Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachbargrundstück

 

Leitsatz (amtlich)

Das Verbot des § 909 BGB, dem Nachbargrundstück die Stütze zu entziehen, richtet sich gegen jeden, der an der Vertiefung mitwirkt. Dazu kann auch der Unternehmer zählen, der die Baugrube durch abstützende Vorkehrungen sichern soll.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 2, § 909

 

Tatbestand

Der Kläger ist Eigentümer des Hausgrundstücks B. Straße 15 in B. /U.. Im Frühjahr 1989 wurde auf dem Nachbargrundstück B. Straße 13 mit dem Bau eines Wohn- und Geschäftshauses begonnen. Die frühere Beklagte zu 1 war Generalunternehmerin für die Bauausführung. Deren Geschäftsführer, der Beklagte zu 2, betreibt mit dem Beklagten zu 3 ein Statikbüro. Die Baugrube wurde durch Stahlspundbohlen gesichert, wobei zur Versteifung Rahmen und längs- und quergespannte Rohre angebracht wurden. Die Statik hierfür erstellten die Beklagten zu 2 und 3. Die Arbeiten führte die Beklagte zu 4 aus, deren persönlich haftende Gesellschafterin die Beklagte zu 5 ist. Die Ausschachtungsarbeiten hatte der frühere Beklagte zu 6 vorgenommen.

Am 6. Juni 1989 kam es im Keller des Hauses des Klägers zu einem Wassereinbruch, den dieser auf Setzungsschäden zurückführt, die seiner Ansicht nach ihre Grundlage in der fehlerhaften Statik für die Baugrubensicherung und in der mangelhaften Ausführung der Arbeiten haben.

Er hat von den Beklagten als Gesamtschuldnern die Zahlung von (zuletzt) 89. 113, 45 DM nebst Zinsen als Schadensersatz verlangt sowie die Feststellung, daß die Beklagten auch zur Erstattung des weiteren materiellen Schadens, der ihm durch die Vertiefung entstanden ist oder noch entstehen wird, verpflichtet sind.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Zahlungsklage gegen die Beklagten zu 1, 2, 4 und 5 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und insoweit auch dem Feststellungsantrag stattgegeben. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Hiergegen haben sowohl der Kläger als auch die Beklagten zu 2, 4 und 5 Revision eingelegt. Der Kläger verfolgt seine Anträge gegen den Beklagten zu 3 weiter. Die Beklagten zu 4 und 5 erstreben die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Revision des Beklagten zu 2 hat der Senat mit Beschluß vom 25. Januar 1996 nicht angenommen.

 

Entscheidungsgründe

I.

Zur Revision des Klägers

1.

Das Berufungsgericht vertritt die Auffassung, der Beklagte zu 3 habe zwar dadurch, daß er - gemeinsam mit dem Beklagten zu 2 - die Statik erstellt habe, einen Verursachungsbeitrag für den Eingriff in das Eigentum des Klägers geleistet. Ihn treffe jedoch keine schuldhafte Sorgfaltspflichtverletzung, da die Statik zur Verwendung durch den Beklagten zu 2, also durch einen Fachmann, bestimmt gewesen sei, der die Fehlerhaftigkeit habe erkennen können.

2.

Dies hält der rechtlichen Prüfung nicht stand.

a)

Die Abweisung der Klage gegen den Beklagten zu 3 beruht auf einem Fehler im ursprünglichen Tatbestand des Berufungsurteils, den das Berufungsgericht auf Antrag der Beklagten zu 1 bis 3 durch Beschluß vom 23. November 1994 berichtigt hat. War zunächst angenommen worden, daß die Statik allein von dem Beklagten zu 2 erstellt worden sei - was möglicherweise eine Haftung des Beklagten zu 3 ausgeschlossen hätte -, so geht die Feststellung nunmehr dahin, daß sie von den Beklagten zu 2 und 3 gemeinsam gefertigt worden ist. Ausgehend hiervon besteht dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch des Klägers - auch - gegen den Beklagten zu 3 gemäß §§ 823 Abs. 2, 909 BGB.

b)

