Entscheidungsstichwort (Thema)

Erwerbsminderungsrente: Anforderungen an eine Rentenbegutachtung

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Gutachten über eine Erwerbsminderung in rentenberichtigendem Ausmaß ist nur dann überzeugend, wenn es das Vorliegen von Funktionseinschränkungen schlüssig darlegt.

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. April 2009 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1967 geborene Kläger stammt aus Syrien und ist deutscher Staatsangehöriger. Er absolvierte von 1987 bis 1994 ein Studium an der TU A-Stadt im Fach Maschinenbau für Luft- und Raumfahrttechnik. Danach war er von 1996 bis 2002 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der B. tätig, anschließend war er von 01.07.2002 bis Januar 2007 als Sachbearbeiter Aerodynamik (Systemtechnik, Forschungsabteilung) der D. AG versicherungspflichtig beschäftigt.

Ab 11.01.2005 war er mit der Diagnose einer Borreliose bzw. postinfektiösen Erschöpfung arbeitsunfähig und bezog bis 11.07.2006 Krankengeld sowie vom 12.07.2006 bis 29.04.2007 Arbeitslosengeld. Er ist weiterhin arbeitslos gemeldet.

Von 28.03. bis 11.05.2006 befand er sich auf einer psychosomatischen Reha in Bad S.. Im Entlassungsbericht ist die Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode mit somatischem Syndrom angegeben. Der Kläger habe über Schmerzen am ganzen Körper seit einer Borrelieninfektion 2004 sowie über starke Müdigkeit und Antriebslosigkeit berichtet. Psychische Symptome stünden auch im Zusammenhang mit Druck und Zeitmangel im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeit.

Es wurde von einer vollschichtigen Leistungsfähigkeit - nach einer stufenweisen Wiedereingliederung - ausgegangen. Der Kläger habe sich durchgängig motiviert und kooperativ gezeigt und habe zuverlässig an Therapien, Schulungsprogramm und Gesundheitstraining teilgenommen. Mit dem Kläger sei die Notwendigkeit einer weiterführenden ambulanten Psychotherapie besprochen worden, wozu sich der Kläger motiviert gezeigt habe. Es habe sich eine Verbesserung von Stimmung und Antrieb ergeben, kurz vor Entlassung habe der Kläger wieder über verstärkte Müdigkeit berichtet.

Der Kläger beantragte am 12.09.2006 Rente wegen voller Erwerbsminderung. Er halte sich seit 11.01.2005 wegen eines chronischen Erschöpfungssyndroms, Borreliose, Depressionen und Gelenkschmerzen für erwerbsgemindert. Dazu reichte er ärztliche Unterlagen u.a. des Dr. J. vom 05.10.2006 mit zahlreichen Labordaten ein.

Die Beklagte holte ein Gutachten bei dem Psychiater W. mit Untersuchung am 20.12.2006 ein. Dieser stellte eine Neurasthenie im Sinne einer neurotischen Störung - aufgetreten nach Behandlung einer Borrelieninfektion 2004 - Angst und Depression gemischt, jeweils leichtgradig, fest. Der Kläger erklärte, dass er eine Psychotherapie nicht aufgenommen habe. Er suche nach einer körperlichen Erklärung für seine Schwäche. Der Gutachter berichtete über eine Fixierung des Klägers auf das Erleben der Leistungsunfähigkeit. Die beschriebene Verschlechterung zum Ende der Reha lasse sich mit dem ausgeprägten Vermeidungsverhalten des Klägers erklären. Nach einer psychotherapeutischen Behandlung könne eine Stabilisierung und Leistungsfähigkeit im alten Beruf erwartet werden; für leichte körperliche Arbeit ohne besondere Ansprüche, Zeitdruck und erhöhte Anforderungen an die Anpassungsfähigkeit bestünde schon jetzt ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Die Einschätzung stütze sich auf die Anamnese, das Verhalten in der Begutachtung und auch auf den Reha-Entlassungsbericht, wonach der Kläger ohne größere Schwierigkeiten in der Lage gewesen sei, an dem Tages- und Therapieangebot teilzunehmen.

Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 13.02.2007 ab.

Mit dem Widerspruch vom 26.02.2007 erklärte der Kläger, dass sehr wichtige Aspekte seines Krankheitsbilds außer Acht gelassen worden seien. Im Befundbericht des Nervenarztes Dr. R. vom 02.04.2007 heißt es, der Kläger sei während der stationären Behandlung völlig überfordert gewesen. Es liege ein chronisches Erschöpfungssyndrom mit Aufhebung der beruflichen Leistungsfähigkeit vor. Eine antidepressive Behandlung habe die Erschöpfung nicht bessern können.

Nach sozialmedizinischer Stellungnahme durch Dr. K. vom 10.05.2007 wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 01.06.2007 zurückgewiesen. Es wurde darauf hingewiesen, dass der Gutachter einen dringenden Bedarf für eine intensive psychotherapeutische Behandlung gesehen habe. Besonderer Zeitdruck, Nachtschicht und hohe Anforderungen an die Anpassungsfähigkeit und das Umstellungsvermögen sollten vermieden werden, ansonsten sei der Kläger noch in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt 6 Stunden und mehr zu verrichten.

Dagegen hat der Kläger am 21.06.2007 Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben und die Bewertung durch einen unabhängigen Gutachter gefordert.

Das SG hat Befund- ...

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