Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein formnichtiger Grundstücksveräußerungsvertrag o.ä. nach. Treu und Glauben als wirksam zu behandeln ist.

Der Abbruch von Verhandlungen über den Abschluß eines Grundstücksveräußerungsvertrags o.ä, durch den einen Partner ohne vorangegangenes Verschulden begründet eine Schadensersatzpflicht aus Verschulden beim Vertragsschluß auch dann nicht ohne weiteres, wenn der Abbrechende weiß, daß der andere Partner in Erwartung des Vertragsschlusses erhebliche Aufwendungen gemacht hat (Abgrenzung zum Urteil vom 6. Februar 1969 - II ZR 86/67, LM BGB § 276 (Fa) Nr. 28).

 

Verfahrensgang

OLG Stuttgart (Entscheidung vom 20.12.1972)

LG Stuttgart

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 20. Dezember 1972 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.

 

Tatbestand

Die Klägerin zu 1 ist die Tochter der Beklagten. Sie und ihr Ehemann klagen auf Erfüllung einer mündlichen Vereinbarung von 1968, wonach sie eine Eigentumswohnung und ihre drei Söhne zusammen eine weitere Eigentumswohnung im Haus der Beklagten gegen - größtenteils erfolgte - Zahlung von zusammen rund 150.000,00 DM erhalten sollten. Fürsorglich klagen sie auf Schadensersatz.

Nach - einigen der Klaganträge stattgebendem - Teilurteil des Landgerichts hat das Oberlandesgericht die Beklagte gemäß dem letzten Hilfsantrag der Klage und dem Anerkenntnis der Beklagten unter Klagabweisung im übrigen zur Zahlung von 121.520,00 DM und Zinsen sowie zur Zahlung der Hälfte der durch Schiedsgutachten zu ermittelnden Wertsteigerung der beiden Wohnungen von 1968 bis 1972 verurteilt.

Abgewiesen - und zwar mit einer Ausnahme als unbegründet - hat es die Hauptanträge der Klage auf Erfüllung sowie den vorrangigen Hilfsantrag, nämlich die Anträge auf:

  • I.

    • 1-3.

      Herbeiführung der Grundstücksteilung (Antrag auf Teilungsgenehmigung, Auftrag zur Meßurkunde, Grundbuchvollzug),

    • 4.

      Herbeiführung eines Hausaufteilungsplans und seiner behördlichen Genehmigung sowie einer Abgeschlossenheitsbescheinigung,

    • 5.

      Abgabe der Teilungserklärung nach § 8 WEG und Einreichung mit Antrag beim Grundbuchamt,

    • 6.

      Sicherstellung von Zugang und Zufahrt durch Grunddienstbarkeiten oder Baulasten;

  • II.

    • a)

      Annahme der Kaufvertragsangebote der Klägerin zu 1 und der drei Söhne,

    • b)

      Feststellung der Pflicht der Beklagten zur Auflassung der beiden Eigentumswohnungen nach erfolgter Teilung Zug um Zug gegen Zahlung von 2.900,00 DM - dieser Klagantrag wurde als unzulässig abgewiesen -;

    • c)

      hilfsweise Zahlung von 216.720,00 DM, und zwar zur Hälfte "zu Händen" der Klägerin zu 1, zu je 1/6 an die drei Söhne.

Mit der Revision verfolgen die Kläger die abgewiesenen Klaganträge weiter. Die Beklagte bittet um Zurückweisung des Rechtsmittels.

 

Entscheidungsgründe

I.

In Verfahrensrechtlicher Hinsicht ist weder das Mitentscheiden über den zunächst beim Landgericht verbliebenen Prozeßrest noch die Abweisung des Feststellungsantrags hinsichtlich der Auflassungspflicht (II b) rechtlich zu beanstanden.