Wie das Berufungsgericht zutreffend annimmt, richtet sich das Verbot des § 909 BGB, dem Nachbargrundstück die Stütze zu entziehen, nicht nur gegen den Eigentümer des Grundstücks, von dem die Störung ausgeht, sondern gegen jeden, der an der Vertiefung mitwirkt, wie z.B. gegen den Architekten (Senat, BGHZ 85, 375, 378 ff; BGHZ 101, 290 f), den Bauunternehmer (Senat, Urt. v. 4. Juli 1980, V ZR 240/77, NJW 1981, 50 f m.w.N.) , den bauleitenden Ingenieur (BGH, Urt. v. 18. Juni 1964, III ZR 65/63, VersR 1964, 1070, 1072) oder auch den Statiker, dessen Berechnungen die Grundlage für den Bodenaushub und die dabei zu beachtenden Sicherungsmaßnahmen bilden (OLG Düsseldorf, BauR 1975, 71; OLG Köln, BauR 1987, 472; MünchKomm-BGB/Säcker, 2. Aufl., § 909 Rdn. 25; Staudinger/Beutler, BGB, 12. Aufl., § 909 Rdn. 28; Soergel/Baur, BGB, 12. Aufl., § 909 Rdn. 8). Jeden der Beteiligten trifft eine eigenverantwortliche Prüfungspflicht (Soergel/Baur, § 909 Rdn. 8; Staudinger/Beutler, § 909 Rdn. 26 ff; Palandt/Bassenge, BGB, 55. Aufl., § 909 Rdn. 12; vgl. auch Senat, Urt. v. 10. Mai 1961, V ZR 236/60; NJW 1961, 1523 f). Wenn sein Beitrag an der Vertiefung pflichtwidrig und schuldhaft ist, haftet er nach §§ 823 Abs. 2, 909 BGB auf Ersatz des dadurch entstandenen Schadens.

c)

Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich des Beklagten zu 3 erfüllt. Dabei kommt es - wie das Berufungsgericht im Hinblick auf die Haftung des Beklagten zu 2 richtig sieht - nicht darauf an, ob die Statikberechnungen der Beklagten zu 2 und 3 richtig oder falsch waren und ob sich ein etwaiger Fehler auf den Schadenseintritt ausgewirkt hat. Die Pflichtverletzung liegt vielmehr schon darin, daß die Statiker, und somit auch der Beklagte zu 3, eine Baugrube in der konkreten Form, nämlich eine Vertiefung unter Kellerniveau des Hauses des Klägers befürwortet haben, obwohl die Gefahr einer Schädigung bei diesem Vorgehen trotz fachgerechter Anbringung von Stützbohlen generell nicht auszuschließen war. Dies hat das Berufungsgericht, sachverständig beraten, im Verhältnis zu dem Beklagten zu 2 festgestellt. Es gilt jedoch in gleicher Weise zu Lasten des Beklagten zu 3.

Dadurch, daß der Beklagte zu 3 die Gefahr einer Schädigung nicht bedacht hat, hat er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt, die sich an den berufsspezifischen Kenntnissen und Erfahrungen eines Statikers ausrichtet, vorwerfbar außer acht gelassen (§ 276 Abs. 1 Satz 2 BGB). Das Berufungsgericht hat, gestützt auf die Ausführungen des Sachverständigen, festgestellt, daß die Gefahr der Schädigung für einen Fachmann erkennbar war. Dies begegnet keinen rechtlichen Bedenken, ebensowenig, daß ein Statiker insoweit als Fachmann anzusehen ist, da es um die Standsicherheit des Nachbargebäudes infolge statischer Veränderungen des Bodens durch Erdarbeiten geht. Angesichts dessen hat sich der Beklagte zu 3 seiner Verantwortung nicht dadurch entziehen können, daß er ein Baugrundgutachten in Auftrag gegeben und sein weiteres Verhalten danach eingerichtet hat. Unabhängig von den darin enthaltenen Äußerungen bleibt es seiner sachkundigen Beurteilung vorbehalten, die Gefahren unter Berücksichtigung der ermittelten Bodenbeschaffenheit einzuschätzen und danach zu handeln. Hinzu kommt, daß das Baugrundgutachten nur Angaben über die möglichen Auswirkungen der verschiedenen Gründungsarten enthält, nicht aber generell auf die Gefahr des Stützverlustes durch Vertiefung eingeht. Ferner führt es bei der empfohlenen Tiefgründung zwar keine zu erwartenden Schäden auf, es schließt sie aber auch nicht ausdrücklich aus. Auch diese Lückenhaftigkeit des eingeholten Gutachtens für die Frage der Standsicherheit des Nachbarhauses hätte daher Anlaß geben müssen, weitere eigenständige Überlegungen anzustellen.

