Leitsatz (amtlich)

Sieht die Behörde den Transitaufenthalt eines Ausländers nach Abschluss des Asylverfahrens und vor Ablauf der in § 15 Abs. 6 Satz 2 AufenthG normierten 30-Tagesfrist als Freiheitsentziehung an und hält sie deshalb für die weitere Aufrechterhaltung des Aufenthalts eine richterliche Entscheidung für erforderlich, handelt es sich bei dem bis zur richterlichen Entscheidung andauernden Aufenthalt um eine bloß vorläufige behördliche Maßnahme; diese ist einer Überprüfung im Rahmen einer Rechtsbeschwerde entzogen.

 

Normenkette

FamFG § 70 Abs. 4; AufenthG § 15 Abs. 6 S. 2

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 29.07.2016; Aktenzeichen 2-29 T 118/16)

AG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 09.05.2016; Aktenzeichen 934 XIV 631/16 B)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 29. Zivilkammer des LG Frankfurt/M. vom 29.7.2016 wird als unzulässig verworfen.

Die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt der Betroffene; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 EUR.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Betroffene ist kamerunischer Staatsangehöriger. Er traf am 29.3.2016 aus Chicago kommend am Flughafen Frankfurt/M. ein. Er stellte einen Asylantrag und wurde daraufhin zur Durchführung eines beschleunigten Verfahrens nach § 18a AsylVerfG in einer Asylbewerberunterkunft im Transitbereich des Flughafens untergebracht. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag als offensichtlich unbegründet ab; die beteiligte Behörde verweigerte dem Betroffenen die Einreise. Seine Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz lehnte das VG Frankfurt/M. mit Beschluss vom 16.4.2016 ab. Diese Entscheidung wurde der beteiligten Behörde am 18.4.2016 bekannt gemacht. Am 19.4.2016 ordnete das AG auf Antrag der beteiligten Behörde vom selben Tag den weiteren Aufenthalt des Betroffenen am Flughafen Frankfurt/M. bis einschließlich 21.6.2016 an.

Rz. 2

Der Betroffene hat beantragt festzustellen, dass seine Unterbringung am Flughafen in der Zeit vom 16.4.2016 bis zum 19.4.2016 rechtswidrig war. Diesen Antrag hat das AG zurückgewiesen. Das LG hat unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung des Betroffenen in der Zeit vom 17.4.2016 bis zum Erlass des Haftbeschlusses vom 19.4.2016 festgestellt. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde möchte der Betroffene die Feststellung erreichen, dass die Freiheitsentziehung bereits ab dem 16.4.2016 rechtswidrig war. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

II.

Rz. 3

Das Beschwerdegericht meint, dass die Unterbringung des Betroffenen auf dem Gelände des Flughafens ab dem 16.4.2016 bis zum Erlass des Haftbeschlusses am 19.4.2016 eine Freiheitsentziehung sei. Die Kammer schließe sich insoweit der Entscheidung des OLG Frankfurt vom 3.3.2016 (20 W 9/15) an, wonach die Unterbringung des Betroffenen im Transitbereich des Flughafens zumindest nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens gem. § 18a AsylVerfG eine Freiheitsentziehung darstelle, die einer richterlichen Anordnung bedürfe. Rechtswidrig sei die Unterbringung des Betroffenen wegen der fehlenden richterlichen Anordnung gem. Art. 104 Abs. 2 GG aber nicht schon ab dem 16.4.2016, sondern erst ab dem 17.4.2016 bis zum Erlass des Haftbeschlusses am 19.4.2016. Am 16.4.2016 sei das Asylverfahren aufgrund des Beschlusses des VG Frankfurt/M. abgeschlossen gewesen. Ab diesem Zeitpunkt sei für die weitere Ingewahrsamnahme des Betroffenen eine richterliche Anordnung erforderlich gewesen, wobei es genügt hätte, wenn diese am Folgetag erlassen worden wäre. Dies wäre unter Berücksichtigung des erforderlichen Zeitaufwandes zur Anfertigung eines behördlichen Haftantrages "unverzüglich" i.S.d. Art. 104 Abs. 2 GG gewesen.

III.

Rz. 4

Das Rechtsmittel ist nicht statthaft.

