Leitsatz (amtlich)

a) Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist auch in den Fällen einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung nicht unverschuldet, wenn diese offenkundig falsch gewesen ist und deshalb - ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand - nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte (im Anschluss an BGH v. 18.12.2013 - XII ZB 38/13, FamRZ 2014, 643; v. 13.6.2012 - XII ZB 592/11, FamRZ 2012, 1287).

b) Die Unterteilung in Familienstreitsachen einerseits und andere Familiensachen andererseits gehört ebenso zu den verfahrensrechtlichen Grundkenntnissen eines im Familienrecht tätigen Rechtsanwalts wie das Wissen darum, dass in Familienstreitsachen die fristgebundene Rechtsmittelbegründung Zulässigkeitsvoraussetzung der Beschwerde und eine Unterhaltssache als Familienstreitsache einzuordnen ist. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich bei dem Rechtsanwalt um einen Fachanwalt für Familienrecht handelt.

 

Normenkette

FamFG § 117 Abs. 5; ZPO § 233 S. 2

 

Verfahrensgang

OLG Hamburg (Beschluss vom 12.09.2017; Aktenzeichen 2 UF 95/17)

AG Hamburg (Beschluss vom 09.05.2017; Aktenzeichen 276 F 53/15)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 2. Familiensenats des OLG Hamburg vom 12.9.2017 wird auf Kosten des Antragsgegners verworfen.

Der Wert der Rechtsmittelverfahren wird - hinsichtlich des Werts des Beschwerdeverfahrens in Abänderung des vorbezeichneten Beschlusses des OLG Hamburg - auf 8.236 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Antragsgegner wendet sich dagegen, dass das OLG seine Beschwerde in einer Trennungsunterhaltssache wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist verworfen hat.

Rz. 2

Die vier Antragsteller sind die Kinder und Erben der ursprünglichen Antragstellerin. Diese hatte ihren Ehemann, den Antragsgegner, vor dem AG auf Trennungsunterhalt in Anspruch genommen und ist während des erstinstanzlichen Verfahrens verstorben. Das AG hat den Antragsgegner mit Beschluss vom 9.5.2017 zur Zahlung von insgesamt 8.236 EUR nebst Zinsen an die Antragsteller verpflichtet. Der dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners am 15.5.2017 zugestellte Beschluss enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung, die wie folgt lautet:

"Gegen diesen Beschluss findet das Rechtsmittel der Beschwerde statt. (...) Die Beschwerde ist binnen einer Frist von 1 Monat bei dem AG (...) einzulegen. (...) Die Beschwerde wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt. (...) Die Beschwerde soll begründet werden."

Rz. 3

Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten am 27.5.2017 Beschwerde beim AG eingelegt und diese mit am 19.7.2017 beim AG eingegangenem Rechtsanwaltsschriftsatz begründet. Das AG hat diesen Schriftsatz an das OLG weitergeleitet, wo er am 26.7.2017 eingegangen ist. Nach einem Hinweis des OLG, dass die Beschwerdebegründungsfrist versäumt sei, hat der Antragsgegner Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Diesen Antrag hat das OLG zurückgewiesen und die Beschwerde verworfen.

II.

Rz. 4

Die Rechtsbeschwerde ist gem. §§ 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist aber nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die maßgeblichen Rechtsfragen sind durch die Rechtsprechung des BGH geklärt. Der Antragsteller vermag auch nicht aufzuzeigen, dass eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich wäre. Das OLG hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt und die Beschwerde wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist verworfen. Damit hält es sich im Rahmen der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

Rz. 5

1. Das OLG hat richtig gesehen, dass es sich bei dem auf Zahlung von Trennungsunterhalt gerichteten Verfahren gem. §§ 112 Nr. 1, 231 Abs. 1 Nr. 2 FamFG um eine Familienstreitsache handelt, für die § 117 Abs. 1 FamFG gilt. Danach war hier binnen zwei Monaten nach der schriftlichen Bekanntgabe des erstinstanzlichen Beschlusses eine Beschwerdebegründung beim OLG einzureichen. Diese Frist lief am 17.7.2017, einem Montag, ab, so dass der erst am 26.7.2017 beim OLG eingegangene Begründungsschriftsatz die Frist nicht gewahrt hat.

