Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluss von Schadensersatzansprüchen gegen I.G. Farbenindustrie AG in Abwicklung wegen mangelnder Vergütung von Zwangsarbeit. § 1 GlAufrG 1957. Anspruch gegen Stiftung gemäß § 16 EVZ-StiftG. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

§ 1 GIAufrG, § 16 EVZ-StiftG halten einer verfassungsrechtlichen Überprüfung stand und schließen Ansprüche sog. "Zwangsarbeiter" gegen die I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft in Abwicklung wirksam aus.

 

Normenkette

GlAufrG 1957 § 1; EVZ-StiftG § 16

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 25.09.2002; Aktenzeichen 7 U 206/01)

LG Frankfurt am Main

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 07.12.2004; Aktenzeichen 1 BvR 1804/03)

 

Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 7. Zivilsenats des OLG Frankfurt a.M. v. 25.9.2002 wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens über die Nichtzulassungsbeschwerde haben die Kläger ihre eigenen außergerichtlichen Kosten je selbst zu tragen; von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der Beklagten haben

der Kläger zu 2) 23 %,

der Kläger zu 3) 30 %,

der Kläger zu 4) 17 % und

der Kläger zu 5) 30 %

zu tragen.

Streitwert: 120.359,72 Euro, davon entfallen auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers zu 2) 27.988,12 Euro, des Klägers zu 3) 35.943,30 Euro, des Klägers zu 4) 20.860,38 Euro und des Klägers zu 5) 35.567,92 Euro.

 

Gründe

I.

Die Kläger waren als polnische Staatsbürger mosaischen Glaubens im Konzentrationslager Auschwitz inhaftiert. In den Jahren zwischen 1942 und 1945 mussten sie in dem Werkkomplex Ausschwitz-Monowitz der Beklagten Zwangsarbeit leisten, ohne dafür eine Vergütung zu erhalten. Sie verlangen von der Beklagten Schadensersatz bzw. den Wert ihrer Arbeitsleistung, die sie nach dem indexierten üblichen Lohn deutscher Arbeiter in der Zeit bis 1945 bemessen. Zusätzlich begehren sie ein Schmerzensgeld von je 10.000 DM für die ihnen widerfahrene Behandlung seitens der Beklagten.

Das LG hat die Klage abgewiesen, weil den Ansprüchen § 16 Abs. 1 S. 2 des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" entgegenstehe und die Ansprüche im Übrigen verjährt seien. Das Berufungsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Zwar seien die Ansprüche der Kläger trotz Entschädigungsleistungen nach dem BEG nicht auf die leistenden Bundesländer übergegangen. Auch könne dahinstehen, ob die Kläger auf ihre Ansprüche nach dem Abkommen zwischen der Beklagten und der Conference on Jewish Material Claims against Germany Inc. v. 6.2.1957 gegen den Erhalt von Zahlungen verzichtet hätten. Die Ansprüche der Kläger seien ferner nicht vollen Umfangs verjährt. Der Lauf der Verjährungsfrist sei zwar gemäß Art. 5 Abs. 2 des Londoner Schuldenabkommens nur bis zum Abschluss des Zwei-plus-Vier-Vertrages v. 12.9.1990 gehemmt gewesen; hinsichtlich der Ansprüche aus unerlaubter Handlung sei daher Verjährung eingetreten. Dagegen seien Ansprüche der Kläger auf Ausgleich nach Bereicherungsrecht - in Abkehr von der ständigen Rechtsprechung des BGH - nicht verjährt. Diese Ansprüche seien aber deshalb ausgeschlossen, weil § 16 Abs. 1 des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" v. 2.8.2000 die Kläger auf Ansprüche gegen die nach diesem Gesetz errichtete Stiftung beschränke und weiter gehende Ansprüche gegen Unternehmen ausschließe. Zum selben Ergebnis führe die Anwendung von § 1 Abs. 3 des Gesetzes über den Aufruf der Gläubiger der I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft in Abwicklung v. 27.5.1957.

Die Kläger, die ihre Ansprüche mit der Revision in vollem Umfang weiterverfolgen wollen, wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision.

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger ist statthaft (§ 26 Nr. 8 EGZPO) und zulässig. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg, denn ein Grund zur Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO) liegt nicht vor.

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde sieht eine grundsätzliche Bedeutung der Fragen, ob § 16 Abs. 1 des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" v. 2.8.2000 (BGBl. I 2000, 1263; künftig: EVZ-StiftG) und § 1 Abs. 3 Gesetz über den Aufruf der Gläubiger der I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft in Abwicklung v. 27.5.1957 (BGBl. I 1957, 569; künftig: Aufrufgesetz) verfassungsgemäß sind. Dem kann nicht zugestimmt werden.

Grundsätzliche Bedeutung i. S. d. § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO hat eine Sache, die eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, welche sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann (vgl. BGH, Beschl. v. 19.12.2002 - VII ZR 101/02, BGHReport 2003, 347 = MDR 2003, 468 = NJW 2003, 831 m. w. N.). Sinn des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO ist es aber nicht, eine Entscheidung des Revisionsgerichts zu einer Frage herbeizuführen, die sich in einer Bestätigung der angegriffenen Entscheidung erschöpft. Vielmehr ist eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage auch dann nicht mehr klärungsbedürftig, wenn sie bereits entschieden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 20.11.2002 - IV ZR 197/02, BGHReport 2003, 305 = MDR 2003, 284 = NJW-RR 2003, 352). Eine grundsätzliche Bedeutung kommt daher dem vorliegenden Fall nicht zu, denn das Berufungsgericht hat aus revisionsrechtlicher Sicht beanstandungsfrei entschieden.

a) Zu § 16 Abs. 1 EVZ-StiftG hat bereits der III. Zivilsenat des BGH (BGH, Beschl. v. 30.11.2000 - III ZB 46/00, NJW 2001, 1069 [1070]) dargelegt, dass der Gesetzgeber den in dieser Bestimmung enthaltenen Anspruchsausschluss unter dem Gesichtspunkt des Art. 14 GG geprüft (BT-Drucks. 14/3206, 17 f.) und in seine Überlegungen einbezogen hat, dass an die Stelle vermeintlicher Ansprüche gegen vielerorts nicht mehr existierende Anspruchsgegner eine angemessen ausgestattete Stiftung trete, die auch denjenigen Personen offen stehe, deren früherer "Arbeitgeber" nicht mehr haftbar gemacht werden könne. Dem schließt sich der Senat an. Die Vorschrift ist nach Ansicht des entscheidenden Senats nicht verfassungswidrig. Sie beinhaltet keinen Verzicht auf durchsetzbare erworbene Ansprüche, sondern verschafft dem "Zwangsarbeiter" an Stelle eines in aller Regel verjährten Anspruchs gegen einen häufig nicht mehr existenten Schuldner einen leicht durchsetzbaren Anspruch gegen die ausreichend ausgestattete Stiftung. Das ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, Urt. v. 8.7.1976 - 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75, BVerfGE 42, 263 [293 ff.] - Contergan). Hiernach ist die von der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfene Frage der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Anderenfalls müsste jeder mit der angeblichen Verfassungswidrigkeit einer im gegebenen Fall anwendbaren Vorschrift begründeten Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzliche Bedeutung zukommen.

b) Im Ergebnis Gleiches gilt für die von der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemachte, aber nicht näher begründete Verfassungswidrigkeit des § 1 Abs. 3 Aufrufgesetz. Hinzu kommt, dass das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler davon ausgeht, dass die Ansprüche der Kläger weder verbriefte Schulden noch Ansprüche sind, die aus den Unterlagen der Gesellschaft ersichtlich sind oder waren oder sonst der Gesellschaft bekannt sind oder waren. Soweit aus heutiger Sicht Entgeltansprüche von "Zwangsarbeitern" grundsätzlich anzuerkennen sind, waren sie zur Zeit der Verkündung des Aufrufgesetzes und des Ablaufs der Ausschlussfrist weder verbrieft noch aus den Unterlagen der Gesellschaft (etwa als fällige Lohnforderungen) ersichtlich oder der Gesellschaft bekannt. Umstände oder Vortrag der Kläger, aus denen Gegenteiliges zu entnehmen wäre, zeigt die Nichtzulassungsbeschwerde nicht auf. Fahrlässige Unkenntnis (bloßes Kennenmüssen) genügt nach dem Wortlaut, aber auch nach Sinn und Zweck des Gesetzes nicht, um eine Ausnahme von dem Erlöschenstatbestand zu schaffen.

2. Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde - ausgehend von einer angenommenen Verfassungswidrigkeit der §§ 16 Abs. 1 EVZ-StiftG, 1 Abs. 3 AufrufG - eine grundsätzliche Bedeutung der Frage der Verjährung im Hinblick auf die vom Berufungsgericht vertretene, von der Rechtsprechung des BGH abweichende Ansicht annimmt, kann ihr gleichfalls nicht gefolgt werden. Allerdings vermag die von einer der Rechtsprechung des BGH abweichende Entscheidung eines Berufungsgerichts die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu begründen, wenn die hierfür erforderlichen Voraussetzungen dargetan werden (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 1.10.2002 - XI ZR 71/02, BGHZ 152, 182 ff. = BGHReport 2002, 1107 = MDR 2003, 104 = NJW 2003, 65 [66]; v. 25.7.2002 - V ZR 118/02, BGHReport 2002, 941 = MDR 2002, 1389 = VersR 2003, 342 [343] - jeweils m. w. N.). Daran fehlt es vorliegend. Die Frage der Verjährung von Ansprüchen der Kläger, zu der das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des BGH abweichen will, war für die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erheblich. Sie könnte allenfalls im Rahmen der Prüfung eines Verfassungsverstoßes von §§ 16 Abs. 1 EVZ-StiftG, 1 Abs. 3 AufrufG Bedeutung erlangen. Insoweit sieht der entscheidende Senat jedoch keine Veranlassung zu einer Änderung der bisherigen Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH BGHZ 48, 125 [127]).

3. Nach allem liegen die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nicht vor. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist daher auf Kosten der Kläger zurückzuweisen (§§ 100 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 962596

NJW 2003, 2912

BGHR 2003, 1068

MDR 2003, 1178

VersR 2003, 1133

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