Leitsatz (amtlich)

›1. Zum Nachweis, daß der Patient über den Eingriff und seine Risiken bereits von einem vorbehandelnden Arzt ausreichend aufgeklärt worden ist.

2. Zu den Voraussetzungen, unter denen eine mangels Bestimmtheit im ersten Rechtszug unzulässige, von dem Gericht als unbegründet abgewiesene Schmerzensgeldklage im zweiten Rechtszug zulässig werden kann.‹

3. 40000 DM [20000 EUR] Schmerzensgeld für die operative Entfernung der Gebärmutter und eines Teils der Adnexe (abdominale Hysterektomie) bei einer 35jährigen Frau mit unbemerkter Verletzung des linken Harnleiters (Ureters) etwa 6-8 cm oberhalb seiner Einmündung in die Blase.

Mehrwöchige stationäre Behandlung (2 KH-Aufenthalte)

Unkontrollierter Harnaustrittdurch die Scheide; blasennahe linksseitige Harnleiter-Scheidenfistel. Medikamentöse sowie fehlgeschlagene operative Nachoperation (Boari-Plastik) mit der Notwendigkeit zur Entfernung der linken Niere. Chronischer Harnwegsinfekt und starke Anämie.

 

Verfahrensgang

OLG München (Urteil vom 14.01.1982; Aktenzeichen 14 U 316/79)

LG Kempten (Urteil vom 12.03.1979; Aktenzeichen 2 O 233/77)

 

Tatbestand

Im Mai 1974 suchte die damals 35-jährige Klägerin wegen stärker werdender Regelblutungen den Frauenarzt Dr. W. im Kreiskrankenhaus in I. auf. Dieser diagnostizierte eine gutartige Muskelbindegewebegeschwulst der Gebärmutterwand (Uterus myomatosus) und riet zur Entfernung der Gebärmutter. Mangels akuter Indikation der Operation wurde vereinbart, den Eingriff bis nach dem Urlaub von Dr. W. hinauszuschieben.

Als am 10. Juni 1974 bei der Klägerin stärkere Blutungen einsetzten und Dr. W. noch in Urlaub war, begab sie sich in die Behandlung des beklagten Gynäkologen, der als Belegarzt am Städtischen Krankenhaus in S. tätig war. Dieser diagnostizierte unter der Schleimhaut liegende Geschwülste (submucöse Myome) als Blutungsursache. Am 18. Juni 1974 entfernte er unter der Assistenz eines Narkosepflegers nach Eröffnen der Bauchhöhle die Gebärmutter und einen Teil der Adnexe (abdominale Hysterektomie). Dabei wurde vom Beklagten unbemerkt der linke Harnleiter (Ureter) etwa 6 bis 8 cm oberhalb seiner Einmündung in die Blase verletzt, so daß bei der Klägerin nach der Operation Harn unkontrolliert durch die Scheide abging. Die Verletzung wurde am 20. Juni 1974 durch eine Blauprobe und ein Infusionurogramm als blasennahe, linksseitige Harnleiter-Scheidenfistel festgestellt. Auf Anraten des vom Beklagten hinzugezogenen Urologen Dr. L. wurde eine Nachoperation bis nach Abklingen der primären Operationsfolgen zurückgestellt und die Klägerin am 29. Juni 1974 aus dem Krankenhaus entlassen. In der Zeit vom 10. bis 12. Juli 1974 behandelte der Beklagte sie wegen einer Entzündung der ableitenden Harnwege auf medikamentöser Basis ohne Erfolg. Am 24. Juli 1974 wurde die Klägerin im Krankenhaus K. nachoperiert. Der Versuch, den Harnleiterschaden durch eine Boari-Plastik zu beheben, schlug fehl, da die neu hergestellte Verbindung zwischen Harnleiter und Blase undicht wurde, Am 7. August 1974 mußte der Klägerin die linke Niere entfernt werden. Sie leidet heute unter einem chronischen Harnwegsinfekt und starker Anämie.

