Leitsatz (amtlich)

1. Ob eine Beteiligung an einer Aktiengesellschaft keinen Einfluß auf die Geschäftsführung gewährt, ist nicht nach den Einflußmöglichkeiten auf die Willensbildung des Vorstandes und das Auftreten nach außen zu entscheiden, sondern danach, welche Einwirkungsmöglichkeiten sie auf die Geschäfte der Hauptversammlung eröffnet.

2. Sind die Verhältnisse des Einzelfalles dafür maßgebend (BFHE 93, 243), ob kein Einfluß auf die Geschäftsführung besteht, so ist nicht auf die tatsächliche Mehrheitsbildung in der Zeit vor dem Feststellungszeitpunkt, sondern auf die Gestaltungsmöglichkeiten aufgrund der Beteiligungsverhältnisse an der Gesellschaft abzustellen.

 

Normenkette

BewG 1965 § 11 Abs. 2-3

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) stellte zum 31. Dezember 1965 den gemeinen Wert für je 100 DM Grundkapital an der Z AG nach dem Stuttgarter Verfahren auf ... DM und für Beteiligungen ohne Einfluß auf die Geschäftsführung auf ... DM fest. An diesem Stichtag bestanden an der mit einem voll eingezahlten Grundkapital von ... Mio DM ausgestatteten AG folgende Beteiligungsverhältnisse:

1. Gesellschafter A = 41,88 v. H.

2. Gesellschafter B = 31 v. H.

3. Gesellschafter C - Klägerin - = 10,16 v. H.

4. Gesellschafter D = 9,89 v. H.

5. Streubesitz = 7,07 v. H.

Keine der im Streubesitz befindlichen Beteiligungen betrug am Bewertungsstichtag mehr als 2,5 v. H. des Grundkapitals.

Das FA behandelte die Beteiligung der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) von 10,16 v. H. des Grundkapitals nicht als solche ohne Einfluß auf die Geschäftsführung. Die Klägerin machte dagegen geltend, unter den Gesellschaftern seien Mehrheitsbildungen einfacher und qualifizierter Art ohne ihre Aktien möglich.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

Mit der Revision beantragt die Klägerin, unter Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung den gemeinen Wert ihrer Aktien mit ...DM je 100 DM Grundkapital festzustellen. Sie ist der Meinung, bei der Bewertung ihrer Anteile dürfe nicht auf die abstrakte Einflußmöglichkeit abgestellt werden, die der Anteilsbesitz vermittle, sondern entsprechend Abschn. 80 VStR 1966 komme es darauf an, ob unter Berücksichtigung der Verhältnisse der Gesellschaft tatsächlich ein Einfluß bestehe. Dies habe der BFH dadurch bekräftigt daß er die Verhältnisse des Einzelfalles für maßgebenc erklärt habe. Soweit die Aktionäre auf die Geschäftsführung der Gesellschaft überhaupt Einfluß hätten, würde dieser im Streitfall von den beiden Großaktionären mit einer Beteiligung von zusammen 72,88 v. H. des Grundkapitals ausgeübt. Auf die Stimme eines Aktionärs mit einer Beteiligung von 10,16 v. H. des Grundkapitals komme es nicht an. Für Beschlüsse, die mit 3/4-Mehrheit gefaßt werden müßten, genüge es, wenn sich die Großaktionäre mit Inhabern von Zwerganteilen verständigten. Die hypothetische Annahme, daß die Großaktionäre in der Hauptversammlung gegeneinander stimmen und damit ein Anteilsbesitz von rd. 10 v. H. ein Gewicht gewinnen könnte, müsse außer Betracht bleiben. Denn die Großaktionäre seien in den Organen der Gesellschaft vertreten; sie würden die Gesellschaft nicht durch Kampfabstimmungen in der Hauptversammlung gefährden. Im übrigen ergebe sich aber aus der Rechtsprechnung des BFH, daß eine Beteiligung dann keinen Einfluß auf die Geschäftsführung habe, wenn ihr Inhaber nur bei bestimmten Konstellationen, deren Herbeiführung sich seinem Willen entziehe, nach der einen oder anderen Seite stimmen könne. Deshalb könnten sich Minoritätsrechte auf den Wert der Beteiligung nicht auswirken. Denn sie ermöglichten keinen aktiven Einfluß auf die Geschäftsführung.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

