Tatbestand

Die Klägerin hatte im Jahre 1980 in einem Neubau im Auftrag der Beklagten ca. 11.000 qm Hallenböden gegen eine Pauschalvergütung von 260.000 DM mit Kunststoffestrichen und Kunststoffbeschichtungen zu versehen. Es sollten neben dem eigentlichen Vertragstext die VOB/B sowie von der Beklagten verwendete "Allgemeine Ausschreibungs- und Vertragsbedingungen für Bauleistungen" und "Zusätzliche Technische Vorschriften" gelten.

Vor Aufnahme der Arbeiten hat die Beklagte den Vertrag wegen Verzuges gekündigt, weil die Klägerin ihren wiederholten Weisungen zur Arbeitsaufnahme nicht nachgekommen sei.

Die Klägerin macht mit ihrer Klage den auf 116.000 DM (nebst Zinsen) bezifferten Anspruch aus §§ 8 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B, 649 BGB geltend.

Landgericht und Oberlandesgericht haben den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Mit der - angenommenen - Revision, um deren Zurückweisung die Klägerin bittet, will die Beklagte die Abweisung der Klage erreichen.

Entscheidunsgründe:

I.

Das Berufungsgericht geht davon aus, daß die Klägerin trotz - unstreitiger - Überschreitung vertraglicher Ausführungsfristen und obwohl die Beklagte sie ausdrücklich angewiesen habe, mit den Arbeiten zu beginnen, nicht mit der Erbringung ihrer Leistungen in Verzug geraten sei. Wegen des Zustandes der bauseits mit den Betonböden zu erbringenden Vorleistungen der Beklagten habe ihr nämlich ein Leistungsverweigerungsrecht zugestanden. Deshalb verneint das Berufungsgericht ein Kündigungsrecht der Beklagten aus §§ 8 Nr. 3, 5 Nr. 4 VOB/B und wertet die Kündigung nur als eine solche aus § 8 Nr. 1 Abs. 1 VOB/B.

Das hält den Angriffen der Revision stand:

1. Das Berufungsgericht sieht richtig, daß die Klägerin nach § 2035 der vereinbarten "Zusätzlichen Technischen Vorschriften" die von ihr geschuldeten Epoxydharzlackanstriche grundsätzlich nur auf "abgebundene und durchgetrocknete" Beton- oder Estrichflächen aufbringen durfte. Es stellt, sachverständig beraten, fest, daß die Betonflächen bei dem von der Beklagten geforderten Arbeitsbeginn und noch viel später, nämlich noch während der Besichtigung durch den Sachverständigen, diesen Zustand nicht erreicht hatten, sondern noch erheblich zu feucht waren. Das Berufungsgericht geht danach davon aus, daß die Klägerin die vertraglich geschuldeten Werkleistungen noch nicht habe erbringen können, vielmehr sowohl gegen ihre vertraglichen Verpflichtungen als auch gegen die anerkannten Regeln der Technik verstoßen hätte, wenn sie die Weisung der Beklagten befolgt und die Arbeit aufgenommen hätte.

Das läßt Rechtsfehler nicht erkennen; die Revision erhebt denn auch dazu keine Rügen.

2. Sie vertritt vielmehr nur noch die Auffassung, die Klägerin habe gegenüber der auf § 4 Nr. 1 Abs. 3 VOB/B gestützten Weisung der Beklagten, mit der Arbeit zu beginnen, zwar Bedenken im Sinne von § 4 Nr. 1 Abs. 4 VOB/B geltend machen dürfen, jedoch bei Meidung des Verzuges diese Weisung befolgen müssen. Der Interessenausgleich erfolge allein nach § 4 Nr. 1 Abs. 4 Satz 2 VOB/B; entsprechend §§ 13 Nr. 3, 4 Nr. 3 VOB/B sei damit auch das Schadensrisiko auf die Beklagte übergegangen. Das müsse jedenfalls dann gelten, wenn - wie hier - der Eintritt eines Schadens keineswegs "gewiß" sei; in einem solchen Falle gehe das Weisungsrecht des Auftraggebers vor.

Damit bleibt die Revision ohnc Erfolg.

Dem Berufungsgericht ist darin zu folgen, daß nach den von ihm festgestellten tatsächlichen Verhältnissen an der Baustelle die Klägerin der Weisung der Beklagten zur Arbeitsaufnahme nicht nachkommen mußte, ohne deswegen in Verzug zu geraten.

