ein Schädel-Hirntrauma mit einem Schädelbruch und einer Hirnsubstanzschädigung.

Die Klägerin nimmt das beklagte Land auf Ersatz von Gutachterkosten und beschädigter Kleidung sowie auf Schmerzensgeld in Anspruch. Sie hat behauptet, Z. sei zu dicht an den haltenden Fahrzeugen vorbei und zu schnell gefahren und hätte bei gehöriger Aufmerksamkeit rechtzeitig erkennen können, daß sie die Straße überqueren wollte.

Das beklagte Land hat demgegenüber geltend gemacht, der Unfall sei für Z. ein unabwendbares Ereignis gewesen. Außerdem hat es sich zum Teil gegen die Höhe der Klageansprüche gewandt.

Nach Abweisung der Klage durch das Landgericht hat die Klägerin mit der Berufung beantragt,

1. das beklagte Land zu verurteilen, an sie 338 DM und ein angemessenes Schmerzensgeld, jeweils nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung, zu zahlen;

2. festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet sei, ihr jeden weiteren Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 28. Mai 1979 zu ersetzen.

Das Oberlandesgericht hat durch Grund- und Teilurteil das beklagte Land zur Zahlung von 338 DM nebst 4 % Zinsen ab 7. Januar 1981 verurteilt, den geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und festgestellt, daß das beklagte Land verpflichtet sei, der Klägerin den materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der zukünftig aus dem Verkehrsunfall vom 28. Mai 1979 entstehen wird, soweit die Ansprüche nicht auf öffentlich-rechtliche Versicherungsträger übergegangen sind.

Mit der Revision verfolgt das beklagte Land sein Klagabweisungsbegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des beklagten Landes führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts war der Verkehrsunfall vom 28. Mai 1979 für den beteiligten Polizeibeamten Z. nicht nur kein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG, sondern es trifft ihn auch ein unfallursächliches Verschulden, weil er erheblich zu schnell gefahren sei. Obwohl Z. auf Grund der örtlichen Straßenverhältnisse in der Telegraphenstraße allenfalls mit 25 bis 30 km/h, an der nach der Verbreiterung wieder verengten Stelle aber nur mit 20 km/h habe fahren dürfen, sei er nach den Ergebnissen des eingeholten Sachverständigengutachtens, dem das Berufungsgericht sich anschließt, mit einer Geschwindigkeit von ca. 42 km/h gefahren. Hätte er die Geschwindigkeit vorschriftsmäßig vermindert, dann wäre der Unfall zu vermeiden gewesen.

Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

II. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Unfall wäre vermieden worden, wenn der Polizeibeamte Z. die zulässige Geschwindigkeit eingehalten hätte, reicht nicht aus, um eine Haftung des beklagten Landes zu begründen,

1. Die bloße Tatsache, daß ein zu schnell fahrender Kraftfahrer wegen des darin liegenden Verkehrsverstoßes früher an die Unfallstelle gelangt ist, als dies bei Beachtung der Verkehrsregeln geschehen wäre, genügt nicht für die Annahme eines rechtlichen Ursachenzusammenhanges mit dem nachfolgenden Unfall. Ein zurechenbarer Zusammenhang kann vielmehr nur dann bejaht werden, wenn bei dem Unfall eine der Gefahren mitgewirkt hat, um derentwillen die Fahrgeschwindigkeit begrenzt war. Von Bedeutung ist somit nur, wie von der Erkennbarkeit der Gefahr an, der konkreten kritischen Verkehrslage (BGHSt 24, 31, 34), bei richtiger Fahrweise die Vorgänge, die zum Unfall geführt haben, abgelaufen wären (BGH Urteil vom 11. Januar 1977 - VI ZR 268/74 - VersR 1977, 524, 525 m.w.Nachw.; BGH Beschluß vom 6. November 1984 - 4 StR 72/84 = DRiZ 1985, 60, 61).

2. Um diese Fragen abschließend beantworten zu können, reichen die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht aus. So läßt sich noch nicht sagen, daß der Polizeibeamte Z., der nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Berufungsgerichts mit einer Geschwindigkeit von 42 km/h fuhr, allein schon wegen der gegebenen Verkehrslage seine Geschwindigkeit auf 30 km/h und an der Engstelle auf lediglich 20 km/h hätte herabsetzen müssen (s. unten III, 2 ff.). Auch lassen sich dem angefochtenen Urteil keine sicheren Feststellungen entnehmen über den Unfallhergang, den das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Wie weit war Z. von der späteren Unfallstelle entfernt, als er erstmalig die Kinder (oder ein Kind) zwischen den haltenden Fahrzeugen auf die Fahrbahn laufen sehen konnte und mußte? War zu diesem Zeitpunkt noch eine unfallvermeidende Reaktion möglich? In welcher Entfernung lag die Engstelle, die nach Ansicht des Berufungsgerichts Z. zur Herabsetzung seiner Geschwindigkeit nötigte, von der Unfallstelle? Die Beantwortung dieser Fragen ist - wie sich aus folgendem ergibt - für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich.

III. Da aus § 7 StVG ein Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden nicht hergeleitet werden kann, kann die Klägerin das von ihr verlangte Schmerzensgeld nur beanspruchen, wenn dem unfallbeteiligten Polizeibeamten die schuldhafte Verletzung einer ihm ihr gegenüber obliegenden Amtspflicht zur Last fällt, für die das beklagte Land als Dienstherr haftet (Art. 34 GG, § 839 BGB). Die Annahme des Berufungsgerichts, dies sei zu bejahen, ist von Rechtsirrtum beeinflußt.

1. Dem Polizeibeamten Z. oblag bei Durchführung seiner Dienstfahrt, die sich als Ausübung seines öffentlichen Amtes im Sinne von Art. 34 GG darstellt, die Amtspflicht, die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung zu beachten. Denn aus der allgemeinen Pflicht zu rechtmäßiger Amtsausübung (vgl. Senatsurteil vom 14. Dezember 1978 - III ZR 37/77 = VersR 1979, 258, 259) folgt die Amtspflicht eines jeden Trägers eines öffentlichen Amtes, sich in Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit der für Jedermann verbotenen Handlungen zu enthalten (vgl. Kreft in BGB-RGRK 12. Aufl. § 839 Rn. 159 m.w.Nachw.); insbesondere stellen im Rahmen der Amtsausübung erfolgende Verstöße von Amtsträgern gegen Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB auch Amtspflichtverletzungen dar (Kreft aaO). Beim Führen von Kraftfahrzeugen haben die Amtsträger die Verkehrsvorschriften genau zu beachten, um jede Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer zu vermeiden (BGHZ 16, 111, 113 f.; 42, 176, 180; 49, 267, 272; 68, 217, 221 f.).

2. § 3 Abs. 1 Satz 2 StVO, wonach der Fahrzeugführer seine Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen anzupassen hat, ist ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB auch zugunsten der anderen Verkehrsteilnehmer, die von der mit überhöhter Geschwindigkeit verbundenen Unfallgefahr in erster Linie betroffen sind (BGH Urteil vom 11. Juli 1972 - VI ZR 79, 80/71 - VersR 1972, 1072, 1073).

3. Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Polizeibeamte Z. habe durch das Fahren mit der festgestellten Geschwindigkeit von etwa 42 km/h gegen § 3 Abs. 1 Satz 2 StVO verstoßen, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Feststellungen des Berufungsgerichts über die Straßen-, Verkehrs- und Sichtverhältnisse (§ 3 Abs. 1 Satz 2 StVO) tragen nicht die rechtliche Schlußfolgerung, Z. habe nur mit einer Geschwindigkeit von allenfalls 25 - 30 km/h fahren dürfen.

a) Eine Herabsetzung der Fahrgeschwindigkeit ist dann geboten, wenn eine Straßenstelle unübersichtlich ist, weil der Fahrer den Verkehrsablauf nicht vollständig überblicken und deshalb auftretende Hindernisse und Gefahren nicht so rechtzeitig bemerken kann, um ihnen mit Sicherheit begegnen zu können (vgl. OLG Hamburg VM 1954 Nr. 7). Der Begriff der Unübersichtlichkeit bezieht sich nur auf die Fahrbahn; eine Straßenstelle ist nicht schon dann unübersichtlich, wenn der Verkehrsablauf in der seitlichen Umgebung der Straße nicht voll überblickt werden kann (Mühlhaus DAR 1969, 312, 313). Parkende Fahrzeuge begründen im allgemeinen, besonders im Stadtverkehr, keine Unübersichtlichkeit. Insbesondere muß der Kraftfahrer sich nicht darauf einstellen, daß zwischen parkenden Fahrzeugen unbeaufsichtigte Kinder oder andere Fußgänger unvorsichtig die Fahrbahn betreten (vgl. OLG Hamm Urteil vom 23. April 1965 - 3 Ss 220/65 = VRS 30, 77; Mahlhaus aaO S. 314). Wird allerdings durch parkende Fahrzeuge eine Engstelle geschaffen, in der der gebotene Sicherheitsabstand nicht eingehalten werden kann, dann wird die Stelle dadurch unübersichtlich (BayObLG VRS 5, 147; Mühlhaus aaO S. 314).

Das Vorhandensein einer solchen Engstelle an der Verengung der Telegraphenstraße wird durch die Feststellungen des Berufungsgerichts zwar nahegelegt, vom Berufungsgericht aber nicht mit einer die Verurteilung tragenden Eindeutigkeit festgestellt. Der letzte markierte Parkplatz auf der Südseite der Telegraphenstraße befand sich bereits im Bereich der Fahrbahnverengung und war zur Unfallzeit besetzt. Es liegt daher die Möglichkeit nahe, daß zwischen dem letzten parkenden Fahrzeug links und der vor der Ampel wartenden Fahrzeugschlange auf der rechten Fahrspur ein so geringer Zwischenraum frei war, daß auch ein Motorradfahrer einen nach beiden Seiten ausreichenden Sicherheitsabstand nicht einhalten konnte und seine Geschwindigkeit deshalb herabsetzen mußte. Diesen Umstand spricht das Berufungsgericht möglicherweise unter I 4 seiner Entscheidungsgründe an, wenn dort anstatt "dem letzten an der Südseite fahrenden Fahrzeug" richtig "dem letzten an der Südseite parkenden Fahrzeuge zu lesen sein sollte. Die Schlußfolgerung, Z. habe diese Engstelle nur mit einer auf 20 km/h verminderten Geschwindigkeit anfahren dürfen, setzt aber die nicht getroffene Feststellung voraus, dem Motorradfahrer habe zur Durchfahrt ein nach beiden Seiten ausreichender Sicherheitsabstand nicht zur Verfügung gestanden.

Ein Verstoß gegen das Gebot, an einer Engstelle langsamer zu fahren, begründet allerdings eine Haftung für die Folgen des Unfalls nur, wenn die Vermeidung gerade dieses Unfalls vom Schutzbereich des übertretenen Gebotes umfaßt wurde. Dies wäre etwa dann nicht der Fall, wenn Z. zwar an dem letzten links parkenden Fahrzeug zu dicht und zu schnell vorbeigefahren wäre, der folgende Unfall aber nicht durch diesen Umstand beeinflußt worden wäre, sondern sich in gleicher Weise ereignet hätte, wenn das Fahrzeug dort nicht geparkt und die Engstelle infolgedessen nicht vorhanden gewesen wäre. In diesem Falle hätte Z. nur eine ihm dem Eigentümer, dem Halter und den Insassen des parkenden Kraftfahrzeugs gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt. Die Klägerin könnte daraus einen Schadensersatzanspruch nicht herleiten. Wenn der Senat in früheren Entscheidungen ausgesprochen hat, daß "die Pflicht eines am allgemeinen Straßenverkehr teilnehmenden Amtsträgers zur Innehaltung der Verkehrsvorschriften eine ihm gegenüber allen Verkehrsteilnehmern obliegende Amtspflicht ist," (BGHZ 42, 176, 180) muß dies in dem Sinne verstanden werden, daß die Amtspflicht des Amtsträgers im Einzelfall jeweils (nur) gegenüber dem Verkehrsteilnehmer besteht, der von der konkret in Rede stehenden Verkehrsvorschrift geschützt werden soll.

Ob die Klägerin nach den konkreten Umständen des vorliegenden Falles in den Schutzbereich des Gebotes einbezogen war, an der Verengung der Telegraphenstraße eine Geschwindigkeit einzuhalten, die die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausschloß, läßt sich mangels hinreichender Feststellungen über die Unfallörtlichkeit (einschließlich der "Engstelle") und den Unfallhergang nicht abschließend beurteilen.

b) Die Tatsache, daß auf der rechten Fahrspur der Fahrbahn eine Fahrzeugschlange wegen Rotlichts der Verkehrsampel an der nächsten Straßenkreuzung hielt, verpflichtete Z. für sich allein nicht zu einer geringeren Geschwindigkeit. Die von ihm benutzte Fahrspur war frei; mit Gegenverkehr mußte er nicht rechnen.

Auf die volle Fahrbahnbreite muß der Überblick sich nur bei schmalen Straßen bis etwa 6 m Breite erstrecken (Mühlhaus aaO S. 315; vgl. BGH Urteil vom 3. Mai 1966 - VI ZR 178/65 = VersR 1966, 763). Bei breiteren Straßen bezieht der erforderliche Überblick - wie der Grundsatz des Fahrens auf Sichtweite bei Dunkelheit - sich nur auf den vom Kraftfahrer in Anspruch genommenen Fahrstreifen, nicht auf die ganze Fahrbahn (vgl. OLG Hamm Urteil vom 1. Oktober 1965 - 3 Ss 890/65 = VRS 30, 227, 228 f.; Mühlhaus aaO S. 315).

Auch eine "unklare Verkehrslage" war nicht gegeben. Eine solche Lage ist nur zu bejahen, wenn die auf der Fahrbahn sichtbare Verkehrslage das Vertrauen ausschließt, daß die übrigen Verkehrsteilnehmer die freie Durchfahrt einräumen werden (vgl. OLG Frankfurt VM 1976, 62; Mühlhaus aaO S. 316 f.). Der Umstand allein, daß auf einer Parallelfahrbahn eine Fahrzeugschlange wegen Rotlichts einer Verkehrsampel hält, begründet keine unklare Verkehrslage. Der die Schlange auf der Linksabbiegerspur überholende Kraftfahrer muß nicht damit rechnen, daß ein Fahrzeug unvermittelt und ohne rechtzeitiges Zeichen die Fahrbahn wechselt.

c) Auf die stets bestehende bloße Möglichkeit, daß plötzlich Fußgänger zwischen parkenden oder haltenden Fahrzeugen hindurch unvorsichtig auf die Fahrbahn treten, braucht der Kraftfahrer seine Geschwindigkeit nicht einzurichten (vgl. OLG Hamm VRS 30, 77, 78; OLG Köln VRS 27, 111, 113). Er muß sich auch nicht darauf einstellen, daß dies zwischen Fahrzeugen geschieht, die nur verkehrsbedingt an einer Ampel auf Grünlicht warten; in einem solchen Falle ist dieses Verhalten der Fußgänger in noch höherem Maße verkehrswidrig und gefährlich.

d) Auch mit der Möglichkeit, daß ein für ihn unsichtbares Kind plötzlich auf die übersichtliche Fahrbahn oder Fahrspur läuft, braucht der Kraftfahrer nur zu rechnen, wenn er dazu "triftigen Anlaß" hat (vgl. OLG Düsseldorf Urteil vom 11. Juni 1958 - (2) Ss 322/58 . VM 1959 Nr. 20; OLG Köln Urteil vom 13. November 1964 - Ss 411/64 = VRS 28, 266, 268). Ein solcher "triftiger Anlaß" ist bisher nicht festgestellt.