Die Klägerin hat dem Beklagten zunächst Behandlungsfehler vorgeworfen und ihn (neben dem aus dem Verfahren inzwischen ausgeschiedenen Urologen Dr. L.) auf Zahlung eines in das billige Ermessen des Gerichts gestellten Schmerzensgeldes, auf Ersatz materieller Schäden von 3.000 DM sowie auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz weiterer ihr entstandener und künftig entstehender materieller und immaterieller Schäden in Anspruch genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht den Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 40.000 DM verurteilt, den auf Ersatz des materiellen Schadens gerichteten Zahlungsantrag dem Grunde nach sowie den Feststellungsantrag - mit Ausnahme von auf Sozialversicherungsträger übergegangenen Ansprüchen - zuerkannt.

Mit seiner Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des Landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts haftet der Beklagte für den materiellen und immateriellen Schaden der Klägerin aus der Verletzung des linken Harnleiters (Ureters) sowie wegen des nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Gerichts damit im Zusammenhang stehenden Verlustes der linken Niere, des chronischen Harnwegsinfektes und der Anämie. Das Berufungsgericht erwägt dazu: Zwar sei dem Beklagten bei der Gebärmutteroperation (abdominale Hysterektomie) nach den Gutachten aller Sachverständigen kein Fehler unterlaufen; vielmehr seien bei derartigen Operationen auch bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt Verletzungen der benachbarten Organe nicht völlig zu vermeiden. Ebensowenig könne ein Fehler des Beklagten in der postoperativen Phase festgestellt werden. Er müsse sich jedoch vorwerfen lassen, daß er die Klägerin vor der Operation zwar über den Befund, die Art des geplanten Eingriffs und die zu erwartenden Heilungschancen aufgeklärt, nicht aber auf das Risiko einer Verletzung der an die Gebärmutter angrenzenden Hohlorgane hingewiesen habe. Eine Harnleiterverletzung sei nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. O. eine typische Komplikation der Hysterektomie, die als solche im Zeitpunkt des Eingriffs bekannt gewesen sei und über die deshalb allgemein habe aufgeklärt werden müssen, ohne daß es dazu weiterer Feststellungen bedürfe, ob dieses Risiko durch die Ausführung der Operation in einem kleinen Krankenhaus durch einen Belegarzt erhöht gewesen sei. Es könne nicht davon ausgegangen werden, daß die Klägerin vor dem Eingriff Kenntnis von der Gefährdung gehabt habe. Dem in der letzten mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag des Beklagten für seine Behauptung, sie sei durch Dr. W. auch über dieses Risiko schon aufgeklärt worden, sei ohne Rücksicht darauf, ob der Beklagte die unter Beweis gestellte Behauptung hinreichend substantiiert habe, schon deshalb nicht nachzugehen, weil dieser Antrag nach §§ 282 Abs. 2, 296 Abs. 2 ZPO als verspätet zurückgewiesen werden müsse. Ebensowenig könne sich der Beklagte darauf berufen, die Klägerin wurde such bei Aufklärung über dieses Risiko in die Operation eingewilligt haben. Sie habe stets behauptet, bei ordnungsmäßiger Aufklärung hätte sie sich nicht durch den Beklagten und nicht in dem Belegkrankenhaus in S., sondern allenfalls in einer renommierten Klinik operieren lassen. Dem habe der für das Gegenteil darlegungs- und beweispflichtige Beklagte bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung nichts entgegengesetzt.

Auf dieser Grundlage hat das Berufungsgericht dem bezifferten Antrag auf Ersatz das materiellen Schadens dem Grunde nach stattgegeben und den Feststellungsantrag für begründet angesehen. Das von der Klägerin geforderte Schmerzensgeld hat es in Höhe von 40.000 DM als angemessen erachtet (Ziffer II 1 des Urteilsausspruchs) und dazu ausgeführt: Eine Teilabweisung der Schmerzensgeldklage sei nicht veranlaßt, da der zuerkannte Betrag im Rahmen des durch den unbezifferten Antrag dem Gericht eingeräumten Ermessens liege. Da nicht geklärt werden könne, welchen Schmerzensgeldbetrag sich die Klägerin als Mindestbetrag vorgestellt habe, sei von einem ungebundenen Ermessen des Gerichts auszugehen. Daraus, daß das Landgericht den Streitwert für diesen Antrag auf 60.000 DM festgesetzt habe, könne nicht geschlossen werden, daß die Klägerin mit ihrer Berufung diese Summe als Mindestbetrag verfolgt habe. Dafür hätte es weiterer Anhaltspunkte bedurft.

