Leitsatz

  1. Einzelner Bruchteilsberechtigter am Wohnungseigentum kann eigenständig Beschlüsse anfechten
  2. Der Bruchteilsberechtigte klagt in gesetzlicher Prozessstandschaft für die anderen Bruchteilseigentums-Berechtigten, die somit nicht mitzuverklagen sind
  3. Rechtskrafterstreckung kann durch Beiladung erreicht werden
 

Normenkette

§§ 46 Abs. 1, 48 WEG; §§ 741 ff., 1011 BGB; § 538 Abs. 2 Nr. 3 ZPO

 

Kommentar

  1. Zum Sachverhalt:

    Ein Wohnungseigentum gehörte beiden Eheleuten in Bruchteilsgemeinschaft. Beschlussanfechtungsklage führte allein der Ehemann, der ausdrücklich bis zuletzt erklärte, dass er seine Ehefrau nicht als Beklagte benenne. Das Amtsgericht hat die Anfechtungsklage ohne weitere sachliche Überprüfungen mit der Begründung abgewiesen, dass die Anfechtungsklage nicht gegen alle übrigen Wohnungseigentümer nach § 46 Abs. 1 WEG gerichtet worden sei. Prozessführung in gesetzlicher Prozessstandschaft sei nach Ansicht des Amtsgerichts abzulehnen, da die Ehefrau des Klägers dann ein Endurteil nicht gegen sich gelten lassen müsste und auch Beiladung gemäß § 48 WEG ausscheide; dies alles widerspreche dem System des WEG.

    Die Berufung des Klägers hatte Erfolg und führte zur Zurückverweisung des Streits.

  2. Aus den Gründen des Berufungs-Endurteils:

    1. Die Anfechtungsklage des Bruchteilseigentümers (Ehemann) wurde von Anfang an ordnungsgemäß gegen die übrigen Eigentümer der Gemeinschaft nach vorgelegter Liste erhoben. Zunächst ist mit der h.M. davon auszugehen, dass ein einzelner Bruchteilsberechtiger am Wohnungseigentum das Recht besitzt, Beschlussanfechtungsklage zu erheben (vgl. OLG Frankfurt, NZM 2007 S. 490; KG, NJW-RR 1994 S. 278; Klein in Bärmann, Wohnungseigentumsgesetz, 11. Aufl., § 46 Rn. 24; Becker, ZWE 2011 S. 405 ff.). Nach überwiegender Ansicht wird die Klageberechtigung dem § 1011 BGB entnommen (vgl. auch Suilmann in Jennißen, 2. Aufl., § 46, Rn. 25; Niedenführ in Niederführ/Kümmel/Vandenhouten, 9. Aufl., § 46 Rn. 8). Der allein klagende Miteigentümer ist hier gesetzlicher Prozessstandschafter der anderen Bruchteilsberechtigten (vgl. auch Bassenge, Palandt, BGB, 71. Aufl., § 1011, Rn. 4). § 744 BGB steht dieser h.M. nicht entgegen. Die §§ 1008 ff. BGB sind neben den §§ 741 ff. BGB vorrangig anzuwenden (vgl. auch Sprau in Palandt, BGB, § 741, Rn. 1). An dieser sich aus dem BGB ergebenden Rechtslage hat sich auch durch die WEG-Reform nichts geändert.
    2. Aus diesem Grund ist die Anfechtungsklage gemäß § 46 Abs. 1 WEG nur gegen die übrigen Eigentümer zu richten, nicht aber auch gegen die übrigen Mitberechtigten an einem Wohnungseigentum. Nicht klagende Mitberechtigte werden allerdings selbst nicht Partei des Rechtsstreits. Es verbleibt hier bei Klageführung in Prozessstandschaft für übrige Mitberechtigte am klägerischen Wohnungseigentum. Rechtskrafterstreckung ist in den Fällen zu bejahen, in denen andere Rechtsinhaber der Prozessführung durch den Prozessstandschafter zustimmen. Allerdings dürfen hier andere Mitberechtigte nicht die Entscheidung über die Rechtskrafterstreckung einer Beschlussanfechtungsklage in der Hand haben. Insoweit muss von einer analogen Anwendung des § 48 Abs. 1 WEG (Beiladung) ausgegangen werden. Da der Gesetzgeber diese Problematik nicht mitbedacht hat, ist über Analogie die entsprechende Regelungslücke zu schließen (so auch Becker und Niedenführ, jeweils a.a.O).
    3. Zurückverweisungsantrag an das Amtsgericht wurde klägerseits in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht gestellt. Die Zurückverweisung folgt zwar nicht unmittelbar aus § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, da es sich hinsichtlich der Anfechtungsfrist des § 46 Abs. 1 WEG nicht um eine prozessuale, sondern vielmehr um eine materielle Ausschlussfrist handelt. Allerdings muss § 538 Abs. 2 Nr. 3 ZPO als Beispielsregelung für die Abweisung einer Klage wegen Versäumung der prozessualen Klagefrist vorliegend aus Vergleichbarkeitsgründen analog angewendet werden. Auch im Hinblick vergleichbarer Rechtsprechung muss hier Streitparteien auch im Wohnungseigentumsrecht im Regelfall Sachprüfung in 2 Instanzen zustehen, in denen dann auch der Rechtsstreit umfassend behandelt wird. Nach Ansicht des Gerichts ist § 46 WEG eher mit einer prozessualen Ausschlussfrist vergleichbar, bei der § 538 Abs. 2 Nr. 3 ZPO unmittelbar Anwendung findet. Der Unterschied zwischen einer prozessualen und einer materiell-rechtlichen Ausschlussfrist ist rein dogmatischer Natur. Beide Fristen haben jedoch gleichermaßen zur Folge, dass im Fall ihrer Versäumung eine Prüfung in der Sache entfällt. Hat das Amtsgericht Fristversäumung zu Unrecht angenommen, muss im Regelfall vollständige Sachprüfung noch in erster Instanz nachgeholt werden, zumal im vorliegenden Fall noch alle Sachfragen klärungsbedürftig sind. Ein Tatsacheninstanzverlust bzw. eine Rechtsverkürzung ist hier zu vermeiden. Argumente der Prozessökonomie müssen hinter dem Verlust einer Tatsacheninstanz zurücktreten; andernfalls wäre der Streitfall letztlich auf eine einzige Instanz verkürzt.
 

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LG München...

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