Dabei kann, weil der Revision nur günstig, unterstellt werden, daß die VOB/B und damit auch das Weisungsrecht des Auftraggebers nach § 4 Nr. 1 Abs. 3 VOB/B Bestandteil des Werkvertrages der Parteien geworden sind. Denn auch dieses Weisungsrecht darf nur in den Grenzen von Treu und Glauben ausgeübt werden (so z.B. Ingenstau/ Korbion, VOB, 10. Aufl., B § 4 Rdn. 53; vgl. auch Heiermann/Riedl/Schwab, VOB, 3. Aufl., B § 4 Rdn. 15; Nicklisch/Weick, VOB/B, § 4 Rdn. 37; Kiesel, VOB - Teil B, § 4 Rdn. 17 unter 6 d). Die Einhaltung dieser Grenzen zu überprüfen, ist regelmäßig Aufgabe der Tatrichter. Das Berufungsgericht hat die in diesem Zusammenhang auftretenden Fragen erkannt. Es stellt, von der Revision nicht angefochten, hierzu weiter fest, daß die Beklagte auf die fachlich begründeten Bedenken der Klägerin überhaupt nicht eingegangen ist. Darüber hinaus hat sie auch die von der Klägerin für den Fall einer entgegen ihren Bedenken weisungsgemäß erfolgenden Arbeitsaufnahme erbetene Freistellung von der Gewährleistung begründungslos abgelehnt. Jedenfalls unter diesen besonderen Umständen hält das Berufungsgericht die Weisung der Beklagten, die Werkleistungen auf eine gegen den Bauvertrag und gegen die Regeln der Technik verstoßende Weise zu erbringen, nicht mehr mit Treu und Glauben vereinbar, weshalb ihre Nichtbefolgung Verzug nicht auslöse.

Dagegen kommt die Revision nicht an, die allein ihre Wertung zu Treu und Glauben an die Stelle derjenigen des Tatrichters setzen will. Insbesondere mußte das Berufungsgericht nicht deshalb zu einem der Beklagten günstigeren Ergebnis gelangen, weil letztlich keine Gewißheit bezüglich des Eintrittes von Schäden bei weisungsgerechter Aufnahme der Arbeiten bestanden hat. Dem Auftraggeber nur dann ein Leistungsverweigerungsrecht zuzugestehen, wenn die verlangte vorzeitige Ausführung der Arbeiten mit Sicherheit zu einem Mangel führen würde (so Locher, Das private Baurecht, 3. Aufl. Rdn. 99) wäre nicht gerechtfertigt. Das Berufungsgericht durfte vielmehr in tatrichterlicher Würdigung aller hier zu berücksichtigenden Umstände annehmen, daß die Klägerin als Auftragnehmerin nicht verpflichtet war, sich einen ihrer begründeten Meinung nach ernstlich drohenden Gewährleistungsfall nicht absehbaren Ausmaßes geradezu aufzwingen zu lassen. Das muß die Revision hinnehmen mit der Folge, daß die von der Beklagten ausgesprochene Auftragsentziehung eine "freie" Kündigung im Sinne des § 8 Nr. 1 Abs. 1 VOB/B darstellt.

II.

Abschnitt VII Nr. 1 der von der Beklagten verwendeten "Allgemeinen Ausschreibungs- und Vertragsbedingungen für Bauleistungen" lautet:

"Kündigt der Auftraggeber den Vertrag ohne besonderen Grund (§ 8 Ziff. 1 Abs. 1 VOB/Teil B), so erfolgt die Abrechnung der Leistungen des Auftragnehmers gemäß § 6 Ziff. 5 VOB/Teil B, weitergehende Ansprüche des Auftragnehmers einschließlich etwaiger Schadensersatzansprüche sind ausgeschlossen.

1. Die Beklagte meint deshalb, auch bei einer nach § 8 Nr. 1 Abs. 1 VOB/B zu beurteilenden Kündigung könne die Klägerin eine Vergütung nicht verlangen, weil sie bis zur Kündigung keinerlei Leistungen erbracht habe. Die Tatrichter halten jedoch diese Bestimmung gemäß § 9 AGBG für unwirksam und gewähren deshalb den eingeklagten Anspruch aus §§ 8 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B, 649 Satz 2 BGB dem Grunde nach voll.

Die Revision nimmt demgegenüber den Standpunkt ein, die von der Beklagten beabsichtigte Beschränkung des Vergütungsanspruches müsse auch durch ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen möglich sein, weil danach der Auftragnehmer für seine wirklich erbrachten Leistungen eine angemessene Gegenleistung erhalten solle. Für den Auftraggeber bestehe ein Bedürfnis, eine die strenge Regelung der §§ 8 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B, 649 BGB abdingende Vereinbarung zu treffen; eine abweichende generelle gesetzliche Wertung bestehe nicht.

2. Auch dieser Revisionsangriff geht fehl.

a) Der Vergütungsanspruch aus §§ 8 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B, 649 Satz 2 BGB ist allerdings abdingbar (Senatsurteil vom 6. Juli 1964 - VII ZR 118/63) und deshalb auch einschränkbar. Ein entsprechendes von der Revision ins Feld geführtes Bedürfnis eines Auftraggebers ist deshalb jedenfalls innerhalb eines individuell ausgehandelten Vertrages durchaus zu verwirklichen.

b) Mit der in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen, eingangs wiedergegebenen Bestimmung hat die Beklagte jedoch eine Beschränkung des Anspruchs nicht erreicht. Dabei sind die Ansprüche aus § 649 BGB, § 8 Nr. 1 VOB/B keineswegs etwa einer näheren Regelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Formularverträgen unzugänglich (BGH NJW 1983, 1491, 1492; vgl. auch BGH Urteil vom 30. Juni 1977 - VII ZR 163/75 WM 1977, 1171).

