Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht: Voraussetzung einer Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten. abstrakte Gefährdung des Arbeitsplatzes als Gleichstellungsgrund. Ungünstige Konkurrenzsituation im Verhältnis zu anderen Arbeitnehmern

 

Leitsatz (amtlich)

Alleine eine bloß abstrakte Gefährdung des Arbeitsplatzes, ohne dass Tatsachen vorliegen, die den Rückschluss zulassen, dass der Arbeitsplatz wegen der Behinderung konkret gefährdet ist, genügt nicht für eine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen.

 

Normenkette

SGB IX § 2 Abs. 3, § 73

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 03.11.2010 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 12.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2010 abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist eine Gleichstellung des Klägers mit einem schwerbehinderten Menschen (§ 2 Abs 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch -SGB IX-).

Der 1962 geborene Kläger ist seit 2001 bei der Firma C. als Kommissionierer beschäftigt. Mit Bescheid vom 25.05.2009 stellte das Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) bei ihm einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 im Hinblick auf das Fehlen einer Niere fest. Am 24.07.2009 beantragte er bei der Beklagten die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen nach § 2 Abs 3 SGB IX. Sein Arbeitsverhältnis sei behinderungsbedingt gefährdet, da er durch seine fehlende Niere gezwungen sei, regelmäßig Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Wegen der ständigen Toilettengänge könne er seine volle Arbeitsleistung nicht erbringen. Hierauf sei er von seinem Vorgesetzten schon angesprochen worden. Im Hinblick auf die angeordnete Kurzarbeit habe er Angst, seinen derzeitigen Arbeitsplatz zu verlieren.

Für die letzten fünf Jahre vor Antragstellung bescheinigte die C. Betriebskrankenkasse Arbeitsunfähigkeitszeiten für die Zeit vom 15.10.2008 bis 16.10.2008 wegen einer Bronchitis und für die Zeit vom 06.04.2005 bis 08.04.2005 wegen einer akuten Virusinfektion. Der Arbeitgeber teilte mit, der Kläger arbeite derzeit als Kommissionierer im Bereich der Materialschleuse. Gesundheitliche Einschränkungen seien nicht bekannt. Der derzeitige Arbeitsplatz sei nicht behinderungsgerecht ausgestaltet, eine Verbesserung zurzeit nicht nötig. Der Arbeitsplatz sei weder aufgrund behinderungsbedingter Auswirkungen noch aus sonstigen Gründen gefährdet. In seiner Stellungnahme gab der Betriebsrat an, gesundheitliche Einschränkungen des Klägers seien bekannt und würden sich dahingehend auswirken, dass der Arbeitseinsatz eingeschränkt sei und geringe betriebliche Einsatzmöglichkeiten bestünden. Darüber hinaus hätten sich die gesundheitlichen Beschwerden aus Sicht der Vorgesetzten als Störfaktor herausgestellt. Infolge des ständig notwendigen Trinkens müsse der Kläger sehr häufig auf die Toilette, was die Arbeitsleistung beeinträchtige. Der Kläger ziehe sich von seinen Kollegen zurück, die sein Verhalten nicht verstehen könnten. Deshalb bestünden von Zeit zu Zeit auch depressive Phasen, in denen der Kläger häufig Fehler bei seiner Arbeit mache. Diesbezüglich sei er bereits von seinen Vorgesetzten eindringlich ermahnt worden. Der derzeitige Arbeitsplatz sei behindertengerecht ausgestaltet, eine innerbetriebliche Umsetzung wegen der Auswirkungen der Behinderungen wünschenswert. Eine Gefährdung des Arbeitsplatzes wegen behinderungsbedingter Auswirkungen ergebe sich durch die fehlende Arbeitsleistung und häufige Fehler. Aus sonstigen Gründen sei der Arbeitsplatz nicht gefährdet.

Mit Bescheid vom 12.10.2009 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gleichstellung des Klägers mit einem schwerbehinderten Menschen nach § 2 Abs 3 SGB IX ab. Es gebe keine Anhaltspunkte für eine behinderungsbedingte Gefährdung des Arbeitsplatzes und dafür, dass der Kläger zur Erhaltung des Arbeitsplatzes auf den Schutz angewiesen sei. Die Tätigkeit könne ohne nennenswerte Einschränkungen ausgeübt werden. Wiederholte, behinderungsbedingte Fehlzeiten oder Minderleistungen am Arbeitsplatz seien nicht erkennbar. Bloße allgemeine Darlegungen und Hinweise hinsichtlich möglicher zukünftiger Leistungseinschränkungen oder auch Wettbewerbsnachteile seien nicht ausreichend.

Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch trug der Kläger vor, jeder Schwerbehinderte sei besonders schutzbedürftig und bedürfe eines entsprechenden Schutzes, ohne dass es auf die individuellen Umstände ankomme. Auch das Bundessozialgericht (BSG) gehe in der Entscheidung vom 02.03.2000 (B 7 AL 46/99 R) davon aus, dass alleine die mangelnde Konkurrenzfähigkeit des schwerbehinderten Menschen am Arbeitsplatz sowie auf dem Arbeitsmarkt ausschlaggebend sei. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.01.2010 zurück. Eine konkrete behinderungsbedingte Gefährdung sei nicht plausibel gemacht worden. Auch eine Gleichstellung zur Erlangung eines Arbeitsplatzes sei nicht erforderlich.

Dagegen hat der Klä...

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