1. Das FA hat den gemeinen Wert der Anteile an der AG zu Recht gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG 1965 geschätzt, weil nach den Verhältnissen des Bewertungsstichtags, 31. Dezember 1965, für diese Aktien weder ein Börsenkurs noch ein Kaufpreis vorlag. Der Senat hat es in ständiger Rechtsprechnung gebilligt, daß diese Schätzung im Interesse der Gleichmäßigkeit und Stetigkeit der Bewertung grundsätzlich nach dem sog. Stuttgarter Verfahren durchgeführt wird (vgl. z. B. Entscheidung vom 17. Mai 1974 III R 156/72, BFHE 112, 510, BStBl II 1974, 626).

2. Abschn. 80 VStR 1966 sieht vor, daß Aktienbesitz, der "keinen Einfluß auf die Geschäftsführung" gewährt, niedriger zu bewerten ist als eine Beteiligung, die es ermöglicht, auf das Gesellschaftsleben einzuwirken. Diese Verwaltungsanweisung wird § 11 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 9 Abs. 2 BewG gerecht. Danach sind bei der Schätzung des gemeinen Werts alle Umstände zu berücksichtigen, die sich auf diesen auswirken. Bellstedt weist allerdings darauf hin (Steuerrechtsprechung in Karteiform, Anmerkungen, Bewertungsgesetz, § 13 Rechtsspruch 29), daß der Aktionär, der seine Mitgliedschaftsrechte nur in der Hauptversammlung ausüben kann (vgl. § 118 AktG), auf die Geschäftsführung nur dann in der Hauptversammlung einzuwirken vermag, wenn der Vorstand es verlangt (§ 119 Abs. 2 AktG). Das bedeute, daß die Aktie im Regelfall überhaupt keine Möglichkeit gebe, sich an der Geschäftsführung unmittelbar zu beteiligen.

Hierauf kommt es aber für die Schätzung des gemeinen Werts der Beteiligung nicht an. Denn der Sinn der Verwaltungsanweisung des Abschn. 80 VStR kann, wie das FG zutreffend dargelegt hat, nur darin liegen, daß unter "Geschäftsführung" nicht die Willensbildung des Vorstandes und das Auftreten der AG nach außen durch den Vorstand verstanden werden, sondern die Mitwirkung an Geschäften, die nach dem Aktiengesetz der Hauptversammlung zukommen. Das sind insbesondere die in § 119 Abs. 1 AktG aufgeführten Geschäfte, nämlich Bestellung der Mitglieder, die von der Hauptversammlung in den Aufsichtsrat entsandt werden, Verwendung des Bilanzgewinns, Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat, Bestellung von Abschlußprüfern, Maßnahmen der Kapitalbeschaffung und Kapitalherabsetzung, Bestellung von Sonderprüfern für bestimmte Vorgänge, Auflösung der Gesellschaft.

3. Nach der Rechtsprechung des Senats gewährt ein Anteilsbesitz von mehr als 25 v. H. des Grundkapitals immer Einfluß auf die so verstandene Geschäftsführung, weil ohne den Inhaber einer Beteiligung dieses Umfangs Beschlüsse der Hauptversammlung, die der qualifizierten Mehrheit von 75 v. H. des Grundkapitals bedürfen, wie z. B. Satzungsänderung (§ 179 Abs. 2 AktG), Kapitalerhöhung (§ 182 Abs. 1 AktG) oder Auflösung der Gesellschaft (§ 262 Abs. 1 AktG), nicht gefaßt werden können. Hingegen ist bei sog. Zwerganteilen grundsätzlich davon auszugehen, daß sie keinen Einfluß auf die Geschäfte der Hauptversammlung gewähren, weil sie nicht einmal mit Minderheitsrechten ausgestattet sind.

