Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewerblicher Kfz-Mietvertrag. Haftungsbefreiung. Haftungsreduzierung. Vollkaskoversicherung. Allgemeine Vermietungsbedingungen. Undifferenzierter Haftungsvorbehalt. Grobe Fahrlässigkeit. Unwirkame Klausel über Haftungsvorbehalt. Haftungsfreistellung. Unangemessene Benachteiligung. Schadensersatz. Unzurechnungsfähigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

a) Ist in einem gewerblichen Kfz-Mietvertrag eine Haftungsbefreiung oder eine Haftungsreduzierung nach Art der Vollkaskoversicherung vereinbart, ist ein in den Allgemeinen Vermietungsbedingungen vorgesehener undifferenzierter Haftungsvorbehalt für den Fall grober Fahrlässigkeit nach § 307 BGB unwirksam.

b) An die Stelle der unwirksamen Klausel über den Haftungsvorbehalt tritt der Grundgedanke der gesetzlichen Regelung des § 81 Abs. 2 VVG.

c) Dies gilt hinsichtlich der Haftung des grob fahrlässig handelnden berechtigten Fahrers, der nicht Mieter ist, gleichermaßen jedenfalls dann, wenn dessen Haftungsfreistellung in den Allgemeinen Vermietungsbedingungen ausdrücklich vorgesehen ist.

 

Normenkette

BGB § 307; VVG § 81 Abs. 2

 

Verfahrensgang

OLG Köln (Urteil vom 13.01.2010; Aktenzeichen 11 U 159/09)

LG Köln (Entscheidung vom 13.08.2009; Aktenzeichen 37 O 143/09)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 11. Zivilsenats des OLG Köln vom 13.1.2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Klägerin, eine gewerbliche Kraftfahrzeugvermieterin, nimmt den Beklagten auf Ersatz des Schadens in Anspruch, den er als Fahrer eines von seiner Arbeitgeberin angemieteten Kraftfahrzeugs verursacht hat.

Rz. 2

Am 2.6.2008 vermietete die Klägerin einen Pkw an die Arbeitgeberin des Beklagten. Sie vereinbarten eine Haftungsfreistellung für selbstverschuldete Unfälle mit einer Selbstbeteiligung von 770 EUR pro Schadensfall. Dem Vertrag lagen die Allgemeinen Vermietbedingungen der Klägerin zugrunde, die u.a. folgende Regelung enthielten:

"2. Dem Mieter steht es frei, die Haftung aus Unfällen für Schäden der Vermieterin durch Zahlung eines besonderen Entgelts auszuschließen = vertragliche Haftungsfreistellung. In diesem Fall haftet er für Schäden, abgesehen von der vereinbarten Selbstbeteiligung nur dann, wenn - ... - er oder seine Erfüllungsgehilfen den Schaden durch Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt haben. ... 7. Diese Regelungen gelten neben dem Mieter auch für den berechtigten Fahrer, wobei die vertragliche Haftungsfreistellung nicht zugunsten unberechtigter Nutzer der Mietwagen gilt."

Rz. 3

Am 4.6.2008 fuhr der Beklagte um 0.59 Uhr nach einem Streit mit seiner Ehefrau und einem Kneipenbesuch mit dem angemieteten Pkw mit überhöhter Geschwindigkeit, kam von der Fahrbahn ab und kollidierte mit einem Baum. Der Beklagte war erheblich alkoholisiert, eine bei ihm um 2.54 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 2,96 Promille auf. Der Beklagte wurde rechtskräftig wegen fahrlässigen Vollrausches zu einer Geldstrafe verurteilt. Am Fahrzeug der Klägerin entstand infolge des Unfalls ein wirtschaftlicher Totalschaden i.H.v. 16.386,55 EUR.

Rz. 4

Mit ihrer Klage hat die Klägerin den Fahrzeugschaden, Ersatz von Sachverständigenkosten, Wiederbeschaffungskosten und eine Kostenpauschale sowie Freistellung von den vorgerichtlichen Anwaltskosten geltend gemacht. Das LG hat den Beklagten unter Klageabweisung im Übrigen zur Zahlung von 16.533,45 EUR zzgl. Zinsen und zur Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten von 807,80 EUR verurteilt. Auf die Berufung des Beklagten hat das OLG der Klage lediglich in Höhe der vereinbarten Selbstbeteiligung von 770 EUR zzgl. anteiliger vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

I.

