A. Eheschließung

[[Autor]] Schür

I. Materielle Voraussetzungen

1. Verlöbnis

 

Rz. 1

Das belgische Zivilgesetzbuch (im Folgenden: ZGB)[1] enthält keinerlei Regelungen über das Verlöbnis, d.h. das gegenseitige Eheversprechen. Nach belgischer Rechtslehre[2] und Rechtsprechung[3] hat das Verlöbnis keine rechtliche Bindung. Das Verlöbnis wird nicht als Vertrag anerkannt, so dass dadurch keine zivilrechtlichen Verpflichtungen entstehen und die Verlobten ihr Versprechen einseitig brechen können. Die rechtliche Unwirksamkeit des Verlöbnisses bezieht sich auch auf jede Vereinbarung, durch welche dem Verlöbnis direkt oder indirekt die Bedeutung einer obligatorischen zivilrechtlichen Verpflichtung gegeben werden soll. Auch wenn mit dem Verlöbnis keine zivilrechtlichen Verpflichtungen verbunden sind, so entsteht dennoch eine moralische Verpflichtung, die laut Rechtsprechung[4] und Rechtslehre[5] dazu führt, dass derjenige, der das Verlöbnis einseitig beendet, unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände schadenersatzpflichtig sein kann, wenn der Rücktritt vom Verlöbnis als fehlerhaftes Verhalten anzusehen ist und dadurch ein Schaden entsteht.

[1] Belgisches Zivilgesetzbuch i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 22.8.2018, Belg. Staatsblatt vom 27.7.2018. Eine Übersetzung der eherechtlichen Vorschriften findet sich auf den Internetseiten des Föderalen Öffentlichen Dienstes Justiz (www.just.fgov.be) und des Bezirkskommissariats Malmedy (https://www.scta.be/Startseite-Direkt/Zivil-und-Gerichtsverfahrensrecht).
[2] Gallus, in: Précis de droit de la famille, S. 167 ff.; Sterckx, Répertoire notarial, S. 71 ff.; De Page/Masson, Traité élémentaire de droit civil belge, S. 516, 517.
[3] Civ. Liège, 8.1.1990 und 1.6.1990, Rev.trim.dr.fam., 1992, S. 39 ff., R.G.A.R., 1992, Nr. 11991; Civ. Bruxelles, 15.12.1987, J.L.M.B., 1988, S. 280.
[4] Cass., 17.3.1967, Pas., 1967, I, S. 869; Mons, 17.3.1998, Rev.trim.dr.fam., 1999, S. 252; Baeteman/Gerlo, Personen- en familierecht – Overzicht van rechtspraak (1975–1980), T.P.R., 1981, S. 791, Nr. 48; Dalcq, La responsabilité délictuelle et quasi-délictuelle – Examen de jurisprudence (1980–1986), R.C.J.B., 1987, S. 613, Nr. 13.
[5] Sterckx, Répertoire notarial, S. 74 ff.

2. Obligatorische Zivilehe

a) Zivilrechtliche Ehe

 

Rz. 2

Nur mit der Zivilehe, die vor einem Standesbeamten zu schließen ist, sind alle rechtlichen Wirkungen der Ehe verbunden. Art. 21 Abs. 2 der belgischen Verfassung bestimmt den Vorrang der Zivilehe: "Die zivile Eheschließung muss stets der Einsegnung der Ehe vorangehen, vorbehaltlich der erforderlichenfalls durch das Gesetz festzulegenden Ausnahmen."[6] Die religiöse Eheschließung hat grundsätzlich keine rechtliche Wirkung.

b) Zivilrechtliche Wirksamkeit religiöser Eheschließung

 

Rz. 3

Obschon die religiöse Eheschließung grundsätzlich keine rechtliche Wirkung hat (siehe Rdn 2), erkennt die belgische Rechtsprechung[7] dennoch der ausschließlich religiösen Eheschließung begrenzte rechtliche Folgen an. So wird auf ausschließlich kirchliche Trauungen, die in gutem Glauben erfolgten, die Theorie der putativen Heirat angewandt, wonach eine für nichtig erklärte Eheschließung dennoch Wirkungen in Bezug auf die Eheleute hat unter der Voraussetzung, dass sie (oder auch nur ein Ehegatte) guten Glaubens waren.[8]

[7] Cass., 3.3.1961, Pas., 1961, I, S. 767; Cass., 26.6.1967, Pas., 1967, I, S. 1290; Civ. Bruxelles, 21.3.1980, Pas., 1980, III, S. 28.
[8] Art. 201 Abs. 1 ZGB; Sterckx, Répertoire notarial, S. 177 ff.

3. Persönliche Voraussetzungen

a) Geschlecht

 

Rz. 4

Die Ehe können nicht nur zwei Personen verschiedenen Geschlechts, sondern auch gleichgeschlechtliche Partner[9] eingehen (Art. 143 ZGB).

[9] Vgl. hierzu Pintens, in: Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderteil Belgien, S. 45.

b) Ehefähigkeit

 

Rz. 5

Sowohl der Mann als auch die Frau sind grundsätzlich nicht vor Vollendung des 18. Lebensjahres ehemündig.[10] Aufgrund Art. 145 ZGB kann das Familiengericht jedoch aus schwerwiegenden Gründen eine Abweichung von diesem Mindestalter gewähren. Außerdem darf ein Minderjähriger keine Ehe ohne Einwilligung seiner Eltern eingehen.[11]

[11] Art. 148 ZGB. Wenn die Eltern die Zustimmung verweigern, kann das Familiengericht die Ehe dennoch erlauben, wenn es die Verweigerung für missbräuchlich oder für unbegründet erachtet.

c) Zustimmung der Ehegatten

 

Rz. 6

Die Eheschließung ist nur mit Einwilligung beider Ehegatten möglich.[12] Die Einwilligung muss persönlich,[13] aktuell,[14] wirklich und freiwillig erfolgen, d.h., dass die Zustimmung zur Eheschließung tatsächlich vorhanden sein muss und dass diese Zustimmung nicht mit einem Willensmangel (Gewalt oder Irrtum) behaftet sein darf. Personen, die durch das Gericht unter Schutz gestellt wurden und denen es grundsätzlich untersagt ist, eine Ehe einzugehen, können mittels einer besonderen Ermächtigung des Friedensgerichts dennoch ermächtigt werden, eine Ehe einzugehen.[15]

[13] Ein Ehegatte kann nicht bei der Eheschließung durch einen Bevollmächtigten vertreten werden.
[14] Die Zustimmung muss gemeinsam durch beide Ehegatten erfolgen. Die Eheschließung nach dem Tode (mariage posthume) ist nicht zulässig.

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