Leitsatz (amtlich)

Formulare, die eine ärztliche Aufklärung und die Entscheidung des Patienten, ob er eine angeratene Untersuchung vornehmen lassen will, dokumentieren sollen, unterliegen gem. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB grundsätzlich nicht einer Kontrolle nach §§ 307 Abs. 1 und 2, 308, 309 BGB, da für die ärztliche Aufklärung durch die Rechtsprechung des BGH entwickelte eigenständige Regeln gelten, die auch das Beweisregime erfassen.

 

Normenkette

BGB § 307 Abs. 3 S. 1 A

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Urteil vom 19.03.2020; Aktenzeichen I-20 U 2/17)

LG Düsseldorf (Urteil vom 07.12.2016; Aktenzeichen 12 O 75/16)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des OLG Düsseldorf vom 19.3.2020 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Der Kläger ist in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen. Er macht gegen den beklagten Verein, einen Berufsverband für Augenärzte, einen Unterlassungsanspruch gem. § 1 UKlaG geltend. Der Beklagte empfiehlt seinen Mitgliedern, nachstehend wiedergegebene "Patienteninformation" zur "Früherkennung des Grünen Stars (Glaukom)" zu verwenden:

Rz. 2

Der Kläger hat beantragt, den Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, die Empfehlung der Klausel "Ich habe die Patienteninformation zur Früherkennung des Grünen Stars (Glaukom) gelesen und wurde darüber aufgeklärt, daß trotz des Fehlens typischer Beschwerden eine Früherkennungsuntersuchung ärztlich geboten ist" und/oder dieser Klausel mit dem anzukreuzenden Zusatz "Ich wünsche zur Zeit keine Glaukom-Früherkennungsuntersuchung" zu unterlassen sowie Abmahnkosten i. H. v. 260 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Er ist der Auffassung, bei der Klausel handele es sich um eine nach § 309 Nr. 12 Halbs. 1 Buchst. b BGB unzulässige Tatsachenbestätigung; zudem werde der Patient psychologisch unter Druck gesetzt, da er sich einer ärztlichen Empfehlung offen widersetzen müsse.

Rz. 3

Das LG hat der Klage stattgegeben (VuR 2017, 272). Auf die Berufung des Beklagten hat das OLG das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen (GesR 2020, 314). Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 4

Die zulässige Revision hat keinen Erfolg.

I.

Rz. 5

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Beklagte empfehle Allgemeine Geschäftsbedingungen i. S. d. §§ 305 ff. BGB. Dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen unterfielen einseitige, von der Gegenseite vorformulierte Erklärungen, wenn sie im Zusammenhang mit einer rechtlichen Sonderbeziehung des Betroffenen stünden. Dies sei hier auch dann der Fall, wenn der Patient die Maßnahme ablehne.

Rz. 6

Ein Verstoß gegen § 309 Nr. 12 BGB liege indessen nicht vor. Der Arzt teile dem Patienten mit, welche weiteren Maßnahmen er für angezeigt halte. Es handele sich daher um eine therapeutische Aufklärung i. S. d. § 630c Abs. 2 BGB, für deren Fehlerhaftigkeit der Patient von vornherein die Beweislast trage. Zwar werde § 309 Nr. 12 BGB auch auf Klauseln angewandt, die die Beweislast lediglich erschwerten. Die Vorschrift sei jedoch im Hinblick auf die Aufklärung und deren Bestätigung im Arzt-Patienten-Verhältnis teleologisch zu reduzieren. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass der Arzt dem Patienten im Rahmen der mündlichen Aufklärung schriftliche Unterlagen übergeben und sich dies bestätigen lassen dürfe. § 630e Abs. 2 Satz 2 BGB hätte weitgehend keinen Anwendungsbereich, wenn § 309 Nr. 12 BGB uneingeschränkt für den Behandlungsvertrag gälte. Auch der BGH halte eine schriftliche Aufklärung für wünschenswert; diese führe allerdings nicht zu einer Beweislastumkehr, sondern sei lediglich im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen.

Rz. 7

Die angegriffenen Klauseln verstießen auch nicht aus anderen Gründen gegen § 307 BGB. Zwar sei es denkbar, dass die einseitige Erklärung eines Verbrauchers dann als unangemessene Benachteiligung anzusehen sei, wenn sie gleichzeitig eine "aggressive geschäftliche Handlung" i. S. d. § 4a UWG darstelle. Es gehöre allerdings auch zu den Pflichten eines Arztes, den Patienten auf drohende Gefahren mit Nachdruck hinzuweisen, wenn er eine bestimmte Maßnahme nicht unternehme. Die beanstandeten Klauseln überschritten die danach gezogenen Grenzen nicht. Die in der Patienteninformation enthaltenen Informationen als solche würden vom Kläger nicht beanstandet. Der Patient werde die Formulierung, die Behandlung sei "trotz des Fehlens typischer Beschwerden ... ärztlich geboten", dahin verstehen, dass die Untersuchung nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen vertretbar, aber nicht "zwingend notwendig" sei. Nach dem eingeholten Sachverständigengutachten treffe dies zu.

