Entscheidungsstichwort (Thema)

Beendigung einer für die unbekannten Nacherben des Erblassers angeordneten Pflegschaft

 

Leitsatz (amtlich)

Beantragt der Vorerbe zur Niederschrift des Notars, ihm einen Erbschein zu dessen Händen zu erteilen, so obliegt die Amtspflicht, den erteilten Erbschein zu prüfen, ob er dem beantragten entspricht, dem Notar auch gegenüber dem bei dem Beurkundungsgeschäft nicht beteiligten Nacherben. Einen für ihn erkennbar unrichtig erteilten Erbschein darf er dem Vorerben nicht aushändigen.

 

Normenkette

BNotO § 14 Abs. 2, § 19 Abs. 1 S. 1; BGB §§ 2353, 2363 Abs. 1, § 1913; ZPO § 51 Abs. 1; BNotO § 24 Abs. 1

 

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen vom 7. März 1986 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Kläger nehmen den beklagten Notar wegen behaupteter Amtspflichtverletzung auf Feststellung seiner Schadensersatzpflicht in Anspruch.

Die Kläger sind die unbekannten Nacherben des am 2. Januar 1975 verstorbenen Friedrich C. Dieser hatte zur Niederschrift des Beklagten ein Testament errichtet und darin seine Tochter als Vorerbin, mit deren Tode als Nacherben ihre etwaigen Kinder, als Ersatznacherbin eine dritte Person eingesetzt. Am 29. November 1977 beurkundete der Beklagte einen unter Bezugnahme auf dieses Testament gestellten Antrag der Tochter des Erblassers, ihr zu seinen Händen einen sie als Vorerbin ausweisenden Erbschein zu erteilen. Das Nachlaßgericht erteilte den Erbschein vom ... 1978, der die Voraussetzungen der Nacherbschaft und die Nacherben richtig, dem Antrage entgegen jedoch angab, der Erblasser sei von seiner Tochter als befreiter Vorerbin beerbt worden. Eine Ausfertigung dieses Erbscheins übersandte es dem Beklagten, der sie mit Schreiben vom 19. Januar 1978 mit dem Bemerken, der Erbschein sei antragsgemäß erteilt worden, an die Antragstellerin weiterleitete.

Zum Nachlaß gehörte ein im Grundbuch von Lilienthal eingetragenes Grundstück. Die Vorerbin belastete es, nachdem sie am 3. Februar 1978 mit der aus dem Erbschein ersichtlichen Befreiung von den Beschränkungen ihres Verfügungsrechts als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen worden war, in der Zeit vom 8. Februar 1978 bis zum 28. Januar 1982 zugunsten verschiedener Gläubiger mit insgesamt sechs Grundschulden im Gesamtbetrage von 185.000 DM. Nach dem Vortrag der Kläger bestellte sie die erste dieser Grundschulden zur Niederschrift des Beklagten (Nr. ... dessen Urkundenrolle ...8) und veranlaßte dieser den grundbuchlichen Vollzug Nach dessen Vortrag lehnte er ab, die von der Vorerbin gewünschte Grundschuldbestellung zu beurkunden, weil sie nicht als befreite Vorerbin eingesetzt worden war.

Das Nachlaßgericht zog den Erbschein vom 12. Januar 1978 durch Beschluß vom 9. November 1982 als unrichtig ein und erteilte am ... 1983 der Vorerbin einen ihrem Antrage entsprechenden Erbschein. Den unbekannten Nacherben bestellte das Vormundschaftsgericht 1984 einen Pfleger mit dem Wirkungskreis, deren sich aus dem unrichtigen Erbschein ergebende Ansprüche zu prüfen und gegebenenfalls geltend zu machen. Am 17. Januar 1985 gebar die Vorerbin, die bis dahin kinderlos gewesen war, eine Tochter.