Mit dieser Begründung hält das Berufungsurteil der Revision nicht durchweg stand. Zwar ist dem Berufungsgericht im Ergebnis darin zu folgen, daß der Beklagte der Klägerin für die Schädigung wegen Versäumung seiner Aufklärungspflicht zum Schadensersatz verpflichtet ist (II). Jedoch hätte das Berufungsgericht dem Antrag auf Zahlung eines Schmerzensgeldes nicht in vollem Umfang stattgeben dürfen (III).

II. 1. Ohne Erfolg rügt die Revision, das Berufungsgericht habe die erst in der Berufungsinstanz nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist mit Schriftsatz vom 6. September 1979 erstmals eingeführte Behauptung, sie sei in keiner Weise auf die Komplikation einer Ureterverletzung hingewiesen worden, als verspätet nicht berücksichtigen dürfen (§§ 519 Abs. 3 Nr. 2, 527, 296 Abs. 1 ZPO).

Selbst wenn das Berufungsgericht diesen neuen Tatsachenvortrag bei richtigem Vorgehen hätte zurückweisen müssen, kann sich die Revision gegen seine Berücksichtigung nicht mehr wehren, weil die Beschleunigungswirkungen, die die genannten Verfahrensvorschriften sichern sollen, nicht mehr herzustellen sind, nachdem das Berufungsgericht dem Vortrag der Klägerin nachgegangen ist (vgl. BGH, Urteile vom 12. November 1959 - II ZR 40/58 = LM ZPO § 529 n.F. Nr. 17 und vom 21. Januar 1981 - VIII ZR 10/80 = NJW 1981, 928 m.w.N.).

2. Im Ergebnis ist dem Berufungsgericht auch darin zu folgen, daß der Beklagte verpflichtet war, die Klägerin über das Risiko einer Ureter-Verletzung aufzuklären, und dies schuldhaft versäumt hat.

a) Nach gefestigter Rechtsprechungsgrundsätzen war die Klägerin, damit sie wirksam in die Operation einwilligen konnte, nicht nur über die Art des Eingriffs, sondern auch über seine Risiken ins Bild zu setzen, soweit diese sich für sie als medizinischen Laien aus der Art des Eingriffs nicht ohne weiteres ergaben und für ihre Entschließung von Bedeutung sein konnten. Zwar mußten sie ihr nicht in allen erdenkbaren Erscheinungsformen aufgezählt werden; aber ihr mußte - wenn auch nur im großen und ganzen - eine allgemeine Vorstellung von der Schwere des Eingriffs und den spezifisch mit ihm verbundenen Risiken vermittelt werden (Senatsurteil vom 7. Februar 1984 - VI ZR 174/82 = zur Aufnahme in BGHZ bestimmt, m.w.N.).