Rz. 5

Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in VersR 2010, 1193 veröffentlicht ist, hat ausgeführt: Der Beklagte hafte zwar dem Grunde nach gem. § 823 Abs. 1 BGB. Die Voraussetzungen für die Unzurechnungsfähigkeit des Beklagten gem. § 827 Satz 1 BGB könnten nicht festgestellt werden. Die Blutalkoholkonzentration von über 3 Promille reiche hierfür allein nicht aus. Weitere Indizien könnten nicht festgestellt werden. Die Haftung des Beklagten sei jedoch zu seinen Gunsten als berechtigtem Fahrer auf die vereinbarte Selbstbeteiligung von 770 EUR beschränkt. Die Vertragsbestimmung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin, die einen pauschalen und generellen Haftungsvorbehalt für den Fall der groben Fahrlässigkeit vorsieht, verstoße gegen § 307 BGB und sei deshalb unwirksam. Weil die Parteien des Mietvertrags eine Haftungsreduzierung für den Mieter nach Art der Vollkaskoversicherung mit Selbstbeteiligung vereinbart hätten, dürfe der Mieter darauf vertrauen, dass die Reichweite des mietvertraglich vereinbarten Schutzes im Wesentlichen dem Schutz entspreche, den er als Eigentümer des Kraftfahrzeugs und als Versicherungsnehmer in der Fahrzeugvollversicherung genießen würde. Dort wäre der pauschale Haftungsvorbehalt für grobe Fahrlässigkeit nach § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam, weil er mit wesentlichen Grundgedanken des seit 1.1.2008 geltenden § 81 Abs. 2 VVG nicht zu vereinbaren sei. Um eine unzulässige geltungserhaltende Reduktion zu vermeiden, müsse der Vorbehalt der Haftung für grobe Fahrlässigkeit insgesamt entfallen.

II.

Rz. 6

Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

Rz. 7

1. Zutreffend und von der Revision nicht angegriffen hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Beklagte dem Grunde nach gem. § 823 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet ist und die Voraussetzungen für die Unzurechnungsfähigkeit gem. § 827 Satz 1 BGB, die zur Beweislast des Schädigers stehen (vgl. BGH, Urt. v. 12.2.1963 - VI ZR 70/62, BGHZ 39, 103, 108; v. 1.7.1986 - VI ZR 294/85, BGHZ 98, 135, 136 ff.), nicht vorliegen.

Rz. 8

2. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts scheitert die Haftung des Beklagten aber nicht ohne Weiteres an der zwischen der Klägerin und der Arbeitgeberin des Beklagten vereinbarten vertraglichen Haftungsfreistellung.

Rz. 9

a) Mit Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass bei einem gewerblichen Kraftfahrzeugmietvertrag mit Haftungsfreistellung nach Art der Fahrzeugvollversicherung die Vertragsbestimmung, die die volle Haftung des Mieters oder seines berechtigten Fahrers bei grober Fahrlässigkeit vorsieht, gem. § 307 BGB unwirksam ist. Denn eine solche Klausel weicht von wesentlichen Grundgedanken der hier maßgeblichen gesetzlichen Regelung über die Fahrzeugvollversicherung ab und ist mit dieser nicht zu vereinbaren.

Rz. 10

aa) Gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist der Vertragspartner im Zweifel nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligt, wenn eine Vertragsbestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Von maßgeblicher Bedeutung ist insoweit, ob die dispositive gesetzliche Regelung nicht nur auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruht, sondern eine Ausprägung des Gerechtigkeitsgebots darstellt. Dabei brauchen Grundgedanken eines Rechtsbereichs nicht in Einzelbestimmungen formuliert zu sein. Es reicht aus, dass sie in allgemeinen, am Gerechtigkeitsgedanken ausgerichteten und auf das betreffende Rechtsgebiet anwendbaren Grundsätzen ihren Niederschlag gefunden haben (vgl. BGH, Urt. v. 9.10.1985 - VIII ZR 217/84, BGHZ 96, 103, 109; v. 25.6.1991 - XI ZR 257/90, BGHZ 115, 38, 42; v. 30.5.2001 - XII ZR 273/98, NJW 2001, 3480, 3482).

