Entscheidungsstichwort (Thema)

Rücknahme Insolvenzantrag. Wert der Istmasse. Wegfall der Amtsermittlungspflicht

 

Leitsatz (amtlich)

Nach Erledigung des Insolvenzantrags durch Rücknahme hat eine amtswegige Feststellung des Umfangs der Istmasse grundsätzlich nicht zu erfolgen.

 

Normenkette

InsO § 5 Abs. 1; InsVV § 1

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 07.11.2003; Aktenzeichen 2/9 T 395/03)

AG Frankfurt am Main

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss des LG Frankfurt/M., 9. Zivilkammer, v. 7.11.2003 wird auf Kosten der Schuldnerin als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 460.504,99 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Schuldnerin, eine GmbH, die sich mit der Erstellung von Telekommunikationsnetzwerken befasst und über ein Stammkapital von 4.100.000 EUR verfügt, beantragte am 28.11.2002 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Sie trug vor, die Gesellschaft sei zahlungsunfähig und überschuldet; die rechnerische Überschuldung ergebe sich aus dem beigefügten Abschluss "in Bilanzform auf den 15.11.2002". Das Insolvenzgericht erteilte dem weiteren Beteiligten am 3.12.2002 Gutachterauftrag und bestellte ihn am selben Tag zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt. In seinem am 24.1.2003 beim Insolvenzgericht eingegangenen Gutachten bezifferte der vorläufige Insolvenzverwalter die Aktiva auf 335.714.890,69 EUR, wovon 320.366.672 EUR auf Glasfasernetze entfielen. Die Passiva betrügen, nachdem fünf Unternehmen einen Forderungsverzicht i.H.v. 12.647.520 EUR erklärt hätten, nur noch 23.585.985,49 EUR. Danach sei die Schuldnerin nicht überschuldet; sie sei auch nicht zahlungsunfähig. Noch am 24.1.2003 nahm die Schuldnerin ihren Insolvenzantrag zurück. Mit Beschluss vom selben Tag hob das Insolvenzgericht die angeordneten Sicherungsmaßnahmen auf.

Der vorläufige Insolvenzverwalter hat für seine Tätigkeit eine Vergütung von 859.713,56 EUR zzgl. Umsatzsteuer beantragt. Als Berechnungsgrundlage hat er den in der von der Schuldnerin vorgelegten Überschuldungsbilanz genannten Gesamtwert von 335.714.890,69 EUR zu Grunde gelegt. Er hat 25 v.H. der Regelvergütung des Insolvenzverwalters zzgl. eines Zuschlags von 10 v.H. beansprucht. Die Schuldnerin ist dem Vergütungsantrag entgegengetreten. Die in der Überschuldungsbilanz genannten Werte gäben die Anschaffungskosten ohne Abschreibungen wieder. Das Aktivvermögen sei nicht einmal den Betrag von 100 Mio. EUR wert, mit dem die Gesellschafterin A., die Sicherungsrechte auf alle technischen Einheiten des Netzwerkes gehabt habe, abgefunden worden sei. Der für die Insolvenzverwaltervergütung maßgebliche Wert betrage nur 8.600.000 EUR. Ferner sei die Regelvergütung nicht zu erhöhen, sondern auf 15 v.H. herabzusetzen.

Das Insolvenzgericht hat die Vergütung des vorläufigen Verwalters auf 675.489,21 EUR zzgl. Umsatzsteuer (Berechnungsgrundlage wie Antrag; Vomhundertsatz 27,5) festgesetzt. Auf die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde der Schuldnerin hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung der weiter gehenden Beschwerde die Entscheidung des Insolvenzgerichts abgeändert und die Vergütung des Verwalters auf (537.989,22 EUR zzgl. Umsatzsteuer =) 624.067,50 EUR festgesetzt. Dabei hat es bei einem unveränderten Vomhundertsatz die Berechnungsgrundlage um 100 Mio. EUR herabgesetzt. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die Schuldnerin ihren Antrag zweiter Instanz weiter, die Vergütung des Verwalters auf 163.562,51 EUR herabzusetzen.

II.

Das Rechtsmittel ist statthaft (§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO, §§ 7, 64 Abs. 3 InsO). Es ist jedoch unzulässig. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO).

1. In erster Linie greift die Rechtsbeschwerde die Frage auf, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen ein Insolvenzgericht, falls es nicht zur Verfahrenseröffnung kommt, zur Berechnung der Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters gehalten ist, mit der Ermittlung des Wertes der Masse entweder einen Sachverständigen zu beauftragen oder eigene Nachforschungen anzustellen.

a) Eingang in die Berechnungsgrundlage für die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters (§§ 10, 11 i.V.m. § 1 InsVV) haben die Vermögenswerte zu finden, die zum Zeitpunkt der Beendigung der zu vergütenden Tätigkeit zu dem gesicherten und verwalteten Vermögen gehört haben (BGH v. 14.12.2000 - IX ZB 105/00, BGHZ 146, 165 [175] = MDR 2001, 592 = BGHReport 2001, 263 m. Anm. Vallender; Beschl. v. 29.4.2004 - IX ZB 225/03, BGHReport 2004, 1321 = MDR 2004, 1204 = ZIP 2004, 1653 [1654]; v. 8.7.2004 - IX ZB 589/02, BGHReport 2004, 1596 = MDR 2004, 1201 = ZIP 2004, 1555 [1556]). In Ermangelung einer Schlussrechnung ist der Wert der Masse im Zeitpunkt der Beendigung des Verfahrens zu schätzen (so ausdrücklich § 1 Abs. 1 S. 2 InsVV).

aa) Daraus ergibt sich eindeutig und bedarf keiner weiteren höchstrichterlichen Klärung, dass eine amtswegige Feststellung des Umfangs der "Istmasse" nach Erledigung des Insolvenzantrags durch Rücknahme grundsätzlich nicht zu erfolgen hat. Die Vorschrift des § 5 Abs. 1 S. 1 InsO, der dem Insolvenzgericht die Amtsermittlungspflicht hinsichtlich aller Umstände auferlegt, welche für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sind, ist nach Wortlaut, Sinn und Zweck des § 1 Abs. 1 S. 2 InsVV unanwendbar. Sie greift im Übrigen nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH nicht generell ein, sondern setzt voraus, dass dem Insolvenzgericht ein zulässiger Insolvenzantrag vorliegt (BGH v. 12.12.2002 - IX ZB 426/02, BGHZ 153, 205 [207] = MDR 2003, 475 = BGHReport 2003, 408 m. Anm. Uhlenbruck).

bb) Scheidet eine amtswegige Ermittlung der "Istmasse" nach Erledigung des Insolvenzantrags durch Rücknahme aus, ist die Schätzung gem. § 287 ZPO i.V.m. § 4 InsO auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstandes unter Berücksichtigung der vorliegenden Verwalterberichte, Forderungszusammenstellungen und sonstiger Ermittlungsergebnisse vorzunehmen. Auch dies ergibt sich unmittelbar aus § 1 Abs. 1 S. 2 InsVV und entspricht allgemein vertretener Auffassung (Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsVV § 1 Rz. 45 f.; Nowak in MünchKomm/InsO, § 1 InsVV Rz. 8; FK-InsO/Lorenz, 3. Aufl., § 1 InsVV Rz. 10 f.). Von diesen Grundsätzen ist das Beschwerdegericht auch ausgegangen.

b) Soweit die Rechtsbeschwerde in Bezug auf die Berechnungsgrundlage weiter rügt, das Beschwerdegericht sei unter Verletzung des Willkürverbots und des rechtlichen Gehörs der Schuldnerin von den Buchwerten ausgegangen, von denen es "völlig im luftleeren Raum" einen Abschlag von nur 100 Mio. EUR vorgenommen habe, erschöpft sich dieser Vortrag in Angriffen auf die tatrichterliche Würdigung des Beschwerdegerichts und ist nicht geeignet, die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 ZPO zu begründen.

aa) Durch die Rechtsprechung des Senats ist bereits geklärt, dass bei der Bewertung der einzelnen Vermögensgegenstände im Wege der Schätzung (§ 287 ZPO) der Verkehrswert zu Grunde zu legen ist. Sind Fortführungswert und Zerschlagungswert unterschiedlich hoch, ist entscheidend, welche Werte sich voraussichtlich verwirklichen lassen (BGH, Beschl. v. 8.7.2004 - IX ZB 589/02, BGHReport 2004, 1596 = MDR 2004, 1201 = ZIP 2004, 1555 [1556] m.w.N.). Das Beschwerdegericht ist bei der Berechnung des Verkehrswertes des Anlagevermögens, insb. desjenigen der Glasfasernetze, von den Fortführungswerten ausgegangen. Dies hat die Rechtsbeschwerde auch nicht beanstandet. Nach den vorliegenden Unterlagen war es nahe liegend, keinesfalls willkürlich, von den von der Schuldnerin mitgeteilten Anschaffungskosten auszugehen, die auch Eingang in das Gutachten des vorläufigen Verwalters v. 23.1.2003 gefunden haben, und von diesen Werten Abschläge vorzunehmen. Als Grundlage der Schätzung des Wertberichtigungsbedarfs hat das Beschwerdegericht den Betrag als angemessen angesehen, der nach - allerdings bestrittenen - Angaben des vorläufigen Verwalters im Laufe der Sanierungsverhandlungen zwischen den Parteien des vorliegenden Verfahrens als Sonderabschreibung erörtert worden ist.