Der Pfleger ist der Auffassung, der Beklagte habe durch die unbeanstandete Entgegennahme und Weiterleitung des dem Antrage der Vorerbin nicht entsprechenden Erbscheins eine ihm auch den Nacherben gegenüber obliegende Amtspflicht schuldhaft verletzt. Da sie wegen Mittellosigkeit der Vorerbin auf andere Weise Ersatz nicht zu erlangen vermöchten, sei er verpflichtet, den durch die Belastung des Nachlaßgrundstücks mit den Grundschulden bei Eintritt der Nacherbfolge ihnen entstehenden Schaden zu ersetzen.

Die Klage auf Feststellung dieser Schadensersatzpflicht blieb in beiden Tatsacheninstanzen ohne Erfolg. Mit der Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgen die Kläger den Anspruch weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

I.

Die für die unbekannten Nacherben des Erblassers angeordnete Pflegschaft endigte durch die Geburt der Tochter der Vorerbin nicht. Es handelt sich um eine Pflegschaft nach § 1913 BGB, die erst mit ihrer - bisher nicht erfolgten - Aufhebung durch das Vormundschaftsgericht endigt (§ 1919 BGB). Im übrigen steht erst mit dem Eintritt des Nacherbfalls fest, ob die Tochter der Vorerbin Nacherbin wird (vgl. §§ 2108 Abs. 1, 1923 Abs. 1 BGB) und ob neben ihr weitere Kinder der Vorerbin Nacherben sind.

Der Pfleger ist mithin auch nach der Geburt der Tochter der Vorerbin berechtigt, als gesetzlicher Vertreter der Pfleglinge den Prozeß zu führen (§ 51 Abs. 1 ZPO; vgl. KG in OLGZ 41, 80; Palandt/Diederichsen, BGB 46 Aufl. § 1913 Anm. 3).

II.

Das Berufungsgericht meint, das Landgericht, dessen Urteil es in Bezug nimmt, habe mit zutreffender Begründung eine Haftung des Beklagten gemäß § 19 BNotO verneint. Dabei könne dahinstehen, ob der Erbschein vom 12. Januar 1978 unrichtig gewesen sei und dem Beklagten aufgrund augrund der Aufnahme des Erbscheinsantrages gemäß § 24 BNotO gegenüber der Vorerbin eine Hinweispflicht darauf oblegen habe. Selbst wenn man das bejahte, könnte diese Verpflichtung nur aus dem Auftrag zur Entgegennahme des Erbscheins hergeleitet werden, nicht auch aus der Tätigkeit des Beklagten bei der Beurkundung des Erbscheinsantrages. Seine Beratungstätigkeit aufgrund des beurkundeten Erbscheinsantrages habe sich nur auf die Wahrnehmung der Belange der Vorerbin als Auftraggeberin beschränkt. Dafür, daß er auch schutzwürdige Interessen der Kläger hätte berücksichtigen müssen, ergebe sich kein Anhalt.

Mit dieser Begründung kann der Anspruch nicht verneint werden. Sie ist, wie die Revision mit Recht geltend macht, in mehrfacher Hinsicht von Rechtsirrtum beeinflußt.

1.

Das Berufungsurteil und das von ihm in Bezug genommene Urteil des Landgerichts teilen den Wortlaut der letztwilligen Verfügung des Erblassers nicht mit. Der Berufungsrichter trifft zu ihrer Auslegung keine Feststellungen, sondern läßt ausdrücklich offen, ob der aufgrund der letztwilligen Verfügung ursprünglich erteilte Erbschein unrichtig gewesen sei. Deshalb ist für die Revisionsinstanz der Vortrag der Kläger zu unterstellen, der Erblasser habe seine Tochter als Vorerbin eingesetzt, ohne sie nach § 2136 BGB von der Beschränkung des § 2113 Abs. 1 BGB zu befreien. Die Tochter des Erblassers hat somit am 29. November 1977 zur Niederschrift des Beklagten zu Recht beantragt, ihr einen sie als Vorerbin ausweisenden Erbschein zu erteilen.