Rz. 5

1. Gemäß § 70 Abs. 4 FamFG ist die Rechtsbeschwerde ausgeschlossen in Verfahren, in denen über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung befunden worden ist. Hierzu gehören nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch Entscheidungen über vorläufige Haftanordnungen, die von einem Richter nach § 427 FamFG i.V.m. § 62 AufenthG angeordnet worden sind (Senat, Beschl. v. 3.2.2011 - V ZB 128/10, juris Rz. 6; vgl. auch Beschl. v. 11.11.2010 - V ZB 123/10, juris Rz. 3 f.). Entschieden hat der Senat zudem (Beschl. v. 12.5.2011 - V ZB 135/10, InfAuslR 2011, 361 Rz. 5; Beschl. v. 23.5.2011 - V ZA 29/10, juris), dass nichts anderes gilt für die der richterlichen Beschlussfassung vorgelagerte Möglichkeit der Behörde, einen Ausländer unter strengen Voraussetzungen für einen kurzen Zeitraum vorläufig in Gewahrsam zu nehmen, um diesen unverzüglich dem Richter vorzuführen (§ 428 FamFG i.V.m. § 62 Abs. 4 AufenthG bzw. jetzt: § 62 Abs. 5 AufenthG). Hintergrund hierfür ist die Vorschrift des § 428 Abs. 2 FamFG. Auch über die Anfechtung behördlich angeordneter Freiheitsentziehungen i.S.v. § 428 Abs. 1 Satz 1 FamFG ist "nach den Vorschriften dieses Buches" zu entscheiden. Hieraus wird deutlich, dass der gerichtliche Rechtsschutz gegen solche Maßnahmen den Regelungen folgen soll, die für die Anfechtung gerichtlich angeordneter Freiheitsentziehungen gelten. Hierzu zählt § 70 Abs. 4 FamFG (BGH, Beschl. v. 12.5.2011 - V ZB 135/10, InfAuslR 2011, 361 Rz. 5).

Rz. 6

2. Der Rechtsbeschwerdeführer wendet sich gegen eine lediglich vorläufige Maßnahme einer Behörde i.S.d. § 428 Abs. 1 und 2 FamFG, die gem. § 70 Abs. 4 FamFG einer Überprüfung durch eine Rechtsbeschwerde nicht zugänglich ist.

Rz. 7

a) Nach der neueren Rechtsprechung des OLG Frankfurt (InfAuslR 2016, 192) handelt es sich bei der Unterbringung eines Betroffenen im Transitbereich des Flughafens nach Abschluss des "Flughafenasylverfahrens" auch vor Ablauf von 30 Tagen nach Ankunft des Betroffenen am Flughafen ungeachtet der gesetzlichen Regelung des § 15 Abs. 6 Satz 2 AufenthG um eine dem Richtervorbehalt gem. Art. 104 Abs. 2 GG unterliegende Freiheitsentziehung. Dieser Rechtsprechung hat sich das Beschwerdegericht angeschlossen und deshalb den Aufenthalt des Betroffenen im Transitbereich des Flughafens ab dem 16.4.2016 als Freiheitsentziehung bewertet.

Rz. 8

b) Ob diese rechtliche Bewertung rechtlich zutreffend ist, bedarf keiner Entscheidung.

Rz. 9

aa) Ob es sich bei einem Transitaufenthalt um eine bloß vorläufige Maßnahme i.S.d. § 428 Abs. 1 FamFG handelt, richtet sich nämlich nach der Rechtsauffassung der Behörde. Sieht die Behörde den Transitaufenthalt eines Ausländers nach Abschluss des Asylverfahrens und vor Ablauf der in § 15 Abs. 6 Satz 2 AufenthG normierten 30-Tagesfrist als Freiheitsentziehung an und hält sie deshalb für die weitere Aufrechterhaltung des Aufenthalts eine richterliche Entscheidung für erforderlich, handelt es sich bei dem bis zur richterlichen Entscheidung andauernden Aufenthalt um eine bloß vorläufige behördliche Maßnahme; diese ist einer Überprüfung im Rahmen einer Rechtsbeschwerde entzogen.

Rz. 10

bb) So liegt der Fall hier. Die beteiligte Behörde hat unter ausdrücklicher Zitierung der Entscheidung des OLG Frankfurt nach Abschluss des Asylverfahrens durch den Beschluss des VG Frankfurt/M. vom 16.4.2016 Anlass zur Einholung einer richterlichen Anordnung gesehen und - nach Zustellung des Beschlusses des VG Frankfurt/M. an sie - einen entsprechenden Antrag gestellt.

Rz. 11

3. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht bindet den Senat nicht (vgl. Senat, Beschl. v. 23.5.2011 - V ZA 29/10, juris). Sie vermag ein gesetzlich nicht vorgesehenes Rechtsmittel nicht zu eröffnen, sondern besteht nur innerhalb des für die jeweilige Verfahrensart vorgesehenen Instanzenzuges. Dieser ist hier mit der Beschwerdeentscheidung erschöpft (vgl. BGH, Beschl. v. 12.5.2011 - V ZB 135/10, InfAuslR 2011, 361 Rz. 6, s. auch BGH, Beschl. v. 27.2.2003 - I ZB 22/02, BGHZ 154, 102). Den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die an einen wirkungsvollen Rechtsschutz zu stellen sind, ist genügt, weil der von der vorläufigen Anordnung Betroffene die Maßnahme in zwei Instanzen zur richterlichen Überprüfung stellen kann (vgl. BGH, Beschl. v. 12.5.2011 - V ZB 135/10, InfAuslR 2011, 361 Rz. 5).

IV.

Rz. 12

Der Senat hat die Nichterhebung der Gerichtskosten nach § 21 Abs. 1 Satz 1 GNotKG angeordnet, weil die Einlegung des nicht statthaften Rechtsmittels durch die unrichtige Rechtsmittelbelehrung des Beschwerdegerichts veranlasst worden ist. Im Übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 84 FamFG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 10803457

FGPrax 2017, 184

InfAuslR 2017, 286

JZ 2017, 414

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