Orientierungssatz

1. Abweichend von dem Grundsatz, daß der Streit, ob jemand der Gesellschaft angehört, nicht mit dieser, sondern mit den Mitgesellschaftern ausgetragen werden muß, ist es rechtlich möglich, durch Gesellschaftsvertrag zu bestimmen, daß ein derartiger Prozeß mit der Gesellschaft auszufechten ist. Der Gesellschaft wird in diesem Fall materiell-rechtlich die Befugnis übertragen, an Stelle der Gesellschafter über die Gesellschafterbeschlüsse zu disponieren. Damit kann zwar über die Frage der Wirksamkeit eine Beschlusses nicht mit Rechtskraft gegenüber den Mitgesellschaftern entschieden werden. Nach Sinn und Zweck einer solchen Vertragsbestimmung hat aber ein zwischen dem klagenden Gesellschafter und der Gesellschaft ergangenes Urteil die Folge, daß die übrigen Gesellschafters schuldrechtlich verpflichtet sind, sich an die in diesem Rechtsstreit getroffene Entscheidung zu halten (so auch BGH, 1989-09-06, II ZR 602/88).

2. Die im Gesellschaftsvertrag einer Kommanditgesellschaft enthaltene Regelung, wonach die Geltendmachung der Unwirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen der Anfechtungsklage bedarf, gibt Anlaß zur Prüfung der Frage, ob sich aus dem gewählten Begriff „Anfechtungsklage” (die im Bereich der Personengesellschaften nicht zulässig ist) nicht wenigstens ergibt, daß auch Klagen auf Feststellung der Unwirksamkeit von Beschlüssen der Gesellschafter gegen die Gesellschaft zu richten sind.

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 1. Februar 1989 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Durch Beschluß der Gesellschafterversammlung vom 22. Dezember 1987 ist die Klägerin aus der Beklagten ausgeschlossen worden. Die Klägerin begehrt die Feststellung, daß dieser Beschluß unwirksam ist.

Die Klägerin war seit der Gründung im Jahre 1970 Kommanditistin der beklagten Kommanditgesellschaft sowie Gesellschafterin der persönlich haftenden Gesellschafterin, einer GmbH. In der Beklagten hatten sich ursprünglich 18 Schulbuchverlage, darunter die Klägerin, zusammengeschlossen, um in Zusammenarbeit mit den Rundfunk- und Fernsehanstalten und anderen Unternehmungen wissenschaftlich und didaktisch geeignetes Begleitmaterial zu Schulfunk- und Schulfernsehsendungen zu entwickeln, herzustellen und zu vertreiben. Anfang des Jahres 1986 waren noch 19 natürliche Personen Kommanditisten der Klägerin. Mit Vertrag vom 24. Januar 1986 trat als weitere Kommanditistin die „R Verlag und Druckerei GmbH” der Klägerin bei und erwarb eine qualifizierte Mehrheit. Zum 31. Juli 1986 schieden die ursprünglichen Kommanditisten aus der Klägerin aus. Die „R Verlag und Druckerei GmbH” änderte am 18. Dezember 1986 ihren Namen in „M Union GmbH Ludwigshafen”.

Im Verlaufe des Jahres 1987 kam es bei der Beklagten zu Auseinandersetzungen über das Geschäftsgebaren und den Gesellschafterstatus der Klägerin. Die einzelnen Vorwürfe waren Gegenstand der Erörterung auf der außerordentlichen Gesellschafterversammlung der Beklagten am 18. November 1987. Am 7. Dezember 1987 wurden die Gesellschafter zu einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung am 22. Dezember 1987 eingeladen. Die Einladung enthielt als Tagesordnungspunkt 6 „Gesellschafterstatus des W – Verlages”. Als Anlage waren die schriftlich festgehaltenen Vorwürfe gegen die Klägerin beigefügt. Die Gesellschafterversammlung beschloß gegen die Stimmen der Klägerin deren Ausschluß zum 31. Dezember 1987.

Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben. Sie hat die Meinung vertreten, aus § 12 des Gesellschaftsvertrages ergebe sich, daß die Klage gegen die Gesellschaft zu richten sei. Diese Bestimmung lautet:

„Beschlüsse der Gesellschafterversammlung können nur innerhalb einer Frist von drei Monaten seit der Beschlußfassung angefochten werden. Auch die Geltendmachung der Unwirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen bedarf der Anfechtungsklage.

Die Anfechtungsfrist ist nur gewahrt, wenn innerhalb der Frist die Klage beim Schiedsgericht oder beim ordentlichen Gericht erhoben worden ist.”

Eine ähnliche Regelung – ohne Satz 2 des ersten Absatzes – findet sich in § 13 der Satzung der Komplementär-GmbH. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht kann dem Schiedsgerichtsvertrag vom 12. Juni 1970 eine ausschließliche Zuständigkeit des Schiedsgerichts nicht entnehmen. Hiergegen wendet sich die Revisionserwiderung nicht.

II. 1. In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats geht das Berufungsgericht davon aus, daß in der handelsrechtlichen Personengesellschaft der Streit, ob jemand der Gesellschaft angehört, nicht mit dieser, sondern nur im Prozeß mit den Mitgesellschaftern ausgetragen werden kann (vgl. BGHZ 91, 132, 133 m.w.N.). Das folgt daraus, daß eine solche Streitigkeit die Grundlage des Gesellschaftsverhältnisses, den Gesellschaftsvertrag, betrifft und die Gesellschaft hierüber keine Dispositionsbefugnis hat (vgl. BGHZ 48, 175, 176 f.).

2. Abweichend von dem Grundsatz, daß der Streit, ob jemand der Gesellschaft angehört, nicht mit dieser, sondern mit den Mitgesellschaftern ausgetragen werden muß, ist es rechtlich möglich, durch Gesellschaftsvertrag zu bestimmen, daß ein derartiger Prozeß mit der Gesellschaft auszufechten ist. Der Gesellschaft wird in diesem Fall materiell-rechtlich die Befugnis übertragen, an Stelle der Gesellschafter über die Gesellschafterbeschlüsse zu disponieren. Damit kann zwar über die Frage der Wirksamkeit eines Beschlusses nicht mit Rechtskraft gegenüber den Mitgesellschaftern entschieden werden. Nach Sinn und Zweck einer solchen Vertragsbestimmung hat aber ein zwischen dem klagenden Gesellschafter und der Gesellschaft ergangenes Urteil die Folge, daß die übrigen Gesellschafter schuldrechtlich verpflichtet sind, sich an die in diesem Rechtsstreit getroffene Entscheidung zu halten (vgl. BGHZ 91, 132, 133; 85, 350, 353; Sen.Urt. v. 6. November 1989 – II ZR 302/88, je m.w.N.). Das Berufungsgericht hat dies beachtet, jedoch dem Gesellschaftsvertrag der Beklagten vom 12. Juni 1970 keine Regelung entnehmen können, daß sich die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Ausschließungsbeschlusses gegen die Gesellschaft und nicht gegen die Gesellschafter zu richten hat. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg.