II.

Zur Revision der Beklagten zu 4 und 5

1.

Das Berufungsgericht hält eine Schadensersatzverpflichtung der Beklagten zu 4 aufgrund von § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB für gegeben, für die die Beklagte zu 5 gemäß §§ 161 Abs. 2, 128 Satz 1 HGB hafte. Die widerrechtliche schadensstiftende Handlung der von der Beklagten zu 4 eingesetzten Verrichtungsgehilfen sieht es auch hier in der Verletzung der §§ 823 Abs. 2, 909 BGB. Es ist der Auffassung, eine Pflichtverletzung liege zum einen darin, daß die Beklagte zu 4 - ebenso wie der Beklagte zu 2 - das Risiko einer Horizontalverschiebung im Erdreich infolge der Vertiefung nicht bedacht habe, und zum anderen darin, daß die Versteifungen der Spundbohlen nicht fachgerecht angebracht worden seien. Eine Abgrenzung der einzelnen Verursachungsbeiträge und eine Zuweisung von Haftungsquoten hält das Berufungsgericht nicht für erforderlich, da die Beklagte zu 4 nach § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB für den Gesamtschaden verantwortlich sei.

2.

Dagegen wendet sich die Revision der Beklagten zu 4 und 5 mit Erfolg.

a)

Nicht zu beanstanden ist allerdings die Auffassung des Berufungsgerichts, das Verbot des § 909 BGB richte sich auch gegen die Beklagte zu 4. Der Revision ist zwar zuzugeben, daß die Beklagte zu 4 nicht mit den Aushubarbeiten selbst, sondern nur mit den Sicherungsmaßnahmen betraut war. In Rechtsprechung und Schrifttum ist jedoch anerkannt, daß § 909 BGB für jeden gilt, der ein Grundstück vertieft oder daran mitwirkt (Senat, BGHZ 85, 375, 378 m.w.N.). Eine solche Mitwirkung sieht das Berufungsgericht zu Recht in der Vornahme der Aussteifungen durch die Beklagte zu 4. Denn das Ausbaggern der Baugrube durfte nur stattfinden, wenn gleichzeitig für eine ordnungsgemäße Befestigung der Grubenwände gesorgt wurde. Beide Arbeiten gingen Hand in Hand und ergänzten sich und stellten somit eine einheitliche Handlung dar, die in ihrer Gesamtheit unter den Begriff der Grundstücksvertiefung fällt (vgl. Senat, Urt. v. 19. Oktober 1965, V ZR 171/63, WM 1966, 33, 35 f).

b)

Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht auch angenommen, daß die Setzungsschäden am Haus des Klägers auf die Bauarbeiten zurückzuführen sind. Es hat dies aus dem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Eintritt der Schäden und dem Beginn der Ausschachtungsarbeiten geschlossen. Die Revision vermag nicht auf Umstände zu verweisen, die gegen eine solche Kausalität sprechen. Soweit unabhängig von den Vertiefungsarbeiten bereits Risse im Gebäude des Klägers vorhanden gewesen sein sollen, hat das Berufungsgericht die Klärung zulässigerweise dem Betragsverfahren vorbehalten (vgl. BGH, Urt. v. 13. Juli 1989, VIII ZR 286/88, NJW 1989, 2745 m.w.N.).

c)

Nicht zu folgen ist dem Berufungsgericht jedoch insoweit, als es die Haftung der Beklagten zu 4 - ebenso wie die des Beklagten zu 2 - darauf stützt, daß sie an einer Vertiefung mitgewirkt hat, die zwangsläufig zu einer Horizontalverschiebung im Erdreich und damit zu einer Schädigung des Nachbarhauses führen mußte.

aa)