b) Ein spezifisch mit der abdominalen Hysterektomie verbundenes Risiko stellt nach den Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. O. und Prof. Dr. T., denen das Berufungsgericht gefolgt ist, die Verletzung des Ureters auch bei Fehlen von Anomalien im Urogenitalsystem, die im Streitfall auszuschließen sind, wegen der individuellen Variationsbreite des Abstandes zwischen Harnleiter und Gebärmutterhals und wegen der eingeschränkten Möglichkeiten, die Lage und den Verlauf des Harnleiters im konkreten Fall zu bestimmen, dar. Die Sachverständigen haben die Komplikationshäufigkeit mit 1,6 % angegeben. Zwar muß nicht schon deshalb über dieses Risiko aufgeklärt werden, wie das Berufungsgericht anzunehmen scheint. In Grenzen gibt dem Patienten schon die Aufklärung darüber, daß an ihm eine größere Operation durch Bauchschnitt vorgenommen werden soll, die Vorstellung davon, daß es hierbei zu Verletzungen kommen kann, die vorübergehend seine Befindlichkeit beeinträchtigen. Indes hebt sich die hier infrage stehende Komplikation von solchen allgemeinen, vom Arzt nicht besonders darzustellenden Risiken einer Operation dadurch ab, daß Harnleiterverletzungen jedenfalls unter Operationsbedingungen, wie sie hier bestanden haben, nach den Ausführungen der Sachverständigen durchweg nicht schon während der Operation erkannt und versorgt werden. Deshalb kann, wenn sie sich nicht von selbst schließen, eine Nachoperation erforderlich werden, die im allgemeinen erst nach Wochen möglich ist und den Patienten in diesem Fall neben erheblichen Beschwernissen der Gefahr einer Nierenschädigung aussetzt. Ob dabei mit einer Entwicklung, wie sie im Streitfall zum Verlust der Niere geführt hat, gerechnet werden muß, was die Revision in Abrede stellt, ist nicht ausschlaggebend. Maßgebend ist, daß der Patient von der Möglichkeit derartiger Beeinträchtigungen seiner körperlichen Befindlichkeit nicht schon durch die Aufklärung über die Art des Eingriffs eine wenn auch nur allgemeine Vorstellung erhält, und daß das Wissen von solchen möglichen Auswirkungen für seine Einwilligung in die Operation auch dann nicht als von untergeordneter Bedeutung angesehen werden kann, wenn der Eingriff, wie hier, zur Beseitigung der aufgetretenen Blutungen absolut indiziert ist (vgl. Senatsurteil vom 7. Februar 1984 - aaO.). Die Sachverständigen Prof. Dr. O. und Prof. Dr. T. haben in ihren Gutachten wiederholt auf die Bedeutung nicht nur der Erfahrungen des Operateurs, sondern einer qualifizierten Assistenz für eine Verringerung dieser Risiken hingewiesen. Zwar ist, weil das Berufungsgericht dies offen läßt, revisionsmäßig davon auszugehen, daß im Streitfall die Hinzuziehung eines Narkosepflegers statt eines erfahrenen Assistenzarztes durch den Beklagten sich nicht konkret ausgewirkt hat. Das ändert jedoch nichts daran, daß die Klägerin ein schutzwürdiges Interesse daran hatte, über das Verletzungsrisiko unterrichtet zu werden, damit sie sich darüber schlüssig werden konnte, ob sie den Eingriff unter den gegebenen Operationsbedingungen von dem Beklagten vornehmen lassen sollte, zumal die Operation zwar absolut indiziert war, nicht aber sofort vorgenommen werden mußte. Es kann deshalb dahinstehen, ob bei einer abdominalen Hysterektomie stets über das Risiko einer Ureter-Verletzung aufgeklärt werden muß, wie das die Sachverständigen Prof. Dr. O. und Prof. Dr. T. - mit Einschränkungen - für den Zeitpunkt des Eingriffs im Jahre 1974 gefordert haben. Jedenfalls unter den gegebenen Verhältnissen mußte die Klägerin über dieses Risiko aufgeklärt werden.

c) Daß der Beklagte die Klägerin entsprechend aufgeklärt hat, behauptet er selbst nicht. Ebenso konnte das Berufungsgericht davon ausgehen, daß sie nicht - auch nicht im großen und ganzen - über dieses Risiko schon aufgeklärt war, als sie sich in die Behandlung des Beklagten begeben hat. Denn das Gegenteil hat der Beklagte nicht nachgewiesen.

aa) Der erkennende Senat hat stets den aufklärungspflichtigen Arzt für verpflichtet angesehen, nachzuweisen, daß er die von ihm geschuldete Aufklärung erbracht hat. Ebenso hat der Senat den Arzt für beweisbelastet gehalten, wenn dieser sich darauf beruft, der Patient habe einer Aufklärung durch ihn nicht bedurft, weil er von anderer Seite bereits hinreichend aufgeklärt worden sei (vgl. Senatsurteile vom 23. Oktober 1979 - VI ZR 197/78 = NJW 1980, 633 = VersR 1980, 68 und vom 10. März 1981 - VI ZR 202/79 = NJW 1981, 2002, 2003 = VersR 1981, 730; Senatsbeschluß vom 21. Juni 1983 - VI ZR 108/82 = VersR 1983, 957). Die vereinzelt hiergegen geäußerte Kritik (vgl. Baumgärtel, Gedächtnisschrift für Rudolf Bruns, 1980, 93, 105; derselbe, Handbuch der Beweislast im Privatrecht Bd. 1, 1981, § 823 Rdnr. 47) gibt dem Senat keinen Anlaß, hiervon abzugehen. Die Aufklärung des Patienten ist - auch unter Vertragsgesichtspunkten - keine bloße Nebenpflicht des Arztes, deren Verletzung der Patient, wenn er Ansprüche aus ihr herleitet, nach allgemeinen Grundsätzen zu beweisen hätte (Senatsurteil vom 10. März 1981 = aaO.). Sie hängt vielmehr wie die Einwilligung des Patienten, die erst den ärztlichen Eingriff in die körperliche Integrität zulässig werden läßt und deren Voraussetzungen die Aufklärung schaffen soll, so eng mit der Behandlungspflicht des Arztes zusammen, daß dieser ebenso wie den Umstand, daß er überhaupt den Eingriff vorgenommen hat (Senatsurteil vom 10. März 1981 = aaO.), auch die Erfüllung seiner Aufklärungspflicht nachweisen muß. Insoweit kommt der gesetzlichen Beweislastverteilung, die für die Deliktshaftung demjenigen, der sich darauf beruft, die Beweislast für eine rechtfertigende Einwilligung auferlegt, allgemeine Bedeutung auch für die ärztliche Aufklärung zu, zumal der Arzt sich am ehesten die Beweise für die erfolgte Aufklärung sichern kann. Um so eher ist es seine Sache, sich, wenn er den Patienten nicht aufklärt, vor dem Eingriff genau zu vergewissern, daß dieser seine Aufklärung nicht braucht. Allerdings dürfen an die Führung dieses Beweises keine unbillig scharfen Anforderungen gestellt werden. Insoweit wird dem Tatrichter Verständnis für die Situation abverlangt, in der sich der Arzt in der Behandlung befindet, aber auch für die Gefahren, die aus einem Mißbrauch dieser Beweislage zu haftungsrechtlichen Zwecken erwachsen können.

bb) Im Streitfall hat zwar die Klägerin den Aufklärungsvorwurf erst im Berufungsrechtszug erhoben, nachdem das Landgericht Behandlungsfehler des Beklagten, auf die die Klage zunächst allein gestützt war, nicht feststellen konnte. Dieser Umstand ist zwar geeignet, ihr Vorbringen besonders kritisch zu würdigen. Er allein kann jedoch nicht dazu führen, den Beklagten von seiner Beweislast ganz freizustellen. Insoweit kann es nur um die Anforderungen an die Beweisführung gehen. Diese hat das Berufungsgericht nicht überspannt: Die Klägerin hatte erstmals mit Schriftsatz vom 6. September 1979 behauptet, vor der Operation "in keiner Weise auf die Komplikation der Ureterverletzung mit der möglichen Folge des Nierenverlustes hingewiesen" worden zu sein. Dieser Vortrag war nicht deshalb unzureichend substantiiert, weil die Klägerin damals nicht bereits zu einer etwaigen Aufklärung durch Dr. W. Stellung genommen hatte. Aus der Vorgeschichte, die Prof. Dr. O. in seinem Gutachten bereits in der ersten Instanz dargestellt hatte, war zu entnehmen: Dr. W. hatte im Mai 1974 der Klägerin zwar zur operativen Entfernung der Gebärmutter im Kreiskrankenhaus in I. geraten, jedoch mit ihr vereinbart, den Eingriff bis nach seinem Urlaub zu verschieben und zunächst eine internistische Untersuchung zur Abklärung der Operabilität durch Dr. B. herbeizuführen. Als sich die Klägerin in die Behandlung des Beklagten begab, war Dr. W. aus seinem Urlaub noch nicht zurückgekehrt. Diese Vorgänge legten es nicht ohne weiteres nahe, daß Dr. W. die Operation bereits im Mai 1974 in Einzelheiten besprochen und die Klägerin über die Operationsrisiken aufgeklärt hatte. Weder gaben sie dem Beklagten eine ausreichende Grundlage dafür, sich ohne weitere Nachforschungen auf eine ausreichende Aufklärung der Klägerin durch Dr. W. zu verlassen, noch hätten sie Anlaß für die Klägerin sein müssen, sich im Rechtsstreit von sich aus mit solchen Annahmen auseinanderzusetzen. Wollte der Beklagte aus der Vorbehandlung durch Dr. W. zu seinen Gunsten etwas herleiten, dann wird ihm nichts Unzumutbares auferlegt, wenn ihm die Darlegungslast insoweit zugeschoben wird. Denn ohnehin hätte er zunächst durch Befragung der Klägerin vor der Operation sich darüber vergewissern müssen, daß sie über die Operationsrisiken unterrichtet war, wenn er selbst auf eine entsprechende Aufklärung verzichten wollte. Er hätte also darüber im Bilde sein müssen, was Dr. W. in dieser Beziehung mit der Klägerin besprochen hatte.

Der Beklagte seinerseits ist dem Vortrag der Klägerin zunächst nicht entgegengetreten. Erst nachdem die Sachverständigen Prof. Dr. O. und Prof. Dr. T. in ihrem Ergänzungsgutachten vom 30. Juli 1981 die "Frage aufgeworfen" haben, ob die Klägerin nicht schon durch Dr. W. bereits ausreichend über die Komplikationsmöglichkeiten aufgeklärt worden sei, und die Klägerin das in ihrem Schriftsatz vom 6. Oktober 1981 substantiiert bestritten hatte, hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 26. Oktober 1981 - zehn Tage vor dem auf dem auf den 5. November 1981 anberaumten Verhandlungstermin - behauptet, Dr. W. habe der Klägerin mitgeteilt, "daß die Gebärmutter zu entfernen sei, daß es sich um einen entsprechenden Eingriff in den Unterleib gehandelt hat und daß der Klägerin über die damit verbundenen Risiken aufgeklärt hat", und hierfür als Zeugen Dr. W. benannt.

Dieses Vorbringen hat das Berufungsgericht entgegen der Rüge der Revision nicht übersehen, sondern ersichtlich für nicht hinreichend substantiiert gehalten. Damit hat es die Anforderungen an die Substantiierungspflicht nicht überspannt. Denn nachdem das Gericht durch seinen Beweisbeschluß vom 12. März 1981 den Parteien klar zu erkennen gegeben hatte, daß es die Aufklärung der Klägerin über das Risiko einer Ureterverletzung für rechtserheblich hielt, konnte es von dem Beklagten verlangen, sein Vorbringen auf dieses konkrete Risiko auszurichten, wenn er dazu etwas vorzutragen hatte. Unter den gegebenen Umständen brauchte deshalb das Berufungsgericht der zu allgemein gehaltenen Behauptung des Beklagten nicht nachzugehen. Erst in dem Verhandlungstermin vom 5. November 1981 hat der Beklagte seinen Beweisantrag hinreichend substantiiert. Ihn konnte das Berufungsgericht ohne Verfahrensverstoß als verspätet nach §§ 523, 296 Abs. 2, 282 Abs. 2 ZPO unbeachtet lassen. Damit verletzte es auch nicht etwa, wie die Revision meint, deshalb das Gebot der Waffengleichheit, weil es die ebenfalls verspätete Behauptung der Klägerin zugelassen hatte. Ihr Vorbringen war dem Beklagten mehr als ein Jahr vor seinem Schriftsatz vom 26. Oktober 1981 bekannt gemacht, und er war durch den Beweisbeschluß des Berufungsgerichts vom 12. März 1981 seit langem darauf vorbereitet worden, daß das Berufungsgericht dem Vorbringen der Klägerin nachgehen wollte. Er hatte deshalb ausreichende Gelegenheit, seine Stellungnahme so rechtzeitig abzugeben, daß der Prozeß nicht verzögert wurde.

3. Zu Recht hat das Berufungsgericht das Vorbringen der Klägerin als ausreichend substantiiert angesehen, bei ordnungsmäßiger Aufklärung hätte sie sich nicht von dem Beklagten in S., sondern allenfalls in einer renommierten Klinik operieren lassen. Damit genügte sie den insoweit strengen Anforderungen an die Substantiierungspflicht (Senatsurteil vom 7. Februar 1984 = aaO., m.w.N.), weil die Operationsbedingungen in S., wie schon die Hinzuziehung lediglich eines Narkosepflegers zur Operation zeigt, in der Tat nicht optimal waren, es nach den Ausführungen der Sachverständigen zur Vermeidung von schwereren Folgen auf die Erfahrung nicht nur des Operateurs, sondern auch seiner Assistenz ankam und der Eingriff verschoben werden konnte. Der Beklagte, dem für das Gegenteil die Beweislast oblag, ist dem substantiiert nicht entgegengetreten. Für den ebenfalls vom Beklagten zu führenden Nachweis, daß es bei einer Operation unter günstigeren Bedingungen auch zu der Verletzung des Ureters mit ähnlich schweren Folgen gekommen wäre, fehlt es an jedem Anhaltspunkt.

4. Daraus ergibt sich, daß der Beklagte der Klägerin den materiellen und immateriellen Schaden ersetzen muß, den sie als Folge der Ureterverletzung erlitten hat. Die Ersatzpflicht erstreckt sich auch auf den Verlust der linken Niere, dessen Zusammenhang mit der Ureterverletzung unstreitig ist. Ob der Beklagte vor der Operation mit dieser Schadensentwicklung rechnen konnte, ist entgegen der Auffassung der Revision unerheblich. Sie ist dem Beklagten als Folgeschaden der Ureterverletzung zuzurechnen, über deren Möglichkeit er schuldhaft nicht aufgeklärt hat. Aus demselben Grund hat der Beklagte auch für die Kosten der Nachbehandlung einzustehen, die durch die Ureterverletzung nötig geworden ist. Zu Recht hat deshalb das Berufungsgericht dem bezifferten Klageantrag dem Grunde nach stattgegeben; auch der Feststellungsausspruch ist rechtlich nicht zu beanstanden.

III. Dagegen hält die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes den Revisionsangriffen nicht durchweg stand.

1. Von dem dieser Verurteilung zugrunde gelegten Ausgangspunkt des Berufungsgerichts aus, daß die Klägerin es an verbindlichen Angaben zur Größenordnung des begehrten Schmerzensgeldes habe fehlen lassen, hätte das Berufungsgericht den Klageantrag allerdings als unzulässig abweisen müssen, weil es an der von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO geforderten, vom Revisionsgericht von Amts wegen (vgl. Senatsurteil vom 1. Juni 1976 - VI ZR 162/74 = VersR 1976, 987) zu berücksichtigenden Bestimmtheit des Klageantrags fehlt (Senatsbeschlüsse vom 4. November 1969 - VI ZB 14/69 = VersR 1970, 83; vom 21. Juni 1977 - VI ZA 3/75 = VersR 1977, 861 f.; vom 20. Februar 1979 - VI ZB 4/75 = VersR 1979, 472; vgl. auch BGHZ 45, 91, 93; BGH, Urteil vom 24. April 1975 - III ZR 7/73 = VersR 1975, 856, 857; Senatsurteil vom 20. September 1983 - VI ZR 111/82 = VersR 1983, 1160, 1161).

2. Indes nötigt das nicht dazu, das Berufungsurteil insoweit insgesamt aufzuheben und den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um der Klägerin Gelegenheit zu geben, ihrer Klage die erforderliche Bestimmtheit zu geben. Denn tatsächlich hat sie im Berufungsrechtszug ihre Schmerzensgeldforderung auf eine Größenordnung von 60.000 DM gerichtet.

a) Zwar hatte die Klägerin in ihrer Klageschrift mit Ausnahme von als "vorläufig" bezeichneten Angaben zum Streitwert ihrer Gesamtforderung, den sie mit 150.000 DM beziffert hatte, keine hinreichend bestimmten Ausführungen zu der von ihr vorgestellten Größenordnung der Schmerzensgeldforderung gemacht, so daß ihre Klage bis zur Einlegung der Berufung durch die Klägerin unzulässig war. Auch im Berufungsrechtszug hat sie ihre Größenvorstellungen für ihren weiterverfolgten Antrag nicht ausdrücklich bekanntgegeben. Jedoch hat sie gegen die Festsetzung des Streitwertes für ihren Klageantrag durch das Landgericht auf 60.000 DM keine Einwände erhoben, ihr Berufungsvorbringen vielmehr ganz auf Angriffe zu dem vom Landgericht verneinten Haftungsgrund gerichtet. Unter den gegebenen Umständen hat die Klägerin daher entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts bei der in solchen Fällen angezeigten großzügigen Betrachtung (vgl. Senatsurteil vom 13. Oktober 1981 - VI ZR 162/80 = NJW 1982, 340, 341 = VersR 1982, 96) ausreichend zu erkennen gegeben, daß sie sich der Schätzung des Landgerichts für ihre Vorstellungen zur Höhe des Schmerzensgeldes im Berufungsrechtszug anschließen wollte. Die Annahme, daß die Klägerin im Berufungsrechtszug von einer geringeren Größenordnung ausgegangen ist, erscheint um so weniger gerechtfertigt, als sie bei Klageerhebung ersichtlich einen höheren Streitwert zugrunde gelegt hat, wie ihre Streitwertangaben unbeschadet der Bezeichnung als nur "vorläufige" Angaben belegen. Daß sie das Kostenrisiko, das sie bis zur Einlegung ihrer Berufung durch ihren unbestimmten Klageantrag eingegangen war und das das Landgericht jedenfalls nicht erkennbar überbewertet hat, durch eine entsprechende Klageänderung für den Berufungsrechtszug weiter einschränken wollte, ist nicht ersichtlich.

b) Daraus folgt, daß die Schmerzensgeldklage zwar im Berufungsrechtszug zulässig geworden ist. Auf der Grundlage eines begründeten Schmerzensgeldes von 40.000 DM hätte das Berufungsgericht aber die Klage, weil sie bei einer Größenvorstellung von 60.000 DM weiterging als der zugesprochene Betrag, im übrigen abweisen müssen. Das rügt die Revision zu Recht.

c) Soweit sich die Revision gegen die Höhe des vom Berufungsgericht festgesetzten Schmerzensgeldes richtet, ist sie dagegen unbegründet. Diese Festsetzung halt sich innerhalb des dem Tatrichter insoweit eingeräumten weiten Beurteilungsspielraums (§ 287 ZPO). Der Auffassung der Revision, der Beklagte habe für den Verlust der linken Niere nicht einzustehen, weil er diese Folgen nicht habe voraussehen können und über sie nicht habe aufklären müssen, kann, wie ausgeführt, nicht beigetreten werden. Auch im übrigen übersteigt das der Klägerin zuerkannte Schmerzensgeld nicht die Größenordnung der für solche schweren Schädigungen angemessenen Beträge. Den mit ihrer Zinsforderung geltend gemachten Verzugsschaden konnte das Berufungsgericht ohne Verfahrensverstoß als unstreitig behandeln (§ 138 Abs. 3 ZPO).

IV. Auf die Revision war daher das Berufungsurteil insoweit abzuändern, als über das von dem Berufungsgericht zuerkannte Schmerzensgeld hinaus die Schmerzensgeldklage abgewiesen bleibt. Im übrigen war die Revision zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Kosten der Revision war zweckmäßigerweise dem Landgericht vorzubehalten, das noch über die Höhe der bezifferten Schadensersatzklage zu befinden hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992728

NJW 1984, 1807

LM Nr. 49 zu § 823 (Eh) BGB

LM Nr. 68 zu § 847 BGB

LM Nr. 76 zu § 611 BGB

JZ 1985, 236

MDR 1984, 926

MedR 1985, 170

VersR 1984, 538

DfS Nr. 1993/16

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