a) Bei dem Gesellschaftsvertrag vom 12. Juni 1970 handelt es sich um einen Individualvertrag. Die Beklagte ist nicht auf die Beteiligung einer unbestimmten Vielzahl von Kommanditisten angelegt, sondern entspricht im wesentlichen dem Leitbild der §§ 161 ff. HGB. Die für Publikumsgesellschaften entwickelten Grundsätze über die Auslegung von Gesellschaftsverträgen (vgl. Sen.Urt. v. 28. September 1978 – II ZR 218/77, WM 1978, 1399, 1400; v. 30. April 1979 – II ZR 57/78, WM 1979, 672) sind daher nicht anwendbar. Vielmehr ist die von dem Tatrichter vorgenommene Auslegung des Gesellschaftsvertrages in der Revisionsinstanz grundsätzlich nur darauf nachprüfbar, ob Verfahrensfehler oder Verstöße gegen allgemeine Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze oder Erfahrungsgrundsätze in Betracht kommen (vgl. Sen.Urt. v. 14. November 1960 – II ZR 55/59, WM 1961, 303, 304; Ulmer in Großkomm., HGB 4. Aufl. § 105 Rdnr. 204 m.w.N.). Ein solcher Verstoß liegt hier vor. Das Berufungsgericht vermag dem Wortlaut des § 12 des Gesellschaftsvertrages vom 12. Juni 1970 keine Regelung zu entnehmen, daß sich die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Ausschließungsbeschlusses gegen die Gesellschaft und nicht gegen die Gesellschafter zu richten habe. Diese Vertragsauslegung beruht darauf, daß das Berufungsgericht nicht alle entscheidungserheblichen Umstände in seine Würdigung einbezogen hat.

b) Das in § 12 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages verwendete Wort „Anfechtung” allein zwingt allerdings nicht dazu, den Vertrag so auszulegen, daß Verfahrensgegner die Gesellschaft sein soll. Entgegen der Ansicht der Revision folgert der Senat auch nicht in seinem Urteil vom 30. Juni 1966 (II ZR 149/64, WM 1966, 1036 f.) allein aus dem Wort „anzufechten”, daß die Gesellschaft zu verklagen sei. Vielmehr billigte er diese vom Tatrichter vorgenommene Auslegung deshalb, weil dort nach dem Gesellschaftsvertrag überdies der „Einspruch” nur bei der Gesellschaft „eingereicht” werden konnte.

c) Vom Standpunkt des Berufungsgerichts aus bleibt – wie es selber ausführt – § 12 Abs. 1 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages „nicht recht verständlich”. Es übersieht dabei, daß auch eine Auslegung möglich ist, bei der diese Bestimmung einen Sinn ergibt.

Die in § 12 Abs. 1 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages vorgesehene Anfechtungsklage ist nur dem Recht der Kapitalgesellschaften geläufig. Dort wird zwischen nichtigen und anfechtbaren Beschlüssen unterschieden. Der Mangel eines anfechtbaren Beschlusses kann nur durch eine fristgerechte Anfechtungsklage, die gegen die Gesellschaft zu richten ist, geltend gemacht werden. Die Nichtigkeit dieses Beschlusses wird dann erst durch ein rechtsgestaltendes Urteil herbeigeführt. Dagegen gibt es nach herrschender Meinung im Recht der Personengesellschaften keine lediglich anfechtbaren Beschlüsse. Infolgedessen ist hier auch die Anfechtungsklage unbekannt (vgl. statt aller Großkomm.-Fischer, HGB 3. Aufl. § 119 Anm. 17; Nitschke, Die körperschaftlich strukturierte Personengesellschaft, 1970, S. 206 ff. m.w.N.; aA. Karsten Schmidt, Festschrift für Stimpel, S. 217 ff.; ders., Gesellschaftsrecht, 1986, S. 334 ff., je m.w.N.). Konsequenterweise lehnt die herrschende Meinung auch die Möglichkeit ab, im Bereich der Personengesellschaft eine Anfechtungsklage gesellschaftsvertraglich zu vereinbaren (vgl. Nitschke aaO; RGRK-Fischer, HGB § 119 Anm. 29). Hierfür spricht, daß Gestaltungsklagen grundsätzlich nur in den gesetzlich anerkannten Fällen in Frage kommen und der Privatautonomie der Parteien weitgehend entzogen sind (vgl. Rothe, AcP 151, 33 ff.; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht 14. Aufl. S. 560). Diese Fragen brauchen indes im vorliegenden Fall nicht abschließend erörtert zu werden. Beide Parteien behaupten nicht, daß die in § 12 Abs. 1 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages vorgesehene „Anfechtungsklage” ein rechtsgestaltendes Urteil zur Folge haben soll. Davon zu trennen ist aber die Frage, ob sich aus dem gewählten Begriff „Anfechtungsklage” nicht wenigstens ergibt, gegen wen die Klage zu richten ist. Insoweit ist bedeutsam, daß eine Anfechtungsklage nach dem Recht der Kapitalgesellschaften und Genossenschaften gegen die Gesellschaft – und nicht gegen die Gesellschafter – zu erheben ist. Damit könnte § 12 Abs. 1 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages einen Anhaltspunkt dafür enthalten, daß auch Klagen auf Feststellung der Unwirksamkeit von Beschlüssen der Gesellschafter der Kommanditgesellschaft gegen die Gesellschaft zu erheben sind. Dies beachtet das Berufungsgericht nicht hinreichend, wenn es § 12 Abs. 1 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages als „nicht recht verständlich bezeichnet”. Es hätte vielmehr die zu der Frage, welche Vorstellungen die Gründergesellschaft mit § 12 des Gesellschaftsvertrages verbanden, angebotenen Beweise erheben und dem unter Beweis gestellten Vortrag der Klägerin nachgehen müssen, die Gesellschafter hätten es im Hinblick auf die gesellschaftsvertragliche Regelung anläßlich der Diskussion in der Gesellschafterversammlung am 22. Dezember 1987 als natürlich bezeichnet, daß der Prozeß gegen die Gesellschaft zu führen sei.

