Leitsatz (amtlich)

a)Im Vergabenachprüfungsverfahren entscheiden die Vergabesenate der Oberlandesgerichte über sofortige Beschwerden gegen Entscheidungen der Vergabekammern abschließend. Wird die im Vergabenachprüfungsverfahren gegen eine Entscheidung der Vergabekammer erhobene Beschwerde als unzulässig verworfen oder als unbegründet zurückgewiesen, endet daher das Nachprüfungsverfahren mit der Entscheidung des Vergabesenats.

b)Aus dem Umstand, dass nach § 124 Abs. 2 GWB die Sache im Falle der Divergenz dem BGH vorzulegen ist und dieser anstelle des Vergabesenats entscheidet, kann nicht hergeleitet werden, dass den Parteien ein in den Verfahrensvorschriften nicht vorgesehenes Rechtsmittel gegen Beschwerdeentscheidungen der Vergabesenate einzuräumen ist; eine solche Auslegung der Vorschrift verstößt gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete verfassungsrechtliche Gebot der Rechtsmittelklarheit.

c)Ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen das Beschwerdegericht als im Vergabenachprüfungsverfahren letztinstanzlich entscheidendes Gericht gehalten ist, auf eine Eingabe einer Partei der von ihr erhobenen Rüge der Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör nachzugehen, unterliegt der Beurteilung durch das Beschwerdegericht. Eine Nachprüfung seiner Entscheidung durch den BGH findet nicht statt.

 

Normenkette

GWB §§ 116, 124 Abs. 2

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Beschluss vom 20.03.2003)

 

Tenor

Die außerordentliche Beschwerde gegen den Beschluss des Vergabesenats des OLG Düsseldorf vom 20.3.2003 wird auf Kosten der Antragstellerin als unzulässig verworfen.

Beschwerdewert: 73.701,74 EUR

 

Gründe

I. Die Parteien haben im Vergabenachprüfungsverfahren über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung einer öffentlichen Ausschreibung gestritten. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist von der Vergabekammer zurückgewiesen worden. Der Beschluss wurde der Antragstellerin am Samstag, dem 21.12.2002 zugestellt. Hiergegen hat die Antragstellerin am 6.1.2003 um 23.32 Uhr per Fax sofortige Beschwerde eingelegt, wobei die letzten Seiten der Beschwerdeschrift mit der Unterschrift ihres Prozessbevollmächtigen nicht übertragen wurden. Drei Minuten nach Mitternacht übermittelte der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin die Beschwerdeschrift per Fax erneut einschließlich der Seite mit der Unterschrift. Das Beschwerdegericht hat die Antragstellerin auf diesen Umstand hingewiesen und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen gegeben. Am 31.1.2003 hat die Antragstellerin beantragt, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Mit Beschl. v. 20.3.2003 hat das Beschwerdegericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig verworfen und der Antragstellerin anheim gestellt, die Beschwerde zurückzunehmen. Hiergegen hat die Antragstellerin am 1.4.2003 weitere Beschwerde eingelegt, die ggf. als außerordentliche Beschwerde behandelt werden solle. Sie hat u. a. geltend gemacht, ihr habe von Amts wegen Wiedereinsetzung gewährt werden müssen, und der Beschluss des Beschwerdegerichts beruhe auf der Verletzung des Gebots rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).

Mit Beschl. v. 30.4.2003 hat das Beschwerdegericht die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs für unbegründet gehalten und die Sache dem BGH zur Entscheidung über die außerordentliche Beschwerde der Antragstellerin v. 1.4.2003 vorgelegt.

