Leitsatz (amtlich)

Verwirft das Beschwerdegericht die Beschwerde als unzulässig und führt hilfsweise aus, dass die Beschwerde auch unbegründet sei, gelten diese Rechtsausführungen des Beschwerdegerichts und grundsätzlich auch seine dazu getroffenen Feststellungen als nicht geschrieben (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 23.9.2020 - XII ZB 482/19 NJW-RR 2020, 1459).

 

Normenkette

FamFG § 58

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Beschluss vom 23.09.2020; Aktenzeichen 309 T 177/20)

AG Hamburg-Bergedorf (Beschluss vom 06.08.2020; Aktenzeichen 421 XVII 13/15)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des LG Hamburg vom 23.9.2020 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Betroffene wendet sich gegen die durch Zeitablauf erledigte Genehmigung seiner geschlossenen Unterbringung sowie seiner Zwangsmedikation.

Rz. 2

Das AG hat durch Beschluss vom 6.8.2020 die geschlossene Unterbringung des Betroffenen in einer psychiatrischen Akutstation bis einschließlich 16.10.2020 sowie die Einwilligung des Betreuers in eine Zwangsmedikation für die Dauer von sechs zusammenhängenden Wochen mit näher bezeichneten Medikamenten genehmigt. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das LG verworfen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Betroffene die Feststellung, dass die Beschlüsse des Amts- und des LG ihn in seinen Rechten verletzt haben, hilfsweise eine Zurückverweisung des Verfahrens an das Beschwerdegericht.

II.

Rz. 3

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

Rz. 4

Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich auch im Fall einer - hier vorliegenden - Erledigung einer Unterbringungsmaßnahme nach § 312 Satz 1 Nr. 1 FamFG aus § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG (vgl. BGH, Beschl. v. 8.5.2019 - XII ZB 2/19 FamRZ 2019, 1181 Rz. 6 m.w.N.). Nach der im Rechtsbeschwerdeverfahren entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG ist der Feststellungsantrag auch im Übrigen zulässig (vgl. BGH, Beschl. v. 8.5.2019 - XII ZB 2/19 FamRZ 2019, 1181 Rz. 7 m.w.N.).

Rz. 5

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Beschwerde des Betroffenen vom 14.9.2020 sei gem. § 68 Abs. 2 FamFG als unzulässig zu verwerfen, da sie verfristet sei. Die Beschwerdefrist des § 63 Abs. 1 FamFG sei nicht gewahrt, nachdem der Beschluss des AG ausweislich der Akten am 7.8.2020 an den Betroffenen abgesandt worden sei und damit gem. § 15 Abs. 2 FamFG drei Tage nach Aufgabe zur Post, mithin am 10.8.2020, als dem Betroffenen zugestellt gelte. Der Beschluss sei dem Betroffenen zudem noch am 6.8.2020 über den Faxanschluss der Klinikstation übermittelt worden.

Rz. 6

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Rz. 7

a) Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass der Beschluss des AG dem Betroffenen nach § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG hätte zugestellt werden müssen, weil er gem. § 58 FamFG mit der Beschwerde anfechtbar ist und dem erklärten Willen des Betroffenen nicht entspricht. Das AG hat als Ergebnis der persönlichen Anhörung des Betroffenen ausdrücklich festgehalten, dass es in keiner Weise gelingen werde, den Betroffenen auf freiwilliger Basis zur Akzeptanz irgendeiner Medikation zu bewegen.

Rz. 8

Das Unterbleiben einer gem. § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG erforderlichen Zustellung führt zur Unwirksamkeit der Bekanntgabe, weshalb nach § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG die Beschwerdefrist nicht zu laufen beginnt (BGH, Beschl. v. 13.5.2015 - XII ZB 491/14 FamRZ 2015, 1374 Rz. 7 m.w.N.).

Rz. 9

Eine etwaige Heilung der Zustellungsmängel gem. §§ 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG, 189 ZPO kann vorliegend nicht angenommen werden. Das Beschwerdegericht hat nicht festgestellt, ob und ggf. wann der Betroffene den Beschluss des AG tatsächlich erhalten hat. Soweit das Beschwerdegericht ausführt, der Beschluss des AG sei dem Betroffenen noch am 6.8.2020 über das Stationsfax der Klinik übermittelt worden, rügt die Rechtsbeschwerde zu Recht, dass sich dies aus dem Akteninhalt nicht ergibt. Das AG hat zwar am 6.8.2020 verfügt, den Beschluss an den Betroffenen in der Klinikstation per Fax zu übermitteln. Zugleich sollte der Beschluss auch in Kurzform an die Station übermittelt werden. In Ausführung dieser Verfügung wurden am 7.8.2020 drei Seiten per Fax an die Klinikstation übermittelt. Dies kann schon deswegen nicht den Schluss rechtfertigen, der Beschluss sei dem Betroffenen in der Klinik übermittelt worden, weil der vollständige Beschluss vier Seiten umfasst.

Rz. 10

b) Soweit das Beschwerdegericht hilfsweise ausgeführt hat, dass die Beschwerde auch unbegründet sei, gelten diese Rechtsausführungen der angefochtenen Entscheidung und grundsätzlich auch die dazu getroffenen tatsächlichen Feststellungen nach ständiger Rechtsprechung des BGH als nicht geschrieben (vgl. BGH, Beschl. v. 23.9.2020 - XII ZB 482/19 NJW-RR 2020, 1459 Rz. 13 m.w.N.). In diesen Fällen darf das Rechtsbeschwerdegericht von der grundsätzlich gebotenen Aufhebung und Zurückverweisung nur absehen und in der Sache entscheiden, wenn die Beschwerdeentscheidung einen Sachverhalt ergibt, der für die rechtliche Beurteilung eine verwertbare tatsächliche Grundlage bietet, und wenn bei Zurückverweisung ein anderes Ergebnis nicht möglich erscheint (vgl. BGH Beschl. v. 8.5.2018 - XI ZR 538/17, NJW 2018, 2269 Rz. 20). Dies wird unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie etwa für den Fall angenommen, dass die maßgeblichen Tatsachen zwischen den Beteiligten unstreitig und vom Beschwerdegericht vollständig festgestellt sind und das Beschwerdegericht die Prozessabweisung auf diese Tatsachen gestützt hat (sog. doppelt relevante Tatsachen; vgl. BGHZ 216, 83 = NJW-RR 2018, 719 Rz. 43 ff. m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend ersichtlich nicht gegeben.

Rz. 11

3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

 

Fundstellen

Haufe-Index 14532058

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