Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitragsvorschüsse, die ein Arbeitgeber einer Ortskrankenkasse zahlt, die dieser als Sicherheit dienen sollen

 

Leitsatz (amtlich)

  1. Beitragsvorschüsse, die ein Arbeitgeber aufgrund einer aus § 403 RVO abgeleiteten Anforderung einer Ortskrankenkasse zahlt und die dieser als Sicherheit dienen sollen, damit sie im Krisenfalle darauf zurückgreifen kann, werden nicht bei Fälligkeit des nächsten Beitrags mit den dann fällig werdenden Beitragsforderungen verrechnet.
  2. Auf die Verrechnung derartiger Beitragsvorschüsse finden die §§ 366, 367 BGB keine Anwendung.
  3. Der Geschäftsführer einer GmbH, der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung einbehält und nicht an den Sozialversicherungsträger abführt, haftet diesem gegenüber aus § 823 Abs. 2 BGB nicht für die von dem Sozialversicherungsträger gemäß Art. I § 24 Abs. 1 SGB IV erhobenen Säumniszuschläge.
 

Normenkette

BGB §§ 366-367; RVO § 529 Abs. 1, §§ 1428, 403; BGB § 823 Abs. 2

 

Tenor

  1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 15. Februar 1984 unter deren Zurückweisung im übrigen teilweise aufgehoben und wie folgt neu gefaßt:

    Auf die Berufung des Beklagten wird das am 15. Juni 1983 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg teilweise abgeändert:

    Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.146,99 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 8. Juli 1979 zu zahlen.

    Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

    Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

  2. Die durch die Anrufung des örtlich unzuständigen Landgerichts Kleve entstandenen Mehrkosten hat die Klägerin zu tragen. Von den übrigen Kosten des ersten Rechtszuges haben die Klägerin 7/10 und der Beklagte 3/10 zu tragen und von den Kosten der Rechtsmittelzüge die Klägerin 3/100 und der Beklagte 97/100.
 

Tatbestand

Die klagende Ortskrankenkasse nimmt den Beklagten als alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer der W.-Baugesellschaft mbH (im folgenden: W.-BauGmbH) wegen einbehaltener und nicht abgeführter Arbeitnehmeranteile von Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung, Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung für Juni 1979 in Anspruch.

Die W.-BauGmbH beschäftigte im Juni 1979 13 Arbeitnehmer, die bei der Klägerin pflichtversichert waren. Sie schuldete für diese Arbeitnehmer für den Monat Juni 1979 Arbeitnehmeranteile zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung von insgesamt 5.169,20 DM.

Durch Vorschußbescheid vom 22. Juni 1979 forderte die Klägerin nach Maßgabe des § 15 ihrer Satzung von der W.-BauGmbH, die bereits gegenüber der früher für sie zuständigen AOK W. in Zahlungsrückstand geraten war, einen Beitragsvorschuß in voraussichtlicher Höhe eines doppelten Monatsbeitrages an, den sie auf 18.000 DM festsetzte. Mit Schreiben vom 29. Juni 1979 erklärte sich die Klägerin damit einverstanden, daß die W.-BauGmbH den Vorschuß in Raten zahlte. Die Raten sollten mit den laufenden monatlichen Beiträgen entrichtet werden, die erste Rate aber bis zum 4. Juli 1979. Die W.-BauGmbH überwies am 2. Juli 1979 6.000 DM an die Klägerin. Auf dem Überweisungsträger gab sie an: "Beitragsvorschuß - 1. Rate". Zahlungen auf die Arbeitnehmer- und die Arbeitgeberanteile von Juni 1979 leistete sie dagegen trotz Mahnung nicht. Die W.-BauGmbH hatte deshalb zusätzlich noch 156,86 DM Säumniszuschläge, Kosten und Gebühren an die Klägerin zu zahlen. Mit Schreiben vom 17. August 1979 bat die Klägerin, den gezahlten Beitragsvorschuß mit dem Arbeit nehmer anteil für Juni 1979 zu verrechnen. Die Klägerin antwortete ihr darauf mit Schreiben vom 24. September 1979 folgendes: "Wir teilen Ihnen mit, daß wir wunschgemäß den gezahlten Beitragsvorschuß abgesetzt haben, müssen Ihnen jedoch mitteilen, daß wir diesen Beitragsvorschuß nicht auf den Arbeitnehmeranteil verrechnen können, sondern auf Ihren Beitragsrückstand, der zur Zeit 19.493,27 DM beträgt".

Über das Vermögen der W.-BauGmbH wurde am 7. September 1979 auf Antrag der A. W. das Konkursverfahren eröffnet, das am 28. Dezember 1979 mangels Masse eingestellt wurde. Aus der Konkursmasse erhielt die Klägerin eine Konkursquote von 0,4297 %, das sind 22,89 DM, auf die rückständigen Arbeitnehmerbeiträge für Juni 1979.

Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin von dem Beklagten zunächst 11.942,47 DM nebst Zinsen verlangt. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 5.326,06 DM nebst Zinsen stattgegeben und im übrigen die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Verurteilungssumme auf 5.303,17 DM ermäßigt. Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf völlige Abweisung der Klage weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht stellt fest, den Beklagten habe als vertretungsberechtigtes Organ der W.-BauGmbH die Verantwortung für die ordnungsgemäße Erfüllung der Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung getroffen. Er habe diese Verpflichtung gekannt, dennoch aber die Arbeitnehmeranteile für Juni 1979 nicht an die Klägerin abgeführt. Das Berufungsgericht hält deshalb den Beklagten gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 529 Abs. 1, 1428 Abs. 1 RVO, §§ 118, 121 AVG, § 225 AFG für verpflichtet, der Klägerin die von der W.-BauGmbH ihren Arbeitnehmern im Juni 1979 einbehaltenen und nicht abgeführten Anteile zur Sozialversicherung einschließlich der Säumniszuschläge, Kosten und Gebühren zu erstatten. Mit der Überweisung der ersten Rate des Beitragsvorschusses hat der Beklagte nach Auffassung des Berufungsgerichts seine Abführungspflicht nicht erfüllt, da der Vorschuß nicht der Tilgung laufender Beitragsschulden gedient habe. Entgegen der Ansicht des Beklagten habe auch keine Verpflichtung der Klägerin bestanden, nachträglich diese Zahlung auf die noch geschuldeten Arbeitnehmeranteile zu verrechnen.

II.

Die Revision ist im wesentlichen nicht begründet.

1.

Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, daß das Berufungsgericht den Beklagten für verpflichtet hält, der Klägerin die von der W.-BauGmbH einbehaltenen Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung in Höhe von 5.146,99 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 8. Juli 1979 zu ersetzen.

a)

Zutreffend und auch insoweit von der Revision nicht angegriffen geht das Berufungsgericht davon aus, der Beklagte habe als Geschäftsführer der W.-BauGmbH im Juni 1979 die von den Löhnen und Gehältern der Arbeitnehmer dieser Gesellschaft einbehaltenen und (nach Verrechnung des Guthabens nach § 10 LFZG) noch geschuldeten Arbeitnehmeranteile für die Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung in Höhe von 5.169,20 DM nicht am Fälligkeitstag an die Klägerin abgeführt, ihr diesen Betrag vielmehr vorsätzlich vorenthalten. Der Beklagte ist deshalb nach § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 529 Abs. 1, 1428 Abs. 1 RVO, §§ 118, 121 AVG, § 225 AFG verpflichtet, der Klägerin in Höhe dieser Beträge Schadensersatz zu leisten, falls sich nicht nachträglich die entsprechende Schuld der W.-BauGmbH ermäßigt hat.

b)

Im Ergebnis ist es auch rechtlich nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht annimmt, der Beklagte habe keinen Anspruch darauf gehabt, daß die Klägerin die gemäß § 403 RVO i.V.m. § 15 ihrer Satzung von der W.-BauGmbH erhaltene Vorauszahlung in Höhe von 6.000 DM auf diese Arbeitnehmeranteile verrechnete.

aa)

Die Zahlung der 6.000 DM führte nicht automatisch im Zeitpunkt der Fälligkeit der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberanteile für den Monat Juni 1979 zur vollständigen oder auch nur teilweisen Tilgung der geschuldeten Arbeitnehmeranteile. Derartige Vorauszahlungen dienen, wovon auch das Berufungsgericht ausgeht, zur Sicherung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile), und zwar nicht nur für die Krankenversicherung, sondern auch für die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten (vgl. § 1400 Abs. 1 RVO, § 122 Abs. 1 AVG) und die Arbeitslosenversicherung (§ 179 AFG). Sie sollen den Sozialversicherungsträger jederzeit vor möglichen Einnahmeausfällen wegen mangelnder Zahlungsfähigkeit eines Arbeitgebers schützen und damit die von den Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu deren sozialer Sicherung gemeinsam aufzubringenden Beiträge bestmöglich sichern (Schlesw. Holst. SG, KVRS, Kennzahl 3240/26) und sind ihrem Zweck nach auch dazu bestimmt, sie gegf. später mit fälligen, aber nicht geleisteten Beiträgen zu verrechnen. Das Berufungsgericht legt jedoch, auch von der Revision unbeanstandet, den bestandskräftigen Vorschußbescheid und das Schreiben der Klägerin vom 29. Juni 1979 dahin aus, daß der von der W.-BauGmbH verlangte Vorschuß nicht bei Fälligkeit des nächsten Beitrags mit den fällig werdenden Beitragsforderungen verrechnet und dadurch aufgezehrt werden sollte (so offenbar Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 403 RVO Anm. 1; Decker, DOK 1959, 325, 326), sondern daß sich die Klägerin damit eine Sicherheit verschaffen wollte, um im Krisenfalle darauf zurückgreifen zu können. Der Vorschuß sollte daher nach dem Verständnis des Berufungsgerichts der Klägerin bis zur Beendigung der Mitgliedschaft der W.-BauGmbH bei ihr als Kaution zur Verfügung stehen.