Zweifelhaft ist schon der Ansatz, als Anspruchsnorm § 831 BGB heranzuziehen. Denn die Entscheidung, an der Vertiefung des Grundstücks in der geschehenen Weise mitzuwirken, wird - das Berufungsgericht hat insoweit keine Feststellungen erhoben - von einem verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB getroffen worden sein, welche Vorschrift auf die Rechtsform, in der die Beklagte zu 4 ihren Betrieb führt, entsprechend anwendbar ist (vgl. nur Palandt/Heinrichs, aaO, § 31 Rdn. 3). Dies führt gegebenenfalls zu einer Zurechnung fremden Verschuldens. Ausgehend von § 831 BGB ist hingegen zu prüfen, ob ein Verrichtungsgehilfe der Beklagten zu 4 in Ausübung der Verrichtung dem Kläger dadurch einen Schaden zugefügt hat, daß er widerrechtlich einen deliktsrechtlichen Tatbestand im Sinne der §§ 823 ff BGB verwirklicht hat. Hieran knüpft das Gesetz die (widerlegbare) Vermutung, daß die Schadenszufügung auf einem Verschulden eines für die Beklagte zu 4 handelnden verfassungsmäßig berufenen Vertreters bei der Auswahl, Unterrichtung oder Überwachung des Verrichtungsgehilfen oder bei der Bereitstellung der erforderlichen Gerätschaften beruht. Hierauf gründet sich die Haftung des Geschäftsherrn bei dem Einsatz von Verrichtungsgehilfen. Auf ein Verschulden des Verrichtungsgehilfen kommt es dagegen grundsätzlich nicht an. Unrichtig ist es, wenn das Berufungsgericht meint, ein festgestelltes Verschulden des Verrichtungsgehilfen enthebe es der Prüfung, ob dem Geschäftsherrn der Entlastungsbeweis nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB gelungen sei. Dieser Weg steht dem Geschäftsherrn offen.

bb)

Wendet man § 831 BGB in dieser Weise an, und zwar auf der Grundlage des erfolgsbezogenen Rechtswidrigkeitskonzepts (vgl. etwa BGHZ 24, 21, 27 f; 39, 103, 108; 42, 118, 122; 74, 9, 14), so wäre, wenn ein Verrichtungsgehilfe die Entscheidung über die Vornahme der Sicherungsmaßnahmen getroffen hat, eine Haftung der Beklagten zu 4 an sich zu bejahen, vorbehaltlich der Möglichkeit der Entlastung nach Absatz 1 Satz 2. Dieses Ergebnis bedarf jedoch mit Rücksicht auf den Schutzzweck der Norm einer Einschränkung. Auszuscheiden sind solche Schadensfälle, bei denen feststeht, daß der Gehilfe sich so verhalten hat, wie jede mit Sorgfalt ausgewählte und überwachte Person sich sachgerecht verhalten hätte. Denn bei objektiv fehlerfreiem Verhalten bestünde gegen den Geschäftsherrn auch im Falle eigenen Handelns kein Anspruch (BGHZ 12, 94, 96; BGH, Urt. v. 22. November 1974, I ZR 32/74, VersR 1975, 447, 449; BGB-RGRK/Steffen, 12. Aufl., § 831 Rdn. 28 ff). Nur insoweit spielt die Frage der Pflichtwidrigkeit eine Rolle.

Die in dem erhobenen Schuldvorwurf enthaltene Annahme des Berufungsgerichts, die bestellten Verrichtungsgehilfen hätten sich objektiv pflichtwidrig verhalten, wird von den getroffenen Feststellungen nicht getragen. Sie gründet sich darauf, daß es sich bei der Beklagten zu 4 um eine mit Tiefbauarbeiten befaßte Spezialfirma handele und daß das Risiko der horizontalen Verschiebung nach den Ausführungen des Sachverständigen für einen Fachmann erkennbar gewesen sei. Ob dazu die von der Beklagten zu 4 herangezogenen Verrichtungsgehilfen zählen, führt das Berufungsgericht jedoch nicht aus.

cc)

In Betracht kommt hingegen eine Haftung nach §§ 823 Abs. 2, 909 BGB in Verbindung mit § 31 BGB, wenn man nämlich davon ausgeht, daß ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten zu 4 angeordnet hat, daß die Grube durch die vorgenommenen Aussteifungen zu sichern war. Möglicherweise stellt hierauf auch das Berufungsgericht ab, wenn es - allerdings unter dem unzutreffenden Ansatz einer Haftung nach § 831 BGB - annimmt, daß die "verantwortlich Tätigen" ein Verschulden treffe. Daß dieser Schuldvorwurf berechtigt ist, vermag der Senat jedoch nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht zu teilen.

