Leitsatz (amtlich)

Die Beauftragung eines am Sitz des Insolvenzverwalters ansässigen Hauptbevollmächtigten zur Führung eines Rechtsstreits vor einem auswärtigen Gericht stellt i.d.R. keine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung i.S.v. § 91 Abs. 2 S. 1 2. Halbs. ZPO dar; auch fiktive Reisekosten des Insolvenzverwalters sind in einem solchen Fall i.d.R. nicht zu erstatten.

 

Normenkette

ZPO § 91 Abs. 2 S. 1 2. Halbs

 

Verfahrensgang

OLG Stuttgart (Beschluss vom 21.10.2003; Aktenzeichen 8 W 296/03)

LG Heilbronn

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 8. Zivilsenats des OLG Stuttgart v. 21.10.2003 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Wert: 184,25 EUR.

 

Gründe

I. Der Kläger ist Rechtsanwalt mit Sitz in St. und zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der W. GmbH & Co. KG in St. bestellt. Er beauftragte einen mit ihm in einer Sozietät verbundenen Rechtsanwalt damit, die Beklagte zu Gunsten der Insolvenzmasse vor dem LG Heilbronn auf Zahlung von 48.000 DM zu verklagen. Dieser Rechtsanwalt beauftragte einen Rechtsanwalt mit Sitz in Stuttgart als Unterbevollmächtigten zur Vertretung in der mündlichen Verhandlung vor dem LG. Der Rechtsstreit endete mit einem Vergleich; danach hatten die Beklagte 2/3 und der Kläger 1/3 der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Im anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren hat der Rechtspfleger die vom Kläger geltend gemachten Mehrkosten wegen der Einschaltung des Unterbevollmächtigten i.H.v. 706 EUR abgesetzt.

Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Klägers hat das OLG durch den angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Der Kläger erstrebt mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde die Aufhebung des oberlandesgerichtlichen Beschlusses sowie des Kostenfestsetzungsbeschlusses, soweit ihm die Erstattung der Kosten des Unterbevollmächtigten versagt worden ist, sowie die Festsetzung dieser Kosten auf 184,25 EUR. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus fiktiven Reisekosten des Hauptbevollmächtigten und einem 10 %igen Zuschlag auf diese Reisekosten. Dazu vertritt der Beschwerdeführer den Standpunkt, erst oberhalb des so ermittelten Betrages liege eine nicht erstattungsfähige Überschreitung der fiktiven Reisekosten vor.

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

1. Das Berufungsgericht hat angenommen, eine Erstattung von fiktiven Anwaltsreisekosten oder der Kosten des Unterbevollmächtigten komme hier nicht in Betracht, weil ein zum Insolvenzverwalter bestellter Rechtsanwalt einen am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalt über Distanz beauftragen und schriftlich oder telefonisch informieren könne. Da der Kläger am Termin nicht teilgenommen habe, könnten die Reisekosten auch dann nicht geltend gemacht werden, wenn diese an sich erstattungsfähig gewesen wären.

2. Die dagegen gerichteten Angriffe der Rechtsbeschwerde sind unbegründet.

Die Erstattung von Kosten, die einer Partei durch die Beauftragung eines unterbevollmächtigten Rechtsanwalts, der an Stelle des Hauptbevollmächtigten die Vertretung in der mündlichen Verhandlung übernommen hat, entstanden sind, beurteilt sich nach der allgemeinen Vorschrift des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Für die Erstattungsfähigkeit der durch die Zuziehung des Unterbevollmächtigten entstandenen Kosten kommt es deshalb allein darauf an, ob dessen Beauftragung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war (BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 [899]).

Kosten eines Unterbevollmächtigten, der für den am Wohnort der Partei ansässigen Rechtsanwalt Termine beim Prozessgericht wahrnimmt, sind notwendige Kosten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung i.S.v. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, soweit durch die Tätigkeit des Unterbevollmächtigten erstattungsfähige Reisekosten des Hauptbevollmächtigten, nämlich Tage- oder Abwesenheitsgeld sowie Fahrtkosten nach § 28 BRAGO, erspart werden, die ansonsten bei der Wahrnehmung des Termins durch den Hauptbevollmächtigten entstanden wären (BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 [899] m.w.N.).

Notwendige Voraussetzung für die Erstattung von Kosten des Unterbevollmächtigten ist danach zunächst, dass die dem Hauptbevollmächtigten im Falle eigener Terminswahrnehmung zustehenden Reisekosten dem Grunde nach zu erstatten wären. Bei der Erstattung von Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts kommt es gem. § 91 Abs. 2 S. 1 2. Halbs. ZPO auf die Notwendigkeit von dessen Zuziehung an.

