Entscheidungsstichwort (Thema)

Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts. Bestimmung des zuständigen Gerichts

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hat das an einem negativen Zuständigkeitsstreit beteiligte Gericht seine Zuständigkeit nur durch gerichtsintern gebliebene Abgabeverfügung verneint, so liegen die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Nr. 6 ZPO nicht vor.

2. Zur Abgrenzung der Zuständigkeit von Familiengericht und Vormundschaftsgericht in Angelegenheiten der elterlichen Sorge.

 

Normenkette

ZPO § 36 Nr. 6, § 621 Abs. 1; BGB §§ 1666, 1696; GVG § 23b

 

Verfahrensgang

AG München (Aktenzeichen 543 F 4591/97)

 

Tenor

Eine Entscheidung über die Zuständigkeit ergeht nicht.

 

Tatbestand

I.

Das Familiengericht München hat durch Urteil vom 24.7.1996 die Ehe der Eltern des 1983 geborenen Mädchens geschieden und die elterliche Sorge – entsprechend einem gemeinsamen Vorschlag der Eltern – auf die Mutter übertragen.

Mit Schriftsatz vom 12.8.1997 hat das Jugendamt (Beteiligter zu 2) beim Familiengericht München beantragt, der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Mädchen vorläufig zu entziehen, den Beteiligten zu 2 als Pfleger einzusetzen mit der Befugnis, Leistungen nach dem SGB VIII einzuleiten, und die Mutter zu verpflichten, den Reisepaß ihrer Tochter dem Pfleger sofort auszuhändigen.

Zur Begründung hat der Beteiligte zu 2 vorgetragen, das Mädchen habe sexuelle Gewalterfahrungen zu verarbeiten. Es habe Schulschwierigkeiten und mache durch Diebstahl auf sich aufmerksam. Nach seinen eigenen Angaben werde es von der Mutter sowie von seiner volljährigen Schwester körperlich mißhandelt. Gegen den Vater bestehe ein Haftbefehl, nachdem er wegen sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt worden sei. Nach den Angaben der Mutter bedrohe der Vater die Familie. Nachdem die Mutter das Mädchen mit einem Brotmesser bedroht und die Polizei eine oberflächliche Schnittverletzung am Oberschenkel des Mädchens festgestellt habe, welche angeblich von ihrer Mutter stamme, sei das Mädchen durch den Allgemeinen Sozialdienst in einem Heim in Obhut genommen worden. Die Mutter sei nicht bereit, einer Heimunterbringung, die das Mädchen ausdrücklich wünsche, zuzustimmen.

Das Familiengericht hat der Mutter den Schriftsatz des Beteiligten zu 2 zugestellt und sodann mit Verfügung vom 10.9.1997, die den Beteiligten nicht bekanntgegeben wurde, dem Vormundschaftsgericht München die Akten mit der Bitte um „Übernahme zuständigkeitshalber” zugeleitet, da eine vormundschaftsgerichtliche Einzelmaßnahme in Betracht komme.

Der Vormundschaftsrichter hat mit Beschluß vom 10.9.1997, ergänzt am 12.9.1997, die Übernahme abgelehnt, ohne den Beteiligten davon Kenntnis zu geben. Er hält sich für unzuständig, da eine Abänderung der familiengerichtlichen Sorgerechtsentscheidung in Betracht komme, und hat die Akten an das Familiengericht zurückgesandt.

Dieses hat die Sache dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Nr. 6 ZPO vorgelegt.

 

Entscheidungsgründe

II.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits zwischen dem Vormundschaftsgericht und dem Familiengericht, die zum selben bayerischen Amtsgericht gehören, als das im Rechtszug zunächst höhere Gericht in sinngemäßer Anwendung von § 36 Nr. 6 ZPO (i.V.m. § 8 EGGVG, § 139 Abs. 1 GVG, § 7 EGZPO, Art. 11 Abs. 1 AGGVG) berufen (vgl. BayObLGZ 1994., 91/92 f.).

2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Nr. 6 ZPO liegen nicht vor.

Diese Vorschrift verlangt, daß sich die beteiligten Gerichte „rechtskräftig” für unzuständig erklärt haben. Dies erfordert, daß sie ihre Entscheidung, mit der sie sich für unzuständig erklären, den Beteiligten bekanntgegeben haben (vgl. BGH NJW-RR 1992, 1154; BayObLGZ 1991, 280/281; ständige Rechtsprechung). Daran fehlt es hier. Zwar haben das Familiengericht mit Verfügung vom 10.9.1997 und das Vormundschaftsgericht mit Beschluß vom 10.9.1997 jeweils unter Hinweis auf ihre Unzuständigkeit die Übernahme abgelehnt (vgl. BGHZ 104, 363/366 m.w.N.; BayObLG a.a.O.) und die Akten zurückgesandt. Diese Verfügungen sind den Beteiligten aber nicht bekanntgemacht worden. Derartige gerichtsintern gebliebene Verfügungen, die gegenüber den Beteiligten rechtlich nicht wirksam geworden sind, können nach der ständigen Rechtsprechung (vgl. BGH, BayObLG a.a.O.; Zöller/Vollkommer ZPO 20. Aufl. § 36 Rn. 24 m.w.N.) nicht als Unzuständigkeitserklärungen im Sinn von § 36 Nr. 6 ZPO angesehen werden.

3. Im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit der Sache weist der Senat zur Vermeidung weiteren Zuständigkeitsstreits auf folgendes hin:

Ob in einer Angelegenheit über das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern eine Vormundschaftssache oder eine Familiensache vorliegt, ist danach zu beurteilen, ob die konkrete Verrichtung aufgrund des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder eines sonstigen Bundesgesetzes dem Vormundschaftsgericht zugewiesen ist (Keidel/Kuntze FGG 13. Aufl. § 35 R...

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