Leitsatz (amtlich)

a) Die Beurkundung des Zustellungsvorgangs nach § 182 ZPO dient nur dem Nachweis der Zustellung und ist nicht konstitutiver Bestandteil der Zustellung (im Anschluss an BGH Versäumnisurteil v. 19.7.2007 - I ZR 136/05, NJW-RR 2008, 218).

b) Die Beweiskraft der Postzustellungsurkunde erfasst zwar nicht den Umstand, ob die zur Entgegennahme bereite Empfangsperson i.S.v. § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO bevollmächtigt ist. War jedoch ein Klinikmitarbeiter ausweislich der Urkunde bereit, ein Schriftstück zum Zwecke der Zustellung entgegenzunehmen, hat dies aber eine starke Indizwirkung für das Bestehen einer solchen Vollmacht. Diese muss der Zustellungsadressat, der die Zustellung nicht gegen sich wirken lassen will, durch eine plausible und schlüssige Darstellung von abweichenden Tatsachen erschüttern (Fortführung von BGH Beschlüsse v. 6.5.2004 - IX ZB 43/03, NJW 2004, 2386; v. 17.2.1992 - AnwZ (B) 53/91, NJW 1992, 1963).

 

Normenkette

FamFG § 15 Abs. 2 S. 1; ZPO § 178 Abs. 1, §§ 182, 418

 

Verfahrensgang

LG München I (Beschluss vom 28.02.2018; Aktenzeichen 13 T 2397/18 und 13 T 2398/18)

AG München (Beschluss vom 08.08.2017; Aktenzeichen 708 XVII 7309/16)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 13. Zivilkammer des LG München I vom 28.2.2018 aufgehoben, soweit mit diesem die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des AG München vom 8.8.2017 verworfen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.

 

Gründe

Rz. 1

Die angefochtene Entscheidung, mit der das LG die Beschwerde des Betroffenen gegen die betreuungsgerichtliche Genehmigung seiner Unterbringung für ein weiteres Jahr verworfen hat, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Denn die der Verwerfung zugrunde liegende Annahme, die einmonatige Beschwerdefrist des § 63 Abs. 1 FamFG sei bei Beschwerdeeinlegung abgelaufen gewesen, beruht nicht auf ausreichenden tatrichterlichen Feststellungen. Das LG hat sich für den Nachweis der Zustellung des amtsgerichtlichen Genehmigungsbeschlusses vom 8.8.2017 auf die Postzustellungsurkunde gestützt, aus der sich als Tag der Zustellung der 11.8.2017 ergebe, und ist aufgrund dessen zu dem Ergebnis gelangt, dass die am 1.12.2017 eingelegte Beschwerde verfristet sei. Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde mit Erfolg.

Rz. 2

1. In der vom LG in Bezug genommenen Zustellungsurkunde hat der Zusteller des Postunternehmens angegeben, er habe, "weil er den Adressaten ... in den Geschäftsräumen nicht erreicht habe", das zuzustellende Schriftstück "einem dort Beschäftigten", nämlich Herrn K., übergeben. Als Zustelladresse des Betroffenen weist die Postzustellungsurkunde die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie aus, in der der Betroffene untergebracht war.

Rz. 3

2. Entgegen der vom LG offensichtlich vertretenen Auffassung kann hieraus nicht auf eine wirksame Zustellung i.S.v. § 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG, §§ 166 ff. ZPO geschlossen werden, deren es nach § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG bedurft hätte, um die einmonatige Beschwerdefrist des § 63 Abs. 1 FamFG gem. § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG in Gang zu setzen (vgl. BGH v. 13.5.2015 - XII ZB 491/14, FamRZ 2015, 1374 Rz. 6 f. m.w.N.).

Rz. 4

a) Allerdings erlauben §§ 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG, § 178 Abs. 1 ZPO dann, wenn die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung, in dem Geschäftsraum oder in einer Gemeinschaftseinrichtung, in der sie wohnt, nicht angetroffen wird, die Ersatzzustellung an bestimmte Dritte. Das mithin erforderliche Merkmal des "Nichtantreffens" des Zustellungsadressaten als Voraussetzung etwa für eine Ersatzzustellung in Geschäftsräumen ist bereits erfüllt, wenn der Adressat von einer dort beschäftigten Person als abwesend oder verhindert bezeichnet wird; weitere Nachforschungen des Zustellers sind dann regelmäßig nicht veranlasst (vgl. BGH Beschlüsse v. 29.3.2017 - VIII ZR 11/16, NJW 2017, 2472 Rz. 29; v. 4.2.2015 - III ZR 513/13, NJW-RR 2015, 702 Rz. 10 ff. m.w.N.).