Zu berücksichtigen ist zunächst, daß der Generalunternehmer die Beklagten zu 2 und 3 als Statiker eingeschaltet hatte, um den Gefahren eines Stützverlustes des Nachbargrundstücks zu begegnen. Wenn sich die Beklagte zu 4 bei ihrer Tätigkeit an den Vorgaben der Statiker ausgerichtet hat, so ist dies folglich im Hinblick auf die eingetretene Schädigung nur dann schuldhaft, wenn ihre Verantwortlichen wußten, daß die Berechnungen der Statiker die Gefahr einer gleichwohl möglichen Horizontalverschiebung im Boden außer acht ließen, oder wenn sie dies jedenfalls hätten erkennen können. Positive Kenntnis eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters der Beklagten zu 4 hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Die Annahme fahrlässiger Unkenntnis wäre berechtigt, wenn von dem Verantwortlichen der Beklagten zu 4, gemessen an den berufsspezifischen Kenntnissen und Erfahrungen einer mit Tiefbau- und Abstützungsarbeiten befaßten Firma, ebenso wie bei einem Statiker erwartet werden muß, daß er die Gefahr der Schädigung erkennt. Das Berufungsgericht nicht dies an. Es stützt sich dabei nicht unmittelbar auf das Gutachten des Sachverständigen, dessen Ausführungen auch nicht erkennen lassen, daß er den für einen "Fachmann" angesetzten Maßstab aus seiner fachlichen Sicht auch auf einen ordentlichen Tiefbauunternehmer für anwendbar hält. Diesen Schluß zieht das Berufungsgericht vielmehr selbst, bleibt dafür aber die erforderliche Begründung schuldig. Dem Senat ist kein Erfahrungssatz bekannt, wonach bei einer Spezialfirma für Tiefbauarbeiten die Kenntnis vorausgesetzt werden muß, daß es bei der hier vorgenommenen Vertiefung trotz ordnungsgemäßer, den statischen Berechnungen entsprechender Abstützung zwangsläufig zu Horizontalverschiebungen kommt, die eine Schädigung des Nachbargrundstücks zur Folge haben können. Es wäre daher vom Berufungsgericht im einzelnen - unter Umständen nach sachverständiger Beratung - darzulegen gewesen, aufgrund welcher Umstände der angenommene Sorgfaltsmaßstab (auch) bei der Beklagten zu 4 zugrunde zu legen ist. Daran fehlt es. Mangels dahingehender Feststellungen ist der Senat auch nicht in der Lage, diese Wertung selbst vorzunehmen.

d)

Soweit das Berufungsgericht die Haftung der Beklagten zu 4 auf Fehler bei der Sicherung der Baugrube stützt, begegnet das im Ansatz keinen Bedenken. Die Revision stellt eine fehlerhafte Anbringung der zur Versteifung dienenden Rahmen und Rohre auch nicht in Zweifel. Zu Recht beanstandet sie jedoch die Anwendung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Diese Vorschrift soll Beweisschwierigkeiten bezüglich der haftungsbegründenden Kausalität für bestimmte Fallgestaltungen der Nebentäterschaft begegnen, die durch besondere Überlagerungen von Geschehensketten gekennzeichnet sind. Sie hat zur Voraussetzung, daß

  1. bei jedem Beteiligten ein anspruchsbegründendes Verhalten gegeben war, wenn man vom Nachweis der Ursächlichkeit absieht,
  2. eine der unter dem Begriff "Beteiligung" zusammengefaßten Personen den Schaden verursacht haben muß und
  3. nicht feststellbar ist, welcher von ihnen den Schaden - ganz (Urheberzweifel) oder teilweise (Anteilszweifel) - verursacht hat (BGHZ 67, 14, 18 ff; 72, 355, 358 ff; Senat, BGHZ 101, 106, 113; BGH, Urt. v. 11. Januar 1994, VI ZR 41/93, ZIP 1994, 374, 377).

