Leitsatz (amtlich)

Legt der Bevollmächtigte im eigenen Namen Beschwerde ein, muss das Beschwerdegericht vor einer Beschwerdeverwerfung jedenfalls in Erwägung ziehen, dass die Beschwerdeberechtigung hierfür aus § 303 Abs. 2 Nr. 2 FamFG folgen kann (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 25.1.2017 - XII ZB 438/16 FamRZ 2017, 552).

 

Normenkette

FamFG § 303 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4

 

Verfahrensgang

LG Itzehoe (Beschluss vom 17.07.2019; Aktenzeichen 4 T 194/19)

AG Elmshorn (Entscheidung vom 24.06.2019; Aktenzeichen 75 XVII 10597)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 3) und 4) wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Itzehoe vom 17.7.2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.

Wert: 5.000 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die 1926 geborene Betroffene leidet an einer fortgeschrittenen Demenz. Im Jahr 2015 erteilte sie den Beteiligten zu 3) und 4) (im Folgenden: Bevollmächtigte) eine notarielle Vorsorgevollmacht.

Rz. 2

Nachdem sich herausstellte, dass die Bevollmächtigten Teile des Vermögens der Betroffenen für eigene Zwecke verwandt hatten, hat das AG für die Betroffene eine Rechtsanwältin als Berufsbetreuerin bestellt. Die Betreuung umfasst den Aufgabenkreis Vermögenssorge, Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Abschluss, Änderung und Kontrolle der Einhaltung eines Heimpflegevertrags, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen des übertragenen Aufgabenkreises, Haus- und Grundstücksangelegenheiten und Widerruf der Vollmacht.

Rz. 3

Das LG hat die Beschwerden der Bevollmächtigten verworfen. Hiergegen wenden sich diese mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

Rz. 4

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das LG.

Rz. 5

1. Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG statthaft. Die Beschwerdebefugnis der Bevollmächtigten folgt für das Verfahren der Rechtsbeschwerde bereits daraus, dass ihre Erstbeschwerde verworfen worden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 25.1.2017 - XII ZB 438/16 FamRZ 2017, 552 Rz. 5 m.w.N.).

Rz. 6

2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Rz. 7

a) Das LG hat seine Entscheidung damit begründet, dass die Beschwerde der Bevollmächtigten im eigenen Namen unzulässig sei, weil sie nicht beschwerdebefugt seien. Die Beschwerdeberechtigung richte sich ausschließlich nach § 59 FamFG. Die Vorsorgevollmacht verleihe den Bevollmächtigten kein eigenes subjektives Recht. Es begründe auch kein eigenes Beschwerderecht, nicht zum Betreuer bestellt worden zu sein.

Rz. 8

b) Das hält rechtlicher Überprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.

Rz. 9

aa) Dass das LG die vom Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 3) und 4) eingelegte Beschwerde dahin ausgelegt hat, dass sie im Namen und Auftrag dieser eingelegt worden ist, ist rechtsbeschwerderechtlich vertretbar und wird auch von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen. Zutreffend führt das LG aus, dass sich weder aus § 303 Abs. 4 FamFG noch aus § 59 Abs. 1 FamFG eine eigene Beschwerdeberechtigung des Vorsorgebevollmächtigten gegen die Einrichtung einer Betreuung ergibt (vgl. BGH, Beschl. v. 25.1.2017 - XII ZB 438/16 FamRZ 2017, 552 Rz. 6 m.w.N.).

Rz. 10

bb) Gleichwohl hält die angefochtene Entscheidung einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das LG hat, wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt, nicht geprüft, ob sich ein Recht der Bevollmächtigten zur Beschwerde im eigenen Namen möglicherweise aus § 303 Abs. 2 Nr. 2 FamFG ergibt, obwohl hierzu aufgrund des Akteninhalts Anlass bestanden hat.

