Leitsatz (amtlich)

Ein Rechtsanwalt darf die Eintragung von Fristen und Terminen grundsätzlich nicht auf noch auszubildende Kräfte übertragen (im Anschluss an BGH Beschl. v. 22.4.2009 - IV ZB 22/08 - RuS 2009, 393).

 

Normenkette

ZPO § 514 Abs. 2 S. 1, § 233

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Beschluss vom 04.06.2012; Aktenzeichen 316 S 23/12)

AG Hamburg (Urteil vom 24.02.2012; Aktenzeichen 48 C 485/09)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der Zivilkammer 16 des LG Hamburg vom 4.6.2012 wird auf Kosten der Kläger verworfen.

Beschwerdewert: 7.000 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Kläger begehren in Rückabwicklung eines mit der Beklagten geschlossenen Vertrags, der als Mietvertrag für Kontore, gewerbliche Räume und Grundstücke bezeichnet ist, Zahlung von 7.000 EUR nebst Zinsen.

Rz. 2

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 25.10.2011 ist für die Kläger niemand erschienen, weshalb auf Antrag des Beklagtenvertreters ein die Klage abweisendes Versäumnisurteil ergangen ist. Gegen das Versäumnisurteil haben die Kläger Einspruch eingelegt. In dem zunächst auf den 31.1.2012 und später auf den 24.2.2012 verlegten Termin zur Verhandlung über den Einspruch und über die Hauptsache ist für die Kläger abermals niemand erschienen. Daraufhin ist der Einspruch durch zweites Versäumnis-Teilurteil verworfen und durch Teilversäumnisurteil über die von der Beklagten inzwischen erhobene Widerklage entschieden worden.

Rz. 3

Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung haben die Kläger vorgetragen: Der Verhandlungstermin sei unverschuldet versäumt worden. Die Umladung zum Termin sei am 27.1.2012 bei ihrem Prozessbevollmächtigten eingegangen. Entsprechend der von diesem durchgängig praktizierten und stichprobenartig kontrollierten Übung hätte der Termin im Terminkalender notiert und dies auf der Ladung mit dem Namen der notierenden Person vermerkt werden müssen. Danach wäre die Akte dem Prozessbevollmächtigten vorzulegen gewesen. Im vorliegenden Fall sei die Notierung auf der Ladung durch die Auszubildende K. erfolgt. Der Prozessbevollmächtigte habe das Empfangsbekenntnis unterzeichnet und anhand des Vermerks auf der Ladung kontrolliert, dass der Termin eingetragen sei. Dies sei aber tatsächlich nicht erfolgt. Die Auszubildende sei zwar in ihren allgemeinen Leistungen nicht gut gewesen. Hinsichtlich der Notierung von Terminen und anderen einfachen Formalitäten habe sie aber seit zwei Jahren durchgängig fehlerlos gearbeitet. Deshalb habe der Prozessbevollmächtigte sicher davon ausgehen können, dass die Notierung auch erfolgt sei. Eine Kontrolle anhand des Terminkalenders sei aus diesem Grund nicht erfolgt. Mangels Eintragung im Kalender sei die Akte nicht zum Termin vorgelegt worden.

Rz. 4

Das LG hat die Berufung verworfen und - soweit im Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Bedeutung - zur Begründung ausgeführt: Die Kläger hätten keine Umstände vorgetragen, die eine unverschuldete Verhinderung im Einspruchstermin begründeten. Vielmehr sei nach ihren Ausführungen von einem Organisationsverschulden ihres Prozessbevollmächtigten auszugehen, weil dieser die Notierung des Termins einer Auszubildenden überlassen habe. Dem Vorbringen sei auch nicht zu entnehmen, ob, in welchem Umfang und in welcher Weise der Prozessbevollmächtigte der Kläger selbst eine Überprüfung der von der betreffenden Auszubildenden notierten Fristen und Termine vornehme.

Rz. 5

Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Kläger, soweit der angefochtene Beschluss die Berufung gegen das zweite Versäumnis-Teilurteil betrifft.

II.

Rz. 6

Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist aber nicht zulässig, weil die maßgeblichen Rechtsfragen durch die Rechtsprechung des BGH geklärt sind und die Kläger nicht aufzuzeigen vermögen, dass eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich wäre (§ 574 Abs. 2 ZPO).

Rz. 7

1. Das Berufungsgericht hat die Berufung zu Recht als unzulässig verworfen. Nach § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO unterliegt ein zweites Versäumnisurteil, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist (§ 345 ZPO), der Berufung insoweit, als sie darauf gestützt wird, dass ein Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe. Eine zulässige Berufung setzt also die schlüssige Darlegung voraus, dass der Termin nicht schuldhaft versäumt worden sei (BGH Beschl. v. 6.10.2011 - IX ZB 148/11, NJW-RR 2011, 1692 Rz. 5 m.w.N.). Die Verschuldensfrage ist nach den gleichen Maßstäben zu beurteilen wie bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (BGH, Urt. v. 22.3.2007 - IX ZR 100/06, NJW 2007, 2047 Rz. 6 m.w.N.). Wird die fehlende oder unverschuldete Säumnis nicht schlüssig dargelegt, ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen (BGH Beschl. v. 6.10.2011 - IX ZB 148/11, NJW-RR 2011, 1692 Rz. 5).

