Leitsatz (amtlich)

1. Pfändungsmaßnahmen sind Verfügungen, gegen die die Beschwerde nach § 230 AO gegeben ist.

2. Eine Klage gegen einen Verwaltungsakt, gegen den die Beschwerde nach § 230 AO gegeben ist, kann nicht in entsprechender Anwendung des § 45 Abs. 1 Satz 2 FGO als Beschwerde behandelt werden.

 

Normenkette

AO §§ 229-230; FGO §§ 44-45

 

Tatbestand

Am 10. November 1972 hatte das FA D beim Kläger und Revisionskläger (Kläger) die Abgabe von Steuererklärungen für den vom Kläger vertretenen eingetragenen Verein X für das Jahr 1970 angemahnt und dabei ein Erzwingungsgeld von 3 000 DM angedroht. Dieses Erzwingungsgeld war mit Verfügung vom 27. November 1972 in der angedrohten Höhe festgesetzt worden. Beide Verfügungen waren mit Postzustellungsurkunde unter der Adresse "Herrn Y i. d. ... e. V. X" zugestellt worden. Die Zahlung des Erzwingungsgeldes erfolgte nicht. Auf Grund eines Amtshilfeersuchens des FA D pfändete darauf der Vollziehungsbeamte des Beklagten und Revisionsbeklagten (FA A) am 14. Januar 1974 in der Wohnung des Klägers Möbelstücke.

Dagegen richtete sich die Klage mit dem Antrag, die Zwangsvollstreckungsmaßnahme des FA aufzuheben. Der Kläger begründete die Klage im wesentlichen damit, daß er den Bescheid nicht erhalten habe, der der Zwangsvollstreckung zugrunde gelegt worden sei. Das FG wies die Klage ab. Es führte aus, die Klage sei nicht zulässig. Nach § 44 Abs. 1 FGO sei in den Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben sei, die Klage nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder teilweise erfolglos geblieben sei. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall nicht erfüllt. Denn nach § 230 Abs. 1 AO sei gegen die hier in Frage stehende Maßnahme der Vollstreckung die Beschwerde gegeben. Ein Beschwerdeverfahren sei jedoch nicht durchgeführt worden. Eine Ausnahme von der Notwendigkeit des Vorverfahrens werde im Streitfall vom Gesetz nicht getragen. Der Auffassung des Klägers, es liege kein Verwaltungsakt vor, könne nicht gefolgt werden. Die hilfsweise beantragte Behandlung als Beschwerde könne nicht erfolgen. Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 Satz 2 FGO lägen nicht vor. Eine Umdeutung der Klage in eine Beschwerde sei nicht angängig.

Mit der Revision rügt der Kläger "die Verletzung des § 40 Abs. 1 der Verwaltungsordnung". Die Vorentscheidung übersehe, daß eine Beschwerde nach § 230 AO nicht gegeben gewesen sei, da keine Verfügung vorgelegen habe. Er habe mit der Klage die Beseitigung der Zwangsmaßnahme begehrt, also ein tatsächliches Handeln des FA. Fraglich sei nunmehr, ob er dieses Vorgehen des FA im Wege der Verpflichtungsklage und damit auch im Wege eines Vorverfahrens hätte erzwingen können. Das sei nur dann der Fall, wenn eine Aufhebung der Pfändungsmaßnahme durch das FA A als Verfügung anzusehen wäre. Das FA A habe jedoch selbst ausgeführt, daß es zur Entscheidung über die Frage der Vollstreckbarkeit nicht befugt gewesen sei. Eine verbindliche Regelung des abgabenrechtlichen Rechtsverhältnisses, zu ihm, dem Kläger, durch das FA habe somit nicht erfolgen können, weil es als ersuchte Behörde über die Wirksamkeit der Zustellung nicht zu entscheiden gehabt habe. Damit hätte seinem Begehren auch nicht durch eine Verfügung Rechnung getragen werden können. Im übrigen habe er keine Kenntnis von den der Zwangsvollstreckung zugrunde liegenden Bescheiden erlangt. Diese seien auch nicht ihm, sondern dem Verein zugestellt worden.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung und die Zwangsvollstreckungsmaßnahme des FG aufzuheben sowie hilfsweise, die Klage als Beschwerde zu behandeln.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, daß die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 FGO nicht erfüllt sind. Danach ist die Klage nur zulässig, wenn in Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist, das Verfahren über diesen Rechtsbehelf erfolglos geblieben ist. Die Klage richtete sich gegen die Pfändungsmaßnahme des FA A. Das FG hat diese Pfändungsmaßnahme zu Recht als eine Verfügung im Sinne des § 230 Abs. 1 AO angesehen (vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl., Anm. 5 zu § 325 AO; Urteil des BVerwG vom 18. November 1960 VII C 184/57, NJW 1961, 332). Gegen die Pfändungsmaßnahme war daher als außergerichtlicher Rechtsbehelf die Beschwerde gegeben. Diese ist vom Kläger nicht eingelegt worden.

Die Klage kann auch nicht nach § 45 Abs. 1 Satz 2 FGO als Beschwerde behandelt werden. Nach dieser Bestimmung ist die ohne Vorverfahren erhobene Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt der in § 229 AO bezeichneten Art als Einspruch zu behandeln, wenn die Behörde der Behandlung als Klage nicht zustimmt. Die unmittelbare Anwendung dieser Vorschrift scheidet hier aus, da die angefochtene Verfügung nicht zu den in § 229 AO aufgezählten Bescheiden gehört. Auch eine entsprechende Anwendung des § 45 Abs. 1 FGO kommt nicht in Betracht. In dem vom Gesetz geregelten Fall einer Klage gegen eine Verfügung nach § 229 AO ist die Behörde, die über den außergerichtlichen Rechtsbehelf zu entscheiden hat, identisch mit der Behörde, die die Zustimmung zur Sprungklage geben kann. Bei einer analogen Anwendung dieser Regelung auf den Fall der Anfechtungsklage gegen eine Verfügung nach § 230 AO wäre diese Identität nicht mehr gegeben, weil über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gegen eine solche Verfügung die Oberfinanzdirektion zu entscheiden hat; die den Verwaltungsakt erlassende Behörde wäre also in der Lage, die ihr vorgesetzte Behörde von dem dieser nach § 230 AO zustehenden Recht, den Verwaltungsakt im Vorverfahren auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen, auszuschließen. Dies widerspricht dem Grundgedanken der Regelung des § 45 Abs. 1 FGO. Hinzu kommt, daß diese Regelung eine durch klare Rechtsbegriffe gekennzeichnete Ausnahme von dem Grundsatz normiert, wonach ein Vorverfahren einer Klage zwingend vorgeschaltet werden muß; es muß daher davon ausgegangen werden, daß eine Erweiterung dieser Ausnahme durch analoge Anwendung nicht den Absichten des Gesetzgebers entspricht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71680

BStBl II 1976, 56

BFHE 1976, 526

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