Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Entstehung einer fiktiven Terminsgebühr. vergleichsweise Beendigung des Rechtsstreits. kein Erfordernis für konstitutive Mitwirkung des Gerichts. Anwendbarkeit des § 278 Abs 6 ZPO

 

Leitsatz (amtlich)

Die fiktive Terminsgebühr nach Nr 3106 S 1 Nr 1 Alt 2 VV RVG (juris: RVG-VV) entsteht sowohl bei Abschluss eines Prozessvergleichs nach § 101 Abs 1 S 2 SGG als auch nach § 202 SGG iVm § 278 Abs 6 ZPO (Abkehr von LSG München vom 29.11.2016 - L 15 SF 97/16 E = AGS 2017, 114). Für das Erfordernis einer konstitutiven Mitwirkung des Gerichts an der vergleichsweisen Beendigung des Rechtsstreits bietet die Gebührenziffer Nr 3106 S 1 Nr 1 Alt 2 VV RVG keine Handhabe.

 

Orientierungssatz

Ob die Vorschrift des § 278 Abs 6 ZPO in einem sozialgerichtlichen Verfahren weiterhin Anwendung findet, hat ausschließlich das Prozessgericht zu entscheiden.

 

Tenor

Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 15.04.2019, S 13 SF 39/19 E, sowie die Vergütungsfestsetzung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 15.03.2019 abgeändert.

Für das Verfahren S 9 R 518/18 wird eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG in Höhe von 270,00 Euro (zuzgl. Umsatzsteuer) festgesetzt.

 

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten streitig ist die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung nach Beiordnung im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH). Streitig ist allein das Entstehen einer fiktiven Terminsgebühr.

Der Beschwerdeführer vertrat den Kläger in einem Verfahren vor dem Sozialgericht Würzburg (SG), in dem es um die Weitergewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ging (Az.: S 9 R 518/18). Das SG bewilligte dem Kläger mit Beschluss vom 05.09.2018 PKH ab Klageerhebung und ordnete den Beschwerdeführer bei. Nach Einholung eines nervenfachärztlichen Gutachtens unterbreitete die Beklagte am 04.03.2019 einen Vergleichsvorschlag, den der Beschwerdeführer für den Kläger mit Schriftsatz vom 08.03.2019 annahm und zugleich gegenüber dem SG beantragte, das Zustandekommen des Vergleichs gemäß § 202 SGG i.V.m. § 278 Abs. 6 ZPO durch Beschluss festzustellen. Diesem Antrag folgte das Gericht mit Beschluss vom 12.03.2019.

Mit Schreiben vom 13.03.2019 bezifferte der Beschwerdeführer seinen Vergütungsanspruch für das Verfahren Az.: S 9 R 518/18 wie folgt (abzgl. 380,80 Euro Vorschuss):

Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV RVG

300,00 Euro

Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG

270,00 Euro

Einigungsgebühr, Nr. 1006 VV RVG

300,00 Euro

Entgelte für Post- und

Telekommunikationsdienstleistungen

Nr. 7001 VV RVG (siehe Anlage)

 44,07 Euro

Dokumentenpauschale 100 Kopien)

Nr. 7000 Nr. 1a VV RVG

 32,50 Euro

19% USt, Nr. 7008 VV RVG

179,85 Euro

Gesamt

 1.126,42 Euro

Mit Beschluss vom 15.03.2019 setzte der zuständige Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Vergütung auf 805,12 Euro fest. Dabei setzte er die Verfahrens- sowie die Einigungsgebühr und die Auslagen wie beantragt fest, berücksichtigte aber keine Terminsgebühr. Unter einem schriftlichen Vergleich im Sinne von Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 2. Alt. VV RVG sei nur ein unter Mitwirkung des Gerichts geschlossener Vergleich nach § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG oder nach § 202 SGG i.V.m. § 278 Abs. 6 ZPO zu verstehen. Voraussetzung sei demnach ein Beschlussvorschlag des Gerichts (§ 101 Abs. 1 Satz 2 SGG) oder ein auf einer schriftlichen Initiative (§ 202 SGG i.V.m. § 278 Abs. 6 Satz 1 ZPO) mit nachfolgendem deklaratorischen Beschluss des Gerichts beruhender Vergleich. Vorliegend sei der Vergleichsvorschlag jedoch vom Beklagten unterbreitet worden und nur im Anschluss vom Gericht deklaratorisch festgestellt worden. Nach der Rechtsprechung des BayLSG sei aber eine konstitutive Mitwirkung des SG für die vergleichsweise Beendigung des Rechtsstreits notwendig, um die fiktive Terminsgebühr auszulösen. Daher habe die Initiative für den Vergleichsvorschlag vom Gericht auszugehen. Dies sei vorliegend nicht der Fall gewesen.

Gegen diesen Beschluss legte der Beschwerdeführer am 15.03.2019 Erinnerung ein. Er begründete diese im Wesentlichen damit, dass er nach Eingang des Vergleichsvorschlags der Beklagten vom 04.03.2019 unter dem 05.03.2019 ein Telefongespräch mit einem Beschäftigten der Beklagten geführt habe. Dabei sei der Vergleichsvorschlag insbesondere bezüglich der Kostenquote diskutiert worden. Am Ende dieses Gesprächs habe der Beschwerdeführer dann zugesichert, sich für die Annahme des Vergleichsvorschlags beim Kläger bzw. dessen Betreuer einzusetzen. Dadurch sei zumindest die Terminsgebühr nach der Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV RVG entstanden.

Das SG hat die Erinnerung mit Beschluss vom 15.04.2019 zurückgewiesen. Zur Begründung für den Nichtanfall der Terminsgebühr nach Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 2. Alt. VV RVG hat es vollumfänglich auf die Vergütungsfestsetzung des Urkundsbeamten des SG vom 15.03.2019 verwiesen. Das SG lehnte auch den Anfall einer fiktiven Terminsgebühr nach der Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV RVG ab. Nach der Rechtsprechung des BayLSG (Beschlus...

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