Was die Auflassungspflicht anlangt, so wird ihre Feststellung begehrt für die Zeit nach erfolgter Teilung und Zug um Zug gegen den Restkaufpreis von (zusammen) 2.900,00 DM. Es mag offen bleiben, ob diesem Antrag das nötige Feststellungsinteresse (§ 256 ZPO) schon deshalb fehlt, weil bei einem Klagerfolg im übrigen mit einer Erfüllungsweigerung der Beklagten nicht zu rechnen wäre, was das Berufungsurteil (S. 22) annimmt und die Revision bezweifelt. Das Interesse der Kläger an alsbaldiger Feststellung ist jedenfalls deshalb im Ergebnis zu Recht verneint, weil die Kläger mit ihrem Klagantrag auf Annahme der Kaufangebote (II a) im Erfolgsfall eine dem begehrten Feststellungsurteil gleichwertige Grundlage für eine später etwa nötig werdende Leistungsklage auf Auflassung gewinnen würden und für ein darüber hinausgehendes Feststellungsinteresse Anhaltspunkte nicht ersichtlich sind.

Das Berufungsgericht hat infolgedessen diesen Klagantrag zu Recht als unzulässig abgewiesen (BU S. 22 oben); es hat entgegen der Meinung der Revision nicht sachlich über ihn erkannt und § 322 ZPO nicht verletzt.

II.

In materiellrechtlicher Hinsicht hält das Berufungsurteil (S. 23-29) die übrigen Hauptanträge der Klage deshalb für unbegründet, weil die für den Wohnungseigentumskauf vorgeschriebene Beurkundungsform nicht gewahrt ist. Hiergegen wendet sich die Revision ohne Erfolg:

Die hier umstrittene Vereinbarung, in der sich die Beklagte verpflichtete, der Klägerseite Wohnungseigentum einzuräumen, bedurfte der notariellen Beurkundung (§ 4 Abs. 3 WEG, § 313 Satz 1 BGB). Sie fehlt. Eine Heilung des Mangels durch Auflassung und Grundbucheintrag (§ 313 Satz 2 BGB) hat nicht stattgefunden. Die Vereinbarung ist daher nichtig (§ 125 BGB). Die Entscheidung hängt davon ab, ob der Formnichtigkeit (§ 125 BGB) das Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegensteht. Das ist mit dem Berufungsgericht zu verneinen:

Nach gefestigter Rechtsprechung ist ein an sich formnichtiger Immobiliarveräußerungsvertrag in besonderen Ausnahmefällen als wirksam zu behandeln, wenn die Nichtigkeitsfolge mit Treu und Glauben unvereinbar wäre (BGHZ 16, 334; 29, 6; 48, 396; vgl. die Zusammenstellung von Mattern, WM 1972, 670, 677/78, wo die beiden Fallgruppen der Existenzgefährdung des einen Teils und besonders schwerer Treupflichtverletzung des ändern Teils einander gegenübergestellt werden; aus neuerer Zeit vgl. einerseits die eine solche Unvereinbarkeit als gegeben oder möglich bejahenden Urteile vom 9. Oktober 1970, V ZR 191/67, LM BGB § 313 Nr. 45 = WM 1970, 1364 - Verschweigen eines wesentlichen Umstands unter Verwandten -; vom 24. März 1972, V ZR 153/70, Warn. 1972, 232 = DNotZ 1972, 526 - wiederholter Verlust von Grundbesitz zugunsten der öffentlichen Hand -; vom 21. April 1972, V ZR 42/70, LM BGB § 313 Nr. 53 = WM 1972, 686 - Eigenheimersparnisse für den Lebensabend -; vom 9. Juni 1972, V ZR 86/72, WM 1972, 1027 - Irrtum über Formbedürftigkeit -; andrerseits die verneinenden Urteile vom 2. Oktober 1970, V ZR 15/68 - Pfarrer -; vom 19. März 1971, V ZR 143/69, WM 1971, 618, 620, insoweit in LM BGB § 139 Nr. 46 nicht abgedruckt - Schwarzpreis -; vom 22. Juni 1973, V ZR 146/71, LM BGB § 242 (Ca) Nr. 32 = WM 1973, 1047 - vierzehnjährige Kaufpreiszahlung und Besitz -). An die Bejahung eines solchen Ausnahmefalles werden im Interesse der Rechtssicherheit strenge Anforderungen gestellt; daß die Nichtigkeit den einen Vertragsteil hart trifft, reicht nicht aus.

