Entscheidungsstichwort (Thema)

Testamentsauslegung

 

Leitsatz (redaktionell)

§ 2077 Abs. 1 enthält eine dispositive Auslegungsregel, so dass im Hinblick auf § 2077 Abs. 3 BGB durch Auslegung der letztwilligen Verfügung (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln ist, ob diese nach dem wirklichen Willen des Erblassers auch für den Fall einer späteren Scheidung Gültigkeit behalten sollte.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157, 2077 Abs. 1, 3

 

Verfahrensgang

LG München I (Beschluss vom 27.06.1995; Aktenzeichen 16 T 5922/95)

AG München (Beschluss vom 23.02.1995; Aktenzeichen 62 VI 3937/94)

 

Tenor

I. Auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 werden der Beschluß des Landgerichts München I vom 27. Juni 1995 und der Beschluß des Amtsgerichts München vom 23. Februar 1995 aufgehoben.

II. Das Amtsgericht München wird angewiesen, der Beteiligten zu 1 folgenden Erbschein zu erteilen: …

 

Tatbestand

I.

Die im Jahr 1994 verstorbene Erblasserin war seit 15.5.1986 in dritter Ehe mit dem Beteiligten zu 2 verheiratet. Aus ihrer zweiten, durch Scheidung aufgelösten Ehe stammt die Beteiligte zu 1. Die erste und die dritte Ehe blieben kinderlos.

Am 10.6.1986 hatten die Erblasserin und der Beteiligte zu 2 einen notariellen Erbvertrag geschlossen, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten. Der Beteiligte zu 2 hat am 15.11.1993 die Scheidung seiner Ehe mit der Erblasserin beantragt. Er lebe seit November 1992 von seiner Ehefrau getrennt; die Ehe sei gescheitert. Die Erblasserin ließ hierzu mit Anwaltsschriftsatz vom 15.12.1993 erklären, auch sie halte die Ehe für gescheitert. Ein Versorgungsausgleich sollte nicht durchgeführt werden. Wörtlich wurde sodann folgendes ausgeführt:

Die Antragsgegnerin wird aus den genannten Gründen dem Scheidungsantrag zustimmen.

Ein Termin zur mündlichen Verhandlung wurde bis zum Tod der Erblasserin nicht bestimmt.

Die Beteiligte zu 1 beantragte einen Erbschein, der sie kraft gesetzlicher Erbfolge als Alleinerbin ausweisen sollte, weil der Erbvertrag aufgrund des Scheidungsverfahrens unwirksam geworden sei. Diesem Antrag trat der Beteiligte zu 2 entgegen. Mit Beschluß vom 23.2.1995 wies das Nachlaßgericht den Erbscheinsantrag zurück. Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Beteiligten zu 1 wies das Landgericht am 27.6.1995 zurück. Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1. Der Beteiligte zu 2 beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige weitere Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Anweisung des Amtsgerichts, der Beteiligten zu 1 den von ihr beantragten Erbschein zu erteilen.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Die Beteiligte zu 1 könne sich nicht auf ihr gesetzliches Erbrecht berufen, weil der Erbvertrag trotz des Scheidungsverfahrens wirksam geblieben sei. Ein Fall des § 2077 Abs. 1 Satz 2 BGB liege nicht vor, denn die Erblasserin habe der beantragten Scheidung nicht zugestimmt. Eine derartige Prozeßhandlung könne der Erklärung vom 15.12.1993 nicht entnommen werden. Sie stelle nur die Ankündigung einer Zustimmung dar.

2. Die Beschwerdeentscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO) nicht stand.

a) Der Senat teilt nicht die Meinung des Landgerichts, die Erblasserin habe der von ihrem Ehemann beantragten Scheidung nicht zugestimmt, sondern eine Zustimmung nur angekündigt. Die Erklärung vom 15.12.1993 ist vielmehr als Zustimmung zur Scheidung im Sinn von § 2279 Abs. 1, § 2077 Abs. 1 Satz 2 zweite Alternative BGB aufzufassen.

aa) Die Zustimmung des Antragsgegners als Voraussetzung einer einverständlichen Scheidung (vgl. § 1566 Abs. 1 BGB, § 630 Abs. 2 ZPO) ist eine materiell-rechtliche Willenserklärung (OLG Zweibrücken OLGZ 1983, 160/161; OLG Saarbrücken FamRZ 1992, 109/110; Zöller/Philippi ZPO 19. Aufl. Rn. 8, Thomas/Putzo ZPO 19. Aufl. Rn. 10, jeweils zu § 630; Johannsen/Henrich/Jaeger Eherecht 2. Aufl. § 1566 BGB Rn. 13; Schwab Handbuch des Scheidungsrechts 2. Aufl. Teil II Rn. 72) und zugleich Prozeßhandlung (BGHZ 111, 329/331; OLG Saarbrük-ken aaO; Palandt/Edenhofer BGB 54. Aufl. § 1933 Rn. 4; Zöller/Philippi, Thomas/Putzo, Johannsen/Henrich/Jaeger und Schwab, jeweils aaO). Als solche ist sie auslegungsfähig und -bedürftig (vgl. OLG Saarbrücken aaO S. 111; Palandt/Edenhofer aaO; Zöller/Greger vor § 128 Rn. 25; Thomas/Putzo Einl III Rn. 16; vgl. auch Keidel/Kahl FGG 13. Aufl. § 11 Rn. 35). Bei der Auslegung prozessualer oder verfahrensrechtlicher Willenserklärungen ist das Gericht der weiteren Beschwerde im Instanzenzug an die Auffassung des Tatrichters nicht gebunden (OLG Saarbrücken aaO S. 111; Keidel/Kuntze Rn. 49, Jansen FGG 2. Aufl. Rn. 22, jeweils zu § 27). Ob die Bindung generell auch dann nicht gilt, wenn die Erklärung in einem anderen, nicht rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren abgegeben wurde (so BGH NJW 1959, 2119 und OLG Saarbrücken aaO; vgl. auch Zöller/Gummer § 550 Rn. 11 und Jansen aaO), läßt der Senat offen. Er ist hier an die Auslegung des Landgerichts, die Erkläru...

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