Leitsatz (amtlich)

Zum Umfang der Haftung eines Motorenherstellers nach §§ 826, 31 BGB gegenüber dem Käufer des Fahrzeugs in einem sog. Dieselfall (hier: Ersatzfähigkeit von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, Deliktszinsen).

 

Normenkette

BGB § 249 (Cb); ZPO § 287

 

Verfahrensgang

Thüringer OLG (Urteil vom 07.04.2020; Aktenzeichen 7 U 1067/19)

LG Erfurt (Urteil vom 13.09.2019; Aktenzeichen 9 O 541/19)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des OLG Jena vom 7.4.2020 insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist. Im Umfang dieser Aufhebung wird die Klage abgewiesen.

Auf die Revision des Klägers wird das oben genannte Urteil im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage hinsichtlich des Antrags auf Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren abgewiesen worden ist. Insoweit wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Der Kläger nimmt die Beklagte als Herstellerin eines Dieselmotors wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung auf Schadensersatz in Anspruch.

Rz. 2

Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 19.6.2013 bei einem Autohaus einen gebrauchten Audi A4 Avant. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA189 EU 5 ausgestattet, dessen Software über zwei Betriebsmodi zur Steuerung der Abgasrückführung verfügte. Die Software erkannte, ob sich das Fahrzeug im Prüfstands- oder im Betriebsmodus befand. Im Prüfstandmodus war die Abgasrückführungsrate gegenüber dem Betriebsmodus erhöht, wodurch die gesetzlich geforderten Grenzwerte für Stick-oxidemissionen eingehalten wurden. Im normalen Straßenverkehr wurde der Motor nur im Betriebsmodus mit geringerer Abgasrückführungsrate und höherem Stickoxidausstoß betrieben.

Rz. 3

Der Kläger hat die Rückzahlung des Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs, Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten, die Feststellung des Annahmeverzuges der Beklagten sowie Deliktszinsen aus der Kaufpreissumme seit Zahlung des Kaufpreises bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit verlangt. Das LG hat der Klage teilweise stattgegeben. Auf die Berufungen beider Parteien hat das OLG das landgerichtliche Urteil abgeändert und der Klage allein hinsichtlich der geltend gemachten Deliktszinsen stattgegeben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage. Der Kläger wendet sich mit seiner Anschlussrevision gegen die Abweisung des Klageantrags auf Erstattung außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten.

 

Entscheidungsgründe

I.

Rz. 4

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - ausgeführt, zwar bestehe dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus §§ 826, 31 BGB, allerdings übersteige der Wert der gezogenen Nutzungen den Kaufpreis, so dass der Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises und damit auch das hiermit im Zusammenhang stehende Begehren auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten unbegründet seien. Es bestehe allerdings ein Anspruch des Klägers auf Verzinsung des von ihm gezahlten Kaufpreises (18.700 EUR) ab dem Zeitpunkt der Kaufpreiszahlung bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit nach §§ 849, 246 BGB (sog. Deliktszinsen).

II.

Rz. 5

Die Revision der Beklagten und die zulässige Anschlussrevision des Klägers haben Erfolg.

Rz. 6

1. Revision der Beklagten

Rz. 7

Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung von Zinsen nach § 849 BGB aus der Kaufpreissumme besteht nicht. Zwar hat das Berufungsgericht zutreffend einen Schadensersatzanspruch des Klägers nach §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des Kaufpreises dem Grunde nach bejaht (vgl. BGH, Urt. v. 25.5.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316; v. 11.5.2021 - VI ZR 80/20 VersR 2021, 1055). Dies wird von der Revision auch hingenommen. Deliktszinsen nach § 849 BGB können nach der Senatsrechtsprechung jedoch nicht verlangt werden, wenn der Geschädigte - wie hier - für die Hingabe seines Geldes im Wege des Leistungsaustauschs eine in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbare Gegenleistung erhält. In diesem Fall kompensiert die tatsächliche Nutzbarkeit der Gegenleistung die Nutzungsmöglichkeit des Geldes (vgl. BGH, Urt. v. 30.7.2020 - VI ZR 354/19, BGHZ 226,322 Rz. 19 und VI ZR 397/19, VersR 2020, 1327 Rz. 22).