Der hier zu beurteilende Sachverhalt genügt den für eine Durchbrechung der Formnichtigkeit zu stellenden Anforderungen nicht:

Das Oberlandesgericht erwägt dazu: Die wirtschaftlichen Folgen seien für die vermögenden, in gesicherten finanziellen Verhältnissen lebenden Kläger allenfalls hart, aber nicht untragbar, zumal der bei Kaufpreisrückzahlung für sie eintretende Kaufkraftverlust durch ihre von der Beklagten gewährte hälftige Beteiligung an der Wertsteigerung der Wohnungen zu einem erheblichen Teil ausgeglichen werde. Auch ein steuerlicher Verlust von 40.000,00 DM wäre für sie nicht untragbar. Das jetzige Verhalten der Beklagten stehe nicht in einem gegen Treu und Glauben verstoßenden Widerspruch zu ihrem früheren: Nicht (behauptet oder) dargetan sei, daß die Beklagte die Kläger über die Formbedürftigkeit in einem Irrtum gelassen habe, daß sie schon vor 1971 nicht erfüllungsbereit gewesen sei oder den Streit 1971 zur Abkehr vom Vertrag provoziert habe; für einen Verstoß gegen Treu und Glauben genüge auch nicht, daß die Beklagte anfänglich lebhaftes Interesse an der geldlichen Beteiligung der Kläger gehabt, sich vielleicht darum bemüht und das anderweitige Geldangebot eines Maklers eigenmächtig für die Kläger abgelehnt habe; ebenso, daß die Parteien den Vertrag in Kenntnis der Formnichtigkeit mehrere Jahre als verbindlich behandelt und im Vertrauen auf das Zustandekommen eines notariellen Vertrags gegenseitige Leistungen von erheblichem wirtschaftlichem Wert erbracht hätten. Die Notwendigkeit, am Vertrag festzuhalten, ergebe sich auch nicht daraus, daß die Beklagte ihr Wort als Mutter und Schwiegermutter für die Vertragserfüllung gegeben habe; das sei - anders als im Fall BGHZ 48 (a.a.O.) - erst lange Zeit nach der Zahlung des größten Teils des Kaufpreises und deshalb dafür nicht ursächlich gewesen.

Diese Ausführungen sind frei von Rechtsirrtum. Entgegen der Meinung der Revision hat der Tatrichter eine Gesamtwürdigung vorgenommen (§ 286 ZPO) und nicht nur die wirtschaftlichen Folgen für die Klägerseite geprüft, sondern auch die Frage der unzulässigen Rechtsausübung überhaupt, insbesondere die eines Widerspruchs zwischen früherem und jetzigem Verhalten der Beklagten. Über die Notwendigkeit der Geländevermessung vor einer notariellen Beurkundung haben nach dem eigenen Vortrag der Kläger beide Parteien geirrt; daraus ergibt sich ebenfalls nichts Entscheidendes zugunsten der Kläger. Die übrigen hier einschlägigen Rügen stellen im Revisionsverfahren unbeachtliche Angriffe gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung dar (§ 561 ZPO).

III.

Den Hilfsklagantrag auf 216.720,00 DM Schadensersatz weist das Berufungsgericht deshalb ab, weil es an einem zu solcher Haftung erforderlichen Verschulden der Beklagten fehle.

