Leitsatz (amtlich)

Lässt das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde ausdrücklich nicht zu, entfaltet eine nachträgliche, auf eine Anhörungsrüge oder Gegenvorstellung ergangene stattgebende Zulassungsentscheidung für das Rechtsbeschwerdegericht keine Bindungswirkung, wenn die ursprüngliche Entscheidung nicht auf Verstößen gegen Verfahrensgrundrechte beruht.

 

Normenkette

ZPO § 574 Abs. 3 S. 2, § 321a

 

Verfahrensgang

LG Frankenthal (Pfalz) (Beschluss vom 26.08.2015; Aktenzeichen 1 T 215/15)

AG Ludwigshafen (Entscheidung vom 06.07.2015; Aktenzeichen 3b IK 349/14 LU)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Frankenthal (Pfalz) vom 26.8.2015 in der Fassung vom 14.10.2015 wird auf Kosten des weiteren Beteiligten als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert wird auf 3.081,33 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der weitere Beteiligte ist Verwalter in dem Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des F. . Das AG hat die Vergütung des weiteren Beteiligten anstelle des beantragten Betrages von 8.246,87 EUR auf lediglich 5.165,54 EUR festgesetzt. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das LG - Einzelrichter - durch Beschluss vom 26.8.2015 zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Die von dem weiteren Beteiligten erhobene Gehörsrüge hat das LG - Einzelrichter - durch Beschluss vom 30.9.2015 zurückgewiesen. Auf die nunmehr geltend gemachte Gegenvorstellung des weiteren Beteiligten hat das LG - Einzelrichter - durch Beschluss vom 14.10.2015 die Rechtsbeschwerde ohne weitere Begründung zugelassen. Mit diesem Rechtsmittel verfolgt der weitere Beteiligte seinen abgewiesenen Vergütungsantrag weiter.

II.

Rz. 2

Die Rechtsbeschwerde ist nicht statthaft und daher als unzulässig zu verwerfen (§ 4 InsO, § 577 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Eine das Rechtsbeschwerdegericht nach § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO bindende Zulassung liegt - ungeachtet der fehlenden Zulassungsbefugnis des Einzelrichters (BGH, Beschl. v. 13.3.2003 - IX ZB 134/02, BGHZ 154, 200, 202; v. 16.5.2012 - I ZB 65/11, WM 2012, 1734 Rz. 4; v. 16.4.2015 - IX ZB 93/12, NZI 2015, 563 Rz. 4; v. 7.1.2016 - I ZB 110/14, WM 2016, 360 Rz. 10) - nicht vor.

Rz. 3

1. Enthält der angefochtene Beschluss keinen Ausspruch der Zulassung, so heißt das, dass die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen wird, und zwar auch dann, wenn das Beschwerdegericht die Möglichkeit der Zulassung gar nicht bedacht hat (BGH, Beschl. v. 12.3.2009 - IX ZB 193/08, WM 2009, 1058 Rz. 7 ff.; Urt. v. 16.9.2014 - VI ZR 55/14, NJW-RR 2014, 1470 Rz. 7 betreffend Revision). Im Streitfall hat das Beschwerdegericht in seinem Beschluss vom 26.8.2015 zur Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht geschwiegen, sondern ausdrücklich eine Zulassung abgelehnt, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt seien. Bei dieser Sachlage steht fest, dass die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen wurde.

Rz. 4

2. Unwirksam ist eine prozessual nicht vorgesehene nachträgliche Zulassungsentscheidung, weil sie die Bindung des Gerichts an seine eigene Entscheidung (§ 318 ZPO) außer Kraft setzen würde (BGH, Beschl. v. 12.3.2009, a.a.O.; Urt. v. 4.3.2011 - V ZR 123/10, NJW 2011, 1516 Rz. 4; v. 1.12.2011 - IX ZR 70/10, WM 2012, 325 Rz. 7; vom 16.9.2014, a.a.O.). Dies gilt auch, wenn das Beschwerdegericht - wie hier - seine bewusste Entscheidung, die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen, verfahrensfehlerhaft aufgrund einer Anhörungsrüge (§ 321a ZPO) oder einer Gegenvorstellung ändert (BGH, Urt. v. 4.3.2011, a.a.O.; vom 16.9.2014, a.a.O.; v. 14.4.2016 - IX ZR 197/15, zVb Rz. 8 ff.).