Rz. 11

(1) Nach der Rechtsprechung des Senats schließt die Beteiligung einer Person nach § 274 Abs. 1 Nr. 3 FamFG - also als Bevollmächtigter, sofern der Aufgabenkreis betroffen ist - in Betreuungsverfahren nicht aus, dass dieselbe Person zugleich nach § 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG auch sog. Kann-Beteiligte des Verfahrens und dann gem. § 303 Abs. 2 FamFG im eigenen Namen beschwerdeberechtigt ist. Die Beteiligung erfolgt dann einheitlich und nicht aufgespalten in verschiedene Funktionen. Soweit eine Person - wie hier - bereits Muss-Beteiligter ist, kommt ihre zusätzliche Hinzuziehung nach § 7 Abs. 3 FamFG nicht in Betracht, weil die Hinzuziehung nur für weitere Personen, nicht aber für dieselbe Person in einer weiteren Beteiligtenrolle vorgesehen ist (BGH, Beschl. v. 25.1.2017 - XII ZB 438/16 FamRZ 2017, 552 Rz. 9 f. m.w.N.).

Rz. 12

Legt der Bevollmächtigte entgegen § 303 Abs. 4 Satz 1 FamFG im eigenen Namen Beschwerde ein, muss das Beschwerdegericht daher vor einer Beschwerdeverwerfung jedenfalls in Erwägung ziehen, dass die Beschwerdeberechtigung hierfür aus § 303 Abs. 2 Nr. 2 FamFG folgen kann. Entsprechende Anhaltspunkte können sich nicht nur aus Beschwerdeschrift und -begründung, sondern aus dem gesamten Akteninhalt ergeben. Nachdem es gem. § 65 Abs. 1 FamFG nicht zwingend einer Beschwerdebegründung bedarf, kann der Beschwerdeführer derartige Gesichtspunkte zudem in einer Stellungnahme auf den Hinweis darlegen, den das Beschwerdegericht vor der Verwerfungsentscheidung zu erteilen hat (BGH, Beschl. v. 25.1.2017 - XII ZB 438/16 FamRZ 2017, 552 Rz. 13 m.w.N.).

Rz. 13

Als Vertrauensperson kommt in Betreuungssachen auch eine Person in Betracht, die der Betroffene nicht benannt hat (BGH, Beschl. v. 25.1.2017 - XII ZB 438/16 FamRZ 2017, 552 Rz. 15 ff. m.w.N.). Von einem §§ 274 Abs. 4 Nr. 1, 303 Abs. 2 Nr. 2 FamFG genügenden, aktuell bestehenden Vertrauensverhältnis ist auszugehen, wenn der Betroffene einer Person eng verbunden ist und ihr daher in besonderem Maße Vertrauen entgegenbringt. Dies kann sich aus Äußerungen des Betroffenen, aber auch aus sonstigen Umständen ergeben. Hierzu ist stets eine Einzelfallprüfung anzustellen (BGH, Beschl. v. 25.1.2017 - XII ZB 438/16 FamRZ 2017, 552 Rz. 24 m.w.N.).

Rz. 14

(2) Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Das LG, das schon den erforderlichen Hinweis nicht erteilt hat, hat nicht geprüft, ob die Bevollmächtigten auch Personen des Vertrauens i.S.d. §§ 303 Abs. 2 Nr. 2, 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG sind.

Rz. 15

Nach dem von der Rechtsbeschwerde in Bezug genommenen Akteninhalt erscheint es möglich, dass die Bevollmächtigten auch Personen des Vertrauens der Betroffenen sind. In ihrer Anhörung hat die Betroffene angegeben, dass sie außer den Bevollmächtigten sonst niemanden mehr habe, der ihr näher wäre. Ferner hat sie erklärt, dass sie den Bevollmächtigten vertraue und diese weiterhin bei sich haben möchte.

Rz. 16

Das LG hätte mithin im Rahmen seiner - die Zulässigkeit des Rechtsmittels betreffenden - Amtsermittlungspflicht der Frage nachgehen müssen, ob die Bevollmächtigten nicht nur Bevollmächtigte, sondern auch Vertrauenspersonen der Betroffenen sind und ihre Beschwerde im Interesse der Betroffenen eingelegt haben.

Rz. 17

3. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache ist an das LG zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 74 Abs. 5, Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG).

 

Fundstellen

Haufe-Index 13673932

FamRZ 2020, 539

FuR 2020, 237

NJW-RR 2020, 257

BtPrax 2020, 59

JZ 2020, 147

MDR 2020, 436

Rpfleger 2020, 266

FF 2020, 130

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge