Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Berufung. Auseinandersetzung mit der (Beweis-)Würdigung durch das Erstgericht

 

Leitsatz (amtlich)

a) Wendet sich der Berufungsführer gegen eine ihm nachteilige Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts, so genügt er den Anforderungen an die Zulässigkeit seiner Berufung, wenn er deutlich macht, dass und aus welchen Gründen er die Beweiswürdigung für unrichtig hält. Eine noch weiter gehende Auseinandersetzung mit der (Beweis-)Würdigung durch das Erstgericht ist grundsätzlich nicht erforderlich. Es kommt insoweit auch nicht darauf an, ob die Berufungsbegründung inhaltlich schlüssig ist und begründeten Anlass für eine erneute und vom Erstgericht abweichende Würdigung (Feststellung) gibt.

b) Ergibt sich die Entscheidungserheblichkeit eines Rechtsverstoßes oder einer beanstandeten Tatsachenfeststellung unmittelbar aus dem Prozessstoff, so bedarf sie keiner gesonderten Darlegung in der Berufungsbegründung.

 

Normenkette

ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nrn. 2-3

 

Verfahrensgang

OLG Bamberg (Beschluss vom 06.03.2012; Aktenzeichen 6 U 32/11)

LG Coburg (Entscheidung vom 31.08.2011; Aktenzeichen 12 O 310/10)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 6. Zivilsenats des OLG Bamberg vom 6.3.2012 - 6 U 32/11 - aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 77.569,88 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einem von ihr geltend gemachten abgetretenen Recht ihres Ehemanns, des Zeugen R. M., unter dem Vorwurf einer fehlerhaften Kapitalanlageberatung im Zusammenhang mit der Zeichnung einer Beteiligung über 200.000 DM zzgl. 5 % Agio an dem Medico Fonds Nr. 31, einem geschlossenen Immobilienfonds, auf Schadensersatz in Anspruch.

Rz. 2

Das LG hat die Klage nach persönlicher Anhörung der Klägerin und Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen R. M. und K. H. mit der Begründung abgewiesen, dass es der Klägerin nicht gelungen sei, einen Abtretungsvertrag zwischen ihr und ihrem Ehemann hinsichtlich der streitgegenständlichen Schadensersatzansprüche nachzuweisen; es lägen erhebliche Widersprüche zwischen den Angaben der Klägerin bei ihrer persönlichen Anhörung und den Bekundungen des Zeugen M. vor.

Rz. 3

Das OLG hat die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin - nach vorherigem Hinweis - als unzulässig verworfen und hierzu ausgeführt, dass die Berufungsbegründung den Anforderungen nach § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO nicht genüge. Die Berufungsbegründung setze sich mit der ausführlichen Beweiswürdigung des LG nicht auseinander und lege nicht dar, weshalb diese Beweiswürdigung unrichtig sein solle. Darüber hinaus fehle es an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit des behaupteten Rechtsverstoßes. Aus der Berufungsbegründung erschließe sich nicht, dass bei Bejahung der Aktivlegitimation das LG zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis hätte kommen müssen.

Rz. 4

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

Rz. 5

1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).

Rz. 6

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt die Klägerin in ihrem Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Das Berufungsgericht hat die in § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO beschriebenen Anforderungen an den Inhalt der Berufungsbegründung überspannt und hierdurch der Klägerin den Zugang zur Berufungsinstanz in unzulässiger Weise versagt.

Rz. 7

a) Wendet sich der Berufungskläger - wie hier - gegen die Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts, so kann als Maßstab für den erforderlichen Inhalt der Berufungsbegründung neben § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO auch - etwa, soweit Verfahrensfehler in Rede stehen - § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO in Betracht zu ziehen sein (vgl. dazu BGH, Urt. v. 12.3.2004 - V ZR 257/03, BGHZ 158, 269, 276 f.; Hk-ZPO/Wöstmann, 4. Aufl., § 520 Rz. 25; Musielak/Ball, ZPO, 9. Aufl., § 520 Rz. 34). Diese Frage bedarf hier indes keiner abschließenden Entscheidung, weil den Voraussetzungen gem. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO gleichermaßen Genüge getan worden ist.

Rz. 8

aa) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO hat, wenn die Berufung darauf gestützt wird, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§§ 513 Abs. 1, 546 ZPO), die Berufungsbegründung die Bezeichnung der Umstände zu enthalten, aus denen sich nach Ansicht des Rechtsmittelführers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Da die Berufungsbegründung erkennen lassen soll, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält, hat dieser - zugeschnitten auf den Streitfall und aus sich heraus verständlich - diejenigen Punkte rechtlicher Art darzulegen, die er als unzutreffend beurteilt ansieht, und dazu die Gründe anzugeben, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit jener Punkte und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung herleitet. Zur Darlegung der Fehlerhaftigkeit ist somit lediglich die Mitteilung der Umstände erforderlich, die das Urteil aus der Sicht des Berufungsführers in Frage stellen. Besondere formale Anforderungen werden nicht gestellt; für die Zulässigkeit der Berufung ist es insb. ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, Beschlüsse v. 26.6.2003 - III ZB 71/02, NJW 2003, 2532, 2533; v. 30.10.2008 - III ZB 41/08, NJW 2009, 442, 443 Rz. 12; v. 26.2.2009 - III ZB 67/08, BeckRS 2009, 08726 Rz. 11; BGH, Beschl. v. 21.5.2003 - VIII ZB 133/02, NJW-RR 2003, 1580; Urt. v. 24.6.2003 - IX ZR 228/02, NJW 2003, 3345 f, insoweit in BGHZ 155, 199 nicht abgedruckt; v. 8.6.2005 - XII ZR 75/04, NJW 2006, 142, 143 Rz. 12, 15; v. 14.11.2005 - II ZR 16/04, NJW-RR 2006, 499, 500 Rz. 9; Beschlüsse v. 22.11.2006 - XII ZB 130/02, BeckRS 2006, 15202 Rz. 6; v. 27.5.2008 - XI ZB 41/06, NJW-RR 2008, 1308 Rz. 11; v. 31.8.2010 - VIII ZB 13/10, WuM 2011, 48 Rz. 7; vom 1.3.2011 - XI ZB 26/08, BeckRS 2011, 07182 Rz. 11; v. 6.12.2011 - II ZB 21/10, NJW-RR 2012, 440 Rz. 7 m.w.N.; v. 2.2.2012 - V ZB 184/11, NJW-RR 2012, 397 Rz. 6).

