Verfahrensgang

AnwGH Frankfurt (Entscheidung vom 14.03.2022; Aktenzeichen 1 AGH 13/21)

 

Tenor

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das am 14. März 2022 verkündete Urteil des 1. Senats des Hessischen Anwaltsgerichtshofs wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Kläger.

Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Kläger ist seit dem Jahr 2005 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Bescheid vom 27. Oktober 2021 widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft. Die hiergegen gerichtete Klage hat der Hessische Anwaltsgerichtshof mit Urteil vom 14. März 2022, dem Kläger zugestellt am 19. März 2022, als unbegründet abgewiesen.

Rz. 2

Mit Schriftsatz vom 19. April 2022, eingegangen beim Anwaltsgerichtshof am selben Tag, hat der Kläger die Zulassung der Berufung beantragt. Mit an den Anwaltsgerichtshof gerichtetem Schriftsatz vom 18. Mai 2022, dort eingegangen am 19. Mai 2022, hat der Kläger den Zulassungsantrag begründet. Mit Schreiben vom 5. Juli 2022 hat der Anwaltsgerichtshof die auch die Begründung des Zulassungsantrags umfassende Akte dem Bundesgerichtshof übersandt, wo die Akte am 8. Juli 2022 eingegangen ist.

Rz. 3

Mit Verfügung vom 15. August 2022 hat der Senat den Kläger auf Bedenken gegen die Zulässigkeit des Zulassungsantrags hingewiesen und eine Stellungnahmefrist bis zum 12. September 2022 gesetzt. Auf einen Fristverlängerungsantrag des Klägers vom 12. September 2022 hat der Bundesgerichtshof dem Kläger am 13. September 2022 mitgeteilt, nicht vor dem 30. September 2022 zu entscheiden. Eine Stellungnahme des Klägers ist nicht eingegangen.

II.

Rz. 4

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist bereits unzulässig, weil entgegen § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 Satz 4 und 5 VwGO die Antragsbegründung nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bundesgerichtshof eingegangen ist. Die Zustellung des vollständigen Urteils ist am 19. März 2022 erfolgt. Die Frist zur Einreichung der Antragsbegründung ist daher am 19. Mai 2022 abgelaufen (§112e Satz 2 BRAO, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Variante 1 BGB). Die Begründung hat den Bundesgerichtshof indes erst am 8. Juli 2022 erreicht.

Rz. 5

Nicht ausreichend ist, dass die Antragsbegründung innerhalb der Frist den Anwaltsgerichtshof erreicht hat (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO; Senat, Beschluss vom 28. Juni 2022 - AnwZ (Brfg) 5/22, juris Rn. 2 f.; vgl. auch VGH München, NVwZ-RR 2006, 851; W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl., § 124a Rn. 48).

Rz. 6

2. Der Antrag wäre indes auch unbegründet, da der klägerseits allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht vorliegt (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 5 Satz 2, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. nur Senat, Beschluss vom 4. März 2019 - AnwZ (Brfg) 47/18, juris Rn. 3). Zweifel an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen füllen den Zulassungsgrund dann nicht aus, wenn sie nicht die Richtigkeit des Ergebnisses erfassen (vgl. nur Senat, Beschluss vom 7. März 2019 - AnwZ (Brfg) 66/18, juris Rn. 5).

Rz. 7

a) Soweit der Kläger geltend macht, dass die Insolvenzbeantragung durch das Finanzamt "unter seltsamen Umständen" zustande gekommen sei, weil er kurze Zeit nach der Insolvenzantragstellung durch das Finanzamt sämtliche Schulden beim Finanzamt beglichen und mit dem weiteren Gläubiger Ratenzahlung vereinbart habe, stellt dies das angegriffene Urteil nicht in Frage. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO wird ein Vermögensverfall vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Rechtsanwalts eröffnet ist. Mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 25. Juni 2021 wurde - was auch der Kläger nicht bestreitet - über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet, das auch im Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung noch andauerte.

Rz. 8

Soweit der Kläger mit der Wendung "unter seltsamen Umständen" geltend machen will, der Eröffnungsbeschluss sei nicht rechtmäßig gewesen, so begründet auch dies keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kommt dem Eröffnungsbeschluss des Insolvenzgerichts - ebenso wie Schuldtiteln und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen von Vollstreckungsorganen (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 20. Oktober 2014 - AnwZ (Brfg) 32/13, BeckRS 2014, 20924 Rn. 5; vom 5. September 2016 - AnwZ (Brfg) 39/15, juris Rn. 16 und vom 29. Mai 2018 - AnwZ (Brfg) 71/17, ZInsO 2018, 1637 Rn. 5; jeweils mwN) - im Widerrufsverfahren eine Tatbestandswirkung zu. Seine inhaltliche und verfahrensrechtliche Richtigkeit wird daher im Widerrufsverfahren nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO nicht überprüft; etwaige Fehler sind nicht im Widerrufsverfahren, sondern in dem dafür vorgesehenen Verfahren, d.h. im Wege der sofortigen Beschwerde, geltend zu machen (Senat, Beschluss vom 19. April 2022 - AnwZ (Brfg) 39/21, juris Rn. 9).