3. Ergibt die von dem Berufungsgericht erneut vorzunehmende Auslegung des § 12 des Gesellschaftsvertrages nicht, daß die Klage gegen die Gesellschaft zu richten ist, so wird es dem Vortrag des Klägers nachgehen müssen, die Gesellschafter hätten in der Gesellschafterversammlung am 22. Dezember 1987 den Beschluß gefaßt, daß im vorliegenden Fall so verfahren werden solle. Die Gesellschafter haben nämlich die Möglichkeit, den Gesellschaftsvertrag dahin abzuändern oder zu ergänzen, daß die Gesellschaft in dem Rechtsstreit darüber, ob jemand der Gesellschaft angehört, an die Stelle der anderen Gesellschafter treten soll. Eine solche Vertragsdurchbrechung kommt formlos durch übereinstimmende Willenserklärung aller Gesellschafter zustande, soweit sich aus dem Gesellschaftsvertrag nichts anderes ergibt (vgl. BGHZ 58, 115, 118 f.).

Ein über diesen Gegenstand am 22. Dezember 1987 gefaßter Beschluß wäre allerdings grundsätzlich schon deswegen unwirksam gewesen, weil er in der nach dem Gesellschaftsvertrag der Einladung beizufügenden Tagesordnung nicht angekündigt und nicht alle Gesellschafter anwesend waren; der M H Verlag war durch niemanden vertreten. Dieser Mangel hätte ebenfalls nach § 12 des Gesellschaftsvertrages binnen drei Monaten im Klageweg geltend gemacht werden müssen. Eine solche Klage ist, soweit ersichtlich, nicht erhoben worden. Die Dreimonatsfrist beginnt nach § 12 Abs. 1 Satz 1 mit der Beschlußfassung. Ob das für einen Gesellschafter, der bei der Abstimmung nicht anwesend war, selbst dann gilt, wenn die Beschlußfassung im Protokoll über die Gesellschafterversammlung nicht vermerkt ist, ist eine Frage der Auslegung des Gesellschaftsvertrages, die das Berufungsgericht, wenn es darauf ankommen sollte, ebenfalls noch vornehmen müßte. Bislang ist auch nicht festgestellt, wann der M H Verlag von dem Beschluß, falls er gefaßt worden sein sollte, Kenntnis erlangt hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 649171

BB 1990, 370

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