Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Krankenkasse: Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten im Wege einstweiligen Rechtsschutzes

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den Voraussetzungen einer Verordnung von medizinischem Cannabis.

 

Orientierungssatz

Allein das Fehlen einer kassenärztlichen Verordnung iSd § 8 Abs. 1 Satz 1 BtMVV (Betäubungsmittelrezept) rechtfertigt nicht die Annahme, dass die Voraussetzungen eines Anordnungsanspruches hinsichtlich einer Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten nicht glaubhaft gemacht sind.

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschlusses des Sozialgerichts Bayreuth vom 19.03.2018 aufgehoben und die Antragsgegnerin verpflichtet, die Antragstellerin längstens bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Hauptsacheverfahrens vorläufig mit Medizinal-Cannabisblüten der Sorten Bediol (10g-Dose, 1 x täglich 0,25g morgens), Penelope (10g-Dose, 1 x täglich 0,25g mittags) und Pedanios 20/1 (10g-Dose, 1 x täglich 0,5g abends) entsprechend der vertragsärztlichen Verordnung vom 31.07.2018 zu versorgen (Inhalation in einem Verdampfungssystem; tägliche Maximaldosis 1g; Monatsbedarf 30g).

II. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin (ASt) begehrt die (vorläufige) Verpflichtung der Antragsgegnerin (Ag), die Kosten für die Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten zu übernehmen.

Die 1994 geborene ASt absolviert - nach eigenen Angaben - eine Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin. Am 18.07.2017 beantragte sie bei der Antragsgegnerin (Ag), bei der sie krankenversichert ist, unter Vorlage eines Attestes des Allgemeinarztes Dr. B. die Kostenübernahme für die Therapie mit medizinischen Cannabisblüten. Sie leide (im Wesentlichen) unter einem Fibromyalgiesyndrom sowie einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Aufgrund ihrer stark eingeschränkten Immobilität sei ihr Arbeitsplatz akut gefährdet. Sie benötige wegen der Schwere ihrer Symptome eine zeitnahe Schmerztherapie. Eine besser verträgliche Alternative gebe es nicht. Die Behandlung mit medizinischem Cannabis gewährleiste eine zeitnahe Schmerzreduktion und verbessere damit ihre Chancen auf Eingliederung in das Ausbildungs- und Berufsleben. Die genaue Darreichungsform und Dosierung werde sich im Laufe der Therapie ergeben.

Hierauf teilte die Ag der ASt mit, der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) müsse zur Erstellung eines Gutachtens eingeschaltet werden (Schreiben vom 27.07.2017), und dieser benötige zur Beurteilung weitere ärztliche Befundberichte (Schreiben vom 16.08.2017). Eine abschließende Klärung verzögere sich damit bis zum 27.09.2017 bzw. - wegen der erneuten Anforderung eines Berichtes bei Dr. B. - weitergehend bis 11.10.2017 (Schreiben vom 30.08.2017). Vor Ablauf dieses (zuletzt genannten) Datums gelte der Antrag nicht bereits wegen des Überschreitens der 5-Wochen-Frist als genehmigt.

In seinem Gutachten vom 19.09.2017 kam der MDK zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen des § 31 Abs. 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht erfüllt seien. Die Kostenübernahme könne nicht empfohlen werden. Medikamente, die speziell bei Fibromyalgiesyndrom hilfreich seien, gebe es nicht. Die bisherige Medikation habe zwar keine signifikante Besserung gebracht. Möglich erscheine jedoch noch die Gabe schwach opioidhaltiger Medikamente, die bislang noch nicht zum Einsatz gekommen seien. Zudem stehe die dringliche Aufnahme einer Psychotherapie (stationär oder zeitnah ambulant) im Vordergrund. Die Therapiemöglichkeiten seien noch nicht ausgeschöpft. Zudem gebe es keine qualifizierte Studienlage zum Einsatz von Cannabis, die eine klinisch relevante Wirksamkeit bei vertretbarem Risiko belege.

Mit Bescheid vom 25.09.2017, übersandt an die ASt per Einschreiben am 02.10.2017, lehnte die Ag die Kostenübernahme für die Cannabisblüten unter Bezugnahme auf das Gutachten des MDK ab.

Den dagegen eingelegten Widerspruch begründete die ASt damit, dass opioidhaltige Präparate wie Tramadol und Tilidin bereits getestet worden seien. Diese hätten sich jedoch als ungeeignet erwiesen. Kodein dürfe nicht als Dauermedikation eingesetzt werden. Es beinhalte ein sehr hohes Suchtpotential. Eine ambulante oder stationäre Psychotherapie sei nur sinnvoll, wenn eine effektive medikamentöse Therapie vorhanden sei, die auch als Dauermedikation geeignet angesehen werden könne. Ihre chronische Gastritis Typ C erschwere die Therapie mit Tabletten bzw. Opiaten. Verdampfte Cannabisblüten reizten den Magen jedoch nicht und seien geeignet, die Beschwerden zu lindern. Nach Vorlage eines weiteren Attestes des Dr. B. vom 04.12.2017 forderte die Ag beim MDK eine weitere Stellungnahme an.

In seinem Gutachten vom 22.12.2017 kam der MDK erneut zu dem Ergebnis, es stehe eine dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsalternative zur Verfügung. Nach der S3-Leitlinie Fibromyalgiesyndrom sollten Patienten mit schwerer Ausprägung des Fibromyalgiesyndro...

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