Nach § 2363 Abs. 1 BGB ist in dem Erbscheine, der einem Vorerben erteilt wird, anzugeben, daß eine Nacherbfolge angeordnet ist, unter welchen Voraussetzungen sie eintritt und wer der Nacherbe ist (Satz 1). Hat der Erblasser den Nacherben auf dasjenige eingesetzt, was von der Erbschaft bei dem Eintritte der Nacherbfolge übrig sein wird, oder hat er bestimmt, daß der Vorerbe zur freien Verfügung über die Erbschaft berechtigt sein soll, so ist auch dies anzugeben (Satz 2). Der eine solche Befreiung angebende Erbschein vom 12. Januar 1978 war mithin unrichtig. Nach § 2365 BGB wird vermutet, daß demjenigen, welcher in dem Erbschein als Erbe bezeichnet ist, das in dem Erbschein angegebene Erbrecht zustehe und daß er nicht durch andere als die angegebenen Anordnungen beschränkt sei. Deshalb ist die Tochter des Erblassers im Grundbuch für das Nachlaßgrundstück als befreite Vorerbin eingetragen worden (vgl. §§ 35 Abs. 1 Satz 1, 51 GBO) und wurde auch das Grundbuch insoweit unrichtig.

2.

Die von der nichtbefreiten Vorerbin über das zur Erbschaft gehörende Grundstück durch Bestellung der Grundschulden getroffenen Verfügungen sind im Falle des Eintritts der Nacherbfolge insoweit unwirksam, als sie das Recht des Nacherben vereiteln oder beeinträchtigen würden (§ 2113 Abs. 1 BGB). § 2113 Abs. 3 BGB bestimmt jedoch, daß die Vorschriften zugunsten derjenige, welche Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten, entsprechende Anwendung finden. Deshalb hätten die Grundschuldgläubiger im Falle des Eintritts erworben, wenn ihnen die Unrichtigkeit des Grundbuchs hinsichtlich der eingetragenen Befreiung der Vorerbin bekannt gewesen wäre (§ 892 Abs. I BGB.). Das war nicht der Fall. Mithin würden die Grundpfandrechte, wenn sie bei Eintritt der Nacherbfolge noch beständen, das Recht der Nacherben beeinträchtigen. Diese haben jedoch bereits in der Zeit zwischen dem Eintritt des Erbfalls und dem des Nacherbfalls eine rechtlich gesicherte Anwartschaft und die Möglichkeit, sich dagegen zu sichern, daß der Vorerbe die Erbschaft nicht ordnungsmäßig verwaltet. So kann der Nacherbe Sicherheitsleistung verlangen, wenn durch das Verhalten des Vorerben oder durch seine ungünstige Vermögenslage die Besorgnis einer erheblichen Verletzung der Rechte des Nacherben begründet wird (§ 2128 Abs. 1 BGB), und kann unter dieser Voraussetzung dem Vorerben die Verwaltung mit der Folge entzogen werden, daß er das Recht verliert, über Erbschaftsgegenstände zu verfügen (§§ 2128 Abs. 2, 2129 Abs. 1 BGB). Das Reichsgericht hat entschieden (RGZ 139, 343, 347), daß der Nacherbe bereits geschädigt sei, wenn dem Vorerben durch eine Amtspflichtverletzung ermöglicht wird, mit dem gebundenen Nachlaß unwirtschaftlich zu verfahren, dies aber bei Beachtung der Nacherbfolge vermieden worden wäre. Das Anwartschaftsrecht der Kläger wurde dadurch, daß in dem der Vorerbin erteilten und an sie vom Beklagten weitergeleiteten Erbschein vom 12. Januar 1978 sie unrichtig als befreite Vorerbin angegeben worden war, zumindest gefährdet und ist durch die Belastung des Nachlaßgrundstückes beeinträchtigt worden. Erhalten die Kläger nach dem Eintritt der Nacherbfolge nunmehr die Erbschaft nicht in dem Zustande, der sich bei einer bis zur Herausgabe fortgesetzten ordnungsmäßigen Verwaltung ergeben hätte (vgl. § 2130 Abs. 1 BGB), liegt darin eine Folge dieser Beeinträchtigung.

3.

Die Kläger machen geltend, der Schaden beruhe auch auf schuldhafter Verletzung einer dem Beklagten ihnen gegenüber obliegenden Amtspflicht.

Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 BNotO hat der Notar, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem anderen gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt, diesem den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Notar nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag; das gilt jedoch nicht bei Amtsgeschäften der in §§ 23, 24 bezeichneten Art im Verhältnis zwischen dem Notar und dem Auftraggeber (Satz 2). Im übrigen sind die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Schadensersatzpflicht im Fall einer von einem Beamten begangenen Amtspflichtverletzung entsprechend anwendbar (Satz 3).

a)

Da der Beklagte am ... 1977 den nach der letztwilligen Verfügung richtigen Antrag der Tochter des Erblassers beurkundete, ihr einen sie lediglich als Vorerbin ausweisenden Erbschein zu erteilen, hat er insoweit keine Amtspflicht verletzt. Seine Amtstätigkeit als Notar wäre mit der Beurkundung des Antrages beendet gewesen, wenn nicht von der Antragstellerin in der Urkunde weiter beantragt worden wäre, den Erbschein zu Händen des Beklagten zu erteilen, und er es übernommen hätte, den Erbschein für sie entgegenzunehmen. Ob es sich dabei um die Übernahme eines selbständigen Betreuungsgeschäftes nach § 24 Abs. 1 BNotO handelte oder lediglich um die Übernahme einer unselbständigen, als Teil des Beurkundungsgeschäftes zu bewertenden Amtstätigkeit (vgl. BGHZ 31, 5, 6; BGH, Urt. v. 5. Februar 1974 - VI ZR 71/72, VersR 1974, 667; Arndt, Bundesnotarordnung, 2. Aufl., § 19 BNotO, Anm. 2.5.1., m.w.N.), bedarf keiner Entscheidung. Der Notar handelt - gleichgültig, ob er als Urkundsperson oder in sonstiger Weise, d.h. unabhängig von einer Beurkundung, rechtsbetreuend tätig wird - stets in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes (BGH, Urt. v. 8. Februar 1974 - V ZR 21/72, NJW 1974, 692). Der Umfang seiner Haftung wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Verletzung einer ihm insoweit etwa auch den Klägern gegenüber obliegenden Amtspflicht wäre in beiden Fällen derselbe, weil die in § 19 Abs. 1 Satz 2, 2. Hs. BNotO für Amtsgeschäfte der in § 24 BNotO bezeichneten Art getroffene Ausnahmeregelung nur im Verhältnis zwischen dem Notar und dem Auftraggeber gilt. Auftraggeber des Beklagten waren die Kläger nicht.

b)

Die weitere Amtstätigkeit des Beklagten als Notar erschöpfte sich nicht darin, den der Vorerbin aufgrund ihres von ihm beurkundeten Antrages zu seinen Händen erteilten Erbschein für sie entgegenzunehmen und wie ein Bote an sie weiterzuleiten, sondern begründete für ihn ihr gegenüber auch die Amtspflicht, den Erbschein darauf zu prüfen, ob er dem gestellten Antrage entsprach. Der Beklagte leitete den unrichtigen Erbschein an die Vorerbin mit dem unrichtigen Bemerken weiter, er sei antragsgemäß erteilt worden. Hätte er die Prüfung mit der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt vorgenommen, hätte sich ergeben, daß der Erbschein nicht antragsgemäß erteilt worden war. Nach § 14 Abs. 2 BNotO hat der Notar seine Amtstätigkeit zu versagen, wenn sie mit wenn seine Mitwirkung bei Handlungen verlangt wird, mit denen erkennbar unerlaubte oder unredliche Zwecke verfolgt werden. Der Beklagte hätte deshalb den unrichtigen Erbschein der Vorerbin nicht aushändigen dürfen und dem Nachlaßgericht einen Hinweis auf die Unrichtigkeit des Erbscheins geben müssen.