II.

Rz. 8

Das hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

Rz. 9

1. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch aus § 1 UKlaG zu, die Empfehlung des streitigen Passus zu unterlassen.

Rz. 10

a) Bei der angegriffenen, in der "Vereinbarung über gewünschte Privatbehandlung" enthaltenen Klausel handelt es sich zwar um Allgemeine Geschäftsbedingungen i. S. v. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB; die Beklagte erhebt insoweit auch keine Gegenrügen.

Rz. 11

b) Die Klausel ist jedoch nicht gem. §§ 307 Abs. 1 und 2, 308 oder § 309 BGB unwirksam. Sie weicht weder von Rechtsvorschriften ab noch ergänzt sie diese, so dass eine Inhaltskontrolle nach diesen Bestimmungen gem. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht stattfindet. Das vom Beklagten empfohlene Informationsblatt unterrichtet die Patienten über das Risiko eines symptomlosen Glaukoms und über die Möglichkeit einer (auf eigene Kosten durchzuführenden) Früherkennungsuntersuchung. Die streitige Klausel dient der Dokumentation der hierüber erfolgten Aufklärung und der Entscheidung des Patienten, ob er die angeratene Untersuchung vornehmen lassen will. Für die ärztliche Aufklärung gelten durch die Rechtsprechung des BGH entwickelte eigenständige Regeln, die auch das Beweisregime erfassen. Danach dürfen an den dem Arzt obliegenden Beweis dafür, dass er eine geschuldete Aufklärung geleistet hat, keine unbilligen und übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Der Tatrichter hat die besondere Situation, in der sich der Arzt während der Behandlung des Patienten befindet, ebenso zu berücksichtigen wie die Gefahr, die sich aus dem Missbrauch seiner Beweislast durch den Patienten zu haftungsrechtlichen Zwecken ergeben kann. In jedem Fall bedarf es einer verständnisvollen und sorgfältigen Abwägung der tatsächlichen Umstände, für die der Tatrichter einen erheblichen Freiraum hat (BGH, Urt. v. 28.1.2014 - VI ZR 143/13 NJW 2014, 1527 Rz. 11; v. 8.1.1985 - VI ZR 15/83 NJW 1985, 1399; v. 28.2.1984 - VI ZR 70/82 NJW 1984, 1807, 1809; vgl. auch Urt. v. 21.9.1982 - VI ZR 302/80 NJW 1983, 333 - in BGHZ 85, 212 insoweit nicht abgedruckt -; v. 10.3.1981 - VI ZR 202/79 NJW 1981, 2002, 2003 f.).

Rz. 12

Zu den danach zu berücksichtigenden Umständen gehört etwa eine ständige oder übliche Beratungspraxis; kann der Arzt eine solche darlegen und ggf. beweisen, sollte im Zweifel geglaubt werden, dass die Aufklärung auch im Einzelfall in der gebotenen Weise geschehen ist (BGH, Urt. v. 28.1.2014, a. a. O.; vom 8.1.1985, a. a. O., und vom 21.9.1982, a. a. O., S. 2003; , MDR 2017, 858 f.). Zudem können die Aufzeichnungen des Arztes im Krankenblatt herangezogen werden (BGH, Urt. v. 28.1.2014, a. a. O., und vom 8.1.1985, a. a. O.). Einen wesentlichen Anhaltspunkt für den Inhalt der dem Patienten erteilten Aufklärung stellt - in positiver wie auch in negativer Hinsicht - schließlich ein dem Patienten zur Verfügung gestelltes oder von diesem unterzeichnetes Aufklärungs- oder Einwilligungsformular dar (BGH, Urt. v. 11.10.2016 - VI ZR 462/15 NJW-RR 2017, 533 Rz. 8; vom 28.1.2014, a. a. O., Rz. 13; v. 22.5.2001 - VI ZR 268/00 NJW-RR 2001, 1431, 1432; v. 15.2.2000 - VI ZR 48/99, BGHZ 144, 1, 13; v. 29.9.1998 - VI ZR 268/97, NJW 1999, 863, 864; , Festschrift Geiß, 2000, S. 449, 455 m. w. N.). Dies gilt auch im Hinblick auf die Pflicht zur therapeutischen Information i. S. d. § 630c BGB (früher: therapeutische Aufklärung; vgl. dazu BGH, Urt. v. 27.4.2021 - VI ZR 84/19 NJW 2021, 2364 Rz. 10). So hat der BGH in einer Entscheidung vom 11.4.2017 dem dortigen Berufungsgericht aufgegeben, das von dem Arzt vorgelegte Muster eines nach seinem Vortrag verwendeten Standardschreibens bei der Beurteilung der Frage zu verwerten, ob dieser den Patienten über das Vorliegen eines kontrollbedürftigen Befundes unterrichtet hatte ( NJW 2018, 621 Rz. 18). Dem Umstand, dass es sich um formularmäßige Mitteilungen, Merkblätter oder ähnliche allgemein gefasste Erklärungen handelt, hat der BGH dabei jeweils keine einer Beweiswirkung entgegenstehende Bedeutung beigemessen. Vielmehr hat er auf die Vorteile vorformulierter Informationen für den Patienten hingewiesen und diesen selbst dann einen Beweiswert beigemessen, wenn sie nicht unterschrieben sind (vgl. BGH, Urt. v. 15.2.2000, a. a. O., S. 2, 13).

