Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsbeschwerde. Wohnraum. Wohnung. Zweckentfremdung. Verfahrensrüge. Sachrüge. Geldbuße. Bußgeld. Bußgeldbescheid. Einspruch. Einspruchsbeschränkung. Rechtsfolgenausspruch. Ahndung. Vorahndung. Anhörung. Aufwendungen. Bußgeldbemessung. Bemessungskriterien. Bußgeldrahmen. Einkommen. Einkünfte. Ermessen. Ermittlungsaufwand. Fristüberschreitung. Gesamtabwägung. Hartnäckigkeit. Leistungsfähigkeit. Nettoprinzip. Zahlungserleichterung. Ratenzahlung. Richtlinie. Sanktion. Schätzung. Gewinnschätzung. Soll-Vorschrift. Übermaßverbot. unverhältnismäßig. Urteilsabsetzung. Vermögen. Vorahndungen. Vorteil. Vorteilsabschöpfung. Warnwirkung. wirtschaftlich. Zahlungserleichterungen. Zwangsgeld. Schulden. Kontounterlagen. Gehaltsabrechnung. Steuerbescheid. Bilanz. Gewinnermittlung. Unterhaltsverpflichtung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der nachträgliche Wegfall des durch eine Zuwiderhandlung gegen das Zweckentfremdungsverbot erzielten wirtschaftlichen Vorteils steht einer Anwendung von § 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG grundsätzlich nicht entgegen. Allerdings ist die Bestimmung als Soll-Vorschrift ausgestaltet, um andere gleich wichtige Zumessungskriterien wie etwa auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen (§ 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG) nicht zurückzudrängen (Festhaltung an BayObLG, Beschl. v. 08.02.1990 - 3 Ob OWi 5/90 bei juris = BeckRS 1990, 31363410).

2. Eine gravierende Verschlechterung der wirtschaftlichen Gesamtsituation des Betroffenenkann es im Einzelfall unter Berücksichtigung des Übermaßverbotes erlauben, den erzielten wirtschaftlichen Vorteil ganz oder teilweise zu vernachlässigen. In die erforderliche Gesamtabwägung muss aber ggf. auch der Umstand einfließen, dass die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse im Wesentlichen auf der fortgesetzten Verletzung einer Bußgeldvorschrift und daraus resultierender hoher Zwangs- und Bußgelder beruhen (Fortführung von BayObLG, Beschl. v. 12.02.2021 - 201 ObOWi 1631/20 bei juris = BeckRS 2021, 14747).

3. Setzt der Tatrichter eine Geldbuße fest, welche den aus dem ordnungswidrigen Verhalten gezogenen wirtschaftlichen Vorteil erheblich unterschreitet oder sieht er von einer Anwendung des § 17 Abs. 4 OWiG gänzlich ab, so hat er die hierfür maßgeblichen Erwägungen in seiner Entscheidung im Einzelnen darzulegen, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung zu ermöglichen, ob er bei der Bußgeldbemessung von richtigen und vollständigen Erwägungen ausgegangen ist und von seinem Ermessen in rechtsfehlerfreier Weise Gebrauch gemacht hat (Festhaltung an BayObLG, Beschl. v. 18.06.1979 - 3 Ob OWi 18/79 = BayObLGSt 1980, 92).

 

Normenkette

OWiG § 17 Abs. 3-4, §§ 18, 71 Abs. 1, § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 1, Abs. 5 S. 1, Abs. 6, § 80a Abs. 2 S. 1, § 99 Abs. 2 S. 1; StPO § 275 Abs. 1 Sätze 2, 4, §§ 301, 344 Abs. 2 S. 2, §§ 337, 338 Nr. 7, § 353; BayZwEWG Art. 4

 

Tenor

  • I.

    Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts vom 20.10.2021 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

  • II.

    Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

A.

Die Landeshauptstadt X hat mit Bußgeldbescheid vom 11.02.2021 gegen den Betroffenen wegen vorsätzlicher Überlassung der Wohnung im 3. Obergeschoss links im Anwesen X zu anderen als Wohnzwecken ohne erforderliche Zweckentfremdungsgenehmigung zwischen September 2017 und Mai 2018 eine Geldbuße in Höhe von 20.000 Euro verhängt. Nach form- und fristgerechter Einlegung des Einspruchs hat der Betroffene in der Hauptverhandlung vom 20.10.2021 den Einspruch auf die Rechtsfolgen beschränkt. Das Amtsgericht hat den Betroffenen daraufhin "unter Bezugnahme auf den im Übrigen rechtskräftigen Bußgeldbescheid vom 11.02.2021" zu einer Geldbuße in Höhe von 1.350 Euro verurteilt, wobei dem Betroffenen die Möglichkeit eingeräumt wurde, die Geldbuße in monatlichen Raten von 5 Euro zu begleichen. Gegen dieses ihr formlos am 08.11.2021 mitgeteilte Urteil hat die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 15.11.2021, beim Amtsgericht eingegangen am selben Tag, Rechtsbeschwerde eingelegt und die Rechtsbeschwerde auf die Höhe der Geldbuße und die gewährte Ratenzahlung beschränkt. Nach der am 31.01.2022 erfolgten Zustellung des vollständig begründeten Urteils hat die Staatsanwaltschaft unter dem 08.02.2022, beim Amtsgericht eingegangen am 10.02.2022, die Rechtsbeschwerde mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet. Sie rügt die verspätete Absetzung des Urteils und erstrebt im Übrigen die Verhängung einer deutlich höheren Geldbuße. Die Generalstaatsanwaltschaft, die das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft vertritt, hat unter dem 31.03.2022 beantragt, auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft das Urteil des Amtsgerichts vom 20.10.2021 im Schuldspruch neu zu fassen und es im Übrigen im Rechtsfolgenausspruch sowohl im Hinblick auf die Bemessung der Geldbuße als auch hinsichtlich der Gewährung von Zahlungserleichterungen mi...

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