c)

Das Berufungsgericht hat nicht geprüft, ob das Vorbringen der Kläger zutrifft, der Beklagte habe am 8. Februar 1978 zu Nr. ... seiner Urkundenrolle ...8 die Bestellung der ersten Grundschuld durch die Vorerbin beurkundet und den grundbuchlichen Vollzug veranlaßt, obgleich er gewußt habe, daß sie nicht als befreite Vorerbin eingesetzt worden war. Gegen die Nichtberücksichtigung dieses Vortrags richtet sich keine nach § 554 Abs. 3 Nr. 3 b ZPO ausgeführte Verfahrensrüge. Deshalb hatte sich der Senat auf die Prüfung der Frage zu beschränken, ob dem Beklagten die Amtspflicht, für die Erteilung eines dem von ihm beurkundeten Antrage entsprechenden Erbscheines zu sorgen, auch gegenüber den Klägern oblag. Sie ist entgegen der Ansicht des Landgerichts und des Berufungsgerichts zu bejahen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 31, 5, 10 m.w.N.; BGH, Urt. v. 5. März 1974 - VI ZR 222/72, VersR 1974, 782; Urt. v. 11. Februar 1983 - V ZR 300/81, WM 1983, 416, 417) sind "Dritte" i. S. des § 19 BNotO nicht nur die an dem Amtsgeschäft unmittelbar beteiligten und etwaige sonst gemäß § 17 BeurkG zu belehrende Personen, sondern alle jene, deren Interesse durch das Amtsgeschäft nach dessen besonderer Natur berührt sogar wenn sie durch die Amtsausübung nur mittelbar betroffen werden und bei der Beurkundung nicht zugegen waren. Die unter dieser Voraussetzung mögliche Einbeziehung Dritter in den Amtspflichtbereich gilt nicht nur für die Beurkundungstätigkeit, sondern grundsätzlich für jede Amtshandlung des Notars, mithin auch für die beratende und betreuende Tätigkeit. Eine selbständige Betreuungstätigkeit der in § 24 BNotO genannten Art beschränkt sich im allgemeinen auf die Wahrnehmung der Belange des Auftraggebers, weil eine solche Tätigkeit in der Regel nur in dessen Interesse liegt. Das muß jedoch nicht so sein (BGH, Urt. v. 11. Februar 1983 aaO). Im vorliegenden Falle sind die aufgezeigten Voraussetzungen, unter denen an einem Amtsgeschäft nicht unmittelbar beteiligte Personen als "Dritte" i. S. des § 19 BNotO anzusehen sind, denen gegenüber der Notar Amtspflichten zu beachten hat, für die Kläger unabhängig davon gegeben, ob es sich bei der von dem Beklagten übernommenen Prüfung des Erbscheins um eine unselbständige, als Teil des Beurkundungsgeschäftes zu bewertende Amtstätigkeit oder um ein selbständiges Betreuungsgeschäft handelt. Durch den einem Vorerben erteilten Erbschein wird wegen des öffentlichen Glaubens (§ 2366 BGB) unmittelbar in den Rechtskreis des Nacherben eingegriffen, dessen Rechte - wie hier geschehen - geschädigt werden können, wenn der Erbschein unrichtig die Befreiung des Vorerben von den gesetzlichen Beschränkungen seines Verfügungsrechts angibt. Deshalb auch kann der Nacherbe von dem Besitzer eines unrichtigen Erbscheins die Herausgabe an das Nachlaßgericht verlangen (§§ 2363 Abs. 2, 2362 Abs. 1 BGB). Die allgemeine Amtspflicht des § 14 Abs. 2 BNotO oblag dem Beklagten nicht nur gegenüber der Vorerbin, sondern auch gegenüber den Klägern, soweit deren Anwartschaftsrecht durch seine Amtstätigkeit beeinträchtigt werden konnte.

