Leitsatz (amtlich)

Die Besorgnis der Befangenheit ist begründet, wenn zwischen dem Ehegatten des abgelehnten Richters und einer Prozesspartei eine enge bzw. langjährige Freundschaft besteht.

 

Normenkette

ZPO § 42 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Beschluss vom 24.06.2020; Aktenzeichen 14 S 8273/19 WEG)

AG Hersbruck (Entscheidung vom 20.11.2019; Aktenzeichen 7 C 36/18 WEG)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss des LG Nürnberg-Fürth - 14. Zivilkammer - vom 24.6.2020 aufgehoben.

Das Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden Richter am LG S. wird für begründet erklärt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 EUR.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Kläger verlangen von beiden Beklagten, es zu unterlassen, Kraftfahrzeuge an einer bestimmten Stelle auf dem Gemeinschaftseigentum der Wohnungseigentumsanlage zu parken oder abzustellen. Das AG hat die Klage abgewiesen. Dagegen haben die Kläger Berufung eingelegt. Die Ehefrau des Vorsitzenden Richters der zuständigen Berufungskammer ist seit Jahren mit der Beklagten zu 2) befreundet. Der Vorsitzende Richter hatte davon in einem von den Klägern gegen alle übrigen Wohnungseigentümer geführten Beschlussanfechtungsverfahren 2015 Mitteilung gemacht und erklärt, selbst seit Jahren keinen Kontakt mit der Beklagten zu 2) zu haben.

Rz. 2

Die Kläger haben den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das LG hat das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit dieser verfolgen die Kläger ihr Ablehnungsgesuch weiter. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.

Rz. 3

Das Berufungsgericht meint, ein Ablehnungsgrund liege nicht vor. Zwischen dem abgelehnten Richter und der Beklagten zu 2) bestehe kein persönliches Näheverhältnis; nur dessen Ehefrau sei mit der Beklagten zu 2) befreundet. Der Umstand, dass eine Einflussnahme einer am Ausgang des Rechtsstreits interessierten Person über den Ehepartner des abgelehnten Richters denkbar erscheine, vermöge für sich allein eine Ablehnung nicht zu begründen. Es sei davon auszugehen, dass ein Richter grundsätzlich befähigt sei, unvoreingenommen und unabhängig zu entscheiden. So liege es hier. Zwar habe die Beklagte zu 2) ein erhebliches wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreits. Darin gehe es aber nur um die Frage, ob sie gegen die von ihr anerkannte Unterlassungspflicht verstoßen habe, so dass Beweisfragen im Mittelpunkt stünden. Es sei weder ersichtlich, dass die Beklagte zu 2) den abgelehnten Richter über die Ehefrau beeinflussen könne, noch, dass dieser sich auf eine solche Einflussnahme einlassen werde.

III.

Rz. 4

Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO) und auch im Übrigen zulässige (§ 575 ZPO) Rechtsbeschwerde ist begründet.

Rz. 5

1. Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die Kläger an der Geltendmachung des Ablehnungsgrunds nicht gehindert sind, obwohl sie den Vorsitzenden Richter der Berufungskammer in dem früheren Beschlussanfechtungsverfahren nicht abgelehnt haben. Zwar wirkt der Verlust des Ablehnungsrechts durch das Einlassen in eine Verhandlung oder durch das Stellen von Anträgen gem. § 43 ZPO auch für einen anderen Rechtsstreit, wenn dieser mit dem Verfahren, in welchem der Ablehnungsgrund nicht geltend gemacht wurde, tatsächlich und rechtlich zusammenhängt (vgl. BGH, Beschl. v. 1.6.2006 - V ZB 193/05 NJW 2006, 2776 Rz. 11). An einem solchen Zusammenhang zwischen beiden Verfahren fehlt es aber. Hier werden (nur) die Beklagten auf Unterlassung nach § 1004 BGB in Anspruch genommen, während Gegenstand des früheren Verfahrens eine Beschlussanfechtung war.