Rz. 13

Der Gesetzgeber hat bei der Schaffung des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.2.2013 (BGBl. I, 277) die "bisherigen richterrechtlich entwickelten Grundsätze des Arzthaftungs- und Behandlungsrechts gesetzlich ... kodifiziert" (BT-Drucks. 17/10488, 9), was insb. auch das Beweisrecht einschließt (vgl., a. a. O., z. B. S. 10, 43, 55 f.). Dabei hat er ausdrücklich die Beweiswirkung der Dokumentation in der Patientenakte anerkannt sowie eine formularmäßige Bestätigung einer Aufklärung und einer Einwilligung für zulässig gehalten (BT-Drucks. 17/10488, 29; vgl. auch , Arzthaftungsrecht, 6. Aufl., A 71; , GesR 2019, 749, 754).

Rz. 14

Dieses Aufklärungs- und Beweisregime wird durch die angegriffene Klausel weder verändert noch ergänzt. Vielmehr fügt sie sich in dieses ein, so dass gem. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB eine Kontrolle nach §§ 307 Abs. 1 und 2, 308, 309 BGB nicht stattfindet. Eine Überprüfung der Klausel nach diesen Vorschriften mit der möglichen Folge ihrer Unwirksamkeit und einem daraus folgenden Verwertungsverbot würde vielmehr zu nicht hinnehmbaren Wertungswidersprüchen führen: Während dem unterschriebenen Aufklärungsbogen jegliche Beweiswirkung abgesprochen werden müsste, käme auf der Grundlage der Rechtsprechung des BGH und der Begründung des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten dem nicht unterschriebenen Formular, der lediglich internen Dokumentation des Behandlers oder der "ständigen Aufklärungspraxis" ein Beweiswert zu, obwohl hier eine Mitwirkung des Patienten nicht sicher festgestellt werden kann, während diese im erstgenannten Fall durch die Unterschrift dokumentiert ist (vgl. auch , a. a. O., S. 755).

Rz. 15

c) Die angegriffene Klausel ist auch nicht deshalb unwirksam, weil sie eine "aggressive geschäftliche Handlung" i. S. d. § 4a UWG darstellen würde. Dem steht bereits entgegen, dass die Rechtsfolge der Unwirksamkeit der Klausel bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der "Patienteninformation" im Übrigen (§ 306 Abs. 1 BGB) nicht geeignet wäre, eine auf den Vertragsschluss abzielende unzulässige Beeinflussung zu beseitigen. Zudem ist Streitgegenstand des Verfahrens nach § 1 UKlaG die konkret angegriffene Klausel, nicht aber die inhaltliche Richtigkeit und Sachlichkeit der dem Patienten erteilten Information.

Rz. 16

2. Da nach alledem die Abmahnung nicht berechtigt war, steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen gem. § 5 UKlaG i. V. m. § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG (jeweils in der bis zum 1.12.2020 geltenden Fassung) zu.

 

Fundstellen

Haufe-Index 14826028

BGHZ 2022, 31

BB 2021, 2434

NJW 2021, 3528

NJW 2021, 9

WM 2022, 1984

ZAP 2021, 1237

ZIP 2021, 69

ZIP 2022, 806

ArztR 2021, 313

JZ 2022, 93

JuS 2022, 772

MDR 2021, 1519

MDR 2021, 331

MedR 2022, 317

NJ 2021, 544

VersR 2021, 1495

VuR 2021, 5

GesR 2021, 706

RdW 2021, 624

GuP 2022, 79

Jura 2022, 253

KRS 2022, 230

medstra 2021, 2

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