Rz. 9

bb) Gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO hat der Berufungsführer konkrete Anhaltspunkte zu bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Da das Berufungsgericht an die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen grundsätzlich gebunden ist (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), muss die Berufung, die den festgestellten Sachverhalt angreifen will, eine Begründung dahin enthalten, warum die Bindung an die festgestellten Tatsachen ausnahmsweise nicht bestehen soll (s. dazu Senatsbeschluss vom 26.2.2009, a.a.O.; BGH, Beschl. v. 28.5.2003 - XII ZB 165/02, NJW 2003, 2531, 2532).

Rz. 10

b) Den Erfordernissen nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO hat die Berufungsbegründung der Klägerin - noch - genügt.

Rz. 11

aa) Die Klägerin hat in ihrer Berufungsbegründung zu erkennen gegeben, dass sie die Würdigung des Berufungsgerichts bekämpfen möchte, wonach sie einen Abtretungsvertrag zwischen ihr und ihrem Ehemann hinsichtlich der streitgegenständlichen Schadensersatzansprüche nicht nachgewiesen habe. Sie hat in diesem Zusammenhang im Einzelnen auf die Aussage des Zeugen Müller Bezug genommen und dessen Bekundung zum Zeitpunkt der Abtretung mit dem Hinweis auf die Angabe zur Abtretung der Schadensersatzforderung im Mahnantrag zu stützen versucht. Sie hat gemeint, hiernach ergebe sich insgesamt ein genügender Nachweis für ihre Aktivlegitimation, zumal eine Abtretung auch formlos wirksam sei. Auf diese Weise hat die Klägerin schon hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass und aus welchen Gründen sie die Würdigung des LG für unrichtig und eine erneute - ihr günstige - Würdigung (Feststellung) durch das Berufungsgericht für geboten hält. Damit ist den Anforderungen von § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO entsprochen. Für die Zulässigkeit der Berufung ist eine noch weiter gehende Auseinandersetzung mit der (Beweis-)Würdigung durch das Erstgericht nicht erforderlich; es kommt insoweit auch nicht darauf an, ob die Berufungsbegründung inhaltlich schlüssig ist und begründeten Anlass für eine erneute und vom Erstgericht abweichende Würdigung (Feststellung) gibt.

Rz. 12

bb) Soweit das Berufungsgericht in der Berufungsbegründung eine Darlegung der Entscheidungserheblichkeit des behaupteten Rechtsverstoßes vermisst, hat es - worauf die Rechtsbeschwerde mit Recht hinweist - nicht berücksichtigt, dass sich die Entscheidungserheblichkeit der Aktivlegitimation der Klägerin unmittelbar aus dem Prozessstoff ergibt und somit keiner gesonderten Darlegung bedarf (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 18.9.2003 - V ZB 9/03, NJW 2003, 3765; v. 11.5.2004 - XI ZB 39/03, BGHZ 159, 135, 138). Das LG hat die Begründetheit der Klage allein mangels Nachweises der Aktivlegitimation der Klägerin verneint und dementsprechend ausdrücklich offen gelassen, ob eine der Beklagten zurechenbare Pflichtverletzung vorliegt oder ein etwaiger Schadensersatzanspruch verjährt ist. Bei dieser Lage ist es nicht geboten, dass der Berufungsführer ausdrücklich noch einmal sein gesamtes erstinstanzliches Vorbringen zu den Voraussetzungen des von ihm verfolgten Klageanspruchs - das mit der (zulässigen) Berufung ohnehin vollständig in die Berufungsinstanz gelangt (BGH, Urt. v. 12.3.2004, a.a.O., S. 278; v. 22.5.2012 - II ZR 35/10 juris Rz. 29 m.w.N.) - wiederholt und auf diese Weise die Entscheidungserheblichkeit seiner Aktivlegitimation dartut.

Rz. 13

3. Nach alledem durfte das Berufungsgericht die Berufung nicht als unzulässig verwerfen, so dass der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist, damit es über die Begründetheit der Berufung befindet (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 3424218

NJW 2012, 8

BauR 2013, 137

EBE/BGH 2012

WM 2013, 903

ZAP 2012, 1216

AnwBl 2012, 1006

JZ 2013, 8

MDR 2012, 1362

ZfS 2013, 30

PAK 2012, 212

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