Rz. 6

2. Das Berufungsgericht sieht jedoch zu Unrecht den Umstand, dass die Ehefrau des Vorsitzenden Richters der Berufungskammer seit vielen Jahren mit der Beklagten zu 2) befreundet ist, nicht als Ablehnungsgrund gem. § 42 ZPO an.

Rz. 7

a) Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet wegen Besorgnis der Befangenheit die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Maßgeblich ist, ob aus der Sicht der den Richter ablehnenden Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an dessen Unvoreingenommenheit und objektiver Einstellung zu zweifeln. Dafür genügt es, dass die Umstände geeignet sind, der Partei Anlass zu begründeten Zweifeln zu geben, da es bei den Vorschriften der Befangenheit von Richtern darum geht, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu vermeiden (st.Rspr., vgl. BGH, Beschl. v. 15.3.2012 - V ZB 102/11 NJW 2012, 1890 Rz. 10; Beschl. v. 30.10.2014 - V ZB 196/13, MDR 2015, 50 Rz. 4; jeweils m.w.N.).

Rz. 8

b) Mit der Frage, ob eine langjährige Freundschaft des Ehepartners eines Richters mit einer Prozesspartei die Besorgnis der Befangenheit i.S.v. § 42 Abs. 2 ZPO begründet, hat sich die Rechtsprechung bislang nur vereinzelt befasst und diese, anders als das Berufungsgericht, bejaht (LG Görlitz, Beschl. v. 27.6.2013 - 2 T 93/13, juris Rz. 12). Der Senat entscheidet sie dahingehend, dass die Besorgnis der Befangenheit begründet ist, wenn zwischen dem Ehegatten des abgelehnten Richters und einer Prozesspartei eine enge bzw. langjährige Freundschaft besteht.

Rz. 9

aa) Gründe in der Person eines anderen als der Partei lassen die Unvoreingenommenheit eines Richters dann zweifelhaft erscheinen, wenn Anlass zu der Besorgnis besteht, dass sich das Verhältnis zu dem Dritten auf die Einstellung des Richters zu einem Prozessbeteiligten oder zum Gegenstand des Verfahrens auswirkt (vgl. BGH, Beschl. v. 15.3.2011 - II ZR 237/09, WM 2011, 812 Rz. 2; Beschl. v. 15.3.2011 - II ZR 244/09, NJW-RR 2011, 648 Rz. 2). Ein Dritter in diesem Sinne ist der Ehegatte des abgelehnten Richters.

Rz. 10

bb) Die Besorgnis der Befangenheit kann sich aus Umständen ergeben, die in der beruflichen Tätigkeit des Ehegatten des abgelehnten Richters liegen. Das ist etwa dann anzunehmen, wenn die Ehefrau des Richters in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten einer Partei als Rechtsanwältin (vgl. BGH, Beschl. v. 15.3.2012 - V ZB 102/11 NJW 2012, 1890 Rz. 9 u. 11) oder als Sekretärin (BGH, Beschl. v. 21.6.2018 - I ZB 58/17 NJW 2019, 516 Rz. 13 ff.) tätig ist, oder wenn der Richter über die Berufung einer Partei gegen ein durch seine Ehefrau als Einzelrichterin erlassenes Urteil zu entscheiden hat (vgl. BGH, Beschl. v. 27.2.2020 - III ZB 61/19 MDR 2020, 625 Rz. 13).

Rz. 11

cc) Auch eine nahe persönliche Beziehung des Ehegatten des Richters zu einer Partei kann geeignet sein, die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen. Das ist danach zu beurteilen, ob die persönliche Beziehung eine Qualität hat, die - unterhielte sie der Richter zu der Partei - bei vernünftiger Betrachtung die Besorgnis der Befangenheit begründete. Das ist bei einer engen bzw. langjährigen Freundschaft mit einer Prozesspartei der Fall.

