Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 23. Juni 2000 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagten, soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, auf Rückzahlung eines Restdarlehens in Höhe von 152.000 DM nebst Zinsen in Anspruch. Die Beklagten haben behauptet, sie hätten die geltend gemachte Forderung in der Zeit von Oktober 1994 bis August 1995 durch Übergabe von elf vom B. e.V. ausgestellten Schecks über insgesamt 172.100,93 DM erfüllt. Zwischen den Parteien habe Einigkeit darüber bestanden, daß damit alle Ansprüche der Klägerin erledigt seien.

Das Landgericht hat die Klage nach Vernehmung des Zeugen W. abgewiesen. Das Berufungsgericht hat der Klage stattgegeben, ohne die Beweisaufnahme zu wiederholen. Mit der Revision verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt:

Die Klägerin habe gegen die Beklagten einen Anspruch gemäß § 607 Abs. 1 BGB auf Zahlung von 152.000 DM nebst Zinsen. Die Parteien hätten keinen Vergleich geschlossen, demzufolge die Darlehensschuld der Beklagten als getilgt anzusehen sei. Der Zeuge W. habe bei seiner Vernehmung durch das Landgericht schon objektiv nicht bestätigt, daß die Parteien sich bei einer Scheckübergabe darauf verständigt hätten, daß die Darlehensschuld damit erledigt sei.

Auch der Nachweis einer vollständigen Tilgung sei den Beklagten nicht gelungen. Sie hätten nicht nachgewiesen, daß sie auf die Darlehensschuld mittels Übergabe von elf Schecks 152.000 DM geleistet hätten. Für ihre Behauptung, die Schecks seien über ein Konto der Klägerin eingelöst worden, hätten sie keinen geeigneten Beweis angetreten.

II.

Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Die Feststellung des Berufungsgerichts, daß die Parteien keinen Vergleich geschlossen haben, demzufolge die Darlehensschuld der Beklagten als getilgt anzusehen ist, beruht, wie die Revision zu Recht rügt, auf einem Verfahrensfehler. Das Berufungsgericht hat, indem es die Aussage des vom Landgericht vernommenen Zeugen W. anders als das Landgericht gewürdigt hat, ohne die Vernehmung des Zeugen zu wiederholen, gegen § 398 Abs. 1, § 523 ZPO verstoßen.

a) Zwar steht es grundsätzlich im Ermessen des Berufungsgerichts, ob es einen in erster Instanz vernommenen Zeugen ein zweites Mal vernehmen will. Das pflichtgebundene Ermessen unterliegt aber Einschränkungen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteile vom 22. September 1988 – IX ZR 219/97, WM 1988, 1654, 1655; vom 29. Januar 1991 – XI ZR 76/90, WM 1991, 963, 964; vom 30. September 1992 – VIII ZR 196/91, WM 1992, 2104, 2107; vom 24. November 1992 – XI ZR 86/92, WM 1993, 99, 101; vom 16. Oktober 1997 – IX ZR 10/97, NJW 1998, 385, 386 und vom 2. Juni 1999 – VIII ZR 112/98, NJW 1999, 2972, 2973) ist die erneute Vernehmung eines Zeugen erforderlich, wenn das Berufungsgericht dessen protokollierte Aussage anders verstehen oder werten will als die Vorinstanz.

b) So liegt es hier.

Der Zeuge W. hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht ausweislich des Sitzungsprotokolls bekundet, er habe nach Übergabe mehrerer Schecks den Eindruck gehabt, daß die Rückzahlungen erledigt seien. Allerdings habe zwischen den Parteien nicht vollständiges Einvernehmen geherrscht. Die Klägerin sei etwas mürrisch gewesen, habe sich aber wohl schließlich damit zufrieden gegeben, daß das Darlehen als zurückgezahlt gelten sollte. Er habe den Eindruck gehabt, daß die Sache für die Klägerin ebenso wie für die Beklagten erledigt sein sollte. Dennoch seien am Himmel „Gewitterwolken” verblieben.

Das Landgericht hat aufgrund dieser Aussage als erwiesen angesehen, daß die Beklagten eine Restzahlung auf das Darlehen geleistet haben und die Darlehensschuld damit einvernehmlich getilgt sein sollte. Hingegen ist nach Auffassung des Berufungsgerichts durch die Zeugenaussage nicht erwiesen, daß die Parteien sich anläßlich einer Scheckübergabe geeinigt haben, daß damit die Darlehensschuld erledigt sein sollte. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Zeuge habe eine solche Einigung schon objektiv nicht bestätigt, so daß es auf seine vom Landgericht bejahte Glaubwürdigkeit nicht ankomme. Damit hat das Berufungsgericht die protokollierte Aussage des Zeugen anders gewürdigt als das Landgericht.

c) Demgegenüber beruft sich die Klägerin ohne Erfolg auf den Grundsatz, daß ein Berufungsgericht ohne erneute Beweisaufnahme eine von einem Zeugen bekundete Willenserklärung anders als das Landgericht auslegen darf, wenn der objektive Erklärungswert vom Empfängerhorizont zu ermitteln ist und das Berufungsgericht bei der der Auslegung vorausgehenden Feststellung des Erklärungstatbestandes von demselben Beweisergebnis ausgeht wie das Landgericht (BGH, Urteil vom 8. September 1997 – II ZR 55/96, WM 1998, 308, 309). Dieser Grundsatz greift hier nicht ein, weil der Zeuge keine konkreten auslegungsbedürftigen Willenserklärungen der Parteien, sondern seinen persönlichen Eindruck von den Abreden der Parteien bekundet hat. Aufgrund dessen hat das Landgericht anders als das Berufungsgericht eine Einigung der Parteien über die Tilgung des Darlehens als erwiesen angesehen.

2. Rechtsfehlerhaft ist ferner die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagten hätten nicht nachgewiesen, daß sie auf ihre Darlehensschuld durch Übergabe von elf Schecks 152.000 DM geleistet hätten. Diese Ausführungen sind, wie die Revision zu Recht beanstandet, nicht eindeutig.

Falls das Berufungsgericht die Übergabe der Schecks an die Klägerin als nicht erwiesen ansehen wollte, hat es gegen das Gebot des § 286 Abs. 1 ZPO, sich mit dem Streitstoff und den Beweisergebnissen umfassend auseinanderzusetzen und die Beweise vollständig zu würdigen (BGH, Urteile vom 14. Januar 1993 – IX ZR 238/91, WM 1993, 902, 905 f.; vom 1. Oktober 1996 – VI ZR 10/96, NJW 1997, 796, 797 und vom 9. Juli 1999 – V ZR 12/98, WM 1999, 1889, 1890) verstoßen, indem es in diesem Zusammenhang die Aussage des Zeugen W. unberücksichtigt gelassen hat. Dieser hat die Übergabe von Schecks durch die Beklagten an die Klägerin seit Oktober 1994 bestätigt.

Falls das Berufungsgericht die Klage selbst für den Fall der Übergabe der Schecks als begründet ansehen wollte, hat es die Einrede der Scheckhingabe verkannt. Wenn die Klägerin von den Beklagten erfüllungshalber Schecks entgegengenommen hat, war sie verpflichtet, zunächst aus den Schecks vorzugehen. Der Klageforderung stünde dann die Einrede der Scheckhingabe entgegen (vgl. BGHZ 96, 182, 193 für Wechsel; Senatsbeschluß vom 16. April 1996 – XI ZR 222/95, WM 1996, 1037). Umstände, durch die das Leistungsverweigerungsrecht der Beklagten entfallen sein könnte, etwa die Nichteinlösung der Schecks (vgl. Nobbe, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch 2. Aufl. § 60 Rdn. 232-236), hat die Klägerin nicht vorgetragen.

III.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO) und der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung, insbesondere Vernehmung des Zeugen W., und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

 

Unterschriften

Nobbe, Bungeroth, van Gelder, Joeres, Wassermann

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 03.04.2001 durch Herrwerth Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 584431

BGHR 2001, 648

NJW-RR 2001, 1430

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