Leitsatz

Erschließungskosten 14 Jahre nach Fertigstellung; Bauträger musste Erst- und Zweiterwerber freistellen

 

Normenkette

§ 326 BGB, § 314 BGB, § 446 BGB, § 103 BGB

 

Kommentar

Das Oberlandesgericht Hamm hat entschieden:

1. Ein Bauträgervertrag über Eigentumswohnungen, der keine Regelung über die Erschließungskosten enthält, ist dahingehend auszulegen, dass der Bauträger (Verkäufer) die Kosten der Ersterschließung zu tragen hat, und zwar auch dann, wenn die Erschließungsleistungen erst nach Eigentumsübergang erbracht werden.

2. Der Anspruch des Ersterwerbers gegen den Bauträger auf Freistellung von der Erschließungsbeitragsschuld gegenüber der Gemeinde geht bei einem Weiterverkauf der Wohnung ohne besondere Regelung auf den Zweiterwerber über.

Das Problem/Sachverhalt

Ein Bauträger hat 1975 in Bielefeld eine Wohnanlage mit 145 Eigentumswohnungen errichtet. 14 Jahre später (!) erhalten alle Eigentümer Beitragsbescheide über die Erschließungskosten in Höhe von mindestens DM 1.103,- pro Wohnung. Ein Teil der Wohnungen ist längst an Zweiterwerber verkauft. In den Bauträgerverträgen gab es keine Regelungen über die Zahlung der Erschließungslast. Die Eigentümer verlangen nun von dem Bauträger, dass er sie von den Beitragspflichten freistellt. Als der Bauträger dieser Aufforderung trotz Fristsetzung nicht folgt, verlangen sie Zahlung der Beiträge in Höhe von mindestens DM 1.103,45 je Wohnung.

Die Entscheidung

Die Eigentümer bekommen Recht, gleich, ob es sich um Erst- oder Zweiterwerber handelt.

Bei einem reinen Kaufvertrag hat grundsätzlich im Verhältnis zwischen Verkäufer und Erwerber derjenige gem. §§  446, 103 BGB die Erschließungskosten zu tragen, der bei Fälligwerden dieser Kosten Eigentümer des Kaufobjekts ist (BGH, NJW 82, 1278). Das Gericht stellt hier aber auf die Besonderheiten eines Bauträgervertrags ab. Nach der Verkehrssitte erwartet der Käufer einer vom Bauträger hergestellten und zum Erstbezug angebotenen Eigentumswohnung, dass alle tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für ihre Bewohnbarkeit vorliegen. Dazu gehöre auch, dass die Kosten für alle Maßnahmen, mit denen das Objekt bewohnbar gemacht werde, mit dem Kaufpreis abgegolten werden sollten. Folglich umfasse der Kaufpreis auch die Erschließung, die Voraussetzung für die Bewohnbarkeit sei, also auch die Erschließungskosten. Der Bauträger müsse daher die Erwerber von ihrer Zahlungspflicht gegenüber der Kommune freistellen. Komme er damit in Verzug, müsse er gem. § 326 BGB im Wege des Schadensersatzes die Beitragskosten direkt an die Erwerber zahlen. Das gelte in gleicher Weise für die Zweiterwerber, da diese den Freistellungsanspruch vom Ersterwerber (entspr. § 314 BGB) automatisch erworben haben.

 

Link zur Entscheidung

( OLG Hamm, Urteil vom 09.03.1992, 22 U 130/90; OLGR Hamm 92, 225)

zu Gruppe 3: Begründung, Erwerb und Veräußerung; Umwandlung

Anmerkung

Die Abwälzung von später fällig werdenden Erschließungskosten auf den Käufer kann auch in einem Bauträgervertrag durch ausdrückliche Vereinbarung geregelt werden. Angesichts des Charakters des "Kaufpreises" als Pauschalfestpreis für sämtliche Anschaffungs- und Herstellungskosten dürfte eine entsprechende Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen regelmäßig überraschend und damit unwirksam sein.

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