bb) Die abweichenden Feststellungen in der von der Schuldnerin im zweiten Rechtszug vorgelegten gutachterlichen Stellungnahme v. 19.9.2003 sind hierbei nicht übergangen, sondern - in Bezug auf die ermittelte Lebensdauer der Anlagegüter - ausdrücklich berücksichtigt worden. Soweit es das Beschwerdegericht abgelehnt hat, darüber hinaus einen allgemeinen Marktlageabschlag vorzunehmen, ist dies eine Frage des Einzelfalls, die zudem auf dem Gebiet der tatrichterlichen Würdigung liegt. Aus dem Verkauf der gesamten Gruppe Anfang des Jahres 2003 für angeblich 100 Mio. EUR kann ohne Mitteilung der näheren Einzelheiten des Kaufvertrages für die Höhe der Berechnungsgrundlage nichts abgeleitet werden. Gleiches gilt für die allgemeinen Hinweise der Rechtsbeschwerde auf andere Verkäufe von Netzwerkunternehmen für nur 2,5 v.H. der Buchwerte.

2. Die Rechtsbeschwerde hält weiter die Frage für rechtsgrundsätzlich, ob das Ausmaß der Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters von diesem substantiiert darzulegen sei und ob ein geringes Ausmaß der Tätigkeit Anlass gebe, die Regelvergütung zu unterschreiten.

a) Die Berechnung von Zu- und Abschlägen (§ 3 InsVV) zum Regelsatz der Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters ist durch die Rechtsprechung des BGH ebenfalls grundsätzlich geklärt (BGH, Beschl. v. 4.11.2004 - IX ZB 52/04, BGHReport 2005, 403 = MDR 2005, 477 = ZIP 2004, 2448). Das Beschwerdegericht ist entsprechend den vom Senat bestätigten Grundsätzen verfahren, indem es von einer Quote von 25 v.H. der Vergütung des Insolvenzverwalters ausgegangen ist und unter Hinweis auf die Auslandsberührung des Insolvenzfalles eine Erhöhung des Vomhundertsatzes um 2,5 Punkte bewilligt hat. Abschläge nach § 3 Abs. 2 Buchst. d InsVV hat es verneint.

b) Die Bemessung von Zu- und Abschlägen nach § 3 InsVV im Einzelfall ist Aufgabe tatrichterlicher Würdigung der Vergütungshöhe. Verfassungsmäßige Rechte der Schuldnerin hat das Beschwerdegericht nicht verletzt. Die Beteiligung des vorläufigen Insolvenzverwalters an den Sanierungsbemühungen im Zusammenwirken mit der ausländischen Muttergesellschaft ist ebenso unstreitig wie der Umstand, dass der vorläufige Insolvenzverwalter dem von der Schuldnerin unterbreiteten Vertragskonvolut nach Prüfung zugestimmt hat. Die Feststellung des vorläufigen Insolvenzverwalters in dem von ihm erstatteten Gutachten, dass die Schuldnerin wenige Tage vor Insolvenzantragstellung ihr Guthaben von 2.922.532 EUR auf einem inländischen laufenden Konto an eine andere Konzerngesellschaft übertragen hat, ist gleichfalls unstreitig. Bei dieser Sachlage ist der Hinweis der Rechtsbeschwerde auf die mangelnde Verantwortung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit der Aktenlage nicht in Einklang zu bringen. Die vom Beschwerdegericht festgestellten unstreitigen Umstände stellen substantiierten Vortrag zu Erhöhungsgründen dar, welche geeignet sind, die maßvolle Erhöhung des Vomhundertsatzes zu rechtfertigen. Die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene zweite Grundsatzfrage stellt sich sonach nicht.

 

Fundstellen

BGHR 2005, 1350

WM 2005, 1665

ZIP 2005, 1281

DZWir 2006, 32

MDR 2005, 1369

NZI 2005, 558

ZInsO 2005, 757

ZVI 2005, 442

ZVI 2006, 27

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