Rz. 5

Die Beurkundung des Zustellungsvorgangs nach § 182 ZPO dient nur dem Nachweis der Zustellung und ist nicht konstitutiver Bestandteil der Zustellung (BGH Versäumnisurteil v. 19.7.2007 - I ZR 136/05, NJW-RR 2008, 218 Rz. 26 m.w.N.). Die über die Zustellung aufgenommene Urkunde begründet gem. § 182 Abs. 1 Satz 2 ZPO den vollen Beweis der darin bezeichneten Tatsachen (§ 418 ZPO). Diese Beweiskraft reicht jedoch nur so weit, wie gewährleistet ist, dass die zur Beurkundung berufene Amtsperson die Tatsachen selbst verwirklicht oder aufgrund eigener Wahrnehmungen zutreffend festgestellt hat. Sie erfasst keine außerhalb dieses Bereichs liegenden Umstände. Daher vermag beispielsweise die Urkunde über eine Ersatzzustellung nach § 178 ZPO nicht den Urkundenbeweis dafür zu erbringen, dass der Adressat unter der Zustellungsanschrift wohnt oder eine Person, die in Geschäftsräumen zur Entgegennahme des Schriftstücks bereit war, dort auch tatsächlich beschäftigt i.S.d. § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO war. Sie begründet insoweit jedoch ein erhebliches Beweisanzeichen (vgl. BGH Beschlüsse v. 6.5.2004 - IX ZB 43/03, NJW 2004, 2386, 2387; v. 17.2.1992 - AnwZ (B) 53/91, NJW 1992, 1963).

Rz. 6

b) Vorliegend war der Betroffene in dem psychiatrischen Krankenhaus, mithin in einer Gemeinschaftseinrichtung, untergebracht. Sofern er vom Zusteller dort nicht angetroffen wurde, konnte nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO eine Ersatzzustellung an den Leiter der Einrichtung oder einen dazu ermächtigten Vertreter erfolgen. Ob die zur Entgegennahme bereite Empfangsperson entsprechend bevollmächtigt ist, wird als außerhalb der Wahrnehmung des Zustellers liegender Umstand zwar nicht von der Beweiskraft der Postzustellungsurkunde erfasst. Wenn ein Klinikmitarbeiter ausweislich der Urkunde bereit war, ein Schriftstück zum Zwecke der Zustellung entgegenzunehmen, hat dies aber eine starke Indizwirkung für das Bestehen einer solchen Vollmacht, die der Zustellungsadressat, der die Zustellung nicht gegen sich wirken lassen will, durch eine plausible und schlüssige Darstellung von abweichenden Tatsachen erschüttern muss (vgl. BGH Beschlüsse v. 6.5.2004 - IX ZB 43/03, NJW 2004, 2386, 2387; v. 17.2.1992 - AnwZ (B) 53/91, NJW 1992, 1963; vgl. auch Häublein in MünchKomm/ZPO, 5. Aufl., § 182 Rz. 16 m.w.N.).

Rz. 7

So liegt es hier aber nicht. Denn die Postzustellungsurkunde weist nicht eine Ersatzzustellung an einen zum Empfang ermächtigten Vertreter des Einrichtungsleiters aus. Vielmehr ist eine Ersatzzustellung gem. § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO beurkundet. Dies ist aber offensichtlich unzutreffend, weil der Betroffene in der Klinik weder Geschäftsräume unterhält noch im Rahmen eines Geschäftsbetriebs dort Personen beschäftigt. Unabhängig davon, dass es sich beim Ankreuzen der falschen Zustellungsvariante um ein Versehen des Zustellers gehandelt haben dürfte, fehlt es damit an einem sich aus der Urkunde ergebenden Beweisanzeichen für die Berechtigung der als tatsächlicher Empfänger benannten Person, das Schriftstück entgegenzunehmen. Bei dieser Beweislage konnte das LG mithin nicht von einer wirksamen Ersatzzustellung ausgehen. Mangels Feststellungen zum Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs des Beschlusses an den Betroffenen ist auch für eine Heilung gem. §§ 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG, 189 ZPO derzeit nichts ersichtlich.

Rz. 8

c) Durch den Beurkundungsmangel wird allerdings nicht die - ggf. vorliegende - Wirksamkeit der Zustellung selbst berührt (vgl. BGH Versäumnisurteil v. 19.7.2007 - I ZR 136/05, NJW-RR 2008, 218 Rz. 26). Es bedarf nun weiterer tatrichterlicher Ermittlungen - etwa der Einvernahme des Zustellers - dazu, ob eine wirksame Ersatzzustellung nach §§ 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG, 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO erfolgt ist. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben, soweit mit ihm die Beschwerde des Betroffenen verworfen worden ist, und die Sache ist insoweit an das LG zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 5, Abs. 6 Satz 2 FamFG).

Rz. 9

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

 

Fundstellen

NJW 2018, 10

NJW 2018, 2802

FamRZ 2018, 1534

FuR 2018, 555

FA 2018, 325

FA 2018, 351

BtPrax 2018, 242

JZ 2018, 651

MDR 2018, 1398

Rpfleger 2018, 629

FamRB 2019, 23

RENOpraxis 2018, 243

RENO 2018, 12

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