Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderung an Berufungsbegründung. Benennung der angegriffenen Punkte des angefochtenen Urteils in Berufungsbegründung. Angriff jeder tragenden Erwägung des erstinstanzlichen Urteils in Berufungsbegründung

 

Leitsatz (amtlich)

a) Die Berufungsbegründung muss eine aus sich heraus verständliche Angabe enthalten, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt.

b) Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen.

 

Normenkette

ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nrn. 2-3

 

Verfahrensgang

KG Berlin (Beschluss vom 23.01.2014; Aktenzeichen 22 U 76/13)

LG Berlin (Entscheidung vom 30.01.2013; Aktenzeichen 42 O 16/12)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 22. Zivilsenats des KG vom 23.1.2014 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 14.960,94 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Klägerin begehrt als Transportversicherer aus übergegangenem Recht Ersatz des durch einen Verkehrsunfall vom 27.9.2010 entstandenen Schadens hinsichtlich der mit dem Lkw ihrer Versicherungsnehmerin transportierten Ware. Den Beklagten nimmt sie als Übernehmer der Pflichten des Haftpflichtversicherers (§ 2 Abs. 1 Buchst. b AuslPflVG) eines in der Schweiz zugelassenen Lkw, der an dem Unfall beteiligt war, in Anspruch. Hinsichtlich des Schadens hat sie auf zwei Rechnungen der Spediteurin über 18.160,10 EUR sowie 2.831 EUR Bezug genommen. Von der ersten Rechnung legt sie nur 17.947,99 EUR zugrunde, kommt zu einem "Gesamtschaden von 20.779,09 EUR", von dem sie unter Abzug einer Selbstbeteiligung von 2.077,91 EUR (10 %) an die Transportversicherungsnehmerin 18.701,18 EUR zahlte. Von diesem Betrag begehrt sie 80 %, mithin 14.960,94 EUR.

Rz. 2

Das LG hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es könne nicht festgestellt werden, dass der Klägerin wegen des Verkehrsunfalls gegenüber dem Beklagten Regressansprüche zustünden. Es sei schon fraglich, ob überhaupt und wenn ja, welche Ansprüche auf die Klägerin übergegangen seien. Selbst wenn von einem vollständigen Forderungsübergang auszugehen wäre, wäre die Klage nicht begründet. Der Beklagte sei gem. § 7 Abs. 1 StVG nur dazu verpflichtet, die Schäden zu ersetzen, die durch den Betrieb des ausländischen Lkw entstanden seien. Welche dies seien, habe die Klägerin trotz eines gerichtlichen Hinweises vom 14.5.2012 nicht substantiiert dargelegt. Sie habe lediglich ein als "Rechnung" bezeichnetes Schreiben der Firma I. vom 8.11.2010 eingereicht, in welchem diese verschiedene Geldbeträge von der Versicherungsnehmerin der Klägerin fordere. Aus diesem gehe nicht ansatzweise hervor, woraus sich diese Geldbeträge ergäben. Sie seien weder nachvollziehbar noch überprüfbar. Da die Klägerin selbst vorgetragen habe, sie habe die geltend gemachten Ansprüche nur teilweise anerkennen können, seien offenbar auch unbegründete Forderungen erhoben worden.

Rz. 3

Die von der Klägerin geführte Berufung hat das Berufungsgericht durch den mit der Rechtsbeschwerde angefochtenen Beschluss als unzulässig verworfen, weil sie nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist formgerecht begründet worden sei (§ 520 Abs. 2, Abs. 3 ZPO). In der Berufungsbegründung werde zu der selbständig tragenden Begründung des LG, die Klägerin habe die entstandenen Schäden nicht substantiiert dargelegt, nichts ausgeführt.

II.