Die Beteiligung der Klägerin am Grundkapital der AG mit 10,16 v. H. ist kein Zwerganteil in diesem Sinn, denn das Aktiengesetz 1965 sieht in einer Reihe von Fällen Minderheitsrechte für Beteiligungen von 10 v. H. vor (vgl. die Zusammenstellung bei Bellstedt, a. a. O.). Beispielhaft erwähnt seien die Minderheitsrechte bei der Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat (§ 120 AktG) und die Möglichkeit, zur Prüfung von Vorgängen der Geschäftsführung des Vorstandes unter bestimmten Voraussetzungen eine Sonderprüfung zu erzwingen (§ 142 AktG). Bei Beteiligungen, die zwar keine Sperrminorität vermitteln, die aber immerhin den Minderheitenschutz für 10 v. H.-Beteiligungen am Grundkapital genießen, hängt es nach der Rechtsprechung des Senats von den Verhältnissen des Einzelfalles ab, ob angenommen werden muß, daß sie keinen Einfluß auf die Geschäftsführung i. S. der obigen Darlegungen vermitteln und dementsprechend einen geringeren Wert als andere Beteiligungen haben (vgl. Entscheidung vom 24. Januar 1975 III R 4/73, BFHE 115, 58, BStBl II 1975, 374). Dabei kommt es entgegen der Meinung der Klägerin nicht darauf an, wie sich die Verhältnisse bei der AG, deren Anteile zu bewerten sind, in der Zeit vor dem Feststellungszeitpunkt tatsächlich gestaltet haben, sondern welche abstrakten Gestaltungsmöglichkeiten sich aufgrund der rein prozentualen Beteiligungsverhältnisse dieser AG ergeben.

4. Das FG hat ohne Rechtsverletzung entschieden, daß für die Beteiligung der Klägerin von 10,16 v. H. des Grundkapitals unter Berücksichtigung der übrigen Beteiligungen der AG nicht davon ausgegangen werden könne, sie gewähre keinen Einfluß auf die Geschäftsführung.

a) Die Beschlüsse in der Hauptversammlung einer AG werden nach dem Mehrheitsprinzip mit Minderheitenschutz gefaßt. Grundsätzlich genügt einfache Stimmenmehrheit (§ 133 Abs. 1 AktG). Das bedeutet, daß eine Beteiligung von mehr als 50 v. H. des Grundkapitals regelmäßig zur Beherrschung der Gesellschaft genügt. Gegenüber einem Gesellschafter mit einer derart starken Beteiligung treten Anteile, die nur Minderheitsrechte verleihen, in ihrer Bedeutung zurück. Ein solcher Fall lag der BFH-Entscheidung vom 5. Juli 1968 III R 12/67 (BFHE 93, 243, BStBl II 1968, 734) zugrunde.

b) An der Ag dieses Verfahrens bestand am maßgebenden Bewertungsstichtag keine Beteiligung mit mehr als 50 v. H. des Grundkapitals. Allerdings hatten zwei Gesellschafter einen Aktienbesitz von 41,88 v. H. und 31 v. H. des Grundkapitals. Doch konnte keiner dieser Gesellschafter die AG aufgrund seiner Beteiligung allein beherrschen. Der Umstand, daß einer dieser Gesellschafter auch Vorstandsmitglied war, muß außer Betracht bleiben, ebenso wie die Tatsache nicht berücksichtigt werden kann, daß von der Klägerin aufgrund ihres Alters und ihrer fachlichen Kenntnisse eine aktive Beteiligung am Gesellschaftsleben nicht zu erwarten gewesen sei. Denn insoweit handelt es sich um persönliche Verhältnisse, die der Beteiligung nicht arteigen sind und deshalb auf die Schätzung des gemeinen Werts keinen Einfluß haben dürfen (§ 9 Abs. 2 Satz 3 BewG).

