Entscheidungsstichwort (Thema)

Wegfall des Rechtsschutzinteresses eines Gläubigers nach Erfüllung der Forderung nach Stellung des Insolvenzantrags

 

Leitsatz (amtlich)

Wird die Forderung des antragstellenden Sozialversicherungsträgers nach Stellung des Insolvenzantrages erfüllt, entfällt das Rechtsschutzinteresse dieses Gläubigers an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, wenn der Schuldner das Arbeitsverhältnis des bei dem Gläubiger versicherten Arbeitnehmers gekündigt und die Betriebsstätte geschlossen hat.

 

Normenkette

InsO § 14 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

LG Aachen (Beschluss vom 23.01.2012; Aktenzeichen 6 T 101/11)

AG Aachen (Entscheidung vom 07.07.2011; Aktenzeichen 91 IN 68/11)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des LG Aachen vom 23.1.2012 wird auf Kosten der weiteren Beteiligten zu 2) zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 3.676,60 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Am 22.2.2011 beantragte die weitere Beteiligte zu 1), eine Krankenkasse, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners. Am 9.3.2011 stellte auch die weitere Beteiligte zu 2), ebenfalls eine Krankenkasse, einen entsprechenden Antrag. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens bestellte das Insolvenzgericht am 9.5.2011 einen vorläufigen Insolvenzverwalter und ordnete Sicherungsmaßnahmen an.

Rz. 2

In der Zeit vom 11. bis zum 16.5.2011 leistete die Lebensgefährtin des Schuldners insgesamt 15.147,08 EUR auf fällige Gläubigerforderungen. Dabei glich sie auch die Forderungen der weiteren Beteiligten zu 1) und zu 2) aus. Der Schuldner ist nicht zu einer Rückzahlung der für ihn erbrachten Leistungen verpflichtet. Seiner bei der weiteren Beteiligten zu 2) versicherten Arbeitnehmerin kündigte er im Hinblick auf die Schließung seiner zweiten Betriebsstätte zum 31.5.2011 und meldete sie bei der weiteren Beteiligten zu 2) ab. Am 19.5.2011 führte der vorläufige Insolvenzverwalter in seinem Gutachten aus, die im Zeitpunkt der Antragstellung vorliegende Zahlungsunfähigkeit bestehe nicht mehr fort.

Rz. 3

Bereits durch Schreiben vom 17.5.2011 hat die weitere Beteiligte zu 1) ihren Antrag für erledigt erklärt. Die weitere Beteiligte zu 2) hat demgegenüber am 28.5.2011 unter Hinweis auf § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO um gerichtliche Entscheidung über den Eröffnungsantrag gebeten. Der Schuldner hat sich der Erledigungserklärung der weiteren Beteiligten zu 1) angeschlossen. Das Insolvenzgericht hat die beiden zuvor getrennt geführten Verfahren miteinander verbunden, den Insolvenzantrag der weiteren Beteiligten zu 2) als unzulässig abgewiesen und im Übrigen über die Kosten entschieden. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 2) hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt sie ihren Antrag auf Eröffnung des Verfahrens über das Vermögen des Schuldners weiter.

II.

Rz. 4

Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen (§ 575 ZPO) zulässig. In der Sache ist sie jedoch unbegründet.

Rz. 5

1. Die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Frage, ob der Anwendungsbereich des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO in Übereinstimmung mit dem Wortlaut auch dann eröffnet ist, wenn der zeitlich vorangegangene Antrag noch anhängig ist (vgl. Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO 2011, § 14 Rz. 117 ff.; HmbKomm-InsO/Wehr, 4. Aufl., § 14 Rz. 69; Frind, ZInsO 2011, 412, 416), oder ob das vorausgegangene Antragsverfahren abgeschlossen sein muss (vgl. LG Leipzig, NZI 2012, 274, 275; AG Göttingen, ZInsO 2011, 1515, 1517; AG Göttingen, ZInsO 2011, 2090, 2091; Schmerbach in FK/InsO, 6. Aufl., § 14 Rz. 175a ff), ist nicht entscheidungserheblich.

Rz. 6

2. Denn der weiteren Beteiligten zu 2) fehlt jedenfalls das gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 InsO weiterhin erforderliche rechtliche Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Rz. 7

a) Auch im Anwendungsbereich des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO entfällt das Tatbestandsmerkmal des rechtlichen Interesses nicht (vgl. HmbKomm-InsO/Wehr, a.a.O., Rz. 72; Pape, a.a.O., Rz. 130 ff.; Beth, NZI 2012, 1, 2; Gundlach/Rautmann, NZI 2011, 315, 317; Marotzke, ZInsO 2011, 841, 848 f.). Dies folgt bereits aus der Formulierung, der Antrag werde nicht allein dadurch unzulässig, dass die Forderung erfüllt werde (vgl. HmbKomm-InsO/Wehr, a.a.O.). Allerdings sind in diesem Fall strenge Anforderungen an das Rechtsschutzinteresse und die Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes zu stellen, so dass ein rechtliches Interesse an einer Verfahrensfortführung regelmäßig nur bei Finanzbehörden und Sozialversicherungsträgern anzuerkennen sein wird, weil diese öffentlichen Gläubiger nicht verhindern können, dass sie weitere Forderungen gegen den Schuldner erwerben (BT-Drucks. 17/3030, 42).

Rz. 8

b) Nach diesem Maßstab hat die weitere Beteiligte zu 2) kein rechtliches Interesse an der Fortführung des Verfahrens dargelegt. Denn der Schuldner hatte u.a. der bei ihr versicherten Arbeitnehmerin gekündigt und die Betriebsstätte geschlossen. In einem solchen Fall besteht für einen Sozialversicherungsträger regelmäßig nicht die konkrete Gefahr, dass eine weitere wirtschaftliche Tätigkeit des Schuldners bei diesem neue Verbindlichkeiten begründen wird, mit deren Ausgleich der Schuldner wiederum in Rückstand geraten kann (vgl. Hackländer/Schur, ZInsO 2012, 901, 908 ff.; HmbKomm-InsO/Wehr, a.a.O.). Hierauf hatte schon das Insolvenzgericht seine Entscheidung hilfsweise gestützt.

 

Fundstellen

DB 2012, 1922

DB 2012, 6

NWB 2012, 2832

EBE/BGH 2012

EWiR 2012, 763

NZG 2012, 1353

StuB 2012, 727

WM 2012, 1639

ZIP 2012, 1674

ZIP 2012, 5

DZWir 2012, 477

JZ 2012, 639

MDR 2012, 1254

NZI 2012, 7

NZI 2012, 708

NZS 2012, 819

ZInsO 2012, 1565

GuT 2012, 418

NJW-Spezial 2012, 630

NWB direkt 2012, 917

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