Rz. 4

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist gem. §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft, aber nicht zulässig. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO). Insbesondere verletzt der angefochtene Beschluss die Klägerin weder in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) noch in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

Rz. 5

1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (st.Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse v. 11.3.2014 - VI ZB 22/13, VersR 2014, 895 Rz. 8 f.; v. 27.1.2015 - VI ZB 40/14, juris Rz. 7, z.V.b; v. 10.2.2015 - VI ZB 26/14, z.V.b.; BGH, Beschl. v. 13.9.2012 - III ZB 24/12, NJW 2012, 3581 Rz. 8 f.; v. 23.10.2012 - XI ZB 25/11, NJW 2013, 174 Rz. 10; v. 22.5.2014 - IX ZB 46/12, juris Rz. 7, jeweils m.w.N.).

Rz. 6

Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (BGH, Beschlüsse v. 18.10.2005 - VI ZB 81/04, VersR 2006, 285 Rz. 8 f.; v. 27.1.2015 - VI ZB 40/14, Rz. 8; BGH, Beschl. v. 15.6.2011 - XII ZB 572/10, NJW 2011, 2367 Rz. 10; v. 23.10.2012 - XI ZB 25/11, NJW 2013, 174 Rz. 11; v. 28.1.2014 - III ZB 32/13, juris Rz. 13).

Rz. 7

2. Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung der Klägerin nicht gerecht. In ihr hat die Klägerin trotz des gerichtlichen Hinweises vom 14.5.2012 und entsprechender Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil nicht substantiiert dargelegt, welche durch den Betrieb des ausländischen Lkw entstandenen Schäden zu ersetzen sind. Aus der Berufungsbegründung ist in keiner Weise ersichtlich, welche konkreten Waren in welchem Wert beschädigt wurden, so dass die Berechtigung der geltend gemachten Schadenshöhe nicht ansatzweise nachvollziehbar ist. Der Hinweis darauf, dass die Klägerin unter Beachtung der gerichtlichen Verfügung vom 14.5.2012 mit Schriftsatz vom 30.5.2012 weiter vorgetragen habe, reicht als eine auf den konkreten Streitfall zugeschnittene, aus sich heraus verständliche Angabe, welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe dem angefochtenen Urteil hinsichtlich der Ausführungen zur Schadenshöhe entgegengesetzt werden, nicht aus. Dies gilt insb., nachdem das LG den erstinstanzlichen Vortrag der Klägerin als nicht substantiiert angesehen hat, weil diese lediglich ein als "Rechnung" bezeichnetes Schreiben der Firma I. vom 8.11.2010 eingereicht hat, in welchem diese verschiedene Geldbeträge von der Versicherungsnehmerin der Klägerin gefordert hat, und aus dem nicht ansatzweise hervorgeht, woraus sich diese Geldbeträge ergeben.

Rz. 8

Ein tauglicher Berufungsangriff kann auch nicht darin erblickt werden, dass die Berufungsbegründung geltend macht, das erstinstanzliche Gericht habe trotz Hinweispflicht gem. § 139 ZPO keinen weiteren ergänzenden Vortrag gefordert. Die Rüge eines Verstoßes gegen § 139 ZPO und/oder Art. 103 Abs. 1 GG ist nämlich nur dann in ausreichender Weise erhoben, wenn dargelegt wird, was auf einen entsprechenden Hinweis vorgetragen worden wäre (vgl. Senat, Beschl. v. 27.1.2015 - VI ZB 40/14, Rz. 12; BGH, Beschl. v. 22.5.2014 - IX ZB 46/12, juris Rz. 10; Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., § 139 Rz. 20 m.w.N.). Dies hat die Klägerin in der Berufungsbegründung nicht getan.

 

Fundstellen

Haufe-Index 7694496

BB 2015, 897

NJW 2015, 8

EBE/BGH 2015

FamRZ 2015, 1023

NJW-RR 2015, 757

IBR 2015, 290

AnwBl 2015, 531

JZ 2015, 256

MDR 2015, 481

NZV 2015, 378

VersR 2016, 480

VRA 2015, 74

r+s 2015, 476

PAK 2015, 99

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