Rz. 5

a) Die Voraussetzungen des § 321a ZPO lagen - wie das Beschwerdegericht selbst zutreffend festgestellt hat - nicht vor. Mithin konnte die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht auf der Grundlage einer Anhörungsrüge nachträglich ausgesprochen werden (vgl. BGH, Urt. v. 1.12.2011, a.a.O.; vom 16.9.2014, a.a.O., Rz. 8 f.; vom 14.4.2016, a.a.O.).

Rz. 6

Die Anhörungsrüge räumt dem Gericht keine umfassende Abhilfemöglichkeit ein, sondern dient allein der Behebung von Verstößen gegen die grundgesetzliche Garantie des rechtlichen Gehörs (BGH, Urt. v. 1.12.2011, a.a.O., Rz. 8; vom 16.9.2014, a.a.O., Rz. 9; vom 14.4.2016, a.a.O., Rz. 22). Dem auf die Anhörungsrüge hin ergangenen Beschluss lässt sich nicht entnehmen, dass das Berufungsgericht den erforderlichen spezifischen Verstoß gegen den Anspruch festgestellt hat, der allein die Bindung an seine bereits getroffene Entscheidung gem. § 318 ZPO aufheben könnte. Vielmehr hat das Beschwerdegericht auf die Anhörungsrüge des weiteren Beteiligten durch Beschluss vom 30.9.2015 abermals eine Zulassung verweigert, weil der weitere Beteiligte im Beschwerdeverfahren zum Erfordernis der Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht vorgetragen habe und daher eine Gehörsverletzung nicht ersichtlich sei.

Rz. 7

b) Die Rechtsbeschwerde konnte auch nicht auf die fristgerechte Gegenvorstellung des Beschwerdeführers zugelassen werden.

Rz. 8

aa) Allerdings hat der BGH in mehreren Entscheidungen die auf eine Gegenvorstellung hin ausgesprochene Zulassung der Rechtsbeschwerde in analoger Anwendung von § 321a ZPO unter der Voraussetzung gebilligt, dass die Zulassung zuvor willkürlich unterblieben ist, und hat dies aus dem Anspruch des Beschwerdeführers auf den gesetzlichen Richter gem. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG hergeleitet (BGH, Urt. v. 4.3.2011, a.a.O., Rz. 9; v. 1.12.2011 - IX ZR 70/10, WM 2012, 325 Rz. 11; v. 16.9.2014 - VI ZR 55/14, NJW-RR 2014, 1470 Rz. 12; jeweils m.w.N.).

Ob die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde als Verstoß gegen andere Verfahrensgrundrechte in analoger Anwendung von § 321a ZPO gerügt werden kann, bedarf hier keiner Entscheidung.

Rz. 9

bb) Ein solcher außerordentlicher Rechtsbehelf kann nämlich allenfalls Erfolg haben, wenn das Beschwerdegericht seiner Entscheidung die strengen Voraussetzungen einer solchen Rüge zugrunde gelegt hat. Sowohl das Gebot des gesetzlichen Richters als auch das Recht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes schützt nicht vor jeder fehlerhaften Anwendung der Prozessordnung, sondern setzen eine willkürlich unterlassene Zulassung oder eine unzumutbare, sachlich nicht mehr zu rechtfertigende Verkürzung des Instanzenzuges voraus (BGH, Urt. v. 4.3.2011, a.a.O., Rz. 10; vom 1.12.2011, a.a.O., Rz. 12).

Rz. 10

cc) Der Beschluss vom 14.10.2015 über die nachträgliche Zulassung der Rechtsbeschwerde lässt mangels jeglicher Begründung nicht erkennen, dass das Beschwerdegericht diese Voraussetzungen geprüft und angenommen hat (vgl. BGH, Urt. v. 4.3.2011, a.a.O.). Erst recht hat es nicht festgestellt, dass seine ursprüngliche Entscheidung vom 26.8.2015, die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen, objektiv willkürlich gewesen wäre oder den Instanzenzug unzumutbar und in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise verkürzt hätte (vgl. BGH, Urt. v. 4.3.2011, a.a.O.; vom 1.12.2011, a.a.O., Rz. 13).

 

Fundstellen

Haufe-Index 9527436

NJW 2016, 3247

NJW 2016, 8

NJW-RR 2016, 955

NZG 2017, 112

JZ 2016, 576

MDR 2016, 1352

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