Rz. 8

2. Revision des Klägers

Rz. 9

a) Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verneint, weil nach seinen - nicht angegriffenen - Feststellungen bei Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz die Hauptforderung auf Erstattung des Kaufpreises aufgrund der gebotenen Anrechnung der Vorteile der Fahrzeugnutzung vollständig aufgezehrt war (vgl. zu dieser Möglichkeit BGH, Urt. v. 30.7.2020 - VI ZR 354/19, BGHZ 226, 322 Rz. 11, 15). Das hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann der Anspruch des Klägers nicht verneint werden.

Rz. 10

aa) Die Bemessung der - hier in Gestalt der geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Rede stehenden - Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (st.Rspr.; vgl. nur BGH vom 22.6.2021 - VI ZR 353/20, ZfS 2021, 522 Rz. 5; v. 22.1.2019 - VI ZR 403/17, juris Rz. 9 m.w.N.). Das ist hier der Fall:

Rz. 11

Der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch umfasst grundsätzlich auch den Ersatz der durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (vgl. nur BGH, Urt. v. 5.12.2017 - VI ZR 24/17, VersR 2018, 237 Rz. 6 m.w.N.) hat der Schädiger allerdings nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die für den Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren.

Rz. 12

Beauftragt der Geschädigte einen Rechtsanwalt mit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer, so ist der Umfang des Ersatzverlangens nur für die Abrechnung zwischen dem Geschädigten und seinem Anwalt maßgebend (Innenverhältnis). Kostenerstattung aufgrund des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs kann der Geschädigte vom Schädiger dagegen grundsätzlich nur insoweit verlangen, als seine Forderung diesem gegenüber auch objektiv berechtigt ist. Die von einem - einsichtigen - Geschädigten für vertretbar gehaltenen Schadensbeträge sind demgegenüber nicht maßgeblich. Denn Kosten, die dadurch entstehen, dass dieser einen Anwalt zur Durchsetzung eines unbegründeten Anspruchs beauftragt, können dem Schädiger nicht mehr als Folge seines Verhaltens zugerechnet werden. Damit ist dem Anspruch des Geschädigten auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten im Verhältnis zum Schädiger grundsätzlich der Gegenstandswert zugrunde zu legen, der der berechtigten Schadensersatzforderung entspricht (BGH, Urt. v. 5.12.2017 - VI ZR 24/17, VersR 2018, 237 Rz. 7 m.w.N.).

Rz. 13

Da es sich bei dem Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten um eine Nebenforderung handelt, deren Höhe sich erst bestimmen lässt, wenn die Hauptforderung konkretisiert ist, ist ihm grundsätzlich der Gegenstandswert zugrunde zu legen, der der letztlich festgestellten oder unstreitig gewordenen Schadenshöhe entspricht (BGH, Urt. v. 5.12.2017 - VI ZR 24/17, VersR 2018, 237 Rz. 8 m.w.N.). Ob die Hauptforderung in der geltend gemachten Höhe letztlich objektiv berechtigt ist, hängt nicht nur davon ab, ob die den Anspruch einschließlich der Anspruchshöhe begründenden Voraussetzungen erfüllt sind und der Anspruch "zunächst begründet" ist, sondern auch davon, ob und inwieweit der Anspruchsgegner mit Einwendungen oder Einreden gegen den Anspruchsgrund oder die Anspruchshöhe Erfolg hat (vgl. Senat, Urt. v. 5.12.2017 - VI ZR 24/17, VersR 2018, 237 Rz. 9; BGH, Urt. v. 19.4.2018 - IX ZR 187/17 NJW 2018, 2417 Rz. 15).