Rz. 11

Dementsprechend wird, wovon das Berufungsgericht zutreffend ausgeht, der Umfang einer entgeltlichen Haftungsfreistellung in einem gewerblichen Kraftfahrzeugmietvertrag am Leitbild der Kraftfahrzeugvollversicherung beurteilt. Vereinbaren die Parteien eines Kraftfahrzeugmietvertrags eine entgeltliche Haftungsreduzierung für den Mieter nach Art einer Vollkaskoversicherung, so darf dieser - wie der Versicherungsnehmer - darauf vertrauen, dass die Reichweite des mietvertraglich vereinbarten Schutzes im Wesentlichen dem Schutz entspricht, den er als Eigentümer des Kraftfahrzeugs und als Versicherungsnehmer in der Fahrzeugvollversicherung genießen würde. Nur bei Einräumung dieses Schutzes genügt der gewerbliche Vermieter von Kraftfahrzeugen seiner aus dem Grundsatz von Treu und Glauben erwachsenen Verpflichtung, schon bei der Festlegung seiner Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Interessen künftiger Vertragspartner angemessen zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urt. v. 29.10.1959 - II ZR 64/56, BGHZ 22, 109, 113 ff.; v. 20.5.2009 - XII ZR 94/07, BGHZ 181, 179 Rz. 13; v. 17.12.1980 - VIII ZR 316/79, VersR 1981, 349, 350; v. 16.12.1981 - VIII ZR 1/81, VersR 1982, 359, 360; v. 19.6.1985 - VIII ZR 250/84, VersR 1985, 1066, 1067; Christensen in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 11. Aufl., Bes. Vertragstypen, (22) Mietverträge Rz. 51; Rogler, r+s 2010, 1, 4).

Rz. 12

bb) In der Fahrzeugvollversicherung ist - wie auch sonst im Versicherungsvertragsrecht - eine Vertragsbestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, wonach der Versicherungsnehmer voll haftet, wenn er den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeiführt, regelmäßig gem. § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam (vgl. Baumann in Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., § 81 Rz. 189, 191; Burmann/Heß/Stahl, Versicherungsrecht im Straßenverkehr, 2. Aufl., Rz. 602; Halbach in Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung, 18. Aufl., § 81 VVG Rz. 26; Karczewski in Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, § 81 Rz. 114; MünchKommVVG/Looschelders, § 81 Rz. 140; Lorenz in FS Deutsch, 2009, S. 355, 366 f.; Prölss in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., § 81 Rz. 38; Rixecker, zfs 2007, 15, 16; Schmidt-Kessel in Looschelders/Pohlmann, VVG, 2010, § 81 Rz. 74; Spuhl in Marlow/Spuhl, Das neue VVG, 4. Aufl., Rz. 561).

Rz. 13

Eine Mindermeinung hält einen solchen Leistungsausschluss zwar für zulässig (Günther/Spielmann, r+s 2008, 133, 143). Dieser Ansicht ist aber nicht zu folgen. Die Abschaffung des Alles-oder-nichts-Prinzips durch § 81 Abs. 2 VVG in der seit 1.1.2008 geltenden Fassung war ein "zentraler Punkt" der Gesetzesreform (vgl. BT-Drucks. 16/3945, 49). Die formularmäßige Rückkehr zu § 61 VVG a.F. wird daher in der Regel als unzulässig, weil einem wesentlichen Grundgedanken (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) des Versicherungsvertragsrechts widersprechend, beurteilt (vgl. LG Göttingen, Urt. v. 18.11.2009 - 5 O 118/09, VersR 2010, 1490, 1491; LG Konstanz, Urt. v. 26.11.2009 - 3 O 119/09, zfs 2010, 214, 215 mit insoweit zustimmender Anmerkung Rixecker; LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 27.1.2010 - 8 O 10700/08, r+s 2010, 145, 148; LG Berlin, Urt. v. 26.1.2011 - 4 O 184/10, juris Rz. 29 ff.; Karczewski in Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 2009, § 81 Rz. 114; Rogler, r+s 2010, 1, 5).

Rz. 14

cc) Nach Ziff. 7 der Allgemeinen Vermietbedingungen wird dem berechtigten Fahrer der gleiche Umfang der Haftungsfreistellung gewährt wie dem Mieter, weshalb für die Beurteilung der Wirksamkeit der Klausel hier auch das Verhältnis des Vermieters zum Mieter maßgeblich ist. Die Erwartung einer der Fahrzeugvollversicherung entsprechenden Vertragsgestaltung besteht bei Kraftfahrzeugmietverträgen mit entgeltlicher Haftungsreduzierung auch hinsichtlich des Verhaltens eines Fahrers, dem der Mieter berechtigterweise das Mietfahrzeug überlässt, so dass entgegenstehende Geschäftsbedingungen gem. § 307 BGB unwirksam sind (vgl. BGH, Urt. v. 16.12.1981 - VIII ZR 1/81, VersR 1982, 359, 360; v. 20.5.2009 - XII ZR 94/07, BGHZ 181, 179 Rz. 16, 21 ff.). Das gilt auch für nach dem 1.1.2008 geschlossene Kraftfahrzeugmietverträge, bei denen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen abweichend von § 81 Abs. 2 VVG die volle Haftung des Mieters für vom berechtigten Fahrer grob fahrlässig herbeigeführte Schäden vorsehen (vgl. Looschelders/Paffenholz, JR 2010, 290, 293).

