Entscheidungsstichwort (Thema)

Beihilfe zu Werkstatt- und Beförderungskosten

 

Leitsatz (redaktionell)

Zu den beihilfefähigen Aufwendungen bei dauernder Anstaltsunterbringung gemäß Nr 5 BhV gehören auch die Kosten einer Beschäftigung und Betreuung des Untergebrachten in einer der Anstalt angeschlossenen Behindertenwerkstatt einschließlich seiner Beförderung zwischen Anstalt und Werkstatt.

 

Normenkette

BSHG § 90; BhV Nr. 5 Fassung 1975-02-15

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 02.09.1982; Aktenzeichen 9 Sa 24/82)

ArbG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 13.10.1981; Aktenzeichen 3 Ca 337/81)

 

Tatbestand

Die beklagte Deutsche Bundesbahn ist Arbeitgeberin des Bundesbahnarbeiters Ernst S. Dessen 1959 geborener Sohn Egon ist aufgrund frühkindlicher Hirnschädigung geistig behindert und lebt seit 1976 im Behindertenwohnheim der Lebenshilfe e.V. in Lörrach. Er besucht von dort aus die dieser Einrichtung angeschlossene Werkstatt für Behinderte in Schopfheim.

Der Kläger ist der zuständige Sozialhilfeträger und gewährt dem Sohn des Bundesbahnarbeiters S Eingliederungshilfe gemäß § 39 BSHG. Zu den Pflege- und Werkstattkosten bewilligte die Beklagte für die Zeit ab 1. Januar 1977 entsprechend Nr. 5 der Beihilfevorschriften des Bundes (BhV) Beihilfe und zahlte sie unmittelbar an den Kläger aus. Für den Zeitraum vom 1. Januar 1978 bis 17. Oktober 1978 beantragte der Kläger mit Schreiben vom 18. Oktober 1979 auch einen Zuschuß in Höhe von 697,74 DM zu den Beförderungskosten, die aufgewendet worden waren, um den Sohn des Herrn S täglich vom Wohnheim zur Werkstatt und zurück zu bringen. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil Transportkosten keine beihilfefähigen Aufwendungen i.S. der Nr. 5 BhV seien. Durch Bescheid vom 4. Mai 1981 leitete der Kläger gemäß § 90 BSHG den seiner Ansicht nach bestehenden Beihilfeanspruch des Herrn S gegen die Beklagte auf sich über.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, auch die Kosten der Beförderung des Behinderten zwischen Wohnheim und Werkstatt seien beihilfefähig, und dementsprechend beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger

697,74 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit

4. Mai 1981 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, nach Nr. 5 BhV seien nur die Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie die in Rechnung gestellten Werkstattkosten als beihilfefähig anzuerkennen. Fahrtkosten seien weder Kosten für Unterkunft und Verpflegung noch zählten sie zu den in Nr. 5 BhV aufgeführten anderen beihilfefähigen Aufwendungen. Der Kläger sei auch deshalb nicht anspruchsberechtigt, weil er nach Maßgabe des zum Zeitpunkt der Überleitungsanzeige geltenden § 90 BSHG a.F. einen Anspruch nur dann habe auf sich überleiten können, wenn er für den Beihilfeberechtigten selbst Leistungen erbracht habe. Im vorliegenden Falle seien aber Leistungen für einen Angehörigen des Beihilfeberechtigten erbracht worden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe einen etwaigen Beihilfeanspruch wegen der Fahrtkosten nicht gemäß § 90 BSHG auf sich überleiten können, da der Anspruch nicht dem Hilfeempfänger selbst, sondern dessen Vater zustehe.

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Der Klage ist stattzugeben, denn die der Höhe nach unstreitige Klageforderung (dies haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt) ist auch dem Grunde nach gerechtfertigt.

I. Der Kläger ist aufgrund der Überleitungsanzeige vom 4. Mai 1981 aktiv legitimiert. Die Überleitungsanzeige gemäß § 90 Abs. 1 Satz 1 BSHG ist ein Verwaltungsakt, der mit unmittelbarer Rechtswirkung zum Anspruchsübergang führt, wenn er nicht nichtig ist (BVerwGE 41, 115, 116; BVerwG Urteil vom 16. Dezember 1976 - VI C 24.71 - DÖD 1977, 55). Nichtigkeitsgründe liegen nicht vor.

1. Zwar mag sein, daß § 90 BSHG in der zur Zeit der Überleitung geltenden Fassung keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Überleitung des streitgegenständlichen Beihilfeanspruchs darstellte. Denn erst durch das 2. Haushaltsstrukturgesetz vom 22. Dezember 1981 (BGBl. I, 1523) wurden in § 90 Abs. 1 Satz 1 BSHG hinter dem Wort "Hilfeempfänger" die Worte "oder haben Personen nach § 28" eingefügt. Selbst wenn man hierin nicht lediglich eine Klarstellung des Gesetzeswortlauts, sondern eine konstitutive Änderung der Rechtslage sehen muß, führt dies nicht zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts vom 4. Mai 1981, sondern lediglich zu dessen Anfechtbarkeit.

2. Gemäß § 90 Abs. 3 BSHG haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Überleitungsanzeige keine aufschiebende Wirkung. Deshalb kann dahinstehen, ob in dem Schreiben der Beklagten vom 8. Mai 1981, in dem sie den Kläger darauf hinwies, eine Anspruchsüberleitung sei nicht möglich, ein Widerspruch zu sehen war. Daß der Verwaltungsakt daraufhin zurückgenommen oder im Verwaltungsstreitverfahren aufgehoben worden wäre, ist nicht vorgetragen worden. Die Gerichte für Arbeitssachen haben deshalb von der Tatbestandswirkung des Verwaltungsakts auszugehen.

II. Dem Bestehen des mithin wirksam übergeleiteten Anspruchs steht auch nicht entgegen, daß die Deutsche Bundesbahn gemäß Nr. 16 Abs. 3 BhV nicht in den Geltungsbereich der Beihilfevorschriften fällt und daß deren Anwendung auf die Arbeiter der Deutschen Bundesbahn auch weder tarifvertraglich (Lohntarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundesbahn) noch einzelvertraglich vorgesehen ist. Denn jedenfalls zur Anwendung der Nr. 5 BhV auch auf ihre Arbeitnehmer hat sich die beklagte Deutsche Bundesbahn durch die in ihrem Amtsblatt bekannt gemachte Verfügung ihrer Hauptverwaltung vom 21. August 1967 - 15.154 Ubn 40 - verpflichtet. Hiervon gehen auch die Parteien übereinstimmend aus.

1. Die angeführte Verfügung der Beklagten lautet in ihren hier wesentlichen Teilen:

"Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom

7.10.1965 - VIII C 63.63 - (ZBR 1966 S. 123) festge-

stellt, daß

a) die Beihilfevorschriften dadurch, daß sie die Ge-

währung einer Beihilfe zu den Kosten der dauernden

Anstaltsunterbringung körperlich und geistig Kran-

ker nicht vorsehen, der Fürsorgepflicht und der

Alimentationspflicht des Dienstherrn nicht gerecht

werden, und

b) es unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht und

des Alimentationsprinzips nicht darauf ankommt, ob

die Unterbringung eine Besserung oder Linderung des

Leidens bezweckt oder einfach der "Verwahrung" von

unheilbar Kranken dient.

Aufgrund dieses Urteils sind die Beihilfevorschriften

durch die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Än-

derung der Beihilfevorschriften des Bundesministers

des Innern vom 28. Februar 1967 um die Nr. 4a "Bei-

hilfefähige Aufwendungen bei dauernder Anstaltsunter-

bringung" ergänzt worden (siehe Anlage).

Obwohl die Beihilfevorschriften für die DB nicht gel-

ten, müssen die Fürsorgeleistungen im Bereich der DB

jedoch in einer diesen Vorschriften entsprechenden

Weise geregelt werden. Wir ordnen daher an, die Be-

stimmungen der Nr. 4a der Beihilfevorschriften sinnge-

mäß auch für die Beamten und Versorgungsempfänger, die

Angestellten und die Arbeiter der DB anzuwenden. Soweit

Angestellte und Arbeiter gesetzlich krankenversichert

sind, kommt eine Leistung der DB als Arbeitgeber nur

dann und nur insoweit in Betracht, als ein Träger der

gesetzlichen Krankenversicherung keine Sachleistungen

gewährt."