Rz. 14

Daher ist es nach der Senatsrechtsprechung zur Bestimmung des Gegenstandswerts für die Nebenforderung etwa ohne Belang, ob eine auf § 254 BGB gestützte Einwendung von Schädigerseite vor oder nach der Beauftragung des Rechtsanwalts oder der Geltendmachung des Anspruchs durch den Geschädigten erhoben wird und ob der Geschädigte bis zur Erhebung der Einwendung davon ausgehen durfte, die von ihm ermittelte Schadenshöhe sei zutreffend. Jedenfalls im Falle eines zulässigen Verweises auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit und der damit verbundenen Beschränkung des Anspruchs auf Ersatz fiktiver Reparaturkosten ist es auch unerheblich, seit wann die tatsächlichen Voraussetzungen für die Berechtigung der auf § 254 Abs. 2 BGB gestützten Einwendung erfüllt waren (vgl. BGH, Urt. v. 5.12.2017 - VI ZR 24/17, VersR 2018, 237 Rz. 10); denn ein solcher Verweis hat keine Wirkung in dem Sinne, dass eine zunächst weitergehend berechtigte Schadensersatzforderung "gekürzt" würde (vgl. , DAR 2020, 301, 308 f.). Die Verweisung des Schädigers auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit lässt der erkennende Senat deshalb zu, weil die Angaben des Sachverständigen in seinem Gutachten zur Höhe der voraussichtlich anfallenden Reparaturkosten keinesfalls stets verbindlich den Geldbetrag bestimmen, den der Geschädigte für die Reparatur benötigt (vgl. BGH, Urt. v. 3.12.2013 - VI ZR 24/13 VersR 2014, 214 Rz. 10). Entsprechendes ist anzunehmen, wenn der Schädiger den Geschädigten im Rahmen der Berechnung des Wiederbeschaffungsaufwands nach Beauftragung des Rechtsanwalts auf ein höheres Restwertangebot verweist (vgl. BGH, Urt. v. 19.4.2018 - IX ZR 187/17 NJW 2018, 2417 Rz. 16).

Rz. 15

Anderes gilt, wenn eine bei Beauftragung des Rechtsanwalts objektiv berechtigte Forderung durch später eintretende Umstände in ihrem Bestand reduziert wird. Denn solche Umstände ändern nichts daran, dass die Forderung bei Beauftragung des Rechtsanwalts objektiv berechtigt war. Ein Grund, die dadurch veranlassten Kosten dem Schädiger nicht zuzurechnen, ist deshalb nicht ersichtlich.

Rz. 16

bb) Danach kommt es vorliegend im Hinblick auf den geltend gemachten materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch nicht darauf an, ob und ggf. in welcher Höhe die Hauptforderung zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz aufgrund der Anrechnung der Vorteile der Fahrzeugnutzung gemindert worden ist. Maßgeblich ist insoweit vielmehr der Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts mit der außergerichtlichen Tätigkeit. Danach gezogene Nutzungen bleiben bei der Bestimmung des Gegenstandswerts auch im Außenverhältnis außer Betracht.

Rz. 17

Zur Höhe der Hauptforderung zum Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts hat das Berufungsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - keine Feststellungen getroffen.

Rz. 18

b) Die Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar, § 561 ZPO. Anders als die Revisionserwiderung meint, kann die Revision nicht mit dem Argument zurückgewiesen werden, die Revision zeige nicht auf, dass nach dem festgestellten Sachverhalt bzw. dem Klägervortrag der Auftrag an den Prozessbevollmächtigten zunächst auf eine außergerichtliche Tätigkeit beschränkt gewesen sei (vgl. zu dieser Voraussetzung BGH, Urt. v. 22.6.2021 - VI ZR 353/20 WM 2021, 1387 Rz. 7); gleiches gelte für die weitere Voraussetzung des Erstattungsanspruchs, dass die konkrete anwaltliche Tätigkeit im Außenverhältnis aus Sicht des Klägers mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war, woran es deshalb fehle, weil die Beklagte bekanntermaßen nicht auf außergerichtliche Aufforderungsschreiben hin zahle. Denn die Frage, ob das Berufungsurteil i.S.d. § 561 ZPO aus anderen Gründen richtig ist, kann vom Revisionsgericht nur auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen beurteilt werden (§ 559 Abs. 1 ZPO). Insoweit kann aber im Streitfall nicht darauf abgestellt werden, dass das Berufungsgericht keine Feststellungen zu den von der Revisionserwiderung vermissten Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs bzw. zu hierauf bezogenem Klägervortrag getroffen hat. Denn aus seiner Sicht kam es auf diese Voraussetzungen nicht an.

III.

Rz. 19

Soweit das Berufungsurteil hinsichtlich der Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Deliktszinsen aufzuheben war, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden, weil die Aufhebung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und keine weiteren Feststellungen zu treffen sind, § 563 Abs. 3 ZPO. Im Umfang der weiteren Aufhebung war die Sache mangels Entscheidungsreife gem. § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 14937619

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