Rz. 15

b) Mit Erfolg rügt die Revision aber die Auffassung des Berufungsgerichts, der Vorbehalt der Haftung für grobe Fahrlässigkeit entfalle insgesamt, so dass der Beklagte im Fall grober Fahrlässigkeit nicht einmal anteilig hafte.

Rz. 16

Welche Rechtsfolgen die Unwirksamkeit der Klausel, die in einem gewerblichen Kraftfahrzeugmietvertrag mit entgeltlicher Haftungsreduzierung die volle Haftung für grob fahrlässig herbeigeführte Schäden vorsieht, nach sich zieht, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Teilweise wird, was das Berufungsgericht annimmt, ein ersatzloses Entfallen des Haftungsvorbehalts für grobe Fahrlässigkeit befürwortet mit der Folge, dass der Vermieter bei grob fahrlässiger Schadensverursachung keinen Schadensersatz verlangen kann (LG Berlin, Urt. v. 26.1.2011 - 4 O 184/10, DAR 2011, 264, 265; vgl. Rogler, r+s 2010, 1, 4 f. hinsichtlich eines Rückgriffs auf § 28 VVG für unwirksame Klauseln über Obliegenheitsverletzungen). Eine andere Auffassung will im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung - ggf. unter Inkaufnahme einer geltungserhaltenden Reduktion - § 81 Abs. 2 VVG entsprechend anwenden (LG Göttingen, Urt. v. 18.11.2009 - 5 O 118/09, VersR 2010, 1490, 1491; so wohl auch LG Konstanz, Urt. v. 26.11.2009 - 3 O 119/09, juris Rz. 44). Nach zutreffender Ansicht tritt an die Stelle der unwirksamen Klausel über den Haftungsvorbehalt bei grober Fahrlässigkeit gem. § 306 Abs. 2 BGB der Grundgedanke der gesetzlichen Regelung des § 81 Abs. 2 VVG (vgl. Rogler, jurisPR-VersR 3/2010 Anm. 2; vgl. ferner Nugel, jurisPR-VerkR 15/2010 Anm. 4).

Rz. 17

aa) Ist eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam, sind vorrangig die gesetzlichen Vorschriften als eine konkrete Ersatzregelung in Betracht zu ziehen (vgl. § 306 Abs. 2 BGB). Nur wenn solche nicht zur Verfügung stehen, stellt sich die Frage, ob ein ersatzloser Wegfall der unwirksamen Klausel eine sachgerechte Lösung darstellt. Scheiden beide Möglichkeiten aus, ist zu prüfen, ob durch eine ergänzende Vertragsauslegung eine interessengerechte Lösung gefunden werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 12.10.2005 - IV ZR 162/03, VersR 2005, 1565 Rz. 37).

Rz. 18

Ist eine Allgemeine Versicherungsbedingung nicht Vertragsbestandteil geworden, so treten an ihre Stelle die Regelungen des Versicherungsvertragsgesetzes (Basedow in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 306 Rz. 21; vgl. BGH, Urt. v. 21.12.1981 - II ZR 76/81, NJW 1982, 824, 825). Das gilt entsprechend für die Haftungsfreistellung bei der gewerblichen Kraftfahrzeugvermietung, die sich am Leitbild der Fahrzeugversicherung zu orientieren hat (vgl. BGH, Urt. v. 10.6.2009 - XII ZR 19/08, VersR 2010, 260 Rz. 18 f.; v. 2.12.2009 - XII ZR 117/08, NJW-RR 2010, 480 Rz. 14).

