Leitsatz (amtlich)

a) Die gesetzliche Form der Einlegung der Beschwerde durch Erklärung zur Niederschrift der Geschäftsstelle gem. § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde zur Niederschrift des zuständigen Richters eingelegt und die Einlegung von diesem protokolliert wird.

b) Zur Notwendigkeit der Überlassung des Sachverständigengutachtens an den Betroffenen vor Anordnung einer Betreuung (Anschluss an BGH v. 6.2.2019 - XII ZB 393/18, FamRZ 2019, 724; v. 21.11.2018 - XII ZB 57/18, FamRZ 2019, 387).

 

Normenkette

FamFG § 37 Abs. 2, § 64 Abs. 2 S. 1, § 280

 

Verfahrensgang

LG Schweinfurt (Beschluss vom 04.03.2019; Aktenzeichen 11 T 28/19)

AG Schweinfurt (Beschluss vom 26.11.2018; Aktenzeichen 4 XVII 512/18)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Schweinfurt vom 4.3.2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.

Wert: 5.000 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Das AG hat für den Betroffenen nach Einholung eines Sachverständigengutachtens eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, Abschluss von Verträgen jeglicher Art, Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung und unterbringungsähnliche Maßnahmen und Vermögenssorge eingerichtet sowie die Beteiligte zu 1) zur Betreuerin bestellt. Es hat zudem einen auf die Vermögenssorge bezogenen Einwilligungsvorbehalt angeordnet.

Rz. 2

Dagegen hat der Betroffene Einwände erhoben, die von den Vorinstanzen als Beschwerde betrachtet worden sind. Das LG hat einen Verfahrenspfleger bestellt und die Beschwerde sodann ohne erneute Anhörung zurückgewiesen. Mit der von ihm eingelegten Rechtsbeschwerde wendet sich der Betroffene gegen die Einrichtung der Betreuung.

II.

Rz. 3

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die angefochtene Entscheidung ist, wie der Betroffene mit Recht rügt, verfahrensfehlerhaft ergangen.

Rz. 4

1. Die Rechtsbeschwerde ist nicht deshalb zurückzuweisen, weil die Erstbeschwerde verfristet wäre.

Rz. 5

Das LG hat die Wirksamkeit der Ersatzzustellung des amtsgerichtlichen Beschlusses an einen zum Empfang ermächtigten Vertreter eines Krankenhauses nicht festzustellen vermocht. Aus der Akte gehe nicht hervor, dass der Betroffene, der sich kurz zuvor noch in einem anderen Krankenhaus befunden habe, dort gewohnt, d.h. dort gelebt und geschlafen habe. Das hält sich im Rahmen der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH, Beschl. v. 11.7.2018 - XII ZB 138/18, FamRZ 2018, 1534 Rz. 4) und ist als tatrichterliche Feststellung nicht zu beanstanden. Dementsprechend ist die Beschwerdefrist zunächst nicht in Lauf gesetzt worden.

Rz. 6

Der Betroffene hat die Beschwerde zwar durch eine von ihm gegenüber der Geschäftsstelle des AG zunächst abgegebene telefonische Erklärung noch nicht wirksam eingelegt, weil es insoweit an der nach § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG erforderlichen Form fehlt. Indessen hat er in seiner anschließenden Anhörung durch die im Abhilfeverfahren zuständige Amtsrichterin ausweislich des von dieser gefertigten Protokolls erneut erklärt, dass er die angeordnete Betreuung ablehne, was das LG in zulässiger Weise als Beschwerdeeinlegung angesehen hat. Dies genügt dem Formerfordernis nach § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG, wobei unschädlich ist, dass die Beschwerde zur Niederschrift des Richters statt der Geschäftsstelle eingelegt worden ist, und auch eine Unterschrift des Betroffenen auf dem Anhörungsprotokoll nicht erforderlich war (vgl. Keidel/Sternal FamFG 19. Aufl., § 64 Rz. 18 m.w.N.).

Rz. 7

2. Die angefochtene Entscheidung ist bereits deshalb verfahrensfehlerhaft ergangen, weil dem Betroffenen das vom AG eingeholte Sachverständigengutachten entgegen § 37 Abs. 2 FamFG weder während des erstinstanzlichen Verfahrens noch im Beschwerdeverfahren überlassen worden ist. Die vorliegend erfolgte bloß auszugsweise Bekanntgabe durch die Betreuungsbehörde und durch den in der Rechtshilfe tätigen Richter genügt hierfür nicht. Dieser Mangel führt zugleich zur Verfahrensfehlerhaftigkeit der Anhörung des Betroffenen (vgl. BGH v. 6.2.2019 - XII ZB 393/18, FamRZ 2019, 724 Rz. 8; v. 21.11.2018 - XII ZB 57/18, FamRZ 2019, 387 Rz. 6 m.w.N.).

Rz. 8

3. Da die genannten Verfahrensmängel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führen, kommt es auf die weiteren von der Rechtsbeschwerde erhobenen Rügen nicht an. Die Sache ist an das LG zurückzuverweisen, weil es weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf.

Rz. 9

Das LG wird nach Überlassung des Gutachtens an den Betroffenen diesen - in Anwesenheit des Verfahrenspflegers - persönlich anzuhören haben (vgl. BGH, Beschl. v. 5.6.2019 - XII ZB 58/19, FamRZ 2019, 1355 Rz. 11 ff. m.w.N.). Die Zurückverweisung gibt dem LG zugleich Gelegenheit, im Fall des Vorliegens der allgemeinen Voraussetzungen einer Betreuung die Erforderlichkeit der einzelnen Aufgaben sowie eines Einwilligungsvorbehalts zu überprüfen und diese ggf. nachvollziehbar zu begründen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 13475597

NJW 2020, 474

FamRZ 2019, 1951

FuR 2020, 47

JurBüro 2019, 668

BtPrax 2020, 39

JZ 2019, 787

MDR 2019, 1465

Rpfleger 2020, 70

ErbR 2020, 66

FF 2019, 465

FF 2019, 466

FamRB 2020, 24

NZFam 2019, 1018

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