So hat denn auch der Senat die Bestimmung in einem vom Unternehmer gestellten Formularvertrag, wonach der Unternehmer bei vorzeitiger Kündigung eines Bauvertrages durch den Besteller pauschal 5% der Gesamtauftragssumme verlangen darf, als wirksam angesehen (BGHZ 87, 112, 120/121; BGH NJW 1978, 1054, 1055; 1983, 1491, 1492). Maßgebend dafür war, daß eine solche Regelung in etwa dem Gesetz entspricht und dem Klauselverwender keine unangemessene Vorteile gewährt (§ 10 Nr. 7 AGBG).

Dagegen hat der Senat der Bestimmung in ebenfalls vom Unternehmer gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen, wonach der Unternehmer bei Kündigung durch den Besteller stets Anspruch auf die volle Vergütung ohne jedweden Abzug hat, die Anerkennung versagt (BGHZ 54, 106, 113 ff; vgl. auch BGHZ 60, 353, 356 ff). Denn wenn sich der Unternehmer Ersparnisse und anderweitigen Erwerb nicht anrechnen lassen müßte, würde das für ihn eine durch nichts gerechtfertigte Bereicherungs bedeuten. Nach § 649 BGB soll er jedoch keinesfalls mehr erhalten, als er nach Herstellung des Werkes gehabt hätte (Senatsurteil vom 23. Oktober 1980 - VII ZR 324/79 = BauR 1981, 198).

c) Hier geht es umgekehrt um vom Besteller gestellte Allgemeine Geschäftsbedingungen, die dazu führen können, daß dem Unternehmer jeglicher Ausgleich für den ihn durch "freie" Kündigung des Bestellers entgangenen Auftrag versagt wird. Eine solche Bestimmung ist mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren, benachteiligt den Unternehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und ist daher nach § 9 AGBG unwirksam.

§ 649 Satz 1 BGB, mit dem § 8 Nr. 1 Abs. 1 VOB/B übereinstimmt, gesteht dem Besteller - entgegen der sonst für gegenseitige Verträge grundsätzlich geltenden gesetzlichen Regelung - das Recht zu, den Vertrag jederzeit, also "frei", d.h. ohne Vorliegen besonderer Gründe zu kündigen. Den Besteller in dieser Weise zu bevorzugen, ist aber nur gerechtfertigt, wenn dem Unternehmer daraus kein Nachteil entsteht. Deshalb ist in § 649 Satz 2 BGB wie in § 8 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B bestimmt, daß der Unternehmer in diesem Falle den Anspruch auf die vereinbarte Vergütung behält und sich nur anrechnen lassen muß, was er infolge der Aufhebung des Vertrags erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt bzw. zu erwerben böswillig unterläßt. Damit wird der Unternehmer so gestellt, wie er bei ordnungsgemäßer Erfüllung des Vertrages stehen würde. Nur so wird ein ausgewogener Ausgleich der hier widerstreitenden Interessen bewirkt, der dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden entspricht.

Mit diesem wesentlichen Grundgedanken des § 649 BGB ist es nicht zu vereinbaren, wenn die Beklagte die Ansprüche der von ihr beauftragten Unternehmer bei grundloser Kündigung des Vertrags durch sie auf die Vergütung für die ausgeführten Leistungen und Ersatz der Kosten beschränken will, die den Unternehmern bereits entstanden und in den Vertragspreisen des nicht ausgeführten Teiles der Leistung enthalten sind. Das kann dazu führen, daß ein Unternehmer, etwa wenn er mit den Arbeiten noch nicht oder eben erst begonnen hat, praktisch leer ausgehen und der Beklagten dann ein nahezu folgenloses Abstandnehmen vom Vertrag ermöglicht würde. Eine solche Regelung benachteiligt den Unternehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und ist deshalb unwirksam (vgl. auch Glanzmann in BGB-RGRK, 12. Aufl., § 649 Rdn. 28; Palandt/Heinrichs, 43. Aufl., § 9 AGBG Anm. 7 g; Ingenstau/Korbion, VOB, 10. Aufl., B § 8 Rdn. 7; Werner/Pastor, Der Bauprozeß, 4. Aufl., Rdn. 909; Grüter Betrieb 1980, 867; die in diesem Zusammenhang zitierte Entscheidung des Kammergerichts BauR 1979, 517 ist nicht einschlägig).

III.

Landgericht und Oberlandesgericht haben nach alledem zu Recht den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Beklagten ist mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992744

BGHZ 92, 244

BGHZ, 244

DB 1985, 222

NJW 1985, 631

BauR 1985, 77

DRsp I(138)476d-e

MDR 1985, 222

ZfBR 1985, 37

ZfBR 1990, 18

ZfBR 1996, 91, 92

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