Rz. 19

bb) Weil sich der Umfang der vertraglichen Haftungsfreistellung am Leitbild der Kaskoversicherung orientiert, steht mit § 81 VVG für die Frage des Maßes der Haftung eine Vorschrift des dispositiven Rechts zur Verfügung, die geeignet ist, die infolge der Unwirksamkeit der Klausel entstehende Lücke zu schließen. Im Fall einer ungültigen Allgemeinen Versicherungsbedingung über die grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls käme nach § 306 Abs. 2 BGB die Regelung des § 81 Abs. 2 VVG zur Anwendung (vgl. Rogler, jurisPR-VersR 3/2010 Anm. 2; a.A. LG Berlin, Urt. v. 26.1.2011 - 4 O 184/10, DAR 2011, 264, 265). Da der Umfang der mietvertraglichen Haftungsfreistellung am Leitbild der Kaskoversicherung auszurichten ist, findet auch die Regelung des § 81 Abs. 2 VVG entsprechende Anwendung. Im Fall einer mietvertraglichen Haftungsfreistellung ist der Vermieter, der eine unwirksame Klausel verwendet, dem Versicherer gleichzustellen. Die Regelung des § 81 Abs. 2 VVG stellt auch für die mietvertragliche Haftungsfreistellung den vom Gesetzgeber bezweckten angemessenen Interessenausgleich zwischen den Parteien her.

Rz. 20

cc) Die entsprechende Anwendung von § 81 Abs. 2 VVG läuft entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts und anderer Instanzgerichte (LG Berlin, Urt. v. 26.1.2011 - 4 O 184/10, DAR 2011, 264, 265 f.; vgl. Rogler, r+s 2010, 1, 4 f. hinsichtlich eines Rückgriffs auf § 28 VVG für unwirksame Klauseln über Obliegenheitsverletzungen) nicht auf eine unzulässige geltungserhaltende Reduktion hinaus. Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion verlangt, dass eine gegen §§ 307 ff. BGB verstoßende Vertragsbestimmung nicht durch andere im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ermittelte Regelungen ersetzt wird, sondern insgesamt entfällt. Eine ergänzende Vertragsauslegung, die eine unwirksame Vertragsbestimmung auf den gerade noch zulässigen Inhalt reduziert, liefe dem Zweck der Regelungen über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen zuwider. Sie würde es dem Verwender ermöglichen, risikolos die Allgemeinen Geschäftsbedingungen einseitig in seinem Interesse auszugestalten. Der Zweck des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, den Vertragspartner des Verwenders vor ungültigen Klauseln zu schützen, den Rechtsverkehr von unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingungen freizuhalten und auf einen den Interessen beider Seiten gerecht werdenden Inhalt Allgemeiner Geschäftsbedingungen hinzuwirken, würde unterlaufen (BGH, Urt. v. 24.9.1985 - VI ZR 4/84, BGHZ 96, 18, 25 f.; BGH, Urt. v. 17.5.1982 - VII ZR 316/81, BGHZ 84, 109, 114 ff.). Die Geltung des - hier entsprechend anzuwendenden - dispositiven Gesetzesrechts anstelle einer unwirksamen Klausel verstößt nicht gegen das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion, sondern entspricht vielmehr seiner Intention (vgl. BGH, Urt. v. 24.9.1985 - VI ZR 4/84, BGHZ 96, 18, 26).

III.

Rz. 21

Der Senat kann nicht gem. § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden. Die Entscheidung über den Umfang der Anspruchskürzung entsprechend § 81 Abs. 2 VVG bedarf einer umfassenden Abwägung der Umstände des Einzelfalls (vgl. BGH, Urt. v. 22.6.2011 - IV ZR 255/10, VersR 2011, 1037, Rz. 33). Da das LG die streitgegenständliche Klausel als wirksam angesehen und das Berufungsgericht den Standpunkt vertreten hat, die streitgegenständliche Klausel sei unwirksam und werde nicht durch eine entsprechende Anwendung des § 81 Abs. 2 VVG ersetzt, bestand für die Parteien bislang kein Anlass, zu den für die Abwägung relevanten Umständen näher vorzutragen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2801687

BGHZ 2012, 150

BB 2011, 2817

NJW 2011, 8

NJW 2012, 222

EBE/BGH 2011, 372

JR 2012, 414

NZM 2012, 361

WM 2012, 865

ZAP 2011, 1185

ZIP 2011, 2260

ZIP 2011, 5

DAR 2012, 307

DAR 2012, 455

MDR 2011, 1408

MDR 2011, 8

NJ 2011, 6

NJ 2012, 5

NZV 2012, 28

VRS 2012, 72

VersR 2011, 1524

VuR 2012, 44

ZfS 2011, 697

NJW-Spezial 2011, 714

SVR 2012, 20

VRA 2011, 200

VRR 2012, 62

ZGS 2011, 567

r+s 2012, 14

FMP 2011, 204

NRÜ 2011, 531

Verkehrsjurist 2012, 9

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