Rz. 6

2. Auch die Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gibt zu Rechtsbedenken keinen Anlass. Denn die Fristversäumung ist nicht unverschuldet i.S.v. §§ 117 Abs. 5 FamFG, 233 Satz 1 ZPO. Ohne Erfolg macht der Antragsgegner geltend, gem. §§ 117 Abs. 5 FamFG, 233 Satz 2 ZPO müsse das Fehlen des Verschuldens vermutet werden. Vielmehr hat das OLG zu Recht angenommen, dass die Fristversäumung trotz der unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung auf dem Verschulden des anwaltlichen Vertreters des Antragsgegners beruht, das sich dieser gem. §§ 113 Abs. 1 FamFG, 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

Rz. 7

a) Allerdings darf auch ein Rechtsanwalt grundsätzlich auf die Richtigkeit einer durch das Gericht erteilten Rechtsbehelfsbelehrung vertrauen. Gleichwohl muss von ihm erwartet werden, dass er die Grundzüge des Verfahrensrechts und das Rechtsmittelsystem in der jeweiligen Verfahrensart kennt. Das Vertrauen in die Richtigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung kann er deshalb nicht uneingeschränkt, sondern nur in solchen Fällen in Anspruch nehmen, in denen die inhaltlich fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung zu einem unvermeidbaren, zumindest aber zu einem nachvollziehbaren und daher verständlichen Rechtsirrtum des Rechtsanwalts geführt hat. Die Fristversäumung ist mithin auch in den Fällen einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung nicht unverschuldet, wenn diese offenkundig falsch gewesen ist und deshalb - ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand - nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte (vgl. BGH v. 18.12.2013 - XII ZB 38/13, FamRZ 2014, 643 Rz. 19 f.; v. 13.6.2012 - XII ZB 592/11, FamRZ 2012, 1287 Rz. 9; BGH Beschlüsse vom 18.10.2017 - LwZB 1/17, NJW 2018, 165 Rz. 7; v. 12.10.2016 - V ZB 178/15, NJW 2017, 1112 Rz. 11 f.; v. 12.1.2012 - V ZB 198/11, V ZB 199/11, NJW 2012, 2443 Rz. 10 f.).

Rz. 8

b) Nach diesen Maßstäben war die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist durch den Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners nicht unverschuldet. Die Unterteilung in Familienstreit- und Ehesachen einerseits und Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit andererseits gehört ebenso zu den verfahrensrechtlichen Grundkenntnissen eines im Familienrecht tätigen Rechtsanwalts wie das Wissen darum, dass in Familienstreitsachen die fristgebundene Rechtsmittelbegründung Zulässigkeitsvoraussetzung der Beschwerde und eine (Trennungs-)Unterhaltssache als Familienstreitsache einzuordnen ist. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um einen Fachanwalt für Familienrecht handelt. Vielmehr nimmt der Rechtsanwalt mit der Übernahme eines entsprechenden Mandats diese verfahrensrechtliche Sachkunde für sich in Anspruch.

Rz. 9

Daran ändert der Umstand nichts, dass diese einfachen Anforderungen genügende Kenntnis des Verfahrensrechts selbstverständlich auch vom FamG zu verlangen und der Fehler in der Rechtsbehelfsbelehrung daher nicht nachvollziehbar ist. Ohne Erfolg beruft sich die Rechtsbeschwerde schließlich auf die Rechtsprechung des BGH zu einer hinsichtlich des örtlich zuständigen Berufungsgerichts in Wohnungseigentumssachen unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung (vgl. BGH Beschl. v. 28.9.2017 - V ZB 109/16 - ZfIR 2018, 23 Rz. 14 m.w.N.). Anders als dort unterliegt in der vorliegenden Sache weder die verfahrensrechtliche Einordnung (als Familienstreitsache) noch eine der Zulässigkeitsanforderungen des Rechtsmittels einer Unwägbarkeit, die den Rechtsirrtum des Rechtsanwalts nachvollziehbar erscheinen lassen könnte (vgl. auch BGH Beschl. v. 18.10.2017 - LwZB 1/17, NJW 2018, 165 Rz. 8).

 

Fundstellen

Haufe-Index 11553032

FamRZ 2018, 699

FuR 2018, 258

NJW-RR 2018, 385

FA 2018, 123

FGPrax 2018, 96

JurBüro 2018, 335

ZAP 2018, 332

AnwBl 2018, 491

JZ 2018, 282

MDR 2018, 420

FF 2018, 131

FF 2018, 175

FamRB 2018, 233

RENOpraxis 2018, 140

FK 2018, 152

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