Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtungsrecht des Erbbauberechtigten bezüglich Wertfestsetzung des zwangsversteigerten Grundstücks ausgeschlossen

 

Leitsatz (amtlich)

Wird ein mit einem Erbbaurecht belastetes Grundstück zwangsversteigert, ist der Erbbauberechtigte nicht berechtigt, den Beschluss über die Festsetzung des Grundstückswertes anzufechten.

 

Normenkette

ZVG § 74a Abs. 5 S. 3

 

Verfahrensgang

LG Chemnitz (Beschluss vom 13.12.2006; Aktenzeichen 3 T 517/06)

AG Chemnitz (Entscheidung vom 27.04.2006; Aktenzeichen 28 K 491/05)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Chemnitz vom 13.12.2006 wird zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert für die Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 2.500 EUR.

 

Gründe

I.

[1] Auf Antrag der Beteiligten zu 1) wurde die Zwangsversteigerung des im Rubrum bezeichneten Grundstücks angeordnet. Das Grundstück ist mit einem Erbbaurecht belastet. Erbbauberechtigte sind die Beteiligten zu 3) und 4).

[2] Das Vollstreckungsgericht hat den Verkehrswert des Grundstücks nach Einholung eines Sachverständigengutachtens durch Beschluss vom 27.4.2006 auf 39.100 EUR festgesetzt. Hierbei handelt es sich um den von dem Sachverständigen ermittelten Bodenwert, den das Grundstück ohne die Belastung mit einem Erbbaurecht in erschlossenem Zustand hätte.

[3] Mit der sofortigen Beschwerde haben die Beteiligten zu 3) und 4) eingewandt, dass sich die Verkehrswertfestsetzung - weil die Erschließungsleistungen von ihnen erbracht worden seien - nach dem Wert des Grundstücks in unerschlossenem Zustand richten müsse.

[4] Das LG hat die sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen. Mit der von dem LG zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Beteiligten ihren Antrag auf Neufestsetzung des Verkehrswerts weiter. Die Beteiligte zu 1) beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.

[5] Nach Auffassung des Beschwerdegerichts fehlt den Beteiligten zu 3) und 4) die Beschwerdeberechtigung. Zwar seien sie als dinglich Berechtigte nach § 9 ZVG Beteiligte des Zwangsversteigerungsverfahrens. Für eine Anfechtung der Verkehrswertfestsetzung fehle ihnen jedoch das Rechtsschutzbedürfnis. Ihre Rechtsposition als Erbbauberechtigte könne durch eine möglicherweise fehlerhafte Festsetzung des Grundstückswerts nicht berührt werden, da das Erbbaurecht aufgrund seiner ersten Rangstelle bei einer Versteigerung des Grundstücks in jedem Fall bestehen bleibe. In ihrer Eigenschaft als potentielle Bieter oder Ersteher des Grundstücks seien die Beteiligten zu 3) und 4) ebenfalls nicht berechtigt, die Verkehrswertfestsetzung anzufechten.

[6] Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand.

III.

[7] Die nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Das Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 3) und 4) mangels Beschwerdeberechtigung zu Recht als unzulässig verworfen.

[8] 1. a) Grundsätzlich sind zwar alle Beteiligten des Zwangsversteigerungsverfahrens (§ 9 ZVG) berechtigt, die Verkehrswertfestsetzung mit der sofortigen Beschwerde gem. § 74a Abs. 5 Satz 3 ZVG anzufechten. Eine Ausnahme gilt jedoch, wenn feststeht, dass die Rechtsstellung des Beteiligten durch die Wertfestsetzung nicht berührt sein kann; in diesem Fall fehlt das - für die Zulässigkeit eines jeden Rechtsmittels erforderliche - Rechtsschutzbedürfnis (vgl. Stöber, ZVG, 18. Aufl., § 74a Anm. 9.2. a.E.; Mohrbutter/Drischler/Radtke/Tiedemann, Die Zwangsversteigerungs- und Zwangsverwaltungspraxis, 7. Aufl., 23 Nr. 4; vgl. auch BGH, Beschl. v. 27.2.2004, IXa ZB 185/03, BGHReport 2004, 1060 = MDR 2004, 1023 = WM 2004, 1040, 1041).