Die Zuziehung eines in der Nähe ihres Wohn- oder Geschäftsorts ansässigen Rechtsanwalts durch eine an einem auswärtigen Gericht klagende oder verklagte Partei stellt im Regelfall eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dar (BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 [900] m.w.N.). Eine Partei, die einen Rechtsstreit zu führen beabsichtigt oder selbst verklagt ist und ihre Belange in angemessener Weise wahrgenommen wissen will, wird in aller Regel einen Rechtsanwalt in der Nähe ihres Wohn- oder Geschäftsorts aufsuchen, um dessen Rat in Anspruch zu nehmen und ihn ggf. mit der Prozessvertretung zu beauftragen. Sie wird dies wegen der räumlichen Nähe und in der Annahme tun, dass zunächst ein persönliches mündliches Gespräch erforderlich ist. Diese Erwartung ist berechtigt, denn für eine sachgemäße gerichtliche oder außergerichtliche Beratung und Vertretung ist der Rechtsanwalt zunächst auf die Tatsacheninformation der Partei angewiesen. Diese kann in aller Regel nur in einem persönlichen, mündlichen Gespräch erfolgen (BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 [900]).

An einer Notwendigkeit i.S.v. § 91 ZPO kann es jedoch fehlen, wenn schon im Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts feststeht, dass ein eingehendes Mandantengespräch für die Prozessführung nicht erforderlich sein wird. Dies ist nach der Rechtsprechung des BGH u.a. regelmäßig dann der Fall, wenn es sich bei der fraglichen Partei um ein gewerbliches Unternehmen handelt, das über eine eigene, die Sache bearbeitende Rechtsabteilung verfügt (BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 [901]; Beschl. v. 10.4.2003 - I ZB 36/02, BGHReport 2003, 768 = MDR 2003, 1019 = NJW 2003, 2027 [2028]).

Die Beauftragung des am Sitz des Insolvenzverwalters ansässigen Hauptbevollmächtigten stellt hier keine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung i.S.v. § 91 Abs. 2 S. 1 2. Halbs. ZPO dar. Der Kläger hätte sich zur Kostenersparnis eines in der Nähe des Prozessgerichts residierenden Rechtsanwalts als Hauptbevollmächtigten bedienen müssen. Auch die fiktiven Reisekosten des Klägers zu einem am Sitz des Prozessgerichts tätigen Rechtsanwalt sind nicht zu erstatten.

Weil der Kläger Rechtsanwalt ist, ist davon auszugehen, dass er einen Rechtsanwalt mit Sitz am Prozessgericht sachgerecht schriftlich zu informieren in der Lage ist. Wie bei sachkundigen Mitarbeitern einer Rechtsabteilung, die die Sache bearbeitet haben, war auch hier ein eingehendes persönliches Mandantengespräch weder zur Ermittlung des Sachverhalts noch zur Rechtsberatung erforderlich. Nach der schriftlichen Übermittlung der erforderlichen Informationen konnten vielmehr Beratung und Abstimmung des prozessualen Vorgehens schriftlich oder telefonisch erfolgen. Damit war angesichts moderner Kommunikationsformen eine Verzögerung nicht verbunden. Besonderheiten des Sachverhalts, die eine persönliche Kontaktaufnahme erfordert hätten, sind nicht ersichtlich. Das ergibt sich auch aus dem Antrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers v. 5.3.2003, den Kläger vom angeordneten persönlichen Erscheinen zu entbinden, weil voll umfänglich schriftsätzlich vorgetragen worden sei und weitere Umstände dem Kläger nicht bekannt seien; dem Kläger seien die Informationen lediglich aus den ihm vorliegenden Unterlagen und Aussagen der benannten Zeugen bekannt. Lässt der Kläger selbst vortragen, zur Sache nichts sagen zu können, so ist auch ein persönliches Informationsgespräch des Klägers mit seinem Prozessbevollmächtigten nicht notwendig.

3. Die Rechtsbeschwerde ist daher mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1213407

BB 2004, 2377

NJW 2004, 3187

NWB 2004, 4053

BGHR 2004, 1664

JurBüro 2004, 658

ZIP 2004, 2115

InVo 2005, 13

MDR 2005, 50

NZI 2004, 597

Rpfleger 2004, 733

RVGreport 2004, 395

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