II. Das von der Antragstellerin als weitere oder außerordentliche Beschwerde bezeichnete Rechtsmittel ist unzulässig.

1. Das im vierten Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) geregelte Vergabenachprüfungsverfahren sieht vor, dass die Vergabesenate der Oberlandesgerichte über sofortige Beschwerden gegen die Entscheidungen der Vergabekammern abschließend entscheiden (§§ 116 f. GWB). Ein vom BGH zu bescheidendes Rechtsmittel gegen die Entscheidungen der Vergabesenate ist im Gesetz nicht vorgesehen. Wird die im Vergabenachprüfungsverfahren gegen eine Entscheidung der Vergabekammer erhobene Beschwerde als unzulässig verworfen oder als unbegründet zurückgewiesen, endet daher das Nachprüfungsverfahren mit der Entscheidung des Vergabesenats. Daraus folgt, dass eine nach § 238 Abs. 1 S. 2 ZPO vorab getroffene Entscheidung des Beschwerdegerichts über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unanfechtbar ist (§ 120 Abs. 2 GWB i. V. m. § 73 Nr. 2 GWB, § 238 Abs. 2 S. 2 ZPO; vgl. BGH, Beschl. v. 14.2.2001 - XII ZB 168/00, BGHReport 2001, 481 = BGHR ZPO § 238 Abs. 2 - Beschwerde, weitere 2; Beschl. v. 16.4.2002 - VI ZB 23/00, BGHReport 2002, 904 = MDR 2002 1083 = NJW 2002, 2397m. w. N.).

2. Die Beschwerde der Antragstellerin ist auch nicht aus anderen Gründen zulässig.

a) Die Vorlage der Sache an den BGH ist ausdrücklich zu der von der Antragstellerin beantragten Behandlung ihrer Eingabe als "weitere" und "ggf. außerordentliche" Beschwerde erfolgt. Der Beschluss des Beschwerdegerichts ist daher keine Vorlage aus Gründen der Divergenz (§ 124 Abs. 2 GWB); eine Divergenz ist auch in der Sache nicht erkennbar. Denn der Beschluss des Beschwerdegerichts v. 20.3.2002 steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH zur Fristversäumung durch Übermittlung unvollständiger Schriftsätze im Wege der Faxversendung und zur Gewährung der Wiedereinsetzung ohne Antrag (vgl. BGH, Beschl. v. 4.5.1994 - XII ZB 21/94, MDR 1994, 826 = CR 1994, 753 = NJW 1994, 2097; Urt. v. 15.3.2000 - VIII ZR 217/99, NJW 2000, 1591).

Aus dem Umstand, dass nach § 124 Abs. 2 GWB im Falle der Divergenz die Sache dem BGH vorzulegen ist und dieser anstelle des Beschwerdegerichts entscheidet, kann nicht hergeleitet werden, dass den Parteien ein in den Verfahrensvorschriften nicht vorgesehenes Rechtsmittel gegen eine Beschwerdeentscheidung des Vergabesenats einzuräumen wäre. Eine solche Auslegung der Vorschrift würde gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten verfassungsrechtlichen Gebot der Rechtsmittelklarheit verstoßen (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 30.4.2003 - 1 PBvU 1/02, MDR 2003, 886 = NJW 2003, 1924 [1928] unter C IV).

b) Die von der Antragstellerin eingelegte Beschwerde ist schließlich auch als außerordentliche Beschwerde wegen Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unzulässig. Die Vorschriften des GWB zum Vergabenachprüfungsverfahren sehen einen derartigen außerordentlichen Rechtsbehelf nicht vor. Dessen Schaffung für das Vergabenachprüfungsverfahren im Wege der Rechtsfortbildung steht - wie bereits ausgeführt ist - das verfassungsrechtliche Gebot der Rechtsmittelklarheit entgegen. Ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen das Beschwerdegericht als im Vergabenachprüfungsverfahren letztinstanzlich entscheidendes Gericht gehalten ist, auf Gegenvorstellung einer Partei der von ihr erhobenen Rüge der Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör nachzugehen (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 30.4.2003 - 1 PBvU 1/02, MDR 2003, 886 = NJW 2003, 1924 [1928] unter C II; BGH v. 7.3.2002 - IX ZB 11/02, BGHZ 150, 133 f. = BGHReport 2002, 431 = MDR 2002, 901), unterliegt der Beurteilung durch das Beschwerdegericht. Das Beschwerdegericht hat diese Prüfung ausweislich seines Beschlusses vorgenommen. Seine Entscheidung unterliegt nicht der Nachprüfung durch den BGH, da ein Rechtsmittelverfahren, in dem diese Prüfung vorgenommen werden könnte, gesetzlich nicht vorgesehen ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1058761

NJW 2004, 292

BGHR 2004, 58

BauR 2004, 564

EWiR 2004, 339

MDR 2004, 168

ZfBR 2004, 90

EUK 2003, 172

NZBau 2003, 687

BauRB 2004, 13

KammerForum 2004, 140

VergabeR 2004, 62

WuW 2003, 1367

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