Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Nachweis der Hilfebedürftigkeit. Pflicht zur Vorlage von Kontoauszügen für die letzten 3 Monate. verfassungskonforme Auslegung

 

Orientierungssatz

1. Bei - hier für die letzten 3 Monate angeforderten - Kontoauszügen handelt es sich um Beweismittel bzw -urkunden iS des § 60 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB 1, deren Nichtvorlage nach Rechtfolgenbelehrung zu einer Versagungsentscheidung gem § 66 SGB 1 führen kann. Eines konkreten Missbrauchsverdachtes bedarf es hierbei nicht.

2. Weder das Sozialgeheimnis noch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gem Art 2 Abs 1 GG sprechen gegen die Pflicht zur Vorlage angeforderter Kontoauszüge.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 19.09.2008; Aktenzeichen B 14 AS 45/07 R)

 

Tenor

I.

Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 30. Mai 2007 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte zu Recht den Anspruch auf Arbeitslosengeld II (Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab dem 01.02.2006 versagt hat.

Der 1965 geborene Kläger stellte am 10.01.2006 den Antrag auf Fortzahlung des ihm von der Beklagten bis zum 31.01.2006 bewilligten Alg II. Mit Schreiben vom 11.01.2006 bat die Beklagte den Kläger unter Hinweis auf § 60 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I), bis spätestens 28.01.2006 eine Kontenübersicht, die Kontoauszüge der letzten drei Monate und die Steuerkarte für das Jahr 2006 vorzulegen. Sollte er bis zum genannten Termin diese Unterlagen nicht einreichen, werde die Geldleistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz versagt. Nachdem der Kläger die Unterlagen nicht vorgelegt hatte, versagte die Beklagte mit Bescheid vom 24.02.2006 die Leistungen ab dem 01.02.2006 vollständig. Zur Begründung führte sie u.a. aus: "Nachdem Sie bis heute die Unterlagen nicht vollständig vorgelegt und auch keine weitere Fristverlängerung beantragt haben, wird der Antrag wegen fehlender Mitwirkung abgelehnt (§ 66 SGB I). In Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der sparsamen und wirtschaftlichen Verwendung der Haushaltsmittel sowie des Gleichheitsgrundsatzes war der Antrag - da keine ausreichenden Unterlagen von Ihnen bis zum genannten Termin vorgelegt wurden und die Bedürftigkeit daher nicht glaubhaft gemacht wurde - abzulehnen, da Ihr Inter- esse an einer ungeprüften Gewährung von Leistungen nach dem SGB II geringer zu bewerten ist als das Interesse der Allgemeinheit an der Rechtmäßigkeit der Hilfegewährung." Der vom Kläger nicht begründete Widerspruch vom 02.04.2006 - der Bescheid vom 24.02. 2006 war ihm am 04.03.2006 zugestellt worden - blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29.05.2006).

Zur Begründung der am 28.06.2006 zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage berief sich der Kläger auf einen Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 22.08.2005 (L 7 AS 32/05 ER). Die Vorlage der Kontoauszüge sei nicht leistungserheblich und im Sinne des § 60 SGB I nicht erforderlich. Auch aus datenschutzrechtlichen Gründen liege keine Verletzung der Mitwirkungspflicht vor. Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 30.05.2007 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe die Vorlagepflicht aus § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB I i.V.m. § 67 a Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) verletzt. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB I habe derjenige, der Sozialleistungen beantrage, auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen. Beweisurkunden in diesem Sinne seien auch Kontoauszüge. Die in den Kontoauszügen enthaltenen Daten würden über die Höhe der Ein- und Ausgänge, das Buchungsdatum, den Empfänger bzw. Absender der Buchung und im Regelfall auch über den Grund des Ein- bzw. Ausgangs der Zahlung Aufschluss geben. Nach § 67 a Abs. 1 Satz 1 SGB X sei das Erheben von Sozialdaten durch die in § 35 SGB I genannten Stellen zulässig, wenn ihre Kenntnisse zur Erfüllung einer Aufgabe der erhebenden Stelle nach dem SGB erforderlich sei. Die Vorlage dieser Beweisurkunden sei erforderlich und geeignet, um die Hilfebedürftigkeit des Klägers festzustellen zu können. Die Pflicht zur Vorlage von Kontoauszügen sei dabei nicht davon abhängig, dass ein konkreter Verdacht bestehe, dass der Betroffene falsche Angaben gemacht habe. § 65 SGB I, der Grenzen der Mitwirkungspflicht normiere, stehe der Vorlagepflicht nicht entgegen, weil dessen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Ein wichtiger Grund für die Weigerung sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Pflicht zur Vorlage von Kontoauszügen stehe auch nicht der Schutz der Sozialdaten entgegen. Der Kläger sei auf die Folgen seiner Weigerung schriftlich hingewiesen worden, Ermessensfehler seien nicht ersichtlich.

Der Kläger hat gegen den am 05.06.2007 zugestellten Gerichtsbescheid am 21.06.2007 Berufung ein...

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