d)

Diese ihm auch gegenüber den Klägern obliegende Amtspflicht hat der Beklagte zumindest fahrlässig dadurch verletzt, daß er den zu seinen Händen erteilten unrichtigen Erbschein, ohne ihn mit der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt darauf geprüft zu haben, ob er dem Erbscheinsantrage entsprach, an die Vorerbin mit dem Bemerken weiterleitete, er sei antragsgemäß erteilt worden, und ihr dadurch ermöglichte, daß sie entgegen der wahren Rechtslage als befreite Vorerbin im Grundbuch eingetragen wurde und dann das Grundstück mit Wirkung gegen die Nacherben belasten konnte.

e)

Fällt dem Beklagten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn die Kläger nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermögen. Die Kläger haben behauptet, daß die Vorerbin vermögenslos sei. Ob dies zutrifft, hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus zu Recht - nicht geprüft. Der Schadensersatzanspruch der Kläger ist seinem Rechtsgrunde nach bereits entstanden. Deshalb ist für die Frage anderwertigter Ersatzmöglichkeit nicht auf die Zukunft, sondern auf die Gegenwart abzustellen. Dabei kommt es darauf an, daß der Verletzte zur Zeit der Klageerhebung keine andere Ersatzmöglichkeit hat und daß er auch eine früher vorhandene nicht schuldhaft versäumte (RGZ aaO, S. 349).

f)

Der Schadensersatzanspruch der Kläger scheitert nicht daran, daß das Landgericht und des Berufungsgericht die Schadensersatzpflicht des Beklagten verneint haben. Der scheidet, wenn ein mit mehreren Rechtskundigen besetztes Kollegialgericht sein Verhalten nach sorgfältiger Prüfung des Sachverhalts sein Verhalten auch sorgfältiger Prüfung greift hier nicht ein. Er ist unanwendbar, wenn das Kollegialgericht in entscheidenden Punkten von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist oder den Sachverhalt nicht erschöpfend gewürdigt hat (vgl. Senatsurt. v. 24. Oktober 1985 - IX ZR 91/84, WM 1986, 444, 446; insoweit in BGHZ 96, 157 nicht abgedruckt). Beide Gerichte haben es übersehen, den Sachverhalt auch unter Berücksichtigung der sich aus § 14 Abs. 2 BNotO für den Beklagten ergebenden allgemeinen Amtspflicht rechtlich zu würdigen.

g)

Die Feststellungsklage ist zulässig, weil die Kläger Gefahr laufen, daß ihr Anspruch verjährt (§ 19 Abs. 1 Satz 3 BNotO, § 852 Abs. 1 BGB), bevor sie ihn beziffern können, und deshalb ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung der Schadensersatzpflicht des Beklagten haben (§ 256 Abs. 1 ZPO).

III.

Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, die erforderlichen Feststellungen nachzuholen.

Für das weitere Verfahren scheint folgender Hinweis geboten:

Nach dem Vortrage der Parteien haben die Kläger wegen der Erteilung des unrichtigen Erbscheins auch das Land Niedersachsen auf Feststellung seiner Schadensersatzpflicht in Anspruch genommen und ein obsiegendes Urteil erlangt. Sollte das zutreffen, käme eine Haftung des Beklagten gegenüber den Klägern nur als Gesamtschuldner mit dem Lande Niedersachsen in Betracht (§ 840 Abs. 1 BGB).

 

Unterschriften

Merz

Henkel

Gärtner

Winter

Schmitz

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456222

NJW 1988, 63

DNotZ 1988, 372

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