Rz. 9

b) Soweit der Kläger geltend macht, er sei 15 Jahre lang erfolgreich als Anwalt tätig gewesen und seine finanzielle Schieflage sei durch den Ausbruch der Corona-Pandemie bedingt, stellt auch dies die Richtigkeit des angegriffenen Urteils nicht in Frage. Denn für den Widerruf ist nicht entscheidend, aus welchen Gründen der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist und ob er dies verschuldet hat oder nicht (vgl. Senat, Beschlüsse vom 6. Mai 2021 - AnwZ (Brfg) 38/20, juris Rn. 16 und vom 8. Januar 2018 - AnwZ (Brfg) 10/17, juris Rn. 23 mwN). Dies gilt auch dann, wenn - wie der Kläger behauptet - sein Vermögensverfall durch die Corona-Krise verursacht worden sein sollte (Senat, Beschluss vom 3. November 2021 - AnwZ (Brfg) 29/21, juris Rn. 10).

Rz. 10

c) Soweit der Kläger mit der Vorlage einer Liste neuer Mandate und der Behauptung, die deutsche Botschaft in T.      sei seit April 2022 wieder geöffnet und sein Umsatz habe sich von April bis Mai um 50% gesteigert, geltend machen will, der Vermögensverfall dauere nicht an, so kann auch dieser Umstand die Richtigkeit des Urteils des Anwaltsgerichtshofs nicht ernstlich in Frage stellen. Denn für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens, also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids oder - wenn das Vorverfahren entbehrlich ist - auf den Ausspruch der Widerrufsverfügung abzustellen; die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen ist einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 4. März 2019 - AnwZ (Brfg) 47/18, juris Rn. 4 und vom 7. Dezember 2018 - AnwZ (Brfg) 55/18, juris Rn. 5; jeweils mwN).

Rz. 11

d) Schließlich besteht auch im Hinblick darauf, dass der Kläger vorträgt, vor dem Hintergrund, dass sämtliche neuen Mandate ausländerrechtlicher Natur seien, bei denen es zu keiner Verwaltung von Mandantengeldern komme, bestehe zu keinem Zeitpunkt die Gefahr, dass Gläubiger im Insolvenzverfahren Mandantengelder einzögen und Mandanten dadurch Schaden drohe, kein ernstlicher Zweifel daran, dass durch den klägerischen Vermögensverfall die Interessen der Rechtsuchenden gefährdet sind (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbsatz 1 aE BRAO).

Rz. 12

Nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers ist mit dem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden. Auch wenn diese Regelung nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen ist, die Gefährdung daher nicht zwangsläufig und ausnahmslos schon aus dem Vorliegen eines Vermögensverfalls folgt, kann die Gefährdung im nach der gesetzlichen Wertung vorrangigen Interesse der Rechtsuchenden nur in seltenen Ausnahmefällen verneint werden, wobei den Rechtsanwalt hierfür die Feststellungslast trifft. Die Annahme einer derartigen Sondersituation setzt mindestens voraus, dass der Rechtsanwalt seine anwaltliche Tätigkeit nur noch für eine Rechtsanwaltssozietät ausübt und mit dieser rechtlich abgesicherte Maßnahmen verabredet hat, die eine Gefährdung der Mandanten effektiv verhindern. Selbst auferlegte Beschränkungen des in Vermögensverfall geratenen Rechtsanwalts sind dagegen grundsätzlich nicht geeignet, eine Gefährdung der Rechtsuchenden auszuschließen (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 12. Dezember 2018 - AnwZ (Brfg) 65/18, juris Rn. 7; vom 3. November 2021 - AnwZ (Brfg) 29/21, juris Rn. 11). Eine solche Sondersituation hat der Kläger für den maßgeblichen Widerrufszeitpunkt nicht dargelegt, noch ist sie sonst erkennbar. Dass der Kläger nach seinem Vortrag zurzeit lediglich ausländerrechtliche Mandate bearbeitet, bezieht sich zum einen nicht auf den Widerrufszeitpunkt und stellt noch nicht einmal eine - nach dem oben Gesagten nicht ausreichende - Selbstbeschränkung, sondern lediglich eine Beschreibung des Ist-Zustands dar, die sich jederzeit ändern kann.

III.

Rz. 13

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.

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