Rz. 12

(1) Es ist anerkannt, dass nahe persönliche Beziehungen des Richters zu einem Verfahrensbeteiligten geeignet sein können, Misstrauen eines Verfahrensbeteiligten in die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (vgl. BGH, Beschl. v. 31.1.2005 - II ZR 304/03, juris Rz. 2; Beschl. v. 29.6.2009 - , juris Rz. 5; Beschl. v. 24.4.2013 - RiZ 4/12, juris Rz. 28). Eine bloße Bekanntschaft oder lockere Freundschaft stellt regelmäßig noch keine für eine Besorgnis der Befangenheit ausreichende nahe persönliche Beziehung dar. Anders ist es aber bei einer engen bzw. langjährigen Freundschaft (vgl. BGH, Beschl. v. 29.6.2009 - , juris Rz. 5 u. 7; Beschl. v. 2.12.2015 - RiZ (R) 1/15, HFR 2016, 417 Rz. 3, BVerfGK 3, 297, 298 ff.; BFH, Beschl. v. 5.9.2018 - XI R 45/17, juris Rz. 12; BVerwG, Beschl. v. 18.7.2019 - 2 C 35/18, juris Rz. 6).

Rz. 13

(2) Aus Sicht der ablehnenden Partei macht es keinen Unterschied, ob der Richter oder seine Ehefrau die enge bzw. langjährige Freundschaft mit der anderen Partei unterhält. Für sie besteht regelmäßig Anlass zu der Befürchtung, der Richter habe, weil sein Ehegatte das Freundschaftsverhältnis pflegt, ebenso wie diese eine positive Einstellung gegenüber der befreundeten Partei und übertrage diese positive Einstellung auf das Verfahren. Das gilt unabhängig davon, ob der Richter selbst Kontakt mit der Partei hat. Die ablehnende Partei hat keinen Einblick in die Verhältnisse der Eheleute; für sie ist auch nicht erkennbar, ob Gespräche zwischen dem abgelehnten Richter und seinem Ehegatten über die befreundete Partei stattfinden. Sie muss davon ausgehen, dass der abgelehnte Richter die Freundschaft seiner Ehefrau mit der Partei miterlebt, weil dies typischerweise in einer Ehe der Fall ist. Aus der Sicht der ablehnenden Partei rechtfertigt deshalb bereits das Näheverhältnis des Richters zu seinem Ehegatten die Befürchtung, der Richter sei gegenüber der anderen Partei positiv eingestellt und könne sich davon bei seiner Entscheidung - zumindest unbewusst - leiten lassen.

Rz. 14

(3) Demgegenüber ist nicht maßgeblich, dass Richter grundsätzlich über eine innere Unabhängigkeit und Distanz verfügen, die sie befähigen, unvoreingenommen und objektiv zu entscheiden. Dass tatsächlich eine Befangenheit vorliegt, ist nicht erforderlich. Vielmehr genügt es, dass die aufgezeigten Umstände geeignet sind, der Partei Anlass zu begründeten Zweifeln an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung zu geben (vgl. BGH, Beschl. v. 15.3.2012 - V ZB 102/11 NJW 2012, 1890 Rz. 10; Beschl. v. 30.10.2014 - V ZB 196/13, MDR 2015, 50 Rz. 4; jeweils m.w.N.).

Rz. 15

c) Gemessen daran ist das Ablehnungsgesuch der Kläger begründet. Nach der Stellungnahme des abgelehnten Richters besteht zwischen seiner Ehefrau und der Beklagten zu 2) nicht nur eine lockere Bekanntschaft, sondern eine langjährige Freundschaft.

IV.

Rz. 16

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Kosten der - wie hier - erfolgreichen Beschwerde sind solche des Rechtsstreits (Zöller/Vollkommer, ZPO, 33. Aufl., § 46 Rz. 22). Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 3 ZPO; er entspricht dem Wert der Hauptsache (vgl. BGH, Beschl. v. 15.3.2012 - V ZB 102/11 NJW 2012, 1890 Rz. 12 m.w.N.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 14288480

NJW 2021, 9

NJW-RR 2021, 187

FA 2021, 62

IBR 2021, 108

AnwBl 2021, 304

JZ 2021, 115

MDR 2021, 184

MDR 2021, 27

ZInsO 2021, 115

ErbR 2021, 366

FF 2021, 88

StV 2021, 809

VRR 2021, 2

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