bb)

Zutreffend nimmt das Berufungsgericht auch an, daß die Bestimmungen der §§ 366, 367 BGB nicht auf die Verrechnung der gemäß § 403 RVO geforderten und von dem Arbeitgeber gezahlten Beitragsvorschüsse anwendbar sind. Über die Verrechnung bereits an den Gläubiger geleisteter Zahlungen ist darin nichts ausgesagt. Sie enthalten nur Bestimmungen darüber, in welcher Weise Leistungen, die zur Tilgung mehrerer bestehender Verbindlichkeiten nicht ausreichen, auf diese Verbindlichkeiten anzurechnen sind. Dies hängt gemäß § 366 Abs. 1 BGB in erster Linie davon ab, welche Bestimmung der Schuldner bei der Leistung trifft. Entsprechend der von der W.-BauGmbH bereits bei der Überweisung der 6.000 DM getroffenen Bestimmung hat die Klägerin die Anrechnung dergestalt vorgenommen, daß sie den Betrag nicht auf die in dem laufenden Monat entstehende Beitragsschuld, sondern als Vorschußzahlung verbuchte, wobei deren Verwendung offen blieb. Nach dem Sinn und Zweck eines solchen Vorschusses muß es dem Sozialversicherungsträger überlassen bleiben, auf welche offenen Forderungen er im Krisenfalle den Vorschuß verrechnet. Dem Schuldner ist das Bestimmungsrecht genommen, wenn der Sozialversicherungsträger nicht ausdrücklich etwas anderes mit ihm vereinbart hat. Das Bestimmungsrecht über die Verrechnung mit Gegenansprüchen steht deshalb - ähnlich wie bei einer Mietkaution - allein dem Empfänger zu (vgl. zur Mietkaution: BGH, Urteil vom 12. Januar 1972 - VIII ZR 26/71 - WM 1972, 335, 337). Die Klägerin konnte daher den Vorschuß auf ihre Forderung auf Zahlung von Arbeitgeberbeiträgen verrechnen und die Bitte der W.-BauGmbH aus deren Schreiben vom 17. August 1979 unberücksichtigt lassen.

c)

Da auch gegen die Verrechnung der Konkursquote von 22,89 DM auf die noch offenen Arbeitnehmeranteile von 5.169,20 DM rechtliche Bedenken nicht bestehen (vgl. dazu jetzt Senatsurteil vom 12. Februar 1985 - VI ZR 68/83 - zur Veröffentlichung bestimmt) und die Revision den dem Zinsanspruch vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Eintritt des Verzugs nicht beanstandet, mußte die Revision erfolglos bleiben, soweit das Berufungsgericht den Beklagten verurteilt hat, 5.146,99 DM nebst Zinsen an die Klägerin zu zahlen.

2.

Soweit das Berufungsgericht den Beklagten allerdings auch für verpflichtet gehalten hat, die von der W.-BauGmbH geschuldeten Säumniszuschläge, Kosten und Gebühren in Höhe von 156,86 DM zu zahlen, mußte die Revision Erfolg haben.

a)

Bei den gemäß Art. I § 24 SGB IV von der Klägerin geforderten Säumniszuschlägen handelt es sich entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung nicht um eine gesetzlich zugelassene pauschalierte Berechnung des Verzugsschadens, den der Beklagte außer der Schadensersatzsumme zu zahlen hätte, sondern vielmehr um eine neben den Beitrag tretende Ungehorsamsfolge, deren Verhängung in das pflichtgemäße Ermessen des Sozialversicherungsträgers gestellt ist und die pünktliche Zahlung der Beiträge durch den Arbeitgeber in der Zukunft gewährleisten soll (vgl. Senatsurteil vom 18. Mai 1976 - VI ZR 241/73 - VersR 1976, 982, 984 zu dem früheren § 397 a RVO). Für derartige Zuschläge kommt auch § 823 Abs. 2 BGB nicht unmittelbar als Anspruchsgrundlage in Betracht, da Art. I § 24 SGB IV kein Schutzgesetz im Sinne dieser Vorschrift ist.

b)

Aus dem Sachvortrag der Klägerin ergibt sich auch nicht, ob die Kosten und Gebühren als vom Beklagten geschuldeter Verzugsschaden (§ 286 BGB) anzusehen sind. Die Klägerin hat nicht einmal angegeben, wodurch und in welcher Höhe diese entstanden sind. Für Kosten und Gebühren, welche die W.-BauGmbH der Klägerin schuldete, haftet der Beklagte über § 823 Abs. 2 BGB nicht (vgl. Wochner, DB 1977, 1092).

III.

Bei dieser Sachlage mußte das Berufungsurteil teilweise aufgehoben und das landgerichtliche Urteil weiter dahingehend abgeändert werden, daß die Klage auch noch bezüglich eines Betrages von 156,86 DM nebst Zinsen abgewiesen wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Steffen

Dr. Kullmann

Dr. Ankermann

Dr. Lepa

Dr. Schmitz

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456219

ZIP 1985, 996

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge