Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Rechtsbeschwerde gegen vorläufige Ingewahrnahme

 

Leitsatz (amtlich)

Wendet sich der Betroffene gegen die vorläufige Ingewahrsamnahme durch die Behörde nach § 428 FamFG i.V.m. § 62 Abs. 4 AufenthG, ist die Rechtsbeschwerde nicht statthaft (§ 70 Abs. 4 FamFG).

 

Normenkette

FamFG § 70 Abs. 4, § 428 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Lüneburg (Beschluss vom 29.04.2010; Aktenzeichen 2 T 17/10)

AG Winsen/Luhe (Entscheidung vom 29.01.2010; Aktenzeichen 14 XIV B 1994)

 

Tenor

Dem Betroffenen wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Ihm wird RA Rinkler beigeordnet.

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des LG Lüneburg vom 29.4.2010 wird als unzulässig verworfen.

Die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt der Betroffene; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 1.500 EUR.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Betroffene, ein kosovarischer Staatsangehöriger, war bereits mehrfach unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Nach der letzten Einreise hielt er sich in Berlin, dem Zuständigkeitsbereich der Beteiligten zu 2), auf. Danach tauchte er unter. Nachdem er sich am 16.12.2009 anlässlich einer im Bezirk der Beteiligten zu 3) durchgeführten Personenkontrolle mit gefälschten italienischen Papieren ausgewiesen hatte, wurde er gegen 15.30 Uhr nach § 127 Abs. 2 StPO in Polizeigewahrsam genommen. Hiervon informierte die Polizei am nächsten Morgen zunächst die Beteiligte zu 3), die um 7.40 Uhr Kontakt mit der Beteiligten zu 2) aufnahm. Die um 8.25 Uhr von der Festnahme in Kenntnis gesetzte Staatsanwaltschaft teilte der Polizei umgehend mit, dass sie keinen Antrag auf Erlass eines Untersuchungshaftbefehls stellen werde. Danach ersuchte die Beteiligte zu 2) die Beteiligte zu 3), im Wege der Amtshilfe die Abschiebungshaft zu beantragen. Auf deren Antrag ordnete das AG gegen 15 Uhr nach Anhörung des Betroffenen die Haft zur Sicherung der Abschiebung an.

Rz. 2

Soweit hier von Interesse hat der Betroffene bei dem AG erfolglos beantragt, die Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme in der Zeit vom 16.12.2009, 18 Uhr bis zur Anordnung der Abschiebungshaft am 17.12.2009 festzustellen. Auf die dagegen gerichtete Beschwerde hat das LG ausgesprochen, dass die Ingewahrsamnahme des Betroffenen bis zum 17.12.2009, 7.40 Uhr, rechtswidrig gewesen ist; das weitergehende Rechtsmittel hat es zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene seinen Feststellungsantrag weiter, soweit dieser erfolglos geblieben ist.

II.

Rz. 3

Soweit das Beschwerdegericht die Beschwerde zurückgewiesen hat, steht es auf dem Standpunkt, die vom 17.12.2009 ab 7.40 Uhr vollzogene Haft sei nach § 62 Abs. 4 AufenthG gerechtfertigt gewesen. Von diesem Zeitpunkt an habe die Aufrechterhaltung der Haft zur Vorbereitung der Abschiebungshaft gedient. Eine schuldhafte Verzögerung der Abläufe sei nicht ersichtlich, weil die Beteiligte zu 3) notwendige Informationen erst noch habe beschaffen müssen.

III.

Rz. 4

Das Rechtsmittel ist nicht statthaft.

Rz. 5

1. § 428 Abs. 2 FamFG ordnet an, dass über die Anfechtung behördlich angeordneter Freiheitsentziehungen i.S.v. § 428 Abs. 1 Satz 1 FamFG "auch nach den Vorschriften dieses Buches" zu entscheiden ist, und macht damit deutlich, dass der gerichtliche Rechtsschutz gegen solche Maßnahmen den Regelungen folgen soll, die für die Anfechtung gerichtlich angeordneter Freiheitsentziehungen gelten. Zu diesen Normen gehört u.a. die Vorschrift des § 427 FamFG, die in untrennbarem Zusammenhang mit der Vorschrift des § 70 Abs. 4 FamFG zu sehen ist, wonach die Rechtsbeschwerde ausgeschlossen ist in Verfahren, in denen über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung befunden worden ist (vgl. auch BT-Drucks. 16/6308, 209). Dass hierzu - verfassungsrechtlich unbedenklich - auch Entscheidungen über vorläufige Haftanordnungen gehören, die von einem Richter nach § 427 FamFG i.V.m. § 62 Abs. 1 bis 3 AufenthG angeordnet worden sind, hat der Senat bereits entschieden (Beschl. v. 3.2.2011 - V ZB 128/10, juris Rz. 6; vgl. auch Beschl. v. 11.11.2010 - V ZB 123/10, juris Rz. 3 f.). Jedenfalls für die der richterlichen Beschlussfassung vorgelagerte Möglichkeit der Behörde, einen Ausländer unter strengen Voraussetzungen für einen kurzen Zeitraum vorläufig in Gewahrsam zu nehmen, um diesen unverzüglich dem Richter vorzuführen (§ 428 FamFG i.V.m. § 62 Abs. 4 AufenthG), gilt nichts anderes (a.A. Bahrenfuss/Grotkopp, FamFG, § 428 Rz. 6: Rechtsbeschwerde statthaft bei Zulassung durch das Beschwerdegericht; zur Beschränkung der Rechtskontrolle auf zwei Instanzen nach § 310 Abs. 2 StPO, wenn ein nach § 127 Abs. 2 StPO vorläufig Festgenommener ohne Vorführung vor den Richter wieder freigelassen wird, vgl. OLG Frankfurt, NStZ-RR 2010, 22). Dass es den Ländern nach Art. 99 GG freisteht, bei in ihren Kompetenzbereich fallenden (vorläufigen) freiheitsentziehenden Maßnahmen ein Rechtsmittel zum BGH zu eröffnen, steht dem nicht entgegen. Der von einer vorläufigen Anordnung nach der bundesrechtlichen Regelung des § 62 Abs. 4 AufenthG Betroffene kann die Maßnahme in zwei Instanzen zur richterlichen Überprüfung stellen. Den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die an einen wirkungsvollen Rechtsschutz zu stellen sind, ist damit genügt.

Rz. 6

2. Die Erledigung der Haftanordnung rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Möglichkeit, die durch die Behörde nach § 428 Abs. 2 FamFG angeordnete vorläufige Freiheitsentziehung mit einem Antrag nach § 62 FamFG zur gerichtlichen Überprüfung zu stellen, eröffnet nicht ein gesetzlich nicht vorgesehenes Rechtsmittel, sondern besteht nur innerhalb des für die jeweilige Verfahrensart vorgesehenen Instanzenzuges. Dieser ist mit der Beschwerdeentscheidung erschöpft (vgl. Senat, Beschl. v. 11.11.2010 - V ZB 123/10, juris Rz. 4).

IV.

Rz. 7

Der Senat hat die Nichterhebung der Gerichtskosten nach § 16 KostO (dazu Keidel, FamFG, 16. Aufl., § 81 Rz. 20) angeordnet, weil die Einlegung des nicht statthaften Rechtsmittels durch die unrichtige Rechtsmittelbelehrung des Beschwerdegerichts veranlasst worden ist. Im Übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 84 FamFG.

 

Fundstellen

EBE/BGH 2011

FGPrax 2011, 253

InfAuslR 2011, 361

MDR 2011, 1064

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