Rz. 8

2. Auf dieser Grundlage hat das Berufungsgericht die Anforderungen an die Darlegung der anwaltlichen Organisation in Bezug auf die Eintragung von Terminen nicht überspannt und ausgehend von dem Vortrag der Kläger zutreffend ein diesen nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Organisationsverschulden ihres Prozessbevollmächtigten angenommen.

Rz. 9

a) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH darf ein Rechtsanwalt regelmäßig sein voll ausgebildetes, als zuverlässig erprobtes und sorgfältig überwachtes Personal mit der Notierung und Überwachung von Fristen betrauen (BGH, Beschl. v. 9.7.2014 - XII ZB 709/13, FamRZ 2014, 1624 Rz. 12 m.w.N.). Er hat jedoch durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Unverzichtbar sind insoweit eindeutige Anweisungen an das Büropersonal, die Festlegung klarer Zuständigkeiten und die mindestens stichprobenartige Kontrolle des Personals (BGH Beschl. v. 22.4.2009 - IV ZB 22/08 - RuS 2009, 393 Rz. 8 m.w.N.).

Rz. 10

b) Die Fristeintragung und -überwachung darf allerdings grundsätzlich nicht auf noch auszubildende Kräfte übertragen werden, denen die notwendige Erfahrung fehlt (BGH Beschl. v. 22.4.2009 - IV ZB 22/08 - RuS 2009, 393 Rz. 8; BGH v. 11.9.2007 - XII ZB 109/04, FamRZ 2007, 2059 Rz. 16; v. 15.11.2000 - XII ZB 53/00 - FuR 2001, 273, 274 m.w.N.). Ob im Einzelfall bei Personalmangel eine Ausnahme von diesem Grundsatz zugelassen werden kann, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. In einem solchen Fall muss jedenfalls eine umso wirksamere Kontrolle durch den Rechtsanwalt selbst oder durch ausgebildete und erfahrene Angestellte gewährleistet sein, durch die sichergestellt wird, dass alle von dem Auszubildenden eingetragenen Fristen anhand der Akten auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Sowohl Stichproben als auch bloße Kontrolleinsichtnahmen in den Fristenkalender reichen nicht aus, um die notwendige Überprüfung der von einem Auszubildenden vorgenommenen Eintragungen zu gewährleisten. Vielmehr ist ein Vergleich der Eintragungen im Fristenkalender mit der jeweiligen Akte erforderlich (BGH Beschl. v. 22.4.2009 - IV ZB 22/08 - RuS 2009, 393 Rz. 8; BGH v. 11.9.2007 - XII ZB 109/04, FamRZ 2007, 2059 Rz. 16; v. 15.11.2000 - XII ZB 53/00 - FuR 2001, 273, 274 m.w.N.).

Rz. 11

c) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde gelten insofern für die Eintragung von Terminen durch Auszubildende nach der Rechtsprechung des BGH keine geringeren Anforderungen. Ein Auszubildender darf auch nicht damit betraut werden, bereits vom Rechtsanwalt vorgegebene Fristen in den Kalender einzutragen, ohne dass die ordnungsgemäße Erledigung jeweils anhand der Akten überprüft wird (BGH Beschl. v. 22.4.2009 - IV ZB 22/08 - RuS 2009, 393 Rz. 2, 8 f.). Zwischen der kalendermäßigen Eintragung von konkret vorgegebenen Fristen einerseits und Terminen andererseits besteht hinsichtlich der hieran zu stellenden Anforderungen kein Unterschied, der es rechtfertigen würde, bezüglich des Umfangs der erforderlichen Erledigungskontrolle zu differenzieren. In dem einen wie dem anderen Fall gilt vielmehr, dass in jedem Einzelfall eine wirksame Kontrolle der Tätigkeit eines Auszubildenden gewährleistet sein muss, sei es durch den Anwalt selbst oder durch hierzu geeignete Angestellte.

Rz. 12

d) Diesem Erfordernis genügt der von den Klägern dargelegte Organisationsablauf in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten nicht. Es ist bereits nichts dafür ersichtlich, dass der Auszubildenden K. die Eintragung des Termins wegen Personalmangels oder aus einem vergleichbar triftigen Grund übertragen wurde. Abgesehen davon ergibt sich aus dem Vorbringen der Kläger, dass die Erledigung der Aufgabe nicht anhand von Fristenkalender und Akte kontrolliert wurde.

 

Fundstellen

Haufe-Index 8846529

NJW 2016, 6

FamRZ 2016, 209

FuR 2016, 170

NJW-RR 2016, 505

FA 2016, 53

JurBüro 2016, 336

WM 2016, 182

MDR 2016, 111

FF 2016, 87

FamRB 2016, 57

NJW-Spezial 2016, 95

BRAK-Mitt. 2016, 66

FK 2016, 58

Mitt. 2016, 575

RENO 2016, 24

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