Der rege Fußgängerverkehr auf dem Gehweg bot einen solchen Anlaß nicht; er begründete nicht ohne weiteres die Befürchtung, daß Fußgänger unvermittelt auf die Fahrbahn treten könnten. Im übrigen steht der rege Fußgängerverkehr in keinem Zusammenhang mit dem Geschehensablauf, der tatsächlich zu dem Unfall geführt hat.

Auch aus dem von der Revisionserwiderung hervorgehobenen Umstand, daß an der Unfallstelle ein zu den Häusern Telegraphenstraße 3 a und 3 b führender Verbindungsweg endet, ergibt sich ein solcher Anlaß nicht. Abgesehen davon, daß das Berufungsgericht Feststellungen über das Vorhandensein dieses Verbindungsweges nicht getroffen hat, handelt es sich bei einem solchen Stichweg, der nur für Fußgänger bestimmt ist, nicht um eine Einmündung im Sinne von § 25 Abs. 3 Satz 1 StVO. Selbst wenn man aber von dem Vorhandensein einer Einmündung ausgeht, ergibt sich daraus im vorliegenden Fall keine gesteigerte Sorgfaltspflicht für Z.; denn auch an Einmündungen gelten für das Überqueren der Fahrbahn durch Fußgänger die allgemeinen Bestimmungen. Der Kraftfahrer muß daher ohne besonderen Anlaß - der hier nicht vorlag - nicht damit rechnen, daß Fußgänger unvorsichtig die Fahrbahn überqueren.

IV. Ein Anspruch auf Ersatz der ihr durch den Unfall entstandenen materiellen Schäden - soweit sie nicht gemäß § 1542 RV0 auf einen Sozialversicherungsträger übergegangen sind - steht der Klägerin schon zu, wenn der Unfall für den Polizeibeamten kein unabwendbares Ereignis war (§ 7 StVG). Das Berufungsgericht hat ein unabwendbares Ereignis verneint. Seine Begründung dieser Auffassung ist jedoch ebenfalls nicht frei von Rechtsfehlern.

a) Der Unfall ist auch auf das Verhalten der Klägerin zurückzuführen, die unstreitig zwischen den haltenden Wagen auf der rechten Fahrspur hindurch auf die von dem Polizeibeamten Z. befahrene Spur gelaufen ist. Unerheblich ist, daß dieses Verhalten ihr nicht zum Mitverschulden gereicht, weil sie erst sechs Jahre alt war. Denn das im Rahmen des § 7 Abs. 2 Satz 2 StVG maßgebliche "Verhalten" des Verletzten muß nicht schuldhaft sein (BGH Urteil vom 20. Dezember 1951 - III ZR 36/51 = VRS 52, 175, 177; Weimar, JR 1960, 12).

Ein unabwendbares Ereignis ist insbesondere dann zu bejahen, wenn der Unfall auf das Verhalten des Verletzten zurückzuführen ist und sowohl der Halter als auch der Führer des Fahrzeugs jede nach den Umständen gebotene Sorgfalt beobachtet haben (§ 7 Abs. 2 Satz 2 StVG).

b) Unabwendbarkeit im Sinne von § 7 Abs. 2 Satz 2 StVG setzt nicht die objektive Unvermeidbarkeit des Unfalls voraus (vgl. Steffen in Krumme StVG 1977 § 7 Rn. 24). Sie ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil ein denkbares anderes Verhalten des Fahrers den Unfall möglicherweise vermieden hätte. Vielmehr muß das denkbare - über die normalen Anforderungen hinausgehende (vgl. Steffen aaO Rn. 23) - Verhalten auch für den "Idealkraftfahrer", den § 7 Abs. 2 Satz 2 StVG sich vorstellt, stets im Rahmen des zur Abwendung einer möglichen Gefahr Erforderlichen liegen (vgl. OLG Schleswig VersR 1980, 656, 657).

Auch ein besonders sorgfältiger Kraftfahrer muß im allgemeinen nicht damit rechnen und seine Fahrweise nicht darauf einstellen, daß hinter jedem haltenden Kraftfahrzeug plötzlich ein kleines Kind hervorkommen kann. Es bedarf dazu vielmehr eines konkreten Anlasses, der allerdings z.B. schon darin liegen kann, daß er eine junge Frau nach dem Aussteigen längere Zeit an dem haltenden Wagen hantieren sieht und es nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegt, daß es sich dabei um eine Mutter handelt, die einem Kinde aus dem Wagen hilft (vgl. OLG Karlsruhe VersR 1980, 238).

c) Ob ein "Idealkraftfahrer" im Hinblick darauf langsamer gefahren wäre, daß ein Fahrzeug aus der haltenden Schlange unvermittelt nach links ausscheren oder ein Fußgänger von dem "belebten" Bürgersteig an der Südseite der Telegraphenstraße plötzlich auf die Fahrbahn treten konnte, kann dahingestellt bleiben. Nach dem Sinn des § 7 Abs. 2 StVG bezieht das Merkmal der Unabwendbarkeit sich auf die Abwendung gerade des Schadenfalles, um den es geht. Für die Beurteilung dieser Frage sind ähnliche Gesichtspunkte maßgebend, wie sie bei der Prüfung des Schutzbereiches einer Norm oder des Rechtswidrigkeitszusammenhangs von Bedeutung sind (vgl. z.B. BGH Urteile vom 20. Februar 1968 - VI ZR 130/66 = VersR 1968, 698 und vom 9. Dezember 1969 - VI ZR 101/68 = VersR 1970, 159). Daher kann ein Unfallereignis im Rechtssinn auch dann unabwendbar sein, wenn zwar der "Idealkraftfahrer" nicht in der für den Unfall ursächlich gewordenen Weise gefahren wäre, dies aber im Hinblick auf eine andere Gefahr als die, die sich verwirklicht hat, getan hätte (BGH Urteil vom 4. Mai 1976 - VI ZR 193/74 = VersR 1976, 927 f.).

d) Auch im Rahmen der Haftung nach § 7 StVG ist allerdings von Bedeutung, ob Z. als "Idealkraftfahrer" im Hinblick auf die Engstelle an der Verengung der Telegraphenstraße langsamer fahren mußte und ob der Unfall mit der Klägerin, wie er sich ereignet hat, zu den Gefahren gehört, derentwegen die Geschwindigkeitsherabsetzung veranlaßt war. Nur wenn diese Fragen zu bejahen sind, liegt kein unabwendbares Ereignis vor, das nach § 7 Abs. 2 Satz 2 StVG die Haftung des beklagten Landes ausschließt.

V. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, da noch weitere Feststellungen zu treffen sind.

Sollten sich zu den im vorstehenden erörterten Punkten eindeutige Feststellungen nicht treffen lassen, so wird zu beachten sein, daß dies im Rahmen des § 839 BGB zum Nachteil der Klägerin, im Rahmen des § 7 Abs. 2 StVG aber zum Nachteil des beklagten Landes wirkt, denn im Rahmen der unerlaubten Handlung trifft den Geschädigten grundsätzlich die volle Beweislast, während im Rahmen der Haftung nach § 7 StVG dem Kraftfahrzeughalter der Entlastungsbeweis für ein unabwendbares Ereignis obliegt (vgl. Steffen aaO § 7 Rn. 35).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992778

NJW 1985, 1950

DAR 1986, 17

MDR 1986, 34

VerkMitt 1985, 57

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