2. Durch diese Verfügung hat sich die Beklagte - jedenfalls bis zu einer etwaigen Änderung der Verfügung - selbst gebunden, auf ihre Bediensteten einschließlich der Arbeitnehmer Nr. 5 BhV, die der angeführten Nr. 4a in der Fassung vom 28. Februar 1967 entspricht, in gleicher Weise anzuwenden, wie diese Vorschrift im übrigen Bundesdienst gilt. Auch insoweit besteht zwischen den Parteien kein Streit. Die Parteien streiten lediglich darüber, ob die Beförderungskosten zwischen Anstalt und Werkstatt zu den "Werkstattkosten" gehören, deren Beihilfefähigkeit gemäß Nr. 5 BhV im Anschluß an ein Schreiben des Bundesministers des Innern an die obersten Bundesbehörden vom 30. März 1977 (D III 6 - 213 105 - 1/7) allgemein anerkannt ist (vgl. Mildenberger/Hoffmann, Beihilfevorschriften, Nr. 5 BhV, Anm. 5 a; Schadewitz/Röhrig/-Seifener, Beihilfevorschriften, Teil B, Nr. 5 BhV, Anm. 5). Das Schreiben des Bundesministers des Innern vom 30. März 1977 lautet:

"In Fällen dauernder Unterbringung von Behinderten

in Anstalten und Einrichtungen (Nr. 5 BhV) werden

seit einiger Zeit sogenannte Werkstattgebühren in

Rechnung gestellt. Entsprechende Kosten waren

früher im allgemeinen Pflegesatz enthalten; sie

werden jetzt lediglich für die Anerkennung nach

§ 55 Schwerbehindertengesetz sowie aus organisa-

torischen Gründen getrennt berechnet. Es bestehen

keine Bedenken, diese Werkstattgebühren im Rahmen

der Nr. 5 BhV als beihilfefähig anzuerkennen."

3. Die Revision macht im wesentlichen geltend, zwischen den Beförderungskosten und den Werkstattkosten bestehe ein untrennbarer Zusammenhang. Demgegenüber beruft sich die Beklagte vor allem auf eine Stellungnahme des Bundesministers des Innern gegenüber der Deutschen Bundesbank vom 30. Dezember 1977 (D III 6 - 213 105 - 1/7), in der es heißt, daß "die Fahrtkosten nicht zu den Werkstattgebühren gerechnet werden können und somit nicht beihilfefähig sind". Diese Auffassung hat der Bundesminister des Innern durch folgendes Schreiben an den Kläger vom 12. Januar 1984 (D III 5 - 213 105 - 1/7) bestätigt:

"Die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen bei dauern-

der Anstaltsunterbringung bestimmt sich nach Nummer

5 der Beihilfevorschriften (BhV). Danach sind neben

anderen beihilfefähigen Aufwendungen (z.B. Pflege-

kosten) die Kosten für Unterbringung und Verpflegung

beihilfefähig. Die von mir mit Rundschreiben vom

30. März 1977 - D III 6 - 213 105-1/7 - als beihil-

fefähig anerkannten Werkstattgebühren sind Aufwen-

dungen, die den Unterbringungskosten zuzuordnen

sind. Dies ergibt sich auch aus der Aussage im Rund-

schreiben, wonach entsprechende Kosten früher im

allgemeinen Pflegesatz enthalten waren. Zu den Un-

terbringungskosten können aber die Beförderungskosten

nicht gerechnet werden, so daß eine Beihilfefähigkeit

dieser Aufwendungen verneint werden muß. Beförde-

rungskosten zur ärztlichen Behandlung bleiben hiervon

unberührt."

4. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts kommt es für die Entscheidung des Streitfalles nicht darauf an, ob Nr. 4 Ziff. 10 BhV der allgemeine Rechtsgedanke entnommen werden kann, auch die Beförderung des Hilfsbedürftigen zu beihilfefähigen Maßnahmen sei beihilfefähig, so daß sie zu den "anderen beihilfefähigen Aufwendungen" i.S. von Nr. 5 Abs. 1 BhV gehöre. Denn auch wenn ein solcher Grundsatz anzuerkennen wäre, bestehen im Falle der Beklagten Bedenken gegen die Einbeziehung anderer, nicht unmittelbar in Nr. 5 BhV als beihilfefähig anerkannter Aufwendungen. Denn die Deutsche Bundesbahn hat sich in ihrer angeführten Verfügung vom 21. August 1967 nur zur Anwendung der Nr. 5 BhV verpflichtet; mangels einzel- oder tarifvertraglicher Vereinbarung ist sie jedenfalls gegenüber ihren Arbeitnehmern nicht gehalten, mit den Beihilfevorschriften des Bundes insgesamt vergleichbare Leistungen zu erbringen.

5. Indessen ergibt sich, wenn die Werkstattkosten gemäß Nr. 5 BhV beihilfefähig sind, auch die Beihilfefähigkeit der Beförderungskosten aus Nr. 5 BhV selbst. Die Beförderungskosten lassen sich von den Werkstattkosten nicht trennen, sondern sind ihr zwangsläufiger Bestandteil. Der Behinderte muß unabhängig davon, wie weit die Werkstatt vom sonstigen Ort seiner Unterbringung und Betreuung entfernt ist, in die Werkstatt gebracht werden. Aufwendungen hierfür entstehen stets; lediglich ihre Höhe hängt davon ab, ob die Werkstatt räumlich mit der Anstalt verbunden oder - was aus Gründen der Therapie oder der Kostensenkung etwa durch Schaffung gemeinsamer Einrichtungen mehrerer Anstalten zweckmäßig sein mag - von ihr getrennt ist. In beiden Fällen ist es ebenso wie bei den Werkstattkosten selbst lediglich eine Frage der Abrechnungsweise, ob sie in den allgemeinen Pflegesatz eingerechnet oder gesondert berechnet werden; für die Frage, ob sie dem Grunde nach beihilfefähig sind, kann diese Abrechnungsweise keine Bedeutung haben. Die Kosten der Beschäftigung und Betreuung des Behinderten in einer Werkstatt können zwar durch eine Erweiterung der - im Grundsatz stets gegebenen - räumlichen Trennung zwischen Werkstatt und den sonstigen Unterbringungsräumen steigen. Dies kann sich jedoch nur dahin auswirken, daß sie nicht mehr in voller Höhe beihilfefähig sind, etwa weil sie den niedrigsten Pflegesatz einer vergleichbaren Anstalt im Sinne von Nr. 5 Abs. 1 BhV überschreiten.

6. Es bleibt deshalb nur die Frage zu beantworten, ob Werkstattkosten (einschließlich der Beförderungskosten) insgesamt dem Grunde nach gemäß Nr. 5 BhV beihilfefähig sind. Der Senat bejaht diese Frage. Zwar spricht Nr. 5 BhV nur von den Kosten "für Unterkunft und Verpflegung". Die Werkstattkosten wurden jedoch stets zu ihnen gerechnet; sie waren im allgemeinen Pflegesatz enthalten. Lediglich aus mit der Beihilfefähigkeit nicht zusammenhängenden Gründen, insbesondere zum Zwecke der Anerkennung der Werkstatt im Sinne des § 55 SchwbG (vgl. das oben II 2 angeführte Schreiben des Bundesministers des Innern vom 30. März 1977) wurden sie später aus dem allgemeinen Pflegesatz herausgerechnet und gesondert ausgewiesen. Durch diese mithin ganz anderen Zwecken dienende Änderung der Abrechnungsweise kann sich an der gebotenen und stets zutreffend vorgenommenen Würdigung, daß bei der dauernden Unterbringung körperlich oder geistig Behinderter auch eine sinnvolle Beschäftigung zur menschenwürdigen Gewährung von "Unterkunft" im Sinne der Nr. 5 BhV gehört, nichts ändern.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Dr. Seidensticker Roeper Dr. Steckhan

Nehring Schmalz

 

Fundstellen

AP, (LT1)

AR-Blattei, Öffentlicher Dienst Entsch 294 (LT1)

DÖD 1987, 214-216 (LT1)

PersV 1991, 189 (K)

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