[9] Das Beschwerdegericht nimmt zutreffend an, dass eine solche Ausnahme im Fall eines Erbbauberechtigten bei der Versteigerung des mit dem Erbbaurecht belasteten Grundstücks gegeben ist (ebenso Stöber, a.a.O.). Der Erbbauberechtigte hat kein Recht auf Befriedigung aus dem Versteigerungserlös. Die Festsetzung des Verkehrswerts kann - anders als die Beteiligten zu 3) und 4) offenbar befürchten - auch den Bestand des Erbbaurechts nicht gefährden. Dies folgt bereits daraus, dass die Gegenstände, auf die sich die Zwangsversteigerung erstreckt, gesetzlich geregelt sind (vgl. §§ 90, 55, 20 Abs. 2 ZVG i.V.m. § 1120 BGB, § 21 ZVG), also nicht davon abhängen, ob und inwieweit sie bei der Verkehrswertfestsetzung berücksichtigt werden. Die von den Beteiligten zu 3) und 4) beanstandete Bewertung des Grundstücks in erschlossenem Zustand lässt ihre möglichen Rechte aus einer Übernahme von Erschließungskosten (vgl. dazu Staudinger/Rapp, BGB [2002] § 2 ErbbVO Rz. 17; Palandt/Bassenge, BGB, 66. Aufl., § 2 ErbbVO Rz. 3) daher unberührt.

[10] Hinzukommt, dass ein Erbbaurecht durch ein das Grundstück betreffendes Zwangsversteigerungsverfahren auch deshalb nicht gefährdet ist, weil es nur zur ausschließlich ersten Rangstelle bestellt werden kann (§ 10 Abs. 1 Satz 1 ErbbauVO) und selbst dann bestehen bleibt, wenn es bei der Feststellung des geringsten Gebots nicht berücksichtigt worden ist (§ 25 ErbbauVO). Noch weniger ist deshalb eine zur Vorbereitung der Zwangsversteigerung des Grundstücks erfolgende Wertfestsetzung geeignet, die Rechtsstellung des Erbbauberechtigten zu beeinträchtigen.

[11] b) Die von den Beteiligten zu 3) und 4) angeführte Möglichkeit, das Grundstück auf der Grundlage der Verkehrswertfestsetzung freihändig oder in Ausübung ihres Vorkaufsrechts mit Zustimmung der die Zwangsversteigerung betreibenden Gläubigerbank zu erwerben, vermag ein Rechtsschutzbedürfnis ebenfalls nicht zu begründen. Das Interesse eines Verfahrensbeteiligten, sich außerhalb des Zwangsversteigerungsverfahrens auf die Wertfestsetzung des Vollstreckungsgerichts berufen zu können, genügt hierfür nicht. Ebenso wenig ist die Befürchtung der Beteiligten zu 3) und 4) erheblich, der Grundstückseigentümer könne die gerichtliche Wertfestsetzung zum Anlass nehmen, den Erbbauzins nach § 9a ErbbauVO zu erhöhen. Das Rechtsschutzbedürfnis muss vielmehr einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Zwangsversteigerungsverfahren aufweisen, also auf Nachteilen beruhen, die der Verfahrensbeteiligte infolge der Zwangsversteigerung in Bezug auf das Recht erleiden könnte, welches seine Stellung als Verfahrensbeteiligter i.S.d. § 9 ZVG begründet.

[12] 2. Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge, das Beschwerdegericht habe den Anspruch der Beteiligten zu 3) und 4) auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, weil es vor Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht darauf hingewiesen habe, dass ihre Beschwerdeberechtigung zweifelhaft sei. Zum einen ist Art. 103 Abs. 1 GG in einem solchen Fall erst dann verletzt, wenn das Gericht, was hier nicht angenommen werden kann, ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerfG v. 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90, BVerfGE 84, 188, 190; 86, 133, 144 f.; BVerfG v. 12.6.2003 - 1 BvR 2285/02, NJW 2003, 2524). Zum anderen kann auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Rechtsbeschwerde ausgeschlossen werden, dass das Beschwerdegericht zu einer anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage gelangt wäre, wenn die Beteiligten zu 3) und 4) Gelegenheit erhalten hätten, seiner - zutreffenden - Rechtsauffassung entgegenzutreten.

IV.

[13] Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die durch das Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen Gebühren (Nr. 2243 KV-GKG) haben die Rechtsbeschwerdeführer nach § 26 Abs. 3 GKG zu tragen. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten nach § 97 Abs. 1 ZPO kommt nicht in Betracht, da sich die Beteiligten des Zwangsversteigerungsverfahrens im Wertfestsetzungs-Beschwerdeverfahren grundsätzlich nicht als Parteien im Sinne der Zivilprozessordnung gegenüberstehen (vgl. BGH, Beschl. v. 25.1.2007 - V ZB 125/05, MDR 2007, 913 = BGHReport 2007, 578 m. Anm. Stöber = WM 2007, 947; Beschl. v. 18.5.2006 - V ZB 142/05, BGHReport 2006, 1202 = MDR 2007, 110 = WM 2006, 1727, 1730).

[14] Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 3 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1778984

BGHR 2007, 1053

EBE/BGH 2007

NJW-RR 2007, 1438

JurBüro 2007, 550

NZM 2007, 663

WM 2007, 1748

InVo 2007, 516

MDR 2007, 1343

GuT 2007, 455

GuG-aktuell 2007, 39

GuG 2007, 373

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