Wie das Berufungsgericht nicht verkennt, kann ein zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtendes Verschulden bei Vertragsverhandlungen auch darin bestehen, daß der eine Teil schuldhaft - etwa dadurch, daß er eine in Wirklichkeit fehlende Entschlossenheit zum Vertragsabschluß zum Ausdruck bringt oder gegen Aufklärungspflichten verstößt - im andern Teil das Vertrauen auf das bevorstehende Zustandekommen eines später nicht abgeschlossenen Vertrags erweckt und ihn dadurch zu Aufwendungen veranlaßt; das gilt auch für Verhandlungen über den Abschluß von Verträgen, die der Formvorschrift des § 313 BGB unterliegen (urteil vom 14. Juli 1967, V ZR 120/64, NJW 1967, 2199; vgl. dazu neuestens Urteil vom 17. Mai 1974, V ZR 158/72). Der Abbruch von Vertragsverhandlungen durch den einen Partner ohne vorausgegangenes derartiges Verschulden begründet jedoch eine solche Schadenshaftung auch dann nicht ohne weiteres, wenn der Abbrechende weiß, daß der andere Partner in der Erwartung des Vertragsschlusses erhebliche Aufwendungen gemacht hat (BGH a.a.O.); sollte die Revision gegenteiliger Auffassung sein, so könnte ihr nicht gefolgt werden.

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat allerdings im Urteil vom 6. Februar 1969 (II ZR 86/67, LM BGB § 276 (Fa) Nr. 28) in Anlehnung an den Fall der Irrtumsanfechtung (§ 122 BGB) eine Schadensersatzhaftung wegen Weigerung eines in Aussicht genommenen Vertragsschlusses auch ohne vorangegangenes Verschulden dann für möglich erklärt, wenn zwischen den Verhandlungspartnern Einigkeit über den Inhalt des abzuschließenden Vertrags bestand und der Weigernde den Vertragsabschluß ohne triftigen Grund ablehnt, obwohl er sich vorher so verhalten hat, daß der andere Teil berechtigterweise auf das Zustandekommen des Vertrags vertraut und deswegen wirtschaftliche Nachteile auf sich genommen hat. Das mag die Revision mit ihrer Erwägung eines "nachwirkenden" oder "gegenwärtigen Verschuldens" im Auge haben. Es mag offen bleiben, ob dem im allgemeinen beizutreten ist. Eine solche Haftung ohne vorangegangenes Verschulden ausschließlich wegen der endlichen Weigerung des Vertragsschlusses gilt nach der zutreffenden Auffassung des Berufungsgerichts jedenfalls dann nicht, wenn das Gesetz für die vertragliche Einigung eine Form vorschreibt, wie die notarielle Beurkundung in § 313 BGB, und diese Form nicht eingehalten ist. Für diesen Fall paßt die im Urteil des II. Zivilsenats gezogene Parallele zur Irrtumsanfechtung nicht. Denn der Schutzzweck der Formvorschrift will wegen der objektiven Eigenart des Vertragsgegenstands eine Bindung der Verhandlungspartner ohne Einhaltung der Form verhindern; im Irrtumsfall dagegen wird vom Gesetz dem Urheber einer an sich rechtswirksamen Willenserklärung aus Gründen, die einseitig in seiner Person liegen, die Loslösung um den Preis jener Haftung ermöglicht (vgl. dazu die schon vom Oberlandesgericht angeführten Schrifttumsstellen: Staudinger/Coing, BGB 11. Aufl. § 153 Rdn. 4 und § 122 Rdn. 13; Soergel/Siebert/Hefermehl, BGB 10. Aufl. § 122 Rdn. 2; Erman/Westermann, BGB, jetzt 5. Aufl. § 122 Rdn. 2). Die Verneinung einer Haftung ohne das genannte Verschulden steht nicht, wie die Revision anzunehmen scheint, in Widerspruch dazu, daß eine Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen auch bei formbedürftigen Verträgen möglich ist (vgl. BGHZ 6, 330, 333).

Ein Verschulden der Beklagten, wie es hiernach erforderlich ist, hat der Tatrichter nicht festgestellt.

Ein Rechtsirrtum ist weder von der Revision dargetan noch sonst ersichtlich.

IV.

Da das angefochtene Urteil auch im übrigen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Kläger erkennen läßt, war ihre Revision auf ihre Kosten (§ 97 Abs. 1 ZPO) als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3018693

DB 1974, 2395-2396 (Volltext mit amtl. LS)

NJW 1975, 43

NJW 1975, 43-44 (Volltext mit amtl. LS)

MDR 1975, 127 (Volltext mit amtl. LS)

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