Entscheidungsstichwort (Thema)

Honorarforderungen aus einem Vertrag mit einer Anwaltssozietät

 

Leitsatz (amtlich)

Honorarforderungen aus einem Vertrag mit einer Anwaltssozietät stehen den Sozietätsanwälten zur gesamten Hand und nicht als Gesamtgläubigern zu (Abweichung von BGH, Urt. v. 29. April 1963 – III ZR 211/61, NJW 1963, 1301 und v. 19. Juni 1980 – III ZR 91/79, NJW 1980, 2407).

 

Normenkette

BGB §§ 428, 719

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 28. Juni 1995 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger war Mitglied einer seit Mitte 1988 nicht mehr betriebenen, in Liquidation befindlichen Anwaltssozietät, der außer ihm u.a. Rechtsanwalt K. angehörte. Aufgrund eines im März 1988 erteilten Auftrags prüfte Rechtsanwalt K. für den Beklagten bestimmte Vertragsentwürfe. Hierfür erteilte die Sozietät dem Beklagten eine Rechnung über 130.781,52 DM. Der Kläger verlangt Zahlung dieses Betrages an sich. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Die Vorinstanzen haben die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger sei nicht berechtigt, den vermeintlichen Anspruch im eigenen Namen für sich geltend zu machen. Dies greift die Revision ohne Erfolg an.

1. Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, daß der Anwaltsvertrag nicht allein mit Rechtsanwalt K., sondern mit den in der Sozietät zusammengeschlossenen Anwälten einschließlich des Klägers zustande gekommen ist. Der daraus erwachsene Honoraranspruch steht damit, wie das Berufungsgericht weiter zutreffend angenommen hat, der von den Anwälten gebildeten Gesamthandsgemeinschaft zu; eine Anwaltssozietät ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts im Sinne der §§ 705 ff. (BGHZ 56, 355, 357). Über Forderungen der Gesellschaft gegen Dritte kann der einzelne Gesellschafter – auch hinsichtlich seines Anteils daran (§ 719 Abs. 1 BGB) – nicht verfügen. Sie sind vielmehr von den geschäftsführenden Gesellschaftern für die Gesellschaft einzuziehen. Entgegen der Regel der §§ 709, 714 BGB sind die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse in einer Anwaltssozietät im allgemeinen gemäß § 710 BGB stillschweigend so geregelt, daß nach außen hin jedes Sozietätsmitglied allein die Gesellschaft vertreten kann (BGHZ 56, 355, 359; ebenso Senatsurt. v. 21. September 1995 – IX ZR 228/94, WM 1996, 33, 35 für die Steuerberatersozietät). Der Kläger hätte daher, wie er es zu Beginn des Rechtsstreits vor Umstellung des Klageantrags auf Leistung an sich selbst tatsächlich getan hat, in Vertretung für die Gesellschaft den Beklagten auf Zahlung des Honorarbetrages an diese in Anspruch nehmen können. Die Geltendmachung der Forderung im eigenen Namen und auf eigene Rechnung ist von der Einzelgeschäftsführungs- und – vertretungsbefugnis des einzelnen Sozietätsmitglieds dagegen nicht gedeckt.

2. Trotz der Zugehörigkeit der Honorarforderung zum Gesellschaftsvermögen stehen Rechtsprechung und Schrifttum weitgehend auf dem Standpunkt, ein solcher Anspruch stehe den Sozietätsmitgliedern als Gesamtgläubigern (§ 428 BGB) mit der Rechtsfolge zu, daß jedes von ihnen im eigenen Namen die gesamte Forderung geltend machen und deren Begleichung an sich selbst verlangen könne (BGH, Urt. v. 29. April 1963 – III ZR 211/61, NJW 1963, 1301, 1302 und v. 19. Juni 1980 – III ZR 91/79, NJW 1980, 2407; OLG Saarbrücken Rpfleger 1978, 227, 228; OLG Düsseldorf AnwBl. 1985, 388 f.; MünchKomm-BGB/Selb, 3. Aufl. § 428 Rdnr. 2; Soergel/Wolf, BGB 12. Aufl. § 428 Rdnr. 5; Göttlich/Mümmler, BRAGO 15. Aufl. „Anwaltsgemeinschaft” Rdnr. 3.1; Hansens, BRAGO B. Aufl. § 5 Rdnr. 5; Riedel/Sußbauer, BRAGO 7. Aufl. § 5 Rdnr. 2; Hartmann, Kostengesetze 26. Aufl. § 5 BRAGO Rdnr. 5; dagegen aber Müller NJW 1969, 1416, 1417). Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden.