Diese Voraussetzungen liegen nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht vor.

aa)

Wie schon der Wortlaut nahelegt (... "wenn sich nicht ermitteln läßt"...) , enthebt die Vorschrift das Gericht nicht der Prüfung, ob möglicherweise einer der Beteiligten nach allgemeinen Grundsätzen für den gesamten Schaden haftet. Nur wenn dies nicht festgestellt werden kann, besteht die für § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB charakteristische Beweisnot, die die Haftungsausweitung (Haftung für mögliche Verursachung) rechtfertigt (vgl. BGHZ 67, 14, 18; 72, 355, 357; BGB-RGRK/Steffen, 12. Aufl., § 830 Rdn. 20). Gleiches gilt bei Anteilszweifeln. Hierauf ist die Norm nur (entsprechend) anwendbar, wenn nicht geklärt werden kann, ob der einzelne Verursachungsbeitrag zu einem bestimmten, abgrenzbaren Teilschaden geführt hat, wenn andererseits aber feststeht, daß jeder Beteiligte das Rechtsgut so gefährdet hat, daß sein Tatbeitrag geeignet war, den ganzen Schaden allein herbeizuführen (vgl. BGHZ 67, 14, 19; BGB-RGRK/Steffen, § 830 Rdn. 23). Das Berufungsgericht verkennt dies, wenn es meint, auf eine Abgrenzung der einzelnen Verursachungsbeiträge komme es nicht an, da die Ursachen "zusammengewirkt" hätten. Entscheidend ist gerade, welche Qualität das Zusammenwirken hat.

bb)

Möglicherweise hat sich das Berufungsgericht eine dahingehende Prüfung schon deswegen verschlossen, weil es - rechtsfehlerhaft - eine Haftung der Beklagten zu 4 auch unter dem Gesichtspunkt der Horizontalverschiebung des Bodens infolge der Vertiefung bejaht hat. In diesem Fall spielt die Problematik des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB nämlich - keine Rolle. Beschränkt sich hingegen der mögliche Tatbeitrag auf die fehlerhafte Sicherung der Baugrube, bleibt zu klären, ob er überhaupt ursächlich werden konnte, und - wenn ja -, ob er eventuell nur für einen abgrenzbaren Teilschaden ursächlich geworden ist oder jedenfalls nicht geeignet war, den Gesamtschaden herbeizuführen.

Die Revision weist zu Recht darauf hin, daß es nach dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen nicht von vornherein auszuschließen ist, daß die Vertiefung selbst bei bestmöglicher Grubensicherung den Schaden herbeigeführt hätte. Die Mängel, die in den Verantwortungsbereich der Beklagten zu 4 fielen, hätten sich dann nicht auswirken können; § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB wäre nicht anwendbar. Das Berufungsgericht scheint dies selbst zu erwägen, indem es annimmt, es habe "zwangsläufig" zu einer Vertiefung des Grundstücks des Klägers kommen müssen (BU 10; gemeint ist offenbar: zu einem Stützverlust); auch bei Beachtung der anerkannten Regeln der Technik in bezug auf Statik und Grubensicherung hätten die Arbeiten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden am Nachbarhaus führen müssen (BU 13). Andererseits geht es aber auch von einem Zusammenwirken der Ursachen aus, ohne jedoch - was für § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB Voraussetzung wäre - festzustellen, ob der Tatbeitrag der Beklagten zu 4 überhaupt allein geeignet war, den eingetretenen Schaden hervorzurufen, und - wenn ja - auszuschließen, daß Anteilszweifel behoben werden können. Zu diesen Fragen, ob und inwieweit nämlich Fehler bei der Anbringung der Spundenwände und ihrer Versteifungen sich auf den eingetretenen Schaden haben auswirken können, hat der Sachverständige - wie die Revision zu Recht rügt - nicht erschöpfend Stellung genommen, da er dazu weitere Berechnungen für erforderlich hielt.

3.

Die Sache ist daher zur weiteren Sachaufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456243

NJW 1996, 3205

Englert / Grauvogl / Maurer 2004 2004, 907

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