Leitsatz (amtlich)

Führt ein zum Insolvenzverwalter bestellter Rechtsanwalt einen Prozess für die Masse vor einem auswärtigen Gericht und betraut er mit der Terminswahrnehmung einen am Gerichtsort ansässigen Unterbevollmächtigten, kann er nicht Erstattung fiktiver Reisekosten beanspruchen, weil er ohne weiteres in der Lage gewesen wäre, einen am Prozessgericht tätigen Rechtsanwalt sachgerecht über den Gegenstand des Rechtsstreits zu unterrichten und diesem die gesamte Prozessführung als Hauptbevollmächtigtem unter Ersparung jeglicher Reisekosten zu übertragen.

 

Normenkette

ZPO § 91 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 19.07.2004; Aktenzeichen 12 W 58/04)

LG Darmstadt

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 12. Zivilsenats in Darmstadt des OLG Frankfurt v. 19.7.2004 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Gegenstandswert: 142,40 EUR

 

Gründe

I. Der am LG B. als Rechtsanwalt zugelassene Kläger wurde zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der b. P. GbR, E. (nachfolgend: Schuldnerin), bestellt. Der Kläger hat gegen den Beklagten als vermeintlichen Gesellschafter der Schuldnerin vor dem LG D. Klage auf Zahlung von 141.635,70 EUR erhoben. Den Verhandlungstermin vor dem LG D. hat ein dort zugelassener Rechtsanwalt in Untervollmacht des Klägers wahrgenommen.

Nach Stattgabe der Klage beantragt der Kläger im Kostenfestsetzungsverfahren die Festsetzung der Kosten des Unterbevollmächtigten in Höhe der fiktiven Reisekosten von B. nach D., was - abzgl. einer Informationspauschale von 100 EUR, die der Rechtspfleger angesetzt hat - einem Betrag von 142,40 EUR entspricht. Das LG hat den Antrag abgelehnt; die sofortige Beschwerde des Klägers ist zurückgewiesen worden. Mit seiner - von dem Beschwerdegericht zugelassenen - Rechtsbeschwerde verfolgt er sein Begehren weiter.

II. Das OLG hat gemeint, der Kläger könne die Ausgleichung fiktiver Reisekosten nicht beanspruchen, weil von vornherein festgestanden habe, dass ein eingehendes persönliches Mandantengespräch für die Prozessführung nicht erforderlich sei. Ebenso wie ein Unternehmen mit eigener Rechtsabteilung sei der Kläger als Rechtsanwalt ohne weiteres in der Lage gewesen, unter Einsatz moderner Kommunikationsmittel einen Rechtsanwalt mit Kanzleisitz in D. zu informieren.

III. Die dagegen gerichteten Angriffe der gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zulässigen Rechtsbeschwerde haben keinen Erfolg. Die Einschaltung eines Unterbevollmächtigten war im Streitfall nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig; deshalb kann der Kläger nicht die Festsetzung fiktiver Reisekosten i.H.v. 142,40 EUR beanspruchen.

1. Die Zuziehung eines in der Nähe ihres Wohn- oder Geschäftsorts ansässigen Rechtsanwalts durch eine an einem auswärtigen Gericht klagende oder verklagte Partei stellt grundsätzlich eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dar (BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 m. Anm. Madert = NJW 2003, 898 [900], m.w.N.; Beschl. v. 11.2.2003 - VIII ZB 92/02, MDR 2003, 656 = BGHReport 2003, 642 = NJW 2003, 1534). In diesen Fällen sind die Reisekosten des Prozessbevollmächtigten, die bei einer Wahrnehmung von Terminen vor dem auswärtigen Prozessgericht entstehen, erstattungsfähig (BGH, Beschl. v. 11.2.2003 - VIII ZB 92/02, MDR 2003, 656 = BGHReport 2003, 642 = NJW 2003, 1534). Nimmt anstelle des Hauptbevollmächtigten ein von diesem eingeschalteter Unterbevollmächtigter den auswärtigen Termin wahr, so sind die Kosten des Unterbevollmächtigten in Höhe der ersparten Reiseaufwendungen bei der Kostenfestsetzung auszugleichen (BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 m. Anm. Madert = NJW 2003, 898 [900]).

2. Der Grundsatz der Erstattungsfähigkeit der durch die Beauftragung eines in der Nähe des Wohn- oder Geschäftsorts der Partei ansässigen Rechtsanwalts bedingten Mehrkosten erfährt freilich eine Ausnahme, wenn schon im Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts feststeht, dass ein eingehendes Mandantengespräch für die Prozessführung nicht erforderlich sein wird (BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 m. Anm. Madert = NJW 2003, 898 [901]; Beschl. v. 10.4.2003 - I ZB 36/02, BGHReport 2003, 768 = MDR 2003, 1019 = NJW 2003, 2027 f.). Dies gilt etwa, wenn die Partei über eine Rechtsabteilung verfügt und daher in der Lage ist, einen am Sitz des Prozessgerichts ansässigen Prozessbevollmächtigten umfassend schriftlich zu instruieren (BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 m. Anm. Madert = NJW 2003, 898 [901]; Beschl. v. 10.4.2003 - I ZB 36/02, BGHReport 2003, 768 = MDR 2003, 1019 = NJW 2003, 2027 f.). Ebenso verhält es sich bei der Klage eines Rechtsanwalts, der - wie der BGH für den Fall eines als Rechtsanwalt zugelassenen Insolvenzverwalters bereits entschieden hat (BGH, Beschl. v. 13.7.2004 - X ZB 40/03, BGHReport 2004, 1664 = MDR 2005, 50 = NJW 2004, 3187) - gleichfalls ohne weiteres im Stande ist, einen am Prozessgericht tätigen Rechtsanwalt sachgerecht über den Gegenstand des Rechtsstreits zu unterrichten. Im Anschluss an eine schriftliche Informationserteilung hätten Beratung und Abstimmung des prozessualen Vorgehens schriftlich, telefonisch oder mit Hilfe anderer moderner Kommunikationsformen erfolgen können. Die Reisekosten des Hauptbevollmächtigten wären danach im Falle eigener Terminswahrnehmung keine notwendigen Kosten einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung gewesen. Auch der Rechtsanwalt kann bei auswärtigen Klagen in eigener Sache entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht schlechthin, sondern nur dann Erstattung der Reisekosten beanspruchen, wenn die Prozessführung in eigener Person eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung darstellt. Mithin scheidet eine Anrechnung der Reisekosten auf die durch die Beauftragung des Unterbevollmächtigten entstandenen Kosten aus (BGH, Beschl. v. 13.7.2004 - X ZB 40/03, BGHReport 2004, 1664 = MDR 2005, 50 = NJW 2004, 3187; Beschl. v. 10.4.2003 - I ZB 36/02, BGHReport 2003, 768 = MDR 2003, 1019 = NJW 2003, 2027 f.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1411416

BB 2005, 1988

BGHR 2006, 68

NJW-RR 2005, 1591

MDR 2006, 117

NZI 2006, 183

Rpfleger 2005, 695

ZInsO 2005, 1046

InsbürO 2006, 199

RVGreport 2005, 432

ZVI 2005, 506

ZVI 2006, 63

RVG prof. 2005, 183

www.judicialis.de 2005

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