Eine Gesamtgläubigerschaft bedarf der Begründung durch das Gesetz oder durch eine vertragliche Regelung, bei der nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Schuldner mitwirken muß (BGHZ 64, 67, 69 f.). Eine gesetzliche Bestimmung, nach der die Mitglieder einer Anwaltssozietät die zum Gesamthandsvermögen gehörenden Honorarforderungen als Gesamtgläubiger geltend machen könnten, gibt es nicht. Daß derartiges hier vertraglich vereinbart worden wäre, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt, und der Kläger hat es auch nicht behauptet. Aus der Interessenlage heraus läßt sich nicht auf die stillschweigende Vereinbarung einer Gesamtgläubigerschaft schließen. Sie würde eine Zuweisung der Honorarforderung an jeden einzelnen Anwalt ohne Rücksicht auf die mit der jeweiligen Tätigkeit verbundenen Aufwendungen bedeuten. Für die Liquidationsgesellschaft gilt insoweit nichts anderes als für die werbende Gesellschaft. Auch unabhängig davon ist die Begründung einer Gesamtgläubigerschaft für die Gläubiger mit nicht unerheblichen Gefahren verbunden. Denn wenn mit befreiender Wirkung an einen von ihnen geleistet werden kann, sind die anderen auf ihren Ausgleichsanspruch gegen den Empfänger angewiesen; sie tragen insoweit das Insolvenzrisiko (Medicus JuS 1980, 697, 698). Deshalb kommt die rechtsgeschäftliche Begründung einer Gesamtgläubigerschaft selten vor (MünchKomm-BGB/Selb a.a.O. § 428 Rdnr. 1; Staudinger/Kaduk, BGB 12. Aufl. § 428 Rdnr. 11). Bei der Anwaltssozietät sind Gläubiger und Schuldner durch die in ihr geltende Vertretungsregelung gleichermaßen wirksam geschützt. Es wird gewährleistet, daß das Honorar allen an der Sozietät beteiligten Anwälten in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit zufließt, und der Schuldner ist durch die Vertretungsmacht des die Forderung namens der Gesellschaft einziehenden Gesellschafters nicht der Gefahr mehrfacher Inanspruchnahme ausgesetzt.

Die Ansicht, Sozietätsanwälten stünden die Honorarforderungen als Gesamtgläubigern zu, dürfte ihren entwicklungsgeschichtlichen Grund darin haben, daß zunächst angenommen wurde, der Mandant beauftrage regelmäßig jeweils nur denjenigen Sozietätsanwalt, an den er sich wende, gestatte diesem aber, jeden anderen Sozius als Vertreter, Substituten oder Mitarbeiter heranzuziehen; jeder von diesen anderen Anwälten, aber auch die Gesellschaft als solche sollte kraft gewillkürter Prozeßstandschaft befugt sein, die Gebührenforderung des eigentlich beauftragten Anwalts im jeweils eigenen Namen einzuziehen (BGH, Urt. v. 29. April 1963 a.a.O.). In Wirklichkeit kommt, wenn im Einzelfall nichts anderes vereinbart ist, der Vertrag nicht mit dem einzelnen Anwalt, der das Mandat annimmt, sondern mit der Sozietät zustande, in deren Namen jener dabei handelt (BGHZ 56, 355, 359). Für die Annahme, eine zum Gesamthandsvermögen einer Gesellschaft gehörige Forderung stehe gleichzeitig den einzelnen Gesellschaftern als Gesamtgläubigern zu, gibt es keine Grundlage (vgl. BGH, Urt. v. 7. Mai 1991 – XII ZR 44/90, NJW 1991, 2629).

3. Die Gesellschaft kann allerdings ihrerseits einen einzelnen Gesellschafter im Wege der gewillkürten Prozeßstandschaft ermächtigen, einen Anspruch der Gesellschaft im eigenen Namen und auf eigene Rechnung geltend zu machen; dazu bedarf es aber der Zustimmung der anderen Gesellschafter (BGH, Urt. v. 12. Oktober 1987 – II ZR 21/87, ZIP 1988, 571, 572 f.). Auch dafür ist im vorliegenden Fall nichts vorgetragen. Die von der Revision angegriffene Feststellung des Berufungsgerichts, Rechtsanwalt K. habe der Geltendmachung der Forderung durch den Kläger ausdrücklich widersprochen, ist daher nicht entscheidungserheblich. Auf die im Schrifttum gelegentlich geäußerte Ansicht, der einzelne Anwalt könne – ohne Zustimmung der anderen Sozietätsmitglieder – im eigenen Namen Zahlung des Honorarbetrages an die Sozietät verlangen (Madert in: Gerold/Schmidt/von Eikken/Madert, BRAGO 12. Aufl. § 5 Rdnr. 5; Schmidt AnwBl. 1978 Rdnr. 49), ist hier nicht einzugehen; sie spielt für die Entscheidung keine Rolle, weil der Kläger Zahlung an sich allein verlangt.

4. Der Senat ist an seiner Entscheidung nicht durch die erwähnten Urteile des III. Zivilsenats vom 29. April 1963 und 19. Juni 1980 gehindert, weil die Zuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten über Honoraransprüche eines Rechtsanwalts auf den erkennenden Senat übergegangen ist.

 

Fundstellen

BB 1996, 1859

NJW 1996, 2859

ZIP 1996, 1615

JuS 1996, 1130

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