c) Es mag durchaus sein, daß sich in der Vergangenheit die beiden Gesellschafter mit Aktienbesitz von 41,88 v. H. und 31 v. H. des Grundkapitals in der Gesellschaftspolitik einig waren, so daß die AG durch diese beiden Gesellschafter gemeinsam beherrscht wurde. Allerdings ist der Senat im Gegensatz zur Klägerin der Meinung, daß die Einstimmigkeit der Beschlüsse der Hauptversammlung kein Beweis dafür ist; denn es wäre anderen Aktionären unbenommen gewesen, in der Hauptversammlung gegen diese beiden Gesellschafter zu stimmen, wenn sich hierfür ein sachliches Bedürfnis ergeben hätte. Im übrigen stimmt der Senat dem FA zu, daß unterschiedliche Auffassungen über die Gesellschaftspolitik nicht zwangsläufig in der Hauptversammlung erkennbar werden müssen, sondern auch in vorbereitenden Verhandlungen ausgetragen werden können.

Der Senat verkennt nicht, daß die Minoritätsrechte nur in Ausnahmesituationen bedeutsam werden können. Doch können sich, falls ein Sachverhalt eintritt, der die Ausübung dieser Rechte ermöglicht und gebietet, dadurch entscheidende und auch nachhaltige Auswirkungen auf die Gesellschaft ergeben (vgl. Ausschußbericht des Bundestags bei Kropff, Aktiengesetz, § 50). Der Senat stimmt der Klägerin auch zu, daß unter Berücksichtigung der Verhältnisse der AG dieses Verfahren für Beschlüsse mit einer qualifizierten Mehrheit von 75 v. H. die beiden Großaktionäre auch mit Hilfe eines Anteilsbesitzes von etwas mehr als 2 v. H. ihre Meinung durchsetzen können, so daß auch dieser geringe Anteilsbesitz auf die Geschäftsführung Einfluß gewinnen könne. Doch spricht die Wahrscheinlichkeit unter Berücksichtigung des Gewichts der Beteiligungen dafür, daß bei Auftreten widerstreitender Interessen ein Großaktionär zunächst mit einem Aktionär, der Minderheitsrechte ausüben kann, und nicht mit einem Zwerganteilsbesitzer seine Interessen abzustimmen versucht. Es geht also letztlich nicht um die Frage, ob eine Gestaltung der Verhältnisse zu erwarten ist, die es ermöglicht, in die Zukunft fortwirkende Minderheitsrechte (hierwegen s. Kropff, a. a. O.) auszuüben, sondern darum, daß der mit Minderheitsrechten ausgestattete Anteilsbesitzer als Partner für Mehrheitsbildungen, die aufgrund der Verhältnisse dieser AG für sämtliche Beschlüsse notwendig sind, ein größeres Gewicht als der Inhaber eines Zwerganteils hat. Der Senat hat allerdings in der Entscheidung III R 12/67 ausgeführt, die Minoritätsrechte seien so gering, daß man nicht deswegen von einer "Einflußmöglichkeit auf, die Geschäftsführung" sprechen könne. Diese Überlegung muß jedoch im Zusammenhang mit dem diese Entscheidung tragenden Grundgedanken gesehen werden, daß für die Bewertung von Beteiligungen, die über der Zwerganteilsgrenze liegen, aber keine Sperrminorität vermitteln, auf die Verhältnisse des Einzelfalles abzustellen ist. Diese Verhältnisse waren im damaligen Entscheidungsfall durch die Beherrschung der Gesellschaft durch einen Aktionär mit einer Beteiligung von 62 v. H. gekennzeichnet.

 

Fundstellen

BStBl II 